Sozialrecht

Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente

Aktenzeichen  L 19 R 292/16

Datum:
20.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 127839
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43 Abs. 1, Abs. 2, § 240
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2

 

Leitsatz

1. Zu den Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente. (Rn. 36 ff.)
2. Der Rentenbewerber und nicht der Rentenversicherungsträger trägt die objektive Beweislast für die (funktionellen) Auswirkungen der psychischen Störungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit (BSG Urteil vom 20.10.2004 – B 5 RJ 48/03 R). (Rn. 54)

Verfahrensgang

S 14 R 563/15 2016-04-22 SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.04.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.04.2016 hat keinen Erfolg. Die Berufung ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der hier streitige Bescheid der Beklagten vom 08.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente.
Gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1.teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
§ 43 Abs. 2 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bestimmt, dass Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1.voll erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die Beklagte hat mit ihrer Auskunft vom 07.08.2015 zutreffend darauf hingewiesen, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI letztmalig bei einem Leistungsfall im Oktober 2009 erfüllt sind. Unter Berücksichtigung der (geklärten) Lücke im Versicherungsverlauf vom Oktober 2007 bis Dezember 2010 und der bis September 2007 vorliegenden Pflichtbeitragszeiten bzw. Verlängerungstatbestände (§ 43 Abs. 4 Nrn. 1, 3 SGB VI) liegen in den letzten fünf Jahren vor dem Monat des Eintritts der hier streitigen Erwerbsminderung letztmalig in dem Monat Oktober 2009 noch drei Jahre Pflichtbeiträge vor.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin bis zum Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Oktober 2009 und auch darüber hinaus bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 20.09.2017 noch in der Lage war, körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von täglich mindestens sechs und mehr Stunden zu verrichten, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Die Tätigkeiten sind überwiegend im Sitzen sowie mit der Möglichkeit zu Haltungswechseln auszuüben. Zu vermeiden sind nervlich-seelisch besonders belastende Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel hoher Zeit- und Verantwortungsdruck, im Akkord, am Fließband oder Nachtarbeit. Ebenfalls zu vermeiden sind Tätigkeiten in Gefahrenbereichen, Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützapparates, häufige Verrichtungen in körperlicher Zwangshaltung (Bücken, Knien, Hocken, Arbeiten über Augenhöhe) und Arbeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten.
Dies ergibt sich aus den überzeugenden Gutachten der Sachverständigen Dr. H. und Dr. B. Danach stehen bei der Klägerin im Wesentlichen psychiatrische Gesundheitsstörungen im Vordergrund.
Der Psychiater und Neurologe Dr. H. hat mit Gutachten vom 19.02.2016 die folgenden Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Rezidivierende depressive Störung (F.33.8).
2. Anhaltende somatoforme Störung (F.45.4).
3. Degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne radikuläre Symptomatik.
Er kommt zum Schluss, dass nicht von einer quantitativen Einschränkung der Leistungsfähigkeit auszugehen ist. Aus der Aktenlage ergibt sich vielmehr eindeutig, dass sowohl mit zumutbarer Willensanstrengung als auch mit ärztlicher Hilfe eine Überwindung der psychischen Gesundheitsstörungen zumindest in wesentlichen Bereichen in absehbarer Zeit zu erreichen war.
Zum Schweregrad der psychischen Störung hat Dr. H. ausgeführt, dass aufgrund des zum Teil chronischen Verlaufes und einer gewissen klinischen Relevanz, die zumindest zeitweise eine fachpsychiatrische bzw. psychologische Behandlung erforderlich gemacht hat, auch von Einschränkungen der Leistungsfähigkeit auszugehen ist. Aufgrund der psychischen Beschwerden mit Störung der Affektivität sind nervlich belastende Tätigkeiten nicht geeignet. Aufgrund der Neigung zur Entwicklung körperlicher Beschwerden, insbesondere des Bewegungs- und Stützsystems, sind auch körperlich belastende Tätigkeiten nicht geeignet. Seit Beginn der dokumentierten Gesundheitsstörungen und insbesondere der erstmaligen Aufnahme einer psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung in den Jahren 2003 bis 2005 sind nur noch leichte und allenfalls gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten mit Vermeidung der genannten Belastungen möglich gewesen. Eine quantitative Leistungsminderung ergibt sich aus diesen Anforderungen allerdings nicht.
Eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens gibt sich auch nicht aus dem arbeitsmedizinischen Gutachten, das Dr. J. am 27.10.2005 erstellt hat. Dr. J. hat eine Einschränkung der psychischen Belastbarkeit und eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf bis zu vier Stunden täglich festgestellt. Dr. H. stellt heraus, dass dieses Gutachten nicht in einem Rentenverfahren und nicht zur Feststellung der Erwerbsminderung ergangen ist. Es enthält keine qualifizierte Aussage zur Behandlungsqualität und insbesondere nicht zur Prognose. Damit kann nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden, dass die von Dr. J. festgestellte Leistungsfähigkeit in absehbarer Zeit nicht zu bessern gewesen wäre. Dr. J. hat im psychischen Befund auch nur lediglich dokumentiert, die Untersuchte habe „einen etwas niedergeschlagenen, gehemmten Eindruck“ erweckt. Damals hat auch keine psychopharmakologische Behandlung stattgefunden.
Dr. H. begründet überzeugend, dass die von Dr. J. im Oktober 2005 festgestellte Leistungsminderung nicht unverändert weiter bestanden hat. Beispielhaft bezieht er sich auf einen dokumentierten Bericht, dass ab 2007 zunächst keine Psychotherapie mehr stattgefunden hat, weil sich die Klägerin einigermaßen stabil gefühlt habe. Die behandelnde Psychotherapeutin F. hatte im Oktober 2015 explizit mitgeteilt, dass im Dezember 2007 die Behandlung beendet wurde, weil die Klägerin betont habe, dass es ihr gut gehe (Befundbericht Dipl.-Psych. F. vom 29.10.2015). Eine Verschlechterung, so Dr. H., ist erst im Rahmen einer vermeintlichen ungerechten Behandlung im Rahmen einer Räumungsklage aufgetreten.
Für einen zeitüberdauernden Zustand, etwa das Bestehen einer andauernden schweren depressiven Störung, der eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit zur Folge haben könnte, bestehen keine Anhaltspunkte. Dr. H. stellt fest, dass sich eine qualifizierte und intensive Behandlung zu keinem Zeitpunkt nachvollziehen lässt. Eine adäquate psychopharmakologische oder schmerztherapeutische Behandlung hat nicht stattgefunden. Zu keinem Zeitpunkt ist eine stationäre oder teilstationäre Behandlung erfolgt. Eine teilstationäre Behandlung im Schmerzzentrum der Universität A-Stadt wurde nach einem Tag abgebrochen. Die Empfehlung einer Schmerzmedikation wurde von der Klägerin abgelehnt. Antidepressive Medikamente wurden nicht bzw. nur unzureichend eingenommen. Allenfalls wurden pflanzliche oder in ihrer therapeutischen Wirksamkeit umstrittene Medikamente wie Opipramol verordnet, wobei die Klägerin im Berufungsverfahren angegeben hat, Opipramol sei ihrem Ehemann verordnet worden. Das antidepressiv wirksame Medikament Sertralin wurde lediglich in einer sehr niedrigen Dosis verordnet. Eine Überprüfung des Therapieergebnisses, beispielsweise eine Medikamentenspiegelkontrolle, hat nicht stattgefunden.
