Sozialrecht

Widerspruchseinlegung durch einfache E-Mail, Hinweispflicht der Behörde bei fehlerhafter Einlegung des Widerspruchs

Aktenzeichen  B 3 K 20.566

Datum:
28.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44476
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO §§ 68 ff.
AGVwGO Art. 15

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.  
Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbs. 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört und erklärten jeweils ihr Einverständnis.
Die Klage ist unzulässig.
Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage gehört die Durchführung eines Vorverfahrens entsprechend den §§ 68 ff. VwGO. Der vom Kläger am 12.08.2019 per einfacher E-Mail eingelegte Widerspruch entspricht nicht den Anforderungen des § 70 VwGO. Die nach Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig (hier durch Widerspruchsbescheid vom 26.05.2020) erhobene Klage gegen den Ausgangsbescheid vom 22.07.2019 ist unzulässig und muss abgewiesen werden; dem Gericht ist eine Sachentscheidung verwehrt (vgl. Rennert, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, § 68 Rn. 21, § 70 Rn. 7). Aber auch eine (isolierte) Klage gegen den Widerspruchsbescheid kommt mangels Rechtsschutzbedürfnis nicht in Betracht. Der Beklagte hat gerade nicht in der Sache über den Widerspruch entschieden, sondern diesen – zu Recht – als unzulässig zurückgewiesen.
1. Der Widerspruch war statthafter Rechtsbehelf. Grundsätzlich entfällt zwar das Vorverfahren in Bayern gemäß § 68 VwGO nach Art. 15 Abs. 2 Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO). Nach Art. 15. Abs. 1 Nr. 4 AGVwGO ist es in Verfahren des Rundfunkabgabenrechts aber möglich, einen Widerspruch einzulegen. Diese Norm ist auf den Beklagten als „sonstige der Aufsicht des Freistaates Bayern unterstehenden juristischen Person des öffentlichen Rechts“ anwendbar. Als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts gemäß Art. 10 Abs. 1 Bayerisches Mediengesetz (BayMG) unterfällt der Beklagte, der der Rechtsaufsicht des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst unterliegt, diesem Anwendungsbereich. Wird ein Widerspruch – wie hier – eingelegt, ist entsprechend den §§ 68 ff VwGO ein Vorverfahren durchzuführen.
2. Der Widerspruch des Klägers mit einfacher E-Mail vom 12.08.2019 entspricht nicht der Form des § 70 Abs. 1 VwGO, wonach der Widerspruch schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben ist.
Zum einen hat der Kläger den Widerspruch vom 12.08.2019 nur mittels E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur eingelegt (§ 3a Abs. 2 Satz 4 Nr. 3 VwVfG i.V.m. § 5 Abs. 5 DE-Mail-Gesetz), was nicht der vorgeschriebenen elektronischen Form nach § 70 Abs. 1 VwGO entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2019, 7 B 18.1945 – juris Rn. 23; VG München, U.v. 29.6.2016 – M 6 K 16.1335 – juris Rn. 12).
Zum anderen erfolgte die E-Mail des Klägers vom 12.08.2019 an die Adresse kontaktformular@beitragsservice.de und damit nicht an einen über den vom Beklagten eröffneten elektronischen Zugang (vgl. Schleswig-Holsteinisches VG, B.v. 10.01.2019 – 4 B 88/18 – juris Rn. 24). Der Beklagte hat den elektronischen Zugang nur über die Adresse info@rundfunkbeitrag.de-mail.de eröffnet (vgl. §§ 3a, 79 VwVfG), worauf der Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrungdes Bescheids vom 22.07.2019 auch hingewiesen hatte. Über sonstige E-Mail-Adressen des Beklagten ist der elektronische Zugang damit nicht eröffnet worden.
Der Vortrag des Klägerbevollmächtigten, dass der Kläger den Widerspruch vom 12.08.2019 auch mittels De-Mail einlegt habe, ist nicht nachvollziehbar. Der Kläger hat selbst ausweislich des mit einfacher E-Mail vom 12.08.2019 eingelegten Widerspruchs und der Telefonnotiz vom 12.08.2019 erklärt, dass er festgestellt habe, dass das De-Mail-Programm des Beklagten nicht funktioniere.
Entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten trifft den Beklagten auch keine Hinweispflicht dahingehend, dass der Widerspruch vom 12.08.2019 nicht formgerecht eingelegt wurde. Es gibt gerade keine Pflicht der Behörde, den Widerspruchsführer auf Formfehler hinzuweisen (vgl. VG Neustadt (Weinstraße), U.v. 9.7.2009 – 4 K 409/09.NW – juris Rn. 27). Die Rechtsmittelbelehrungim Bescheid vom 22.07.2019 hat den Kläger ausdrücklich auf die rechtlich zulässigen Möglichkeiten der Widerspruchseinlegung hingewiesen. Es fällt in die Verantwortung des Klägers, diese zu beachten. Tut er dies nicht, besteht grundsätzlich keine Verpflichtung auf eine Beseitigung des Fehlers innerhalb der Rechtsmittelfrist