Sozialrecht

Unabweisbarer Grund für Fachrichtungswechsel – erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  12 ZB 18.2053

Datum:
13.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20326
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 7 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Annahme eines unabweisbaren Grundes setzt voraus, dass es dem Studenten aus subjektiven, in seiner Person liegenden oder objektiven Gründen unmöglich ist, das Studium in der gewählten Fachrichtung fortzuführen; ihm muss aufgrund der maßgeblichen Umstände im Ergebnis keine Wahl zwischen einer Fortsetzung der begonnenen Ausbildung und einem Wechsel der Fachrichtung bleiben. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einen Auszubildenden, der Ausbildungsförderungsleistungen beansprucht, trifft die Obliegenheit zur verantwortungsbewussten, vorausschauenden und umsichtigen Planung sowie zur zügigen und zielstrebigen Durchführung der Ausbildung. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 2 K 16.861 2018-07-09 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klägerin verfolgt mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung die Bewilligung von Ausbildungsförderung für ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule Nürnberg ab dem Wintersemester 2015/2016 nach vorherigem Fachrichtungswechsel weiter.
1. Das Verwaltungsgericht hat ihre Verpflichtungsklage mit dem nunmehr angefochtenen Urteil abgewiesen, da nach einem Fachrichtungswechsel vom Studium der Pharmazie, das die Klägerin seit dem Wintersemester 2013/2014 betrieben hatte, zum Studium der Betriebswirtschaftslehre nach Beginn des 4. Fachsemesters ein unabweisbarer Grund nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für die Förderfähigkeit der weiteren Ausbildung hätte vorliegen müssen. Der Umstand, dass die Klägerin im Studiengang Pharmazie eine Prüfung endgültig nicht bestanden habe, stelle keinen unabweisbaren Grund dar. Weiter habe die Klägerin nicht nachgewiesen, dass es ihr aus gesundheitlichen Gründen unmöglich gewesen sei, das Pharmaziestudium zu beenden. Insbesondere könnten die beiden von ihr vorgelegten ärztlichen Atteste vom 27. Juli 2015 und 13. September 2016 einen gesundheitlichen Eignungsmangel nicht belegen.
Selbst wenn man davon ausginge, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen an der Fortführung des Pharmaziestudiums gehindert gewesen sei, hätte sie den Fachrichtungswechsel jedenfalls nicht rechtzeitig geltend gemacht. Werde einem Auszubildenden bewusst oder hätte ihm bewusst werden müssen, dass er aus wichtigem oder unabweisbarem Grund seine Ausbildung nicht abschließen könne, habe er die Ausbildung unverzüglich abzubrechen oder unverzüglich einen Fachrichtungswechsel vorzunehmen. Bei Zweifeln an seiner Eignung für den gewählten Studiengang müsse sich der Auszubildende unverzüglich Gewissheit verschaffen und für den Fall, dass sich ihm ein Eignungsmangel aufdrängt, die Ausbildung aufgeben. Ausweislich der vorgelegten ärztlichen Atteste habe sich bei der Klägerin bereits wenige Wochen nach Beginn des Pharmaziestudiums gezeigt, dass sie Dämpfe, Hitze und die Chemikalienkonzentration im Labor immer schlechter toleriere. Eine etwaige fehlende gesundheitliche Eignung für das Pharmaziestudium hätte sich ihr daher bereits im ersten Fachsemester aufdrängen müssen. Jedenfalls hätte sie sich durch umgehende Einholung ärztlichen Rats hierüber Gewissheit verschaffen müssen. Mithin treffe die Klägerin der Vorwurf, dass sie trotz des Eintretens gesundheitlicher Beschwerden zu Beginn ihres Studiums fast vier Semester abgewartet habe, ehe sie erstmals einen Arzt konsultierte. Letztlich habe die Klägerin erst zu dem Zeitpunkt einen Arzt aufgesucht, als das endgültige Nichtbestehen der Prüfung im Studiengang Pharmazie festgestanden und ihr das beklagte Studentenwerk mitgeteilt habe, dass ein Fachrichtungswechsel nur bei Vorliegen eines unabweisbaren Grundes möglich sei.