Auch Dr. B. stellt im Gutachten vom 17.07.2017 nach eigener Durchsicht der Befundunterlagen ebenfalls fest, dass die zur Behandlung von depressiven Störungen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bislang nicht ausgeschöpft sind. Darüber hinaus ist es auch nach Dr. B. nicht erkennbar, dass die Klägerin bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen aufgrund der Schwere der depressiven Störung überhaupt daran gehindert war, einer Erwerbstätigkeit im Umfang von mindestens sechs Stunden nachzugehen bzw. durch eine angemessene Behandlung in absehbarer Zeit eine solche Tätigkeit nicht wieder hätte ausüben können. Dr. B. verweist ebenfalls auf die psychotherapeutische Behandlung durch die Dipl.-Psych. F. von Juli 2005 bis Juli 2007. Behandelt wurde die Klägerin wegen einer mittelgradig ausgeprägten depressiven Störung und wegen der seelischen Folgen ehelicher Gewalterlebnisse. Bei Beendigung der Behandlung fühlte sich die Klägerin innerlich ruhiger und nicht mehr so depressiv (Angaben vom 11.07.2007). Diese Besserung hat die Klägerin bei einer nachträglichen Befragung durch die Therapeutin am 06.12.2007 bestätigt (Befundbericht Dipl.-Psych. F. vom 29.10.2015). Bei einem Gespräch mit Dr. R. am 13.05.2011 hat die Klägerin angegeben, dass sie sich seit Beendigung der Psychotherapie im Jahr 2007 „einigermaßen stabil gefühlt“ habe (Sozialmedizinische Begutachtung Dr. R. vom 13.05.2011). Eine weitere Psychotherapie ist wegen rezidivierender depressiver Beschwerden in den Jahren 2011/12 durch Frau Dr. R. erfolgt. Die Therapeutin hat angegeben, dass es zu einer teilweisen Besserung der Beschwerden gekommen sei (Befundbericht Dr. R. vom 02.11.2015). Im August 2014 (nach der Klägerin: 03.12.2013) ist abermals eine psychotherapeutische Behandlung aufgenommen worden und zwar in der Psychotherapeutischen Ambulanz des CIP B-Stadt. Sie erfolgte wegen der Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung, einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Eine fachärztlich-psychiatrische Behandlung wurde erst Juni 2011 durch Dr. M. begonnen. Davor erfolgte die ärztliche Behandlung durch die Hausarztpraxis Dr. Z. – auch soweit es die seelischen Störungen betraf. Aus den Praxisunterlagen von Dr. Z. ist nur zwei Mal in der Zeit vom 2005 bis 2010 die Verschreibung eines psychisch wirksamen Medikaments erkennbar: im September 2008 und im Oktober 2009 – offensichtlich jeweils im Zusammenhang mit aktuellen Verschlechterungen des seelischen Befindens. Eine schmerztherapeutische Behandlung hat bis jetzt nicht stattgefunden. Durch Dr. Z. ist in der Zeit von 2005 bis 2015 lediglich eine bedarfsweise Verschreibung von Schmerzmitteln aus der Gruppe der nichtsteroidale Schmerzmittel erfolgt: innerhalb von zehn Jahren insgesamt 260 Tabletten und 20 ml von Medikamenten dieser Wirkstoffgruppe. Ein für 2014 geplantes mehrwöchiges teilstationäres multimodales Therapieprogramm ist nicht zustande gekommen. Dr. M. und die anderen (psychologischen) Therapeuten haben übereinstimmend eine mittelgradig ausgeprägte rezidivierende depressive Störung festgestellt. Auch Dr. B. folgert hieraus nicht eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf täglich unter sechs Stunden, zumal sich unter psychologischer Behandlung Besserungen des depressiven Zustands haben erzielen lassen und eine konsequente psychopharmakologischen Behandlung oder auch eine stationäre oder teilstationäre Behandlung nicht stattgefunden hat.
Zu der chronischen Schmerzstörung weist Dr. B. darauf hin, dass diese bis auf die bedarfsweise Verordnung von Schmerzmedikamenten überhaupt noch keine erfolgversprechende, das heißt eine auf Dauer schmerzlindernde Behandlung erfahren hat. Die von der Klägerin vorgetragene Fülle von ärztlichen Behandlungen und Verordnungen von Heil- und Hilfsmitteln belegen keine schmerztherapeutische Behandlung. Denn hierbei handelt es sich um organbezogene Maßnahmen und Verordnungen. Im Falle der Klägerin ist das Schmerzgeschehen aber durch psychische Faktoren bestimmt ist, so dass eine rein organbezogene monomodale Therapie, wie sie bei der Klägerin überwiegend durchgeführt wurde, nicht erfolgversprechend ist. Eine medikamentöse Schmerztherapie wurde bei der Klägerin noch nicht durchgeführt. Die nur sporadische Einnahme von Schmerzmitteln, das Fehlen einer schmerzlindernden Dauerbehandlung mit üblichen Schmerzmitteln und der Verzicht auf eine multimodale Schmerztherapie weisen auf eine minder ausgeprägte Schmerzhaftigkeit der verschiedenen körperlichen Schmerzlokalisationen hin. Wegen der offensichtlichen Versagensneigung der Klägerin ist eine Beschränkung auf körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen mit Meidung häufiger Verrichtungen in körperlichen Zwangshaltungen (Bücken, Knien, Hocken, Arbeiten über Augenhöhe) notwendig – aber auch ausreichend gewesen; eine quantitative Leistungseinschränkung ist aus der Schmerzstörung nicht ableitbar.
