Steuerrecht

Anhörungspflicht vor baurechtlicher Nutzungsuntersagung und Beseitigungsanordnung

Aktenzeichen  AN 3 S 20.01473

Datum:
13.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21336
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5
BayVwVfG Art. 28
VwZVG Art. 35

 

Leitsatz

Eine „Gefahr in Verzug“ im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alt. BayVwVfG setzt voraus, dass durch die vorherige Anhörung – auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen (evtl. telefonisch) – ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass der Zweck der zu treffenden Regelung nicht oder nur in geringerem Ausmaß als erforderlich erreicht würde. Abzustellen ist darauf, ob die Maßnahme selbst bei mündlicher – eventuell telefonischer – Anhörung zu spät käme (hier verneint für baurechtliche Nutzungsuntersagung und Beseitigungsanordnung). (Rn. 64 – 65) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 30. Juli 2020 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. Juni 2020 wird bezüglich der Ziffern 1 und 3 wiederhergestellt sowie bezüglich der Ziffer 2 angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner zu 3/4 sowie der Antragsteller zu 1/4.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die im Hinblick auf die beiden auf seinem Grundstück befindlichen Nebengebäude mit Bescheid des Antragsgegners vom 29. Juni 2020 unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit angeordnete Nutzungsuntersagung und Verpflichtung zum Entfernen der zu Aufenthaltszwecken dienenden Einrichtungsgegenstände sowie die hinsichtlich dieser Verpflichtungen angedrohte Ersatzvornahme und Versiegelung.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung … (nachfolgend wird auf die Angabe der Gemarkung verzichtet; alle erwähnten Flurnummern beziehen sich auf die Gemarkung …), auf welchem sich zwei Nebengebäude befinden; das nahe zum Grundstück Fl.Nr. … gelegene sogenannte „…“ sowie der südlich hiervon gelegene, zu dem Grundstück Fl.Nr. … unmittelbar angrenzende „Wintergarten“.
Ursprünglich war das Grundstück des Weiteren mit einem Wohnhaus sowie einer Scheune bebaut, welche zwischenzeitlich abgebrannt sind.
Östlich des streitbefangenen Grundstücks befinden sich auf dem Grundstück Fl.Nr. … eine grenzständig zum Grundstück des Antragstellers errichtete Kindertagestätte sowie östlich hiervon die evangelische Kirche … und … Bereits am 2. September 2016 brannte das auf dem Grundstück im südlichen Bereich situierte Wohngebäude aus. Anschließend wurde dem Antragsteller eine Genehmigung für den Wiederaufbau des Wohnhauses erteilt.
Bei einer Ortsbesichtigung am 1. Juni 2017 wurde ausweislich des Vermerks des Antragsgegners vom 1. Juni 2017 festgestellt, dass das Gebäude in Eigenleistung entkernt wurde. Festgestellt wurde ferner, dass in der Scheune ein WC sowie ein Aufenthaltsraum eingerichtet wurden. Außerdem wurde in dem kleinen Nebengebäude ein Schlafzimmer eingerichtet. Auf die in den Behördenakten befindlichen Lichtbildaufnahmen hierzu wird verwiesen.
Im Hinblick auf Standsicherheitsbedenken wurden vor Ort ein Betretungsverbot für das einsturzgefährdete Wohnhaus sowie eine Nutzungsuntersagung für die Scheune und das Nebengebäude als Aufenthaltsräume ausgesprochen.
Mit Bescheid vom 2. Juni 2017 wurde der Antragsteller schließlich unter Anordnung der sofortigen Vollziehung sowie Androhung von Zwangsgeldern im Hinblick auf den Umgriff des baufälligen Anwesens bis zum Beginn der Abbrucharbeiten zur Errichtung eines Bauzauns verpflichtet. Ferner wurde unter Verweis auf den beiliegenden Lageplan für das baufällige Anwesen sowie für den Bereich innerhalb des Bauzauns das Betreten verboten.
Des Weiteren wurde der Antragsteller unter Verweis auf den beiliegenden Lageplan zur Unterlassung der Nutzung der beiden Gebäude im nordwestlichen Bereich des Grundstücks Fl.Nr. … verpflichtet.
Bei einer Ortsbesichtigung am 15. Januar 2018 wurde schließlich festgestellt, dass in der Scheune sowie in dem Nebengebäude eine Wohnnutzung stattfinden. In dem Nebengebäude wurde ein Schlafzimmer eingerichtet. In der Scheune wurde überdies eine Heizungsanlage mit Kamin eingebaut. Auf die in den Akten befindlichen Lichtbildaufnahmen hierzu wird verwiesen.
Mit Schreiben des Antragsgegners vom 19. Januar 2018 wurde dem Antragsteller daraufhin mitgeteilt, dass die Nutzung der Scheune sowie der Nebengebäude auf dem Grundstück
Fl.Nr. … zu Aufenthaltszwecken nicht gestattet ist. Mit Schreiben vom 24. Januar 2018 hat der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner schriftlich bestätigt, die Räume im Erdgeschoss der Scheune sowie des Nebengebäudes auf dem Grundstück Fl.Nr. … nicht zu Aufenthaltszwecken zu nutzen.