Gegen dieses verwaltungsgerichtliche Urteil richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sowie – jedenfalls der Sache nach – einen Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO durch unterbliebene gerichtliche Sachaufklärung geltend macht. Demgegenüber verteidigt das beklagte Studentenwerk die verwaltungsgerichtliche Entscheidung.
2. Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen oder nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt wurden.
2.1 Das verwaltungsgerichtliche Urteil unterliegt auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens keinen Zweifeln an seiner Richtigkeit im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
2.1.1 Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin liegt für den Fachrichtungswechsel von Pharmazie zu Betriebswirtschaftslehre in der Person der Klägerin kein unabweisbarer Grund im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 19.2.2004 – 5 C 6.03 – BVerwGE 120, 149 Rn. 8 ff.), der der Senat folgt (BayVGH, B.v. 6.3.2017 – 12 ZB 16.2386 – BeckRS 2017, 105232 Rn. 7; B.v. 14.10.2015 – 12 C 14.2417 – BeckRS 2015, 5..3752 Rn. 12), setzt die Annahme eines unabweisbaren Grundes voraus, dass es dem Studenten aus subjektiven, in seiner Person liegenden, oder objektiven Gründen unmöglich ist, das Studium in der gewählten Fachrichtung fortzuführen. Ihm muss aufgrund der maßgeblichen Umstände im Ergebnis keine Wahl zwischen einer Fortsetzung der begonnen Ausbildung und einem Wechsel der Fachrichtung bleiben.
Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin einen unabweisbaren Grund für den Fachrichtungswechsel in deren „körperlicher Disposition“ sieht, weil sie erst nach „Fortsetzung“ des Pharmaziestudiums feststellen musste, dass sie durch die im Labor auftretenden Reizungen der Organe durch Dämpfe, Hitze und die Chemikalienkonzentration die Laborumständen immer schlechter toleriere und dass diese Umstände bei ihr zu Kreislaufregulationsstörungen, Atemnot, Angstzuständen und Denkstörungen führten, wird dies durch die beiden von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Atteste nicht belegt.
Im Attest von Dr. med. K. vom 27. Juli 2015 (Verwaltungsakte Bl. 80) wird zunächst vom guten Allgemeinzustand der Klägerin berichtet. Darüber hinaus erfolgt die Feststellung, dass „sich lediglich bei der Auskultation der Lunge leichte spastische Geräusche (finden), die auf der momentan warmen und mit Pollenstaub beeinträchtigten Witterung beruhen können (in der Vergangenheit schwache allergische Reaktionen auf Pflanzen und Pollen)“. Dies beweise „unter Umständen, warum sie [= die Klägerin] die Laborumstände schlecht ertragen hatte.“ Aus diesem Attest lässt sich indes mangels einer entsprechenden Kausalzuschreibung der Schluss nicht ziehen, dass es der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen unmöglich gewesen sei, ihr Pharmaziestudium fortzusetzen.
Das im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgelegte weitere Attest von Dr. Med. K. datiert vom 13. September 2016 und beruht auf einer Vorstellung der Klägerin in der Arztpraxis am gleichen Tag. Berichtet wird wiederum von einem guten Allgemeinzustand. Weiter fänden sich „bei der Auskultation der Lunge spastische Geräusche“. Dies, so Dr. K. „beweist, dass sie die Laborumstände schlecht ertragen kann.“ Letztere Aussage kann indes nicht nachvollzogen werden, da die Klägerin zum Untersuchungszeitpunkt, auf den sich die Diagnose stützt, bereits seit zwei Semestern Betriebswirtschaftslehre studiert hatte und daher seit diesem Zeitraum den angeblich gesundheitliche Beschwerden verursachenden „Laborbedingungen“ nicht mehr ausgesetzt war. Damit erweist sich auch dieses Attest als ungeeignet, einen unabweisbaren Grund für eine Beendigung des Pharmaziestudiums zu belegen.
Fehlt es jedoch an einem unabweisbaren Grund für einen Fachrichtungswechsel, besteht – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – kein Anspruch auf Ausbildungsförderung für eine weitere Ausbildung nach § 7 Abs. 3 BAföG.
