Aktenzeichen 19 O 19640/07
SGB IX § 69
Leitsatz
Eine leichte HWS-Distorsion vom Grade Erdmann 1/QTF2, welche nach wenigen Wochen folgenlos ausgeheilt ist, rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 3.500,00 €. (Rn. 47 und 58) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger 2.200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.08.2007 zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden weiter samtverbindlich verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld aufgrund des Verkehrsunfalls vom 10.07.2007 in Höhe von 3.500,00 € zu bezahlen.
3. Die Beklagten werden weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 546,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.01.2008 zu bezahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
6. Das Urteil ist jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
7.Beschluss:
Der Streitwert wird auf €124.581,95 € festgesetzt.
Gründe
Die Klage ist zulässig, allerdings nur zum geringen Teil begründet.
Der Kläger hat gegenüber den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 7, 18 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 VVG in ausgeurteilter Höhe.
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung einer Vielzahl von Gutachten sowie Anhörung von Sachverständigen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger hier unfallkausal nur eine leichte HWS-Distorsion Erdmann 1/QTF 2 nachweisen konnte.
Aufgrund des Gutachtens des biomechanischen Sachverständigen … der dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren als zuverlässiger und kompetenter Sachverständiger bekannt ist und dessen Gutachten vom 31.03.2009 widerspruchsfrei und technisch nachvollziehbar erfolgt ist, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass aufgrund des streitgegenständlichen Unfalls das Beklagtenfahrzeug mit einer Differenzgeschwindigkeit von 10 bis 14 km/h auf das klägerische Fahrzeug aufgeprallt ist. Für die Belastung des Klägers ist dabei lediglich der Geschwindigkeitsunterschied beim Zusammenstoß entscheidend.
Am klägerischen Fahrzeug wurde eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von gerundet 5 bis 6 km/h verursacht und das klägerische Fahrzeug wurde anstoßbedingt nur mit einer Spitzenbeschleunigung von etwa 2,5 bis 3,5 g nach vorne gestoßen.
Zur Überzeugung des Gerichts steht somit fest, dass in kollisionsdynamischer Hinsicht kein heftiger Aufprall stattgefunden hat. Die aufgrund der Angaben des Klägers festgestellte Sitzgeometrie des Klägers zum Unfallzeitpunkt ergab dabei ein nahezu ideales, verletzungsminderndes Bild.
Am Kopf-Hals-System des Klägers ist es höchstens zu einer Spitzenbeschleunigung von etwa 5 g gekommen. Zwischen Kopf und Hals waren lediglich Kräfte von 50 N, zwischen Hals und Brust etwas mehr als 90 N vorhanden.
Die Belastung, die der Kläger unfallbedingt somit ertragen musste, war gering und bewegte sich in einem Bereich, wie sie auch im täglichen Leben vorkommt.
Bei der Anhörung des Sachverständigen … in der mündlichen Verhandlung vom 23.07.2009 hat dieser klargestellt, dass die von ihm vorgenommenen Berechnungen aufgrund der Beschädigungen am Beklagtenfahrzeug und nicht an dem Vergleichsfahrzeug erfolgten. Die vom Kläger geforderte Besichtigung des Beklagtenfahrzeugs sei aufgrund der vorhandenen umfangreichen Schadensdokumentation nicht erforderlich gewesen.
Aufgrund des orthopädischen Gutachtens des Sachverständigen … der dem Gericht ebenfalls aus einer Vielzahl von Verfahren als zuverlässiger und kompetenter Sachverständiger bekannt ist und dessen Gutachten widerspruchsfrei und nachvollziehbar erstattet wurde, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger unfallkausal eine leichte HWS-Distorsion Erdmann 1/QTF2 erlitten hat, welche nach wenigen Wochen folgenlos ausgeheilt ist. Der Sachverständige hat in seiner mündlichen Anhörung vom 27.02.2014 nachvollziehbar ausgeführt, dass trotz der geringen Krafteinwirkung von 50 N beim Kläger, der doch nicht unerheblich degenerativ vorgeschädigt war, eine HWS-Distorsion leichten Grades verursacht worden sein könne. Aufgrund der Beschwerdesymptomatik, die sich aus der Akte ergebe und insbesondere auch aufgrund der Diagnosen der den Kläger unmittelbar nach dem Unfall behandelnden Ärzte, geht der Sachverständige mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer HWS-Distorsion Erdmann I/QTF2 aus.
