Sozialrecht

Rücknahme eines Rentenbescheides wegen Überzahlung

Aktenzeichen  L 19 R 38/18

Datum:
26.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26332
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 109
SGB X § 34, § 45, § 48 Abs. 3, § 50 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Der Vortrag, einen Bescheid überhaupt nicht gelesen zu haben, begründet ein grob fahrlässiges Verhalten im Sinne des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Vorschriften des Bürgerliches Gesetzbuches zum Bereicherungsrecht finden im Sozialrechtsverhältnis keine Anwendung. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 2 R 725/13 2017-12-11 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.12.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG-), jedoch unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht mit streitgegenständlichem Bescheid vom 03.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.09.2013 den Rentenbescheid vom 13.02.2008 nach § 45 SGB X aufgehoben, weil dieser von Anfang an rechtswidrig war und der Kläger sich auf ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Bescheids nicht berufen kann.
Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Der Bescheid vom 13.02.2008 war von Anfang an rechtswidrig, da bei der Berechnung der dem Kläger ab dem 01.04.2008 bewilligten Altersrente nach Altersteilzeit ein Abzug aus Versorgungsausgleich bezüglich der ersten Ehe des Klägers nicht berücksichtigt worden ist. Statt eines Abzugs von Entgeltpunkten wurden dem Kläger zusätzliche Entgeltpunkte aus Versorgungsausgleich in Höhe von 11,7034 zuerkannt und unter Zugrundelegung dieser Entgeltpunkte Altersrente nach Altersteilzeit gewährt.
Der Kläger kann sich auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand dieses Bescheids nach § 45 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB X berufen, da der Kläger infolge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht erkannt hat und damit ein Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X nicht in Betracht kommt. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der gesetzlichen Umschreibung in § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 2. Hs SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Grob fahrlässige Unkenntnis in diesem Sinne liegt bereits dann vor, wenn der Adressat, hätte er den Bewilligungsbescheid gelesen und zur Kenntnis genommen, aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG vom 26.08.1987, Az B 11a RA 30/86; BSG vom 08.02.2011, Az B 11 AL 21/00 R, veröffentlicht bei juris; Schütze in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., 2014, § 45 Rdnr 56 m.w.N.).
Das SG hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger ohne weiteres die Fehlerhaftigkeit des Bescheids vom 13.02.2008 hätte erkennen können. Bereits die Gestaltung der Anlage 5, die in Fettdruck mit der Überschrift „Auswirkungen des Versorgungsausgleichs“ versehen ist, macht unmissverständlich deutlich, dass es sich hier um Auswirkungen auf die Rentenanwartschaften durch den Versorgungsausgleich aus der konkreten Ehezeit des Klägers handelt. Es ist eindeutig ersichtlich, dass hier Anwartschaften zugunsten des Klägers berücksichtigt wurden. Aus Anlage 6 ist ersichtlich, dass die in Anlage 5 genannten zusätzlichen Entgeltpunkte aus der Ehezeit den weiteren Entgeltpunkten des Klägers hinzugerechnet werden und insgesamt zu einer höheren Entgeltpunktezahl führen, die seiner Rentenberechnung zugrunde gelegt wurden. Der Kläger wusste sicherlich, dass im Scheidungsurteil der Versorgungsausgleich, d.h. die während der Ehezeit von beiden Ehegatten erworbenen Rentenanwartschaften, zu seinen Lasten und nicht zu seinen Gunsten durchgeführt wurde, er also an seine geschiedene Ehefrau Rentenanwartschaften zu übertragen hatte. Dem Kläger ist einzuräumen, dass ein juristischer Laie keine Kenntnisse über die genauen rechtlichen Wirkungen eines familienrechtlichen Versorgungsausgleichsverfahrens und seiner Auswirkungen auf die Rentenberechnung haben muss. Er musste aber beim bloßen Lesen des Bescheids erkennen, dass ein Zuschlag an Entgeltpunkten in diesem Fall ausgeschlossen sein muss (Bayer. LSG, Urteil vom 30.04.2014, L 20 R 1040/12; Urteil vom 05.04.2018, L 19 R 136/17, veröffentlicht bei juris). Bei Anstellung einfachster Überlegungen hätte dem Kläger klar sein müssen, dass die ihm von der Beklagten zuerkannte Altersrente jedenfalls nicht in dieser Höhe zustehen konnte. Zumindest hätte er sich veranlasst sehen müssen, bei der Beklagten deswegen nachzufragen, was er aber nicht getan hat.
Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er den Bescheid überhaupt nicht gelesen hätte, wäre bereits dieses Verhalten als grob fahrlässig im Sinne des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X zu bewerten.
Der Kläger ist auch nicht von der rechtlichen Verpflichtung zum Lesen eines Bewilligungsbescheids entbunden, weil er zuvor Rentenberechnungen bei der Beklagten hat durchführen lassen, er Beratungstermine in Anspruch genommen und im Folgenden wohl auch Renteninformationen von der Beklagten erhalten hatte. Das SG hat insoweit bereits auf die Unverbindlichkeit der Rentenauskünfte nach § 109 SGB VI hingewiesen. Selbst wenn die Rentenhöhe im Bewilligungsbescheid vom 13.02.2008 vergleichbar mit den gegebenen Informationen gewesen wäre, wäre der Kläger trotzdem zumindest zum Lesen und zur Kenntnisnahme des erstmals Rente bewilligenden Bescheides verpflichtet gewesen. Wie oben ausgeführt, hätte er dann die Fehlerhaftigkeit des Bescheides erkennen müssen. Dies gilt umso mehr als der Kläger den Rentenbescheid vom 13.02.2008 eben gerade nicht ungelesen in eine Schublade abgelegt hatte, sondern zusammen mit seinen damaligen Prozessbevollmächtigten eine Überprüfung des Bescheides in Hinblick auf eine Optimierung der Rentenhöhe durchgeführt hatte, erst hinsichtlich einer Altersrente bei Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit und anschließend einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach Zuerkennung eines GdB von 50 durch das Versorgungsamt. Ein solches Vorgehen verlangt zwingend das Lesen des Bescheides und die Kenntnisnahme von den wesentlichen Berechnungsgrundlagen, die dem Bescheid zugrunde liegen.
Die Beklagte hat auch die in § 45 Abs. 3 und 4 SGB X genannten Rücknahmefristen eingehalten. Dies hat das SG ebenfalls bereits zutreffend ausgeführt. Die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 SGB X hat die Beklagte unzweifelhaft eingehalten, weil sie erst aufgrund der Fehlermeldung der DRV Nordbayern, ausgelöst durch die Rentenantragstellung der geschiedenen Ehefrau des Klägers, überhaupt positive Kenntnis von dem bei ihr unterlaufenen Fehler erlangt hat und den Kläger zu der möglichen Überzahlung anhören konnte. Die Fehlermeldung erfolgte am 13.12.2012, der hier streitige Rücknahmebescheid wurde am 03.04.2013 erlassen.
Das SG hat zu Recht auch festgestellt, dass die von der Beklagten durchgeführte Ermessensausübung rechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Beklagte hat hierbei in ausreichendem Maße berücksichtigt, dass bei ihr der entscheidende Fehler bei der Verarbeitung des Versorgungsausgleichs aus dem Scheidungsurteil von 1983 lag, dass aber der Kläger bei Wahrung der erforderlichen Sorgfalt die eingetretene Überzahlung hätte vermeiden können. Ein vom Gericht zu beanstandender Ermessensnicht- oder -fehlgebrauch liegt nicht vor.
Auf Entreicherung kann sich der Kläger wegen des fehlenden Vertrauensschutzes nach § 45 Abs. 2 SGB X nicht berufen. Die Vorschriften der §§ 812 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – finden in diesem Sozialrechtsverhältnis keine Anwendung.
Die Rückforderung ist auch nicht verjährt. Zwar zitiert das SG fehlerhaft § 52 Abs. 2 SGB X, der auf diesen Fall nicht anwendbar ist. Eine Verjährung der Erstattungsforderung kommt nicht aufgrund bloßen Zeitablaufs in Betracht, sondern wird erst durch Erlass des Aufhebungsbescheids, der die Bestandskraft des Rentenbescheids vom 13.02.2008 hier in zulässiger Weise nach § 45 SGB X durchbricht, in Lauf gesetzt. Die Erstattungsforderung verjährt nach § 50 Abs. 4 SGB X 4 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt, mit dem die Erstattung festgesetzt wurde, bestandskräftig geworden ist. Dies ist bislang aufgrund des laufenden Rechtstreits noch nicht der Fall.
Nach alledem war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 11.12.2017 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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