Steuerrecht

Anforderungen an den Gegenbeweise der Zustellung mit Postzustellungsurkunde

Aktenzeichen  Au 6 K 16.768

Datum:
29.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 1, § 74 Abs. 1 S. 2
ZPO ZPO § 222 Abs. 1, § 418 Abs. 2
BGB BGB § 187 Abs. 1

 

Leitsatz

Nach § 418 Abs. 2 ZPO ist hinsichtlich der in einer Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsache, nämlich der Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten, der Gegenbeweis nur dann geführt, wenn die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und die Richtigkeit der in der Urkunde dokumentierten Tatsachen ausgeschlossen sind (ebenso VGH München BeckRS 2013, 56962). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage, über die trotz Ausbleibens der Beteiligten verhandelt werden konnte, da sie zuvor darauf hingewiesen worden waren (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist unzulässig, da die einmonatige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO versäumt ist und keine Wiedereinsetzungsgründe vorliegen.
1. Die Klage ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO beim Gericht erhoben wurde (§ 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden, wenn – wie hier – ein Widerspruch i.S.d. § 68 VwGO nicht erforderlich und dem Bescheid eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung:(vgl. § 58 Abs. 2 VwGO) angefügt ist. Nach den Vorschriften der §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 Abs. 1 ZPO, die über Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG anwendbar sind, erbringt die Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Damit ist hier der Beweis dafür erbracht, dass der streitgegenständliche Bescheid am 31. Oktober 2015 (s. Bl. 262 der Behördenakte) in den zur Wohnung des Klägers zugehörigen Briefkasten eingelegt wurde, nachdem eine Übergabe des Bescheids an den Kläger in dessen Wohnung nicht möglich war. Mit der Einlegung in den Briefkasten gilt die Zustellung als bewirkt. Zwar ist nach § 418 Abs. 2 ZPO der Gegenbeweis zulässig. Dieser ist jedoch nur dann geführt, wenn die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und die Richtigkeit der in der Urkunde dokumentierten Tatsachen ausgeschlossen ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 11 CS 13.1307, 11 C 13.1348 – juris; BGH, U.v. 10.11.2005 – 3 ZR 104/05 – NJW 2006, 150). Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall; der Kläger räumt vielmehr ein, dass er den Bescheid im Oktober 2015 erhalten habe. Der Gegenbeweis ist damit nicht erbracht.
Die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO begann daher gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB am 1. November 2015 zu laufen und endete am Montag, den 30. November 2015 um 24.00 Uhr (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 und 3 BGB). Fehlt bei einer nach Monaten bestimmten Frist in dem letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endigt die Frist gemäß § 188 Abs. 3 BGB mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Monats. Der Kläger erhob erst am 23. Mai 2015 Klage beim Gericht gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO, so dass diese offensichtlich verfristet ist (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Das am 12. Mai 2016 bei Gericht eingegangene Schreiben des Klägers, mit dem er lediglich um Mitteilung bat, ob der zuständige Sachbearbeiter des Landratsamtes seine Klage weitergeleitet habe, stellt keine wirksame Klageerhebung dar. Gleiches gilt für das Schreiben des Klägers vom 25. Januar 2016 (eingegangen beim Landratsamt … am 27.1.2016; s. Bl. 287 der Behördenakte), mit dem er die Ausländerbehörde um Rücknahme der Abschiebung bat, denn gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Klage beim Gericht zu erheben. Eine Weiterleitung seitens des Landratsamtes war hier nicht veranlasst, denn die Verwaltungsbehörde erfüllt keine Postaufgaben, auch nicht gegenüber dem Verwaltungsgericht.
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO kommt nicht in Betracht.
Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag oder von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dies hat der Betroffene glaubhaft zu machen. Verschuldet ist die Fristversäumung dann, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und sachgemäß handelnden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2014 – 10 C 14.1784 – juris Rn. 3; B.v. 12.9.2013 – 11 CS 13.1307, 11 C 13.1348 – juris). Wiedereinsetzung kann nur gewährt werden, wenn der geltend gemachte Hinderungsgrund für die Versäumung der Frist ursächlich war. Mit dem Antrag oder jedenfalls innerhalb der Antragsfrist sind die Tatsachen vorzubringen, die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages dienen sollen. An einer solchen Darlegung fehlt es hier.
Die Versäumung der Frist kann ihre Ursache etwa darin haben, dass dem Betroffenen gar nicht bekannt war, dass ein Bescheid ergangen ist. Dies war vorliegend gerade nicht der Fall. Der Kläger räumt vielmehr selbst ein, dass er den Bescheid im Oktober 2015 erhalten hat. Der Kläger war demnach nicht ohne Verschulden gehindert, die gesetzliche Frist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO einzuhalten.
3. Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).


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