Aufgrund des klaren zeitlichen Zusammenhangs sowie der unfallnahen ärztlichen Dokumentationen, welche für eine entsprechende HWS-Verletzung sprachen und aufgrund der Möglichkeit diese Verletzung durch den streitgegenständlichen Unfall zu erleiden, geht das Gericht, trotz der Geringfügigkeit der Krafteinwirkung auf den Kläger, ebenfalls von einer HWS-Distorsion Erdmann I/QTF2 aus.
Eine Verursachung von dauerhaften Beschwerden aufgrund dieser leichten HWS-Distorsion ist allerdings nicht nachgewiesen.
Das Gericht gelangt auch dazu, dass die nach dem Unfall aufgetretenen Nackenbeschwerden ebenfalls unfallkausal sind, da die beim Kläger degenerativ vorgeschädigte Halswirbelsäule auch trotz der geringen Krafteinwirkung der Auslöser derartiger Beschwerden sein kann.
Aufgrund der Tatsache, dass hier keine strukturelle oder richtungsweisende Verschlechterung des Zustands des Klägers an der Halswirbelsäule erfolgt ist, sind die bis heute bestehenden Beschwerden des Klägers an der HWS nur durch die vorbestehenden degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule zu erklären und somit nicht unfallkausal.
Das Gericht geht hier davon aus, dass der Kläger unfallkausal insgesamt für mehrere Wochen nicht in der Lage war, seine berufsbedingte Tätigkeit fortzusetzen.
Somit hat der Kläger Anspruch auf Verdienstausfall, der neben der normal weiterbezahlten Tätigkeit als Mitglied des Symphonieorchesters, angefallen ist.
Aufgrund der massiven Schmerzattacke des Klägers vom 30.07.2007, die zu erheblichen Beschwerden sowie einem stationären Aufenthalt des Klägers geführt hat, geht das Gericht davon aus, dass die orthopädischen Unfallursachen nur bis zu diesem Zeitpunkt einen unfallkausalen Verdienstausfall des Klägers zur Folge hatten. Der Vorfall vom 30.07.2007 war nach Meinung aller gerichtlichen Gutachter nicht unfallkausal, und hat die unfallkausalen Beschwerden überlagert.
Durch die unfallkausalen Verletzungen ist dem Kläger für die Konzerte mit der Kultgruppe Blechschaden am 26.07.2007, 27.07.2007 sowie 29.07.2007 ein ersatzfähiger Schaden entstanden.
Dieser Verdienstausfall des Klägers, der nachweisbar unfallkausal ist, beläuft sich somit für die drei Konzerte, bei denen der Kläger nicht spielen konnte, auf 2.200,00 €.
Ein weiterer unfallkausaler Verdienstausfallschaden konnte nicht nachgewiesen werden.
Bei der zu bemessenden Höhe des Schmerzensgeldes geht das Gericht davon aus, dass hier ein Betrag in Höhe von 3.500,00 € angemessen, aber auch ausreichend ist.
Das Gericht hat dabei berücksichtigt, dass der Kläger aufgrund seiner degenerativ vorgeschädigten Halswirbelsäule stärkere Schmerzen hatte, als derjenige, der nicht vorgeschädigt ist.
Der ab 30.07.2007 erfolgte stationäre Aufenthalt des Klägers aufgrund der plötzlich aufgetretenen massiven Schmerzen kann hier, da nicht nachweisbar unfallkausal, nicht mitberücksichtigt werden.
Zur Überzeugung des Gerichts ist die dauerhafte neurologische Einschränkung des Klägers in Bezug auf die „1 1/2 Finger“ der rechten Hand, die unverändert seit dem Abend des Unfalltages besteht, nicht nachweisbar unfallkausal.