Allein der Hinweis der Klägerin auf den Bescheid des ZBFS vom 10.01.2012 und die dortige Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 mit Bewertung der Störung „Depression, psychovegetative Störungen, Somatisierungsstörung, Borreliose“ mit einem Einzel-GdB von 40 führt nicht zum Nachweis einer zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens. Anders als bei der Feststellung eines GdB im Schwerbehindertenrecht kommt es bei der hier fraglichen Erwerbsminderung auf das dem Rentenbewerber verbliebene individuelle Leistungsvermögen an. Der GdB bezeichnet dagegen das abstrakte Ausmaß einer körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung, orientiert an den Auswirkungen in allen Lebensbereichen. Mit der Feststellung des GdB ist daher keinerlei Aussage über das Ausmaß der individuellen Fähigkeits- und Funktionsstörungen in Hinblick auf das Leistungsbild im Erwerbsleben verbunden.
Ohne Einfluss auf das Leistungsbild ist auch die Frage, ob der Rentenbewerber bei einer Einstellung bestehende gesundheitliche Einschränkungen wahrheitsgemäß anzugeben hat. Denn Maßstab für die Feststellung des Leistungsvermögens ist die individuelle Erwerbsfähigkeit des Rentenbewerbers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Von ernsthaften Zweifeln an der Einsatzfähigkeit der Klägerin auf allgemeinen Arbeitsmarkt kann vorliegend nicht die Rede sein.
All dies zu Grunde gelegt ergibt sich, dass der Klägerin der Nachweis einer zeitlichen Einschränkung ihres Leistungsvermögens aufgrund der depressiven Störung und der Schmerzstörung spätestens im Zeitpunkt der letztmöglichen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Oktober 2009 nicht gelungen ist. Aufgrund der von Dr. H. und Dr. B. aufgezeigten, aber nicht von der Klägerin wahrgenommenen Behandlungsmöglichkeiten auf psychiatrischem und psychotherapeutischem Fachgebiet ist dagegen vielmehr davon auszugehen, dass die psychische Erkrankung rentenrechtlich nicht relevant war (hierzu: BayLSG Urteil vom 24.05.2017 – L 19 R 1047/14, zit. nach juris).
Entgegen der Auffassung der Klägerin trägt der Rentenbewerber und nicht der Rentenversicherungsträger die objektive Beweislast für die (funktionellen) Auswirkungen der psychischen Störungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit (BSG Urteil vom 20.10.2004 – B 5 RJ 48/03 R, BayLSG Urteil vom 10.05.2007 – L 19 R 375/13, BayLSG Urteil vom 26.01.2017 – L 19 R 17/16, jew. zitiert nach juris).
Hinsichtlich der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich des Bewegungsapparates hat Dr. B. festgestellt, dass diese in der Zeit ab 2005 keine hinreichende Erklärung für die von der Klägerin im Zusammenhang mit diesen wahrgenommenen Schmerzen und funktionellen Beeinträchtigungen darstellen. Für sich betrachtet waren diese auch kein Anlass, außer hinsichtlich der Berücksichtigung gewisser qualitativer Leistungseinschränkungen, das zumutbare täglich Arbeitsmaß auf weniger als sechs Stunden zu begrenzen. Zu dem Gutachten Dr. J. führt Dr. B. überzeugend aus, dass lediglich die von Dr. J. empfohlene Beschränkung auf körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten und die fehlende Eignung der Klägerin für Arbeiten in körperlichen Zwangshaltungen nachvollzogen werden kann. Auch bis zur Begutachtung durch Dr. R. im Mai 2011 und darüber hinaus bis hin zur Zeit nach der Rentenantragstellung 2014 haben keine Gesundheitsstörungen im Bewegungsapparat vorgelegen, die eine dauernde Erwerbsminderung hätten begründen können.
