Sozialrecht

Zweitwohnungsteuer, Nichtveranlagungsbescheinigung, Sachliche Unbilligkeit, Befreiungsantrag, Ablauf der Ausschlußfrist, Verwaltungsgerichte, Steuerfestsetzung, Kostenentscheidung, Treu und Glauben, Beratungspflicht, Steuerpflichtiger, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Billigkeitserlass, Untätigkeitsklage, Rechtsmittelbelehrung, Einkommensgrenze, Prozeßbevollmächtigter, Klärungsbedürftigkeit, Rechtsmißbrauch, Persönliche Unbilligkeit

Aktenzeichen  M 10 K 19.702

Datum:
10.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38360
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 3 Abs. 3 S. 7
Art. 3 Abs. 3 Satz 2 ff. KAG

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

A. Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung entschieden werden, da in der Ladung zum Termin auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen wurde, § 102 Abs. 2 VwGO.
B. Das Gericht legt den Antrag in Nummer 1 der Klageschrift vom 12. Februar 2019 nach § 88 VwGO dahingehend aus, dass der Bescheid der Beklagten vom 30. August 2018 lediglich insoweit angefochten wird, als darin eine Zweitwohnungsteuer für das Jahr 2017 festgesetzt wurde. Der dahingehende Wille des Klägers lässt sich dem übrigen Inhalt der Klageschrift entnehmen. Hinsichtlich der im streitgegenständlichen Bescheid getroffenen Steuerfestsetzung für das Jahr 2018 hat der Kläger sein Ziel der Befreiung bereits vor Klageerhebung erreicht. Die Klage richtet sich nun erkennbar gegen die noch verbleibende Zweitwohnungsteuerfestsetzung für 2017.
C. Die so verstandene Klage ist als Untätigkeitsklage sowohl in den Hauptanträgen als auch im Hilfsantrag nach § 75 VwGO zulässig.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind seit Einlegung der Widersprüche mehr als drei Monate verstrichen, § 75 Satz 2 VwGO. Sachliche Gründe, warum bislang keine Entscheidung der Regierung von Oberbayern als Widerspruchsbehörde erging, sind nicht ersichtlich, § 75 Satz 1 VwGO.
D. Die Klage bleibt sowohl in den Hauptanträgen als auch im Hilfsantrag in der Sache ohne Erfolg.
Die angegriffenen Bescheide der Beklagten vom 30. August 2018 und 22. Oktober 2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat zudem keinen Anspruch auf Befreiung von der festgesetzten Zweitwohnungsteuer oder deren Erlass (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
I. Der Zweitwohnungsteuerbescheid vom 30. August 2018 ist rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage für die Steuererhebung durch die Beklagte ist ihre Zweitwohnungsteuersatzung vom 22. Dezember 2006. Hinsichtlich der Gültigkeit der Satzung bestehen keine Bedenken. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben die Gültigkeit der Zweitwohnungsteuersatzung in mehreren Entscheidungen nicht beanstandet (BayVGH, B.v. 17.3.2009 – 4 CS 09.25 – juris; U.v. 15.10.2009 – 4 ZB 09.521 – juris; U.v. 28.9.2009 – 4 ZB 09.923 – juris; BVerfG, B.v. 17.2.2010 – 1 BvR 529/09 – juris).
2. Die Beklagte hat die Zweitwohnungsteuer in nicht zu beanstandender Weise festgesetzt. Einwände gegen die Zweitwohnungsteuerpflicht des Klägers oder die erfolgte Berechnung der Steuer sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Zweitwohnungsteuer für das Jahr 2017.
Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Zweitwohnungsteuer nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 ff. KAG liegen für das Jahr 2017 nicht vor.
Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 KAG wird eine Steuer auf das Innehaben einer Wohnung nicht erhoben, wenn die Summe der positiven Einkünfte des Steuerpflichtigen nach § 2 Abs. 1, 2 und 5a des Einkommensteuergesetzes im vorletzten Jahr vor Entstehen der Steuerpflicht 29.000 EUR nicht überschritten hat; bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten und Lebenspartnern beträgt die Summe der positiven Einkünfte 37.000 EUR (Art. 3 Abs. 3 Satz 3 KAG).