Bei dieser Verletzung des Klägers handelt es sich um eine sehr komplexe Problematik. Es werden dabei neurologische Beschwerden beklagt, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 10.07.2007 aufgetreten sind. Dabei ist es völlig unbestritten, dass es bei dem Kläger zu einer Beeinträchtigung der Fingerfertigkeit beim Spielen eines Schlagzeugs, was für ihn als Berufsschlagzeuger existenzbedrohend war, gekommen ist.
Die vielfältigen Begutachtungen des Klägers kommen dabei zu keiner übereinstimmenden Einordnung der Beschwerden. Dabei sind die unterschiedlichen Einschätzungen der den Kläger unmittelbar nach dem Unfall behandelnden Ärzte wenig hilfreich, da es sich zum Teil nicht um neurologische Fachärzte gehandelt hat und bei ihnen nicht die Diagnose im Vordergrund stand, sondern deren Ziel war, die Behandlung und Beseitigung des den Kläger erheblich beeinträchtigenden Taubheitsgefühls der beiden Finger der rechten Hand.
So wurde der Hausarzt des Klägers, …, als Internist bereits am Unfallabend vom Kläger telefonisch kontaktiert, wobei dieser ihm „Taubheitsgefühle im Bereich des vierten Fingers der rechten Hand“ geschildert habe. … hat den Kläger sodann am 11.07.2007 untersucht und dabei Schmerzen und Muskelhartspann im Bereich der Halswirbelsäule und der Schultern beidseits, sowie eine Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule und des Kopfes nach rechts, eine schmerzhafte Kraftminderung der Interdigitalmuskulatur der rechten Hand und „deutliche Taubheitsgefühle und neuralgische Schmerzen im Bereich der vierten und fünften Finger“ diagnostiziert. Er ging damals von einer HWS-Zerrung mit Zerrung des Armplexus rechts im Bereich C7/C8 aus (siehe Anlage K37).
Der zweite ärztliche Untersuchungsbefund zeitnah zum Unfall stammt vom Orthopäden und Durchgangsarzt …, der den Kläger am 17.07.2007 untersuchte. Seine Diagnose lautete: HWS-Zerrung mit posttraumatischen Zervikalsyndrom bei Zustand nach Auffahrunfall bei vorbestehender Degeneration der Halswirbelsäule, sowie Verdacht auf Wurzelirritationen C8. Dabei führt er weiter aus, dass sich in allem ein Mischbild von Hals- und Brustwirbelsäulensyndrom im Sinne einer Zerrung bei noch ungeklärten neurologischen Ausfällen im Bereich der Wurzel C8, bzw. des Nervus ulnaris fände (s. Anlage K 35).
Eine erstmalige neurologische Untersuchung des Klägers fand durch den Neurologen … am 26.07.2007 statt. Dieser diagnostizierte dabei eine untere Armplexus-Affektion rechts und führt bei der Beurteilung aus, dass weder eine Wurzelkompression C8 rechts, noch eine Schädigung des Nervus ulnaris überzeugend nachgewiesen werden könnten. Der fehlende Ausfall einer Trizepsreflektion spreche allerdings gegen eine Wurzelschädigung C8 (Anlage K 4).
Bei der am 17.07.2007 erfolgten Kernspintomografie, die dem Neurologen … bei seiner Begutachtung zur Verfügung stand, ergab sich keine nachweisbare Nervenschädigung, wobei ein mögliches Impingement epidural der jeweiligen Nervenwurzel nicht sicher ausgeschlossen wurde (siehe Anlage K3).
Die krankengymnastischen Befunde und Dokumentationen der Physiotherapeutin … (Anlage K36) sind für die Frage der medizinischen Ursache der Beschwerden des Klägers nicht entscheidungserheblich.
Am 30.07.2017 wurde der Kläger aufgrund einer erheblichen und massiven Schmerzattacke, die er morgens gegen 5.00 Uhr im Bett erlitt, in das Krankenhaus München … eingeliefert und bis 03.08.2007 dort stationär behandelt. Dort wurde diagnostiziert, dass kein Anhalt für eine C8-Läsion oder Plexusschädigung vorliege, sondern eine Nervus-ulnaris-Läsion rechts, sowie unspezifische degenerative HWS-Veränderungen vorlägen (siehe Anlage K6).