2.1.2 Auch soweit das Verwaltungsgericht überdies einen Verstoß der Klägerin gegen ihre Pflicht, sich zur Erhaltung des Förderanspruchs für eine weitere Ausbildung über mögliche – auch gesundheitliche – Eignungsmängel zu vergewissern und daran anschließend unverzüglich die Fachrichtung zu wechseln, angenommen hat, begegnet das angefochtene Urteil keinen Richtigkeitszweifeln. Denn einen Auszubildenden, der Ausbildungsförderungsleistungen beansprucht, trifft die Obliegenheit zur verantwortungsbewussten, vorausschauenden und umsichtigen Planung sowie zur zügigen und zielstrebigen Durchführung der Ausbildung (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2015 – 12 C 14.2417 – BeckRS 2015, 5..3752 Rn. 18). Dies schließt die Verpflichtung ein, sich bei Anzeichnen von Eignungsmängeln für die absolvierte Ausbildung über deren tatsächliches Vorliegen zu vergewissern. Dieser Verpflichtung ist die Klägerin im vorliegenden Fall nicht nachgekommen. Denn ausweislich ihrer eigenen Angaben (gegenüber Dr. med. K. laut Attest vom 27. Juli 2015) habe sich bereits „innerhalb weniger Wochen“ nach Aufnahme des Pharmaziestudiums 2013 gezeigt, dass sie die Laborbedingungen „immer schlechter tolerierte“ mit der Folge von Kreislaufregulationsstörungen, Atemnot, Angstzuständen und Denkstörungen. Gleichwohl hat die Klägerin erst durch den Arztbesuch am 22. Juli 2015 versucht, einen Zusammenhang zwischen den Studien- und Berufsbedingungen (Labortätigkeit) und ihren Beschwerden verifizieren zu lassen. Damit wäre ihr – bei Unterstellung des Vorliegens eines unabweisbaren Grundes für einen Fachrichtungswechsel – in jedem Fall der Vorwurf einer schuldhaften Verzögerung des Fachrichtungswechsels zu machen, der die Förderung einer weiteren Ausbildung ausschließt. Auch diesbezüglich bestehen an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung daher keine Richtigkeitszweifel.
2.2 Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin ferner (sinngemäß) rügt, das Verwaltungsgericht sei angesichts der von der Klägerin vorgelegten Atteste „diesem Beweisangebot“ – augenscheinlich wohl, dass die Klägerin „die Laborumstände schlecht vertragen kann“ – nicht nachgegangen und habe damit gegen die gerichtliche Sachaufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, kann er damit die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht erwirken.
Ausweislich der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2018 hat der seinerzeitige Bevollmächtigte der Klägerin vorgebracht, dass, sollte das Gericht Zweifel an der Tragfähigkeit der vorgelegten Atteste hegen, eventuell ein gutachtlicher Beweis einzuholen sei, wie ihn die Klägerseite angeboten habe (Sitzungsniederschrift Bl. 148 der VG-Akte). Einen förmliche Beweisantrag hat er indes nicht gestellt. Ein Verstoß gegen die gerichtliche Sachaufklärungspflicht kommt in dieser Situation folglich nur dann in Betracht, wenn sich dem Gericht unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung eine bestimmte Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. Hierfür liefern die vorgelegten Atteste indes keine Anhaltspunkte, da sie über die Wiedergabe dessen, was die Klägerin selbst Herrn Dr. K. berichtet hat, keinen schlüssigen Zusammenhang zwischen den von der Klägerin geschilderten Beschwerden und den „Laborumständen“ herstellen. Welche Beweiserhebung mit welchem Ergebnis sich darüber hinaus dem Gericht hätte aufdrängen sollen, legt die Zulassungsbeschwerde nicht dar. Von daher scheidet auch eine Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO aus.
Der Zulassungsantrag war daher insgesamt abzulehnen.
3. Die Klägerin trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Ausbildungsförderungsrechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Mit der Ablehnung der Berufungszulassung wird das verwaltungsgerichtliche Urteil nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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