Sozialrecht

Unzulässigkeit einer Wiederaufnahmeklage wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit eines anderen Verfahrens

Aktenzeichen  L 11 AS 853/15 WA

Datum:
12.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 66281
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 158, § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1
ZPO ZPO § 578, § 579, § 580

 

Leitsatz

1. Eine Wiederaufnahmeklage ist unzulässig, wenn ein Wiederaufnahmegrund nicht schlüssig behauptet wird. Dies ist der Fall, wenn die ursprüngliche Klage unzulässig gewesen ist und angeblich neue Urkunden hieran keinesfalls etwas ändern können. (amtlicher Leitsatz)
2 Zur Statthaftigkeit eines Wiederaufnahmeantrages gehört zumindest die schlüssige Behauptung eines Wiederaufnahmegrundes. Ob der Wiederaufnahmegrund tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit. Die Wiederaufnahmeklage bezüglich eines Berufungsverfahrens ist unzulässig, wenn die Berufung wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit zurückgewiesen wurde und zudem darauf hingewiesen wurde, dass das andere Verfahren keine darüber hinausgehende Bedeutung hat. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

L 11 AS 763/14 2015-03-18 Urt LSGBAYERN LSG München

Gründe

Leitsatz:
In dem Rechtsstreit
A., A-Straße, A-Stadt
– Antragsteller –
gegen
Jobcenter im Landkreis …,
vertreten durch den Geschäftsführer, C-straße …, B. K.
– Antragsgegner –
erlässt der 11. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in Schweinfurt gemäß § 158 SGG am 12. Januar 2016 ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialgericht Pawlick sowie den Richter am Bayer. Landessozialgericht Strnischa und den Richter am Bayer. Landessozialgericht Utz folgenden
Beschluss:
I.
Die Klage auf Wiederaufnahme des durch Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 18.03.2015 abgeschlossenen Verfahrens L 11 AS 763/14 wird als unzulässig verworfen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens L 11 AS 763/14.
Der 1958 geborene Kläger bezieht seit 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II – Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Im Hinblick auf 17 landwirtschaftliche Grundstücke in R-Stadt und S-Stadt erfolgte die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 darlehensweise unter Berücksichtigung der jeweiligen Regelleistung und der Kosten der Unterkunft und Heizung (allein für die Zeit vom 01.01.2009 bis 30.06.2009) i. H. v. 24,74 € monatlich (Bescheid vom 18.12.2009 i. d. G. des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2009, Bescheid vom 04.06.2009 i. d. F des Änderungsbescheides vom 17.07.2009 i. d. G. des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2009, Bescheid vom 07.12.2009 i. d. G. des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2010 und Bescheid vom 14.06.2010 i. d. G. des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2011). Die dagegen erhobenen Klagen hat das Sozialgericht Würzburg (SG) mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2011 abgewiesen (S 9 AS 195/09). Sowohl das dagegen gerichtete Berufungsverfahren (Urteil des Senats vom 02.02.2012 – L 11 AS 162/11) beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) als auch die anschließende Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (BSG, Beschluss vom 10.05.2012 – B 4 AS 64/12 B) beim Bundessozialgericht waren ohne Erfolg. Mit Bescheiden vom 15.05.2009, 05.06.2009, 17.03.2010 und 14.06.2010 wurden für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 auch Darlehen für die freiwilligen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gewährt.