1. Auch wenn der Kläger – zwischen den Beteiligten unstreitig – die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Zweitwohnungsteuerpflicht aufgrund der normierten Einkommensgrenzen erfüllt hat, fehlt es an einem fristgerechten Befreiungsantrag i.S.v. Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG.
Nach dieser Vorschrift setzt die Entscheidung über die Nichterhebung der Steuer nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 bis 6 KAG einen Antrag voraus, der bis zum Ende des Kalendermonats, der auf das Steuerjahr folgt, gestellt sein muss. Dabei handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, deren Nichteinhaltung den Verlust der materiellen Rechtsposition zur Folge hat (BayVGH, U.v. 26.1.2017 – 4 B 16.1541 – juris; VG München, U.v. 11.10.2018 – M 10 K 17.5157 – juris Rn. 40 f. m.w.N.).
a) Der Befreiungsantrag des Klägers im Widerspruchsschreiben vom 27. September 2018 war für das Jahr 2017 verfristet, da er bis zum 31. Januar 2018 gestellt werden hätte müssen.
b) Das Schreiben des Klägers vom 6. Januar 2015 ist nicht dahingehend auszulegen, dass mit ihm auch eine Befreiung für 2017 beantragt worden ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 12.12.2001 – 8 C 17/01 – BVerwGE 115, 302-312 Rn. 40) sind bei der Auslegung von Anträgen die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen des Bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Danach kommt es nicht auf den inneren Willen der erklärenden Partei, sondern darauf an, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Dabei tritt der Wortlaut hinter Sinn und Zweck der Erklärung zurück. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger erkennbar wird. Maßgeblich für den Inhalt eines Antrags ist daher, wie die Behörde ihn unter Berücksichtigung aller ihr erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben zu verstehen hat (BayVGH, B.v. 12.3.2010 – 11 ZB 08.1495 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben durfte die Beklagte das klägerische Schreiben vom 6. Januar 2015 seinem Wortlaut entsprechend als Befreiungsantrag für die Jahre 2014 bis 2016 verstehen.
Eine Auslegung als Befreiungsantrag auch für das Jahr 2017 folgt nicht aus dem Umstand, dass dem Schreiben vom 6. Januar 2015 zwei Nichtveranlagungsbescheinigungen für die Zeiträume 2011 bis 2013 und 2014 bis 2016 beigefügt waren. Auch wenn damit aufgrund der Regelung, dass für die Befreiung die Einkommensverhältnisse des vorletzten Jahres vor Entstehen der Steuerpflicht zu berücksichtigen sind, die für die Steuerjahre 2017 und 2018 relevanten Einkommensverhältnisse mitgeteilt wurden (vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 KAG), war der Antrag nicht entgegen seines Wortlauts auch als Antrag für 2017 zu verstehen. Die beiden vorgelegten Nichtveranlagungsbescheinigungen umfassten jeweils einen Zeitraum von drei Jahren. So bestätigte die erste Bescheinigung, dass für den Kläger in den Jahren 2011 bis 2013 voraussichtlich keine Einkommensteuer entstehe, die Zweite bestätigte dies für die Jahre 2014 bis 2016. Damit war es dem Kläger gar nicht möglich, eine Bescheinigung nur für das Jahr 2014 vorzulegen. Weil es sich um ein einheitliches Dokument handelte, musste er, auch für einen auf die Jahre 2014 bis 2016 beschränkten Antragszeitraum die Nichtveranlagungsbescheinigung für die Jahre 2014 bis 2016 vorlegen. Aus den vorgelegten Unterlagen ergab sich daher nicht zwingend ein vom Wortlaut abweichender Wille des Klägers.