Ausweislich eines mit Lichtbildaufnahmen versehenen Aktenvermerks des Antragsgegners seien am 26. November 2019 sowohl die Scheune als auch das Nebengebäude „derzeit nicht bewohnt“ gewesen. Am Standort des abgebrannten Wohngebäudes wurden zwei Wohnwägen aufgefunden, die der Familie des Antragstellers als Unterkunft dienen würden.
Am 12. Februar 2020 brannte die ursprünglich auf dem streitbefangenen Grundstück im Nordwesten befindliche Scheune ab. Ausweislich der im Hinblick auf das Brandereignis erfolgten und allgemein zugänglichen Presseberichte sowie Berichte des Kreisfeuerwehrverbandes … und des Polizeipräsidiums … erlitten hierbei drei Feuerwehrleute eine Rauchgasvergiftung. Außerdem wurden auch zwei benachbarte Anwesen an der Fassade beschädigt. Durch die Feuerwehr erfolgte schließlich ein kontrollierter Abbruch.
Daraufhin wurden die Nebengebäude von dem zuständigen Baukontrolleur sowie dem Kreisbrandrat nochmals in Augenschein genommen. Hierbei wurde festgestellt, dass das Nebengebäude weiterhin zu Aufenthaltszwecken genutzt wird. Dies stelle nach Aussage des Kreisbrandrates im Brandfall eine erhebliche Gefahr für den angrenzenden Kindergarten dar.
Daraufhin erging gegenüber dem Antragsteller mit bestandskräftigem Bescheid des Antragsgegners vom 14. Februar 2020 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung sowie Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 EUR eine Nutzungsuntersagung betreffend das nordöstlich gelegene „…“.
Ausweislich eines internen Schreibens des Antragsgegners vom 30. April 2020 zeigten Nachbarn am 30. April 2020 an, dass der Antragsteller auf seinem Grundstück Löcher grabe, um sich mit Wasser zu versorgen bzw. Abwasser zu entsorgen. Des Weiteren würden Fäkalien nachts im … Bach entsorgt werden.
Ausweislich der in den Behördenakten befindlichen Lichtbildaufnahmen, welche im Rahmen der Baukontrolle am 6. Mai 2020 aufgenommen wurden, wurden in den streitgegenständlichen Nebengebäuden zahlreiche Gegenstände, wie beispielsweise ein Beamer mit zugehöriger Leinwand, mehrere Stühle, Tische, eine an den Strom angeschlossene Mikrowelle sowie ein Wasserkocher, Schränke, Pflanzen sowie sonstige Dekoration, mehrere Aschenbecher und Zigarettenschachteln sowie Feuerzeuge, ein Lattenrost, Sitzkissen und Decken, aufgefunden.
Zunächst mit Bescheid vom 11. Mai 2020 verpflichtete der Antragsgegner den Antragsteller schließlich unter Ziffer 1, die Nutzung der Nebengebäude auf der Fl.Nr. … zu Aufenthaltszwecken zu unterlassen, sowie unter Ziffer 2, sämtliche Einrichtungsgegenstände, die einem Wohnzweck dienen, z.B. Tische, Sofas, Betten, aus den Nebengebäuden zu entfernen.
Ferner wurden unter Ziffer 3 die sofortige Vollziehung der Verpflichtungen gemäß den Ziffern 1 und 2 angeordnet und in Ziffer 4 für den Fall der Nichtbeachtung der Verpflichtung unter Ziffer 2 bis zum 18. Mai 2020 die Versiegelung der Nebengebäude auf der Fl.Nr. … angedroht.
Der Antragsgegner führte aus, dass bei einem erneuten Ortstermin am 6. Mai 2020 von der Bauaufsichtsbehörde festgestellt worden sei, dass die beiden verbliebenen Nebengebäude auf dem streitbefangenen Grundstück nach wie vor als Wohn- und Schlafräume genutzt werden würden.
Der Antragsteller erhob am 12. Juni 2020 Klage gegen den Bescheid vom 11. Mai 2020 und beantragte gleichzeitig die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage. Nach einer internen Überprüfung wurde die bauaufsichtliche Verfügung vom 11. Mai 2020 mit Bescheiden des Antragsgegners vom 29. Juni 2020 bzw. 16. Juli 2020 schließlich mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben, woraufhin die gerichtlichen Verfahren mit Beschlüssen des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. Juli 2020 eingestellt wurden (vgl. hierzu AN 3 K 20.01126 sowie AN 3 S 20.01141).
Ausweislich der in den Behördenakten befindlichen Lichtbildaufnahmen, welche anlässlich der Baukontrolle am 3. Juni 2020 aufgenommen wurden, wurden in den streitgegenständlichen Nebengebäuden weiterhin zahlreiche Gegenstände, wie beispielsweise ein Beamer mit zugehöriger Leinwand, Stühle, Tische, ein Wäscheständer, eine Gefriertruhe, Schränke, Getränke, Pflanzen sowie sonstige Dekoration, Staubsauger, Schuhe, mehrere Aschenbecher und Zigarettenschachteln sowie Feuerzeuge, Teppiche und Decken, aufgefunden.
Sodann verpflichtete der Antragsgegner den Antragsteller mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 29. Juni 2020 unter Ziffer 1, Sorge zu tragen, dass die Nebengebäude auf der Fl.Nr. … (im beigefügten Lageplan mit A und B bezeichnet) nicht zu Aufenthaltszwecken genutzt werden. Unter Ziffer 2 wird für eine weitere Nutzung zu Aufenthaltszwecken die Versiegelung dieser Nebengebäude angedroht.
Des Weiteren wird der Antragsteller unter Ziffer 3 verpflichtet, sämtliche Einrichtungsgegenstände, die einem Aufenthalt in den Nebengebäuden dienen, z.B. Tische, Stühle, Sofas, Betten sowie Unterhaltungselektronik, aus diesen zu entfernen. Sollte der Antragsteller der Anