Steuerrecht

Anforderungen an den Nachweis des Zugangs eines Gewerbesteuerbescheids durch die Behörde

Aktenzeichen  M 10 K 16.390

Datum:
23.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AO AO § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 122 Abs. 2 Nr. 1, Hs. 2, § 240 Abs. 1 S. 1, S. 3

 

Leitsatz

1 Es bedarf in der Regel keiner weiteren Substantiierung, wenn der Empfänger eines mit einfacher Post übermittelten Bescheides behauptet, den Bescheid nicht erhalten zu haben (Anschluss an BayVGH BeckRS 2010, 52273). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bestreitet der Adressat, dass der Bescheid überhaupt zugegangen ist, so kann der Nachweis des Zugangs nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises geführt werden; die Behörde kann aber einen Indizienbeweis führen (Anschluss an BFH BeckRS 2009, 25015484 u.a.; BayVGH BeckRS 2000, 24837). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3 Aus bestimmten Verhaltensweisen des Steuerschuldners kann darauf geschlossen werden, dass er den Bescheid doch erhalten hat, etwa weil er sich auf seinen Inhalt bezieht und sich damit in Widerspruch zu seinen früheren Äußerungen gesetzt hat. Ebenso können bestimmte Umstände auf eine Zugangsvereitelung und auf Verstöße gegen Mitwirkungspflichten des Empfängers schließen lassen (Anschluss an BayVGH BeckRS 2010, 52273). (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
4 Ein geeignetes Indiz für den Zugang eines Steuerbescheids kann nicht allein darin gesehen werden, dass der Betroffene sich passiv verhält und Vollstreckungsmaßnahmen rügelos hinnimmt. Ebenso wenig reicht es aus, wenn ein Steuerpflichtiger über den Zeitraum von mehreren Jahren mehrfach die Gelegenheit gehabt hat, den Nichtzugang des betreffenden Bescheids geltend zu machen (Anschluss an BFH BeckRS 1989, 22008933 u.a.). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, die gegen den Kläger gerichtete Zwangsvollstreckung bezüglich der Säumniszuschläge für die Gewerbesteuer der Jahre 2003 und 2004 einzustellen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen vom 22. April 2010 und vom 22. September 2015 in Höhe von 94.322,50 Euro, die die Beklagte bezüglich der entstandenen Säumniszuschläge betreibt. Es wird diesbezüglich auf den Beschluss vom 18. Mai 2016, der dem Kläger Prozesskostenhilfe gewährte, sowie auf den Beschluss vom 29. August 2016, mit dem die Zwangsvollstreckung vorläufig eingestellt wurde, Bezug genommen.
Der Gewerbesteuerbescheid vom 28. Juni 2006, der die Gewerbesteuer für die Veranlagungsjahre 2003 und 2004 festsetzte, ist aufgrund fehlender Bekanntgabe an den Kläger nicht wirksam geworden und der Antragssteller ist daher nicht verpflichtet, die aufgrund dieses Bescheides geltend gemachten Säumniszuschläge zu entrichten.
Die Vollstreckung von Säumniszuschlägen ist unabhängig vom Vorliegen der allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nicht möglich, da solche für die Gewerbesteuern 2003 und 2004 schon nicht entstanden sind.
Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird. Nach Satz 3 des § 240 Abs. 1 AO tritt die Säumnis nach Satz 1 nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist.
Hier fehlt es jedoch an der wirksamen Festsetzung der Gewerbesteuern für die Jahre 2003 und 2004, so dass diese nicht fällig werden und daher auch keine Säumniszuschläge entstehen konnten. Der Gewerbesteuerbescheid vom 28. Juni 2006 wurde dem Kläger nicht wirksam bekanntgegeben.
Den Zugang des Gewerbesteuerbescheides vom 28. Juni 2006 an den Kläger konnte die Beklagte auch im Klageverfahren nicht nachweisen. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen (§ 122 Abs. 2 Halbsatz 2 AO).
Die Beklagte kann zwar durch den kopierten Auszug aus dem Drucknachweis für die Gewerbesteuerbescheide belegen, dass der streitgegenständliche Gewerbesteuerbescheid am 28. Juni 2006 zur Post gegeben wurde. Dieser kam auch nicht als unzustellbar zurück. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass der Kläger den Bescheid auch erhalten hat. Vielmehr bleibt die Beklagte den Nachweis des Zugangs schuldig. Denn ihrer durch das Gesetz auferlegten materiellen Beweislast ist sie nicht nachgekommen (vgl. BayVGH, U.v. 24.11.2011 – 20 B 11.1659 – juris Rn. 28 f.; Tipke/Kruse, AO, Stand: Mai 2016, § 122 Rn. 58 m.w.N.).
Es bedarf in der Regel keiner weiteren Substantiierung, wenn der Empfänger eines mit einfacher Post übermittelten Bescheides behauptet, den Bescheid nicht erhalten zu haben. Denn anders als bei der Behauptung eines späteren Zugangszeitpunkts bleibt dem Betroffenen, wenn der in Frage stehende Verwaltungsakt überhaupt nicht zugegangen ist, grundsätzlich nichts anderes übrig, als den Zugang zu bestreiten (vgl. BayVGH, U.v. 22.1.2009 – 4 B 08.1591 – juris Rn. 29).
Bestreitet der Adressat, dass der Bescheid überhaupt zugegangen ist, so kann der entsprechende Nachweis daher nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises, der es genügen lässt, auf einen typischen, nicht aber auf den tatsächlichen Geschehensablauf, abzustellen, geführt werden; die Behörde kann aber einen Indizienbeweis führen (vgl. st. Rspr. des BFH, z.B. BFH, U.v. 14.3.1989 – VII R 75/85 – BFHE 156, 66; U.v. 29.4.2009 – X R 35/08 – BFH/NV 2009, 1777; so auch BayVGH, U.v. 26.1.2000 – 4 B 99.509 – juris Rn. 16). So kann aus bestimmten Verhaltensweisen des Steuerschuldners darauf geschlossen werden, dass er den Bescheid doch erhalten hat, etwa weil er sich auf seinen Inhalt bezieht und sich damit in Widerspruch zu seinen früheren Äußerungen gesetzt hat (vgl. BFH, U.v. 14.1.1992 – VII R 112/89 – juris Rn. 18 ff.).
Bestimmte Verhaltensweisen des Klägers, aus denen indiziell zu schließen wäre, er habe den Gewerbesteuerbescheid vom 28. Juni 2006 tatsächlich erhalten, kann das Gericht jedoch nicht feststellen. Umstände, aus denen auf eine Zugangsvereitelung und auf Verstöße gegen Mitwirkungspflichten des Empfängers (vgl. BayVGH, U.v. 22.1.2009 – 4 B 08.1591 – juris Rn. 29) geschlossen werden könnte, sind substantiiert weder vorgetragen worden noch ansonsten ersichtlich, ebenso wenig wie widersprüchliches Verhalten des abgabepflichtigen Klägers.
Der Gewerbesteuerbescheid vom 28. Juni 2006 wurde an die Adresse „… Ring 72“ in … versandt. Zwar bestehen angesichts des von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Nachweises Indizien dafür, dass der Kläger tatsächlich in der Wohnung „… Ring 72“ gewohnt hat und die verkürzte Anmeldung erst nachträglich erfolgte. Aus der Akte liegt nahe, dass andere Briefe – beispielsweise der Staatsanwaltschaft bezüglich einer Erzwingungshaft (Bl. 50 der Akte) – ihn dort erreicht haben könnten. Sicher ist dies jedoch nicht, so könnten die entsprechenden Schriftstücke dem Kläger etwa auch persönlich ausgehändigt worden sein. Es bleibt somit letztlich unklar, ob der Kläger Ende Juni in der Wohnung am … Ring gewohnt hat.