Die in der Vergangenheit gestellte Diagnose Borreliose ist ohne Relevanz für das Leistungsvermögen. Bei der Klägerin hat zweimalig eine antibiotische Behandlung stattgefunden, so dass ein Überleben von Borrelien und eine Fortdauer von Beschwerden im Sinne einer weiterhin aktiven chronischen Borrelioseerkrankung ausgeschlossen werden kann. Dr. B. hat ebenfalls überzeugend ausgeführt, dass das bei der Klägerin bestehende Asthma, die Katzenhaarallergie und allergische Rhinopathie (Pollenallergie) das Leistungsvermögen der Klägerin für eine körperlich leichte Arbeit in der gesamten Zeit ab 2005 nicht wesentlich eingeschränkt haben.
Dr. B. verweist noch auf weitere Diagnosen bzw. Beschwerden, die in den Befundunterlagen erwähnt werden: psychovegetative Erschöpfungszustände, Schwindel, Ohrgeräusche, Schlafstörung, Herz-Kreislaufbeschwerden und Herzrhythmusstörungen. Dies sind in erster Linie vegetative Begleitsymptome der seelischen Störung. Eine Herz-Kreislauferkrankung kann aufgrund von wiederholt in den vergangenen Jahren durchgeführten klinischen Untersuchungen, EKG-Schreibungen und Blutdruckmessungen ausgeschlossen werden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hat Dr. B. die von Dr. H. festgestellte Einschränkung des qualitativen Leistungsvermögens gesehen. Eine quantitative Einschränkung hat Dr. H. allerdings nicht festgestellt. Dr. H. hat nicht ausgeführt, dass wesentliche Abweichungen von Vorgutachten „(Dr. J.)“ in für das Leistungsbild wesentlichen Punkten nicht bestehen würden. Dieser von der Klägerin eingefügte Bezug „(Dr. J.)“ lässt sich dem Gutachten nicht entnehmen. Dr. H. führt vielmehr aus, dass das Gutachten von Dr. J. aufgrund einer im Grunde anderen Fragestellung erstellt worden sei und sich daher nur eingeschränkt in Zusammenhang mit einer Beurteilung in einem Rentenverfahren vergleichen lasse. Dr. B. hat sich umfassend zu den vorliegenden ärztlichen Unterlagen geäußert. Sämtliche eingereichten Unterlagen waren Grundlage des Gutachtens. Zu den von der Klägerin vermissten Diagnosen wird auf die Beantwortung der Beweisfrage 1 hingewiesen (Seite 3 ff des Gutachtens vom 17.07.2017). Zutreffend ist, dass Dr. B. unrichtig angegeben hat, im November 2014 sei die Klägerin im Interdisziplinären Schmerzzentrum des Universitätsklinikums A-Stadt untersucht worden. Allerdings ergibt sich aus den von Dr. B. an dieser Stelle angegebenen Befundberichten, dass es sich hierbei um einen Schreibfehler gehandelt hat. Gemeint war: Oktober 2013 (vgl. Befundbericht des genannten Klinikums vom 29.01.2014); auf diese Untersuchung im Oktober 2013 hat Dr. B. in der Folge auch Bezug genommen. Der von Dr. B. bezeichnete und der Klägerin nicht bekannte Befundbericht von Dr. M. vom 09.96.2015 ist der Befundbericht vom 09.09.2015. Das Vorbringen der Klägerin gegen das Gutachten kann nicht entkräften, dass die Klägerin gerade im Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht daran gehindert war, einer Erwerbstätigkeit im Umfang von mindestens sechs Stunden nachzugehen bzw. durch eine angemessene Behandlung in absehbarer Zeit eine solche Tätigkeit wieder ausüben. Die angegebene Einschränkung der Wegefähigkeit ist nicht mehr von Relevanz, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen am 27.09.2016 nicht mehr vorlagen.