hinzuwirken (vgl. für die gerichtliche Rechtsmittelbelehrung OVG MV, B.v. 29.10.1998 – 3 M 118/98 – juris). Der Kläger hat selbst festgestellt, dass die Einlegung über die De-Mail nicht möglich war. Dabei hätte er ausreichend Zeit gehabt, noch Widerspruch per Fax – wie auch schon zuvor gegen den Bescheid vom 09.01.2019 – oder postalisch einzulegen. Selbst wenn der Kläger bei der Nutzung der De-Mail noch keine Erfahrungen hatte, so gehen Anwendungsfehler zu seinen Lasten. Unabhängig davon, ob der Fehler bei der Übermittlung der De-Mail nun auf Seiten des Beklagten oder des Klägers lag, so hätte der Kläger anhand der eindeutigen Rechtsbehelfsbelehrungerkennen müssen, dass die Einlegung per einfacher E-Mail nicht ausreichend ist. Bei Unsicherheiten wäre es dem Kläger auch ohne weiteres zumutbar gewesen, sich rechtlich beraten zu lassen. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass der Kläger auf eine wirksame Widerspruchseinlegung hat vertrauen können, beispielsweise, weil der Beklagte die Einlegung per einfacher E-Mail als ausreichend erachtet hätte. Allein aufgrund der Sachstandsanfragen des Klägers per Telefon und per E-Mail entsteht keine Pflicht des Beklagten über den ggf. formwidrigen Widerspruch aufzuklären. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Kläger selbst erkannte, dass er den Widerspruch nicht per De-Mail eingelegt hatte.
Damit hätten ausreichend Alternativen zur Übersendung eines form- (und frist-) gerechten Widerspruchs bestanden. Auch wenn im Bescheid vom 22.07.2019 der Hinweis erfolgte, dass das Verwaltungsgericht Berlin zuständig wäre, so hat dies nach § 58 Abs. 2 VwGO höchstens Auswirkungen auf die Klagefrist bei einer unmittelbaren Klageerhebung gegen diesen Bescheid oder bei Einlegung eines Widerspruchs auf die Widerspruchsfrist nach § 70 VwGO. Wird aber ein Vorverfahren durchgeführt, so ist die Zustellung des Widerspruchsbescheids Anknüpfungspunkt für die Klagefrist, § 74 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
3. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass der Kläger nach Art. 15 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 AGVwGO die Wahl hatte, ob er vor Klageerhebung ein Vorverfahren durchführt oder unmittelbar Klage erhebt. Auf beide Möglichkeiten wurde der Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrungdes Bescheids vom 22.07.2019 auch hingewiesen. Der Kläger hat sich dafür entschieden, dass er einen Widerspruch einlegt. Wenn zuerst der Widerspruch eingelegt wird, so ist ein Vorverfahren nach § 68 VwGO durchzuführen. Das bestehende Wahlrecht ist mit der erstmaligen Ausübung verbraucht (vgl. BayVGH, B.v. 10.11.2012 – 11 ZB 11.2813 – juris Rn. 40; VG Bayreuth, U.v. 2.10.2012 – B 1 K 12.700- juris Rn. 14; Oestreicher/Decker, Praxis der Kommunalverwaltung, Bayerische Ausführungsbestimmungen zur Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO), Stand: Januar 2016, Art. 15 Nr. 4.1). Gemäß § 69 VwGO beginnt das Vorverfahren mit der Erhebung des Widerspruchs. Das Vorverfahren endet durch den Erlass eines Abhilfebescheids, eines Widerspruchsbescheids bzw. durch Rücknahme, Verzicht, Erledigung des Verfahrens oder durch Vergleich (Hüttenbrink, in: Posser/ Wolff, BeckOK VwGO, 57. Edition, Stand: 01.04.2020, § 69 Rn 7). Der Kläger hat weder den Widerspruch vom 12.08.2019 zurückgenommen noch wurde das Verfahren durch ihn auf andere Weise beendet, so dass das Vorverfahren mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2020 beendet wurde. Damit ist aber Anknüpfungspunkt für das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen das Vorverfahren.
4. Auch der gegen den Bescheid vom 09.01.2019 mit Schreiben vom 31.01.2019 eingelegte Widerspruch kann hier nicht herangezogen werden. Streitgegenständlich ist ausweislich des Klageantrages und der Begründung der Bescheid vom 22.07.2019 bzw. der Widerspruchsbescheid vom 26.05.2020. Außerdem wurde mit Bescheid vom 22.07.2019 dem Widerspruch des Klägers abgeholfen (vgl. § 72 VwGO), da aufgrund seines gegensätzlichen Inhalts zum Bescheid vom 09.01.2019 (ggf. in Verbindung mit dem Begleitschreiben vom 22.07.2019) ersichtlich ist, dass der Bescheid vom 09.01.2019 aufgehoben wurde. Eine konkrete Summe an Rückzahlungen, die der Beklagte hätte verbescheiden können, war auch nie gefordert, so dass dem Begehren des Klägers mit Bescheid vom 22.07.2019 abgeholfen wurde und das entsprechende Widerspruchsverfahren zum Abschluss kam.
5. Als unterlegener Beteiligter hat der Kläger nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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