Der Kläger forderte den Beklagten mit Schreiben vom 05.04.2011 u. a. auf, ihm für die Jahre 2009 und 2010 jeweils monatlich 60 € für Heizkosten, insgesamt 1.440 € zu zahlen. Nach dem Verkauf einiger Grundstücke stellte der Beklagte mit “Zahlungsaufforderung” vom 05.07.2012 die Darlehenssumme aus der Leistungsbewilligung vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 i. H. v. 11.870,04 € gegenüber dem Kläger fällig und verfügte mit Bescheid vom 23.07.2012 eine monatliche Aufrechnung der Forderung mit dem laufenden Alg II im Umfang von 37,40 € ab dem 01.08.2012. Mit Schreiben vom 07.08.2012 erhob der Kläger bei der Bundesagentur für Arbeit – Regionaldirektion Bayern – Forderungsmanagement in Bogen (BA) Widerspruch “gegen diesen Bescheid” und beantragte die Niederschlagung der gesamten Darlehensforderung. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2012 zurück. Die dagegen vom Kläger erhobene Klage, mit der zudem die Niederschlagung bzw. den Erlass der Darlehensforderung, die “Übernahme der ganzen Versicherungspflichten des Job Centers/… für Buchungen zur Krankenversicherung 2008/2010 sowie die Rentenversicherungszeiten 2008/2010”, die Zahlung von “Landratskosten” in Höhe von 1.440 € für den Zeitraum 2008/2010 sowie die Zahlung von 219 € bezüglich einer Kostenrechnung des Landgerichts S-Stadt beantragt worden ist, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 20.12.2013 (S 18 AS 665/12) abgewiesen.
Dagegen hat der Kläger Berufung beim LSG eingelegt (L 11 AS 152/14). Der Senat hat mit Beschluss vom 11.02.2015 das Begehren des Klägers im Hinblick auf die Anfechtung des Bescheides vom 23.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2012 abgetrennt und die angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 18.03.2015 aufgehoben (L 11 AS 104/15). Im Übrigen hat der Senat mit weiterem Urteil vom 18.03.2015 (L 11 AS 152/14) – antragsgemäß – den Gerichtsbescheid des SG vom 20.12.2013 in Bezug auf die Niederschlagung bzw. den Erlass der Darlehensforderung, die Übernahme von Beiträgen für die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010, die Zahlung von weiteren Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 1.440 € für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 und die Zahlung von 219 € bezüglich einer Kostenrechnung des Landgerichts S-Stadt aufgehoben und den Rechtsstreit insoweit zur erneuten Entscheidung an das SG zurückverwiesen. Nach Mitteilung des SG ist das Verfahren dort unter dem Az S 18 AS 184/15 ZVW anhängig.
Am 20.01.2014 wandte sich der Kläger u. a. im Hinblick auf seine für die Jahre 2009 und 2010 an die AOK Bayern gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, einer “Verbuchung der Versicherungspflicht” zur Rentenversicherung und der Zahlung von “Landkreiskostenzuschüssen” i. H. v. 60 € pro Monat für die Jahre 2009 und 2010 an den Beklagten. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2014 verwarf der Beklagte den Widerspruch wegen Nichteinhaltung der Widerspruchsfrist als unzulässig. Eine dagegen gerichtete Klage hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 17.09.2014 abgewiesen (S 15 AS 35/14). Die Berufung hiergegen hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2015 (L 11 AS 763/14) zurückgewiesen. Die Klage sei wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit unzulässig, da das Klageverfahren keine über das Verfahren S 18 AS 665/12 (Berufungsverfahren L 11 AS 152/14) hinausgehende Bedeutung habe.
Der Kläger hat beim LSG die Wiederaufnahme des Verfahrens L 11 AS 763/14 beantragt. Erst jetzt lägen die kompletten Urkunden vollständig vor und seien zuvor vom Senat nicht berücksichtigt worden. Die Urkunden seien beim SG am 20.07.2015 eingegangen. Die Sache sei an das SG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Verfahren L 11 AS 763/14 wieder aufzunehmen und das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18.03.2015 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 17.09.2014 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Würzburg zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Wiederaufnahmeklage gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18.03.2015 – L 11 AS 763/14 – als unzulässig zu verwerfen bzw. im Falle der Zulässigkeit die Klage als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe für eine Wiederaufnahme seien nicht schlüssig dargelegt. Die vom Kläger benannten Urkunden seien für das Verfahren ohne Einfluss.