Im weiteren zeitlichen Ablauf der Krankheitsgeschichte des Klägers wurde dieser von einer Vielzahl von weiteren Medizinern untersucht und teilweise – aufgrund Auftrags der Versicherung oder des Klägers selbst – Gutachten erstellt. Dabei hat der Neurologe … am 16.09.2008 auf Veranlassung der Signal Iduna Versicherung ein Gutachten erstellt, bei dem er eine „traumatische Schädigung der Wurzel C8“ für möglich hielt. Er ging angesichts des Unfallmechanismus von einer Affektion der Wurzel C8 als wahrscheinlichste Unfallursache aus. … ging damals noch davon aus, dass die Restitution erfahrungsgemäß bis zu zwei Jahre andauern könne. … wurde auf Antrag der Parteien in der Sitzung vom 16.12.2017 als sachverständiger Zeuge angehört. Er bestätigte dabei seine damalige Diagnose nur insoweit, dass er damals davon überzeugt gewesen sei, aufgrund der relativ geringen sensiblen Störung und der relativ geringen motorischen Störung, dass hier eine unfallbedingte C8-Wurzelverletzung vorliegen würde.
Nachdem bei einem weiteren Gutachten im Juni 2017 die motorischen Störungen nicht mehr so vorgelegen hätten, wie früher, spreche nunmehr grundsätzlich mehr für eine Verletzung des Nervus ulnaris, als für eine C8-Wurzelverletzung. Aufgrund seiner früheren Befundung ging er allerdings weiterhin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer C8-Wurzelschädigung aus.
…, Arzt für Chirurgie, Chirotherapie und Sportmedizin, der den Kläger auf dessen Wunsch untersucht und begutachtet hatte, wurde auf Antrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 23.06.2014 als sachverständiger Zeuge einvernommen. Er führte dabei aus, dass das Beschwerdebild des Klägers am besten mit einer Armplexus-Verletzung in Verbindung gebracht werden könne. Deren Entstehung hielt er für leicht erklärbar. Es reiche dafür bereits eine geringe Krafteinwirkung aus, auch wenn dieser Bereich nicht vorgeschädigt gewesen sei. Er führte weiter aus, dass ohne Weiteres auch eine Wurzelreizung C8 vorgelegen haben könne, diese sei jedoch nicht isoliert, sondern gleichzeitig mit einer Beschädigung von C5 bis C7 vorhanden. Die Restbeschwerden führte er auf eine Verletzung des im Schulterbereich beginnenden Nervus ulnaris im Schulterbereich zurück.
Die im gleichen Termin anwesenden Sachverständigen … und …, waren sich insoweit einig, dass eine Armplexus-Verletzung, unabhängig vom Verletzungsmechanismus, hier nicht Unfallursache sein könne und auch durch den stattgefundenen Unfall, deren Intensität dem Sachverständigen … nicht bekannt war, nicht ausgelöst werden konnte.
Insgesamt ist somit festzustellen, dass von den behandelnden, bzw. begutachtenden Medizinern eine Vielzahl von unterschiedlichen Diagnosen gestellt wurde.
Der vom Gericht beauftragte neurologische Sachverständige … kam in seinem Gutachten vom 12.05.2011 (Bl. 150-168 d.A.) zu dem Ergebnis, dass sich der Kläger durch den Unfall vom 10.07.2007 eine Nervendehnung der 8. Halsmarknervenwurzel rechts zugezogen habe, die zu der immer noch bestehenden Schwäche im Bereich der inneren Handmuskulatur rechts, zu der Gefühlsminderung im Bereich der ellenseitigen Finger und zu einer Reduktion des Trizepssehnenreflexes rechts geführt habe. Aufgrund des Berufes des Klägers, der als Berufsmusiker auf höchsten Niveau spiele, sei er daher in erheblichem Maße beeinträchtigt. Er gehe, nachdem seit dem Unfall mehr als drei Jahre vergangen seien, von einem Dauerschaden aus.