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die vorgelegte Nichtveranlagungsbescheinigung dem Kläger für das Jahr 2015 bereits ein voraussichtliches Einkommen unterhalb der maßgeblichen Grenze bescheinigte. Eine Auslegung des Antrags als möglichst umfangreicher Befreiungsantrag für alle Jahre, in denen die Einkommensgrenze nach Aktenlage voraussichtlich unterschritten würde, war nicht angezeigt. Für die Beklagte war bei Eingang der Erklärung Anfang 2015 weder mit Gewissheit absehbar, dass für das Jahr 2017 überhaupt eine Zweitwohnungsteuerpflicht entstehen würde, noch dass eine Befreiungsmöglichkeit aufgrund zu geringen Einkommens im Jahr 2015 bestehen würde, sodass eine Auslegung entgegen des klaren Wortlauts nicht angezeigt war. Sowohl das Entstehen der Zweitwohnungsteuerpflicht als auch das Vorliegen einer Befreiungsmöglichkeit hängen von Umständen ab, die in der Sphäre des potentiell Steuerpflichtigen liegen. So entfällt etwa die Steuerpflicht, wenn die Zweitwohnung aufgegeben oder als (alleinige) Erstwohnung beibehalten wird. Die Möglichkeit zur Befreiung von der Zweitwohnungsteuer entfällt, wenn die Einkommensgrenze des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 ff. KAG überschritten wird. Gerade im Fall des Klägers, der am 6. Januar 2015 23 Jahre alt war, war jedenfalls nicht auszuschließen, dass im Laufe des Jahres 2015 eine Erwerbstätigkeit aufgenommen und daher die Einkommensgrenze überschritten würde oder vor bzw. im Jahr 2017 Veränderungen hinsichtlich der Zweitwohnungseigenschaft eintreten würden. Diese Umstände kann der Steuerpflichtige wesentlich besser einschätzen als die Beklagte. Bestehende Pläne über berufliche oder private Veränderungen sind allein dem Steuerpflichtigen, nicht der Behörde bekannt. In vielen Fällen dürfte eine Beschränkung des Befreiungsantrags auf nur einige der Folgejahre sinnvoll und vom Steuerpflichtigen tatsächlich gewollt sein, weil Veränderungen in den genannten Bereichen erwartet werden. Ohne weitere Erkenntnisse darf die Behörde daher davon ausgehen, dass der Antragsteller bewusst nur eine Befreiung für die angegebenen Jahre anstrebt und eine Befreiung für spätere Jahre nochmals beantragt wird, wenn eine solche in Frage kommt. Eine Befreiung „ins Blaue“ hinein ohne Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Angabe der Steuerjahre tatsächlich um ein Versehen handelt, würde sich dagegen als wenig nachvollziehbar erweisen.
Eine anderweitige Auslegung war auch nicht aufgrund der von der Klagepartei als rechtswidrig angesehenen Verwaltungspraxis der Beklagten, Zweitwohnungsteuerbescheide regelmäßig erst nach Ablauf der Ausschlussfrist zu erlassen, angezeigt. Zum einen ist darin kein rechtswidriges Vorgehen zu sehen (dazu sogleich). Zum anderen handelte es sich nach Aktenlage bei dem Bescheid vom 25. Februar 2015 um den ersten an den Kläger ergangenen Zweitwohnungsteuerbescheid. Es ist daher nicht ersichtlich, wie sich eine Praxis der Beklagten hinsichtlich des Erlasszeitpunkts von Steuerbescheiden auf den mit Schreiben vom 6. Januar 2015 geäußerten Willen des Klägers hätte auswirken können.
Nach Auffassung des Gerichts führt auch eine Gesamtschau dieser Umstände nicht zu einem anderen Verständnis des Schreibens vom 6. Januar 2015. Mangels erkennbar anderslautenden Willens des Klägers durfte die Beklagte die Erklärung ihrem Wortlaut entsprechend als Befreiungsantrag für die Jahre 2014 bis 2016 verstehen.
2. Die in Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG normierte Ausschlussfrist erweist sich auch im vorliegenden Verfahren nicht als verfassungswidrig.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die gesetzliche Ausschlussfrist in Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG bereits ausdrücklich als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen (BayVGH, U.v. 26.1.2017 – 4 B 16.1541 – juris Rn. 41). Sie ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt und verhältnismäßig. Der Gesetzgeber erreicht mit einer solchen Regelung im Interesse der steuererhebenden Kommunen, dass schon kurze Zeit nach Beendigung eines Steuerjahres Rechtssicherheit herrscht und die Kommune nicht noch weiterhin mit Befreiungsanträgen und darauf gegebenenfalls folgenden Rückabwicklungen von Steuererhebungen für längst vergangene Steuerjahre rechnen muss. Zudem wird ein Anreiz bei den Steuerpflichtigen geschaffen, zur Vermeidung von Rechtsnachteilen (Fristablauf) der Anzeige- und Meldepflicht von Zweitwohnungen zeitnah nachzukommen und diese Wohnungen einer Veranlagung zuzuführen (BayVGH, a.a.O.).