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens L 11 AS 763/14 ist nicht statthaft und damit als unzulässig zu verwerfen. Der Senat konnte durch Beschluss entscheiden, weil die Wiederaufnahmeklage nicht statthaft ist (§ 158 Sätze 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG- analog; zur Möglichkeit auch über nicht statthafte Wiederaufnahmeklagen durch Beschluss und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden: BSG, Beschluss vom 10.07.2012 – B 13 R 53/12 B – SozR 4-1500 § 158 Nr. 6 Rn. 11; Beschluss vom 18.09.2014 – B 14 AS 85/14 B – juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 179 Rn. 9). Das Gericht hat den Kläger auch darauf hingewiesen, dass eine derartige Entscheidung durch Beschluss möglich ist. Einwendungen hiergegen hat er nicht vorgebracht. Eine mündliche Verhandlung hat im Rahmen des Verfahrens L 11 AS 763/14 bereits stattgefunden.
Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung (ZPO) wieder aufgenommen werden, § 179 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Wiederaufnahme eines durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenen gerichtlichen Verfahrens erfolgt durch Nichtigkeitsklage und durch Restitutionsklage, § 578 Abs. 1 ZPO. Die Anfechtungsgründe für eine Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) bzw. Restitutionsklage (§ 580 ZPO) sind abschließend aufgeführt, wobei es sich im Wesentlichen um schwerste Verfahrensmängel (Nichtigkeitsklage) handeln bzw. eine Entscheidung im Streit stehen muss, die auf einer unrichtigen, insbesondere einer verfälschten Grundlage beruht (Restitutionsklage). Letztere kommt dabei u. a. auch in Betracht, wenn eine Partei ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde (§ 580 Abs. 1 Nr. 7 ZPO). Die Wiederaufnahme ist ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat (§ 179 Abs. 2 SGG). Zuletzt ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens auch zulässig, wenn mehrere Versicherungsträger denselben Anspruch endgültig anerkannt haben oder wegen desselben Anspruchs rechtskräftig zur Leistung verurteilt worden sind bzw. wenn ein oder mehrere Versicherungsträger denselben Anspruch endgültig abgelehnt haben oder wegen desselben Anspruchs rechtskräftig von der Leistungspflicht befreit worden sind, weil ein anderer Versicherungsträger leistungspflichtig sei, der seine Leistung bereits endgültig abgelehnt hat oder von ihr rechtskräftig befreit worden ist (§ 180 Abs. 1 SGG).
In diesem Zusammenhang gehört zur Statthaftigkeit eines Wiederaufnahmeantrages zumindest die schlüssige Behauptung, ein Wiederaufnahmegrund liege vor (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 31. Auflage, § 589 Rn. 2), wohingegen erst die weitergehende Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund tatsächlich vorliegt, eine Frage der Begründetheit ist.
Die vorliegende Wiederaufnahmeklage ist unzulässig, da ein Wiederaufnahmegrund nicht schlüssig behauptet worden ist. Der Senat hat die Berufung im Verfahren L 11 AS 763/14 mit Urteil vom 18.03.2015 zurückgewiesen, da die Klage wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit unzulässig ist, und darauf verwiesen, dass das Klageverfahren keine über das Verfahren S 18 AS 665/12 (Berufungsverfahren L 11 AS 152/14) hinausgehende Bedeutung hat. An diesem Ergebnis kann auch eine (angeblich) neue und bislang nicht berücksichtigte Urkunde nichts ändern. Anderes wird insofern vom Kläger auch nicht vorgetragen. Unabhängig vom Inhalt der von ihm benannten Urkunden kann damit im Berufungsverfahren L 11 AS 152/14 keine günstigere Entscheidung herbeigeführt werden. Es verbleibt in jedem Fall bei der Unzulässigkeit der Klage wegen der entgegenstehenden Rechtshängigkeit des früheren Verfahrens S 18 AS 665/12.
Die Wiederaufnahmeklage war demnach als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des Klägers.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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