Die Feststellungen des von der Beklagten eingeschalteten ebenfalls neurologischen Sachverständigen Prof. Dr. Lang widersprachen dieser Bewertung. … ging davon aus, dass hier eine Verletzung des Nervus ulnaris vorliege. Er begründete dies in erster Linie mit dem ganz typischen Beschwerdebild, das vom Kläger geschildert wurde, nämlich Taubheit, bzw. Sensibilitätsstörungen im Bereich des kleinen Fingers, sowie der rechten Seite des Ringfingers. Bei einer Nervenwurzelschädigung C8 sei in erster Linie der kleine Finger betroffen. Es könne zwar auch bei einer geringen Prozentzahl von Personen der mittlere Finger betroffen sein, jedoch sei das klar abgrenzbare – vom Kläger stets geschilderte – Taubheitsgefühl des „halben Ringfingers“ eindeutig auf eine Läsion des Nervus ulnaris zurückzuführen.
Nachdem in der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2012, in der … und … angehört wurden, sowie den mündlichen Verhandlungen vom 27.02.2014, in der … und … und vom 23.06.2014, in der … und … angehört wurden, keine Übereinstimmung hinsichtlich der Unfallursache von den Sachverständigen erreicht werden konnten, sah sich das Gericht veranlasst hier ein Obergutachten des Sachverständigen … in Auftrag zu geben. Aufgrund der Vielzahl von unterschiedlichen Diagnosen konnte sich das Gericht bis zu diesem Zeitpunkt keine eindeutige Meinung von der Ursache der neurologischen Beschwerden des Klägers bilden.
Die den Kläger bisher behandelnden, bzw. untersuchenden Gutachter haben sich alle diesbezüglich sehr vage geäußert und nur sehr vorsichtig ausgedrückt. Für die behandelnden Mediziner war dieser Streit, ob eine C8-Wurzelverletzung oder eine Schädigung des Nervus ulnaris vorlag, auch als theoretischer Streit nicht wesentlich.
Der Sachverständige …, der mit der Erstellung des Obergutachtens beauftragt worden war, hat sodann mit Gutachten vom 12.04.2014 und der mündlichen Anhörung vom 06.12.2017 und vom 11.06.2018 für das Gericht überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass hier die neurologischen Beschwerden des Klägers an den eineinhalb Fingern der rechten Hand auf eine Verletzung des Nervus ulnaris zurückzuführen seien. Zwar finde eine starke Überlappung der einzelnen Versorgungsareale der einzelnen Nervenwurzeln statt, so dass manchmal eine Verletzung der Nervenwurzel C8 mit einer Verletzung des Nervus ulnaris „verwechselt“ werde, jedoch spreche hier alles für eine Schädigung des Nervus ulnaris. Die Gefühlsstörung des „halben Ringfingers“ sei völlig unspezifisch für eine Wurzelverletzung C8, allerdings hochspezifisch für eine Verletzung des Nervus ulnaris. Der Sachverständige Prof. Dr. Steinmetz hat ausgeführt, dass der Kläger – bei der persönlichen Untersuchung bei ihm – ihm unzweideutig mitgeteilt habe, dass bereits am 10.07.2007 bei dem „Taubheitsgefühl“ er dieses exakt auf die Ulnaren „eineinhalb Finger“ eingrenzen konnte und dies bis heute noch so sei.
Zwar sei im Befund von … von einer Abschwächung des rechten Trizepssehnenreflexes und einer von ihm beobachteten Schwäche der Daumenopposition die Rede gewesen, aber der den Kläger zeitnah zum Unfall untersuchende Neurologe … hat keinen Ausfall des Trizepsreflexes feststellen können. Die erheblich nach dem Unfall erfolgte Untersuchung durch den Sachverständigen …, welche auch nach dem massiven Vorfall vom 30.07.2007 erfolgt sei, könne gegenüber dem zeitnahen Befund von … nur sehr abgeschwächt berücksichtigt werden.
Die Schädigung des Nervus ulnaris könne allerdings nicht mit einer HWS-Verletzung erklärt werden, da der Nervus ulnaris sich als sogenannter Armnerv erst später bilde. Eine unfallkausale Verletzung des Nervus ulnaris könne somit nicht festgestellt werden, da aufgrund der Dokumentation des Unfallhergangs eine Verletzung des Armes weder geschildert wurde, noch nachweisbar sei.