Daher ist zum einen für das Gericht nicht ersichtlich, dass der Kläger seine Mitwirkungspflichten verletzt hat, etwa indem er während des Vollstreckungsverfahrens unbekannt verzogen ist.
Zum anderen bleibt die Beklagte den notwendigen Nachweis schuldig, dass der Gewerbesteuerbescheid vom 28. Juni 2006 dem Kläger zugegangen ist. Auch wenn der Kläger Ende Juni 2006 tatsächlich in der Wohnung „… Ring 73“ gewohnt hat, ist nicht auszuschließen, dass die Zustellung nie erfolgt ist, sondern der Brief etwa bei der Post verloren ging oder an eine falsche Adresse zugestellt wurde oder mit der Post eines Nachbarn in dessen Briefkasten gelangte. Die Beklagte hat nur nachgewiesen, dass der Brief abgesandt wurde. Damit ist sie ihrer Nachweispflicht nicht nachgekommen.
Auch hat die Beklagte keine überzeugenden Indizien vorgetragen, dass der Kläger vom Inhalt des Gewerbesteuerbescheids vom 28. Juni 2006 Kenntnis hatte. Vielmehr hat der damalige Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 19. August 2014 nach seiner Bevollmächtigung zunächst ausgeführt, dass der Kläger entsprechende Bescheide nie erhalten habe (vgl. Bl. 293 der Rückstandsakte) sowie auch der jetzige Bevollmächtigte bei der Beklagten mit Schreiben vom 1. Dezember 2015 zunächst um die Übersendung der Bescheide gebeten hat, da der Kläger diese nicht erhalten habe. Der Kläger hat zwar mit Schreiben vom 2. Januar 2008 die Gewerbesteuerforderungen 2003 und 2004 erwähnt. Jedoch bezog er sich auf den erhaltenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Dass er laut seinem Schreiben „davon ausgeht“, dass die Beklagte die Steuern für das Jahr 2003 und 2004 geschätzt hat, spricht ebenfalls dafür, dass der Kläger den Bescheid vom 28. Juni 2006 nicht erhalten hat. Demgegenüber kann ein geeignetes Indiz für den von der Behörde geltend gemachten Zugang nicht allein darin gesehen werden, dass der betroffene Beteiligte sich passiv verhält und Vollstreckungsmaßnahmen rügelos hingenommen hat. Es reicht nicht aus, wenn ein Steuerpflichtiger über den Zeitraum von mehreren Jahren mehrfach die Gelegenheit gehabt hat, den Nichtzugang des betreffenden Steuerbescheids geltend zu machen (vgl. FG München, U.v. 12.9.2013 – 10 K 3728/10 – juris Rn. 21; BFH, U.v. 14.3.1989 – VII R 75/85 – juris Rn. 18).
Hinzu kommt, dass gegenüber dem Kläger eine Vielzahl offener Forderungen der Beklagten vollstreckt wurde. Anders als bei der Vollstreckung nur einer Forderung drängte es sich dem Kläger nicht auf, alle einzelnen Beträge in Frage zu stellen, zumal er verschiedene Forderungen auch akzeptierte. Auf Grund der Haft des Klägers hatte er wohl auch nicht die Möglichkeit, anhand seiner Unterlagen die Berechtigung der verschiedenen Forderungen zeitnah zu überprüfen und festzustellen, ob er einen Gewerbesteuerbescheid für 2003/2004 erhalten hatte.
Insgesamt lässt sich daher aus seinen Äußerungen und Handlungen nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass ihm der Bescheid jemals zugegangen ist.
Somit kann der Zugang des Gewerbesteuerbescheides vom 28. Juni 2006 nicht nachgewiesen werden, so dass dieser nicht wirksam geworden ist. Dementsprechend sind auch keine Säumniszuschläge angefallen, die die Beklagte vollstrecken kann.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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