Es bestand keine Veranlassung, den Anregungen der Klägerin zu weiteren Ermittlungen nachzugehen. Auf die Darlegungen der Psychiaterin Dr. M. über eine seit dem 09.06.2011 ununterbrochen fortlaufende Arbeitsunfähigkeit und dortige Behandlung kommt es nicht an, weil nicht nur von Dr. M. erstellte Befundberichte vom 28.10.2014, 19.05.2014, 09.09.2015 und 09.02.2016 vorlagen, sondern auch die psychiatrische Behandlung durch Dr. M. erst im Juni 2011 und damit deutlich nach dem Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen begonnen hat. Auch Dr. Z. war nicht erneut zu befragen. Von Dr. Z. liegt eine größere Anzahl von Befundberichten ab 2005 vor. Zu den Akten des Sozialgerichts gelangt sind auch dessen Karteieinträge ab 2005. Insoweit war es angesichts der umfangreichen Befundunterlagen, nicht nur von Dr. Z., nicht veranlasst, bei der AOK Bayern ins Blaue hinein nach weiteren Diagnosen/ Behandlungen zu ermitteln. Die von der Klägerin angemahnten Berichte von Dr. R. über die sozialmedizinische Begutachtung am 13.05.2011 und von Dr. K. vom 19.12.2011 liegen mehrfach vor. Dies gilt ebenso für Befundberichte des Interdisziplinären Schmerzzentrums des Universitätsklinikums A-Stadt, Ltd. Oberarzt Dr. Dr. S. (23.09.2013, 29.01.2014,15.04.2014, 28.05.2014). Die Akte des ZBFS war nicht erneut beizuziehen. Diese Akte wurde vom Sozialgericht beigezogen und lag dem Sachverständigen Dr. H. (vollständig) vor. Soweit er über „Auszüge“ aus dieser Akte berichtet, bedeutet dies nicht, dass der übrige Akteninhalt nicht gutachterlich gesehen wurde. Die Anlagen zu den vom Sozialgericht eingeholten Befundberichten lagen dem Sozialgericht bereits vor. Diese Fremdbefunde wurden von der Klägerin im Ausgangsverfahren und im erstinstanzlichen Verfahren übergeben. Lediglich übersehen wurde, der Klägerin die Fremdbefunde Dr. H. vom 30.04.2007, Universitätsklinikum A-Stadt vom 13.11.2007 (Proktologie), Dres. K. et al. vom 23.10.2015 (Praxisnachfolger Dr. G.) Laborbefunde 2005 und Dr. K. vom 30.10.2015 (Auszug Karteikarte) zuzureichen. Dies ist in der mündlichen Verhandlung des Senats nachgeholt worden.
Zu der Vernehmung der benannten Ärzte sah sich der Senat nicht veranlasst. Die Berichte über die Behandlungen lagen vor. Ein Befragen ins Blaue hinein sieht die Prozessordnung nicht vor, zumal auch die Behandlungen der benannten Ärzte überwiegend erst nach dem Datum der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfolgten.
Für einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. hierzu BSG Urteil vom 09.05.2012 – B 5 R 68/11 R, zitiert nach juris) liegen keine Anhaltspunkte vor.
Ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI war nicht zu prüfen, weil die Klägerin nicht zu dem von § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI erfassten Personenkreis der vor dem 02.01.1961 Geborenen gehört.
Nicht streitig in diesem Berufungsverfahren sind die von der Klägerin behaupteten Auskunftsansprüche (Schreiben vom 27.07.2017). Auskünfte waren auch nicht einzuholen von den mit Schreiben vom 30.08.2017 bezeichneten Stellen. Die Vorlage der dort vermeintlich vorhandenen Unterlagen an die Klägerin wird aufgrund streitiger Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht begehrt. Im Übrigen fehlt der Bezug zum Datum der letztmöglichen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.
Nach alledem war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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