Auch der Einwand der Klägerbevollmächtigten, eine Verfassungswidrigkeit könne sich aus einem Verstoß gegen Art. 1, 20 Abs. 1 GG ergeben, greift nicht durch. Einen Verstoß gegen das im Einkommenssteuerrecht zu beachtende objektive Nettoprinzip kann sich nach Auffassung des Gerichts im Falle der Zweitwohnungsteuer nicht ergeben. Das Wesen der Zweitwohnungsteuer als Aufwandsteuer spricht bereits gegen eine Beschränkung der Besteuerung auf das objektive Nettoeinkommen. Der notwendige Schutz des Existenzminimums, den die Klägerbevollmächtigte aus dem Sozialstaatsgebot in Art. 20 Abs. 1 GG herleitet, ist durch die Möglichkeit des Steuererlasses aufgrund persönlicher Unbilligkeit nach § 227 AO gewährleistet. Eine Verfassungswidrigkeit der Ausschlussfrist für einen Befreiungsantrag folgt daraus nicht.
3. Ergänzend wird noch darauf hingewiesen, dass auch eine Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist im Wege der Nachsichtgewährung nicht in Frage kommt.
Nach herrschender Auffassung dürfen sich Behörden nach Treu und Glauben unter bestimmten engen Voraussetzungen nicht auf den Ablauf einer rechtsvernichtenden Ausschlussfrist berufen. Außer in den Fällen höherer Gewalt kommt dies dann in Betracht, wenn die Versäumung der Frist auf ein staatliches Fehlverhalten bei der Anwendung von Rechtsvorschriften zurückzuführen ist, ohne deren korrekte Beachtung der Betroffene seine Rechte nicht wahren kann, und wenn durch die Berücksichtigung der verspäteten Handlung der Zweck des Gesetzes nicht verfehlt wird (BVerwG, U.v. 28.3.1996 – 7 C 28.95 – BVerwGE 101, 39/45; U.v. 10.11.2016 – 8 C 11.15 – NVwZ 2017, 876 Rn. 22; BayVGH, B.v. 24.9.2019 – 4 ZB 19.19 – juris Rn. 15).
Eine Missachtung der Auskunfts- und Beratungspflicht ist auch im vorliegenden Einzelfall nicht gegeben. Die Beklagte war rechtlich nicht verpflichtet, den Kläger nochmals ausdrücklich auf die gesetzliche Möglichkeit einer Befreiung von der Steuerpflicht nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 ff. KAG hinzuweisen oder ihn zu einem erneuten Antrag aufzufordern. Eine solche Verpflichtung ergab sich insbesondere nicht aus der über Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) cc) ccc) KAG anwendbaren Vorschrift des § 89 Abs. 1 Satz 1 AO, wonach die Behörde die Stellung von Anträgen anregen soll, wenn diese offensichtlich aus Unkenntnis unterblieben sind. Für die zuständigen Behördenmitarbeiter war, wie bereits ausgeführt, vorliegend jedenfalls nicht „offensichtlich“, dass der Kläger aus Rechtsunkenntnis davon abgesehen hatte, einen Befreiungsantrag auch für die Jahre 2017 und 2018 zu stellen. Zudem ergibt sich aus dem Bescheid vom 25. Februar 2015 klar, dass für eine Befreiung für das Jahr 2017 ein Befreiungsantrag bis 31. Januar 2018 zu stellen war. Die Beklagte hatte den Kläger also bereits im Jahr 2015 darauf hingewiesen, dass er einen erneuten Antrag stellen müsse, um eine Befreiung für 2017 zu erhalten. Mehr als dieser ausdrückliche Hinweis war von der Beklagten nicht zu verlangen.