Zwar ist hier unstreitig ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem streitgegenständlichen Unfall und dem Auftreten des Taubheitsgefühls dieser eineinhalb Finger beim Kläger von lediglich ca. dreieinhalb Stunden vorhanden, jedoch genügt allein ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Unfall und dem Auftreten der Beschwerden zum Nachweis einer unfallkausalen Verletzung nicht. Erforderlich wäre zusätzlich ein nachvollziehbarer Mechanismus, der zu einer derartigen Schädigung hätte führen können. So ist der Auffahrunfall, so wie er sowohl vom Kläger geschildert wurde, als auch vom Gutachter … dargestellt wurde, in keinster Weise geeignet, eine Armverletzung, die erforderlich gewesen wäre um eine Schädigung des Nervus ulnaris zu verursachen, herbeizuführen.
Auch die massive Schmerzattacke vom 30.07.2007, die nach Ansicht aller Gutachter nicht als unfallkausal angesehen werden kann, ist hier ohne einen konkret erkennbaren äußeren Anlass ausgelöst worden. Diese massive Schmerzattacke ist allerdings für die noch heute bestehende Beeinträchtigung der Sensibilitätsstörung der eineinhalb Finger der rechten Hand beim Kläger nicht verantwortlich ist.
Eine Nervenwurzelverletzung C8 hätte sofort nach dem Unfall ohne eine Latenzzeit zu entsprechenden Symptomen führen müssen und vor allen Dingen hätte eine entsprechend massivere HWS-Verletzung vorliegen müssen. Eine objektive strukturelle Läsion lag auch nach den nach dem Unfall gefertigten bildgebenden Verfahren nicht vor. Aufgrund des geringen Schweregrads der erlittenen HWS-Verletzung des Klägers wäre zudem der Nachweis einer unfall-kausalen Verletzung einer Nervenwurzel nicht möglich. … führte dazu aus, dass mit dem vorhandenen mehrstündigen Intervall des neurologischen Ausfalls eine Quetschung oder Zerreißung von Nervengewebe durch den Unfall nicht zu vereinbaren sei. Auch die geringe Trauma-Schwere ohne radiologische Korrelate, die auf orthopädischem Gebiet auch nicht mit einem Dauerschaden einherging sowie dem Fehlen einer objektivierbaren strukturellen Verletzungsfolge der HWS und ihrer Umgebung, spreche gegen eine unfallkausale Verursachung einer Nervenwurzelschädigung.
Das Gericht geht hier mit dem Sachverständigen …, der das Gericht vollständig überzeugt hat, davon aus, dass eine Verletzung des Nervus ulnaris vorliegt, die aber, trotz des engen zeitlichen Zusammenhangs, nicht unfallkausal entstanden ist. Das Gericht überzeugt dabei in erster Linie auch die ganz spezifisch – auch vom Kläger von Beginn an geschilderte – Sensibilitätsstörung der „eineinhalb Finger“. Dabei handelt es sich um ein klassisches Symptom für eine Nervus-ulnaris-Verletzung.
Die von der Klagepartei monierte fehlende myografische Messung hat der Sachverständige Dr. Steinmetz in der mündlichen Verhandlung vom 11.06.2018 nachvollziehbar dahingehend begründet, dass er statt dessen eine elektro-neurografische Untersuchung durchgeführt habe.
Eine elektromyografische Untersuchung mit der Nadel hätte lediglich eine unspezifische Muskelschwäche von C5 bis C8 ergeben können, die ihn für seine Untersuchungen nicht weitergebracht hätten. Aus dem Grunde habe er lediglich eine elektro-neurografische Untersuchung durchgeführt. Eine Muskelschwäche beim Kläger am rechten Arm habe nicht vorgelegen.
Damit konnte lediglich die zu Beginn erörterte leichte HWS-Verletzung als unfall-kausal nachgewiesen werden und es verbleibt bei dem ausgeurteilten Schmerzensgeld sowie dem Verdienstausfall.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91, 92 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO.
Der Streitwert bemisst sich nach § 3 ZPO.
Das Gericht ist hier von einem Streitwert von 100.000,- Euro für den Feststeller ausgegangen, nachdem die Klagepartei dies, insbesondere nach der letzten sofortigen Beschwerde im Rahmen des letzten Befangenheitsantrages, ebenfalls zugrunde gelegt hat.