Nicht durchdringen kann die Klagepartei mit dem Einwand, der Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 2015 sei missverständlich gewesen. Zum einen hält das Gericht den Bescheid bereits nicht für missverständlich. Hinsichtlich der Frage, ob für 2017 eine Steuer i.H.v. 0 EUR festgesetzt wurde, ist zwar genaueres Lesen erforderlich, letzten Endes ergibt sich aus der getroffenen Fortgeltungsanordnung aber diese Festsetzung vorbehaltlich eines erneuten Bescheides. Vollkommen ohne Unschärfe formuliert ist zum anderen ohnehin der Hinweis auf das erneute Antragserfordernis für eine Befreiung ab den Jahren 2017. Auch enthalten ist der Hinweis, dass der Kläger mit einer Steuerfestsetzung rechnen musste, wenn kein erneuter Befreiungsantrag gestellt würde.
Auch kann der Beklagten nicht durchgreifend vorgeworfen werden, dass es in der Vergangenheit ein übliches Vorgehen war, Steuerbescheide erst nach Ablauf der Ausschlussfrist zu erlassen. Auch wenn sich durch dieses Vorgehen im Einzelfall, insbesondere bei der erstmaligen Veranlagung, Härten ergeben konnten, lag darin keine Pflichtverletzung. Der Gesetzgeber hat der Beklagten die Möglichkeit eingeräumt, Steuern auch rückwirkend festzusetzen, solange keine Festsetzungsverjährung i.S.v. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) bb) und cc) KAG i.V.m. §§ 169, 170 AO eingetreten ist, sodass der Beklagten nicht schon deshalb ein Fehlverhalten anzulasten ist, weil sie in der Vergangenheit Festsetzungsvorgänge nicht umgehend nach Entstehen der Steuerpflicht eingeleitet hat. Auch und gerade im Steuerrecht, das sich für die steuererhebende Behörde regelmäßig als Massenverfahren darstellt, obliegt es dem Steuerpflichtigen in der Regel selbst, sich über seine Rechtspflichten und Ansprüche zu informieren (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1984 – 6 C 33.83 – juris Rn. 23).
III. Auch ein Anspruch auf Erlass der Steuerschuld nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Buchst. a) KAG i.V.m. § 227 Abs. 1 AO besteht nicht.
Ein Steuererlass kommt grundsätzlich bei sachlicher oder persönlicher Unbilligkeit in Betracht.
Sachliche Unbilligkeit kommt in Frage, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Tatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn des Steuergesetzes nicht vereinbar ist, der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Besteuerung aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Stets ist dabei zu beachten, dass Härten, die der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen hat, keinen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen rechtfertigen können (Fritsch in Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 227 Rn. 18). Die Fristenregelung in Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG dient, wie bereits ausgeführt, der Rechtssicherheit. Die mit Ausschluss der Befreiungsmöglichkeit nach Fristablauf entstehende Härte wurde vom Gesetzgeber in Kauf genommen, sodass eine sachliche Unbilligkeit nicht in Betracht kommt. Der Vortrag des Klägers, eine Pflichtverletzung der Beklagten könne zu einer sachlichen Unbilligkeit führen, scheitert bereits daran, dass der Beklagte keine Pflichtverletzung vorzuwerfen ist.
Auch eine persönliche Unbilligkeit der Steuereinziehung ist nicht gegeben. Persönliche Billigkeitsgründe liegen vor, wenn der Steuerpflichtige in eine unverschuldete finanzielle Notlage geraten ist oder durch die Steuerfestsetzung bzw. deren Erhebung geraten würde (Rüsken in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 227 Rn. 33). Hierzu hat der Kläger weder substantiiert vorgetragen noch Nachweise vorgelegt. Auch im Übrigen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die einmalige Entrichtung von 630 EUR zu einer Existenzgefährdung führen würde.
Damit bleibt die Klage insgesamt ohne Erfolg.
E. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kosten waren der Beklagten nicht nach § 155 Abs. 4 i.V.m. § 161 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen. Zum einen war das Handeln der Beklagten rechtmäßig, sodass ihr kein Verschulden zum Vorwurf gemacht werden kann. Zum anderen sind den Beteiligten durch das Verhalten der Widerspruchbehörde – unabhängig davon, ob ein solches i.R.d. § 155 Abs. 4 VwGO überhaupt berücksichtigt werden könnte – soweit ersichtlich bisher keine (zusätzlichen) Kosten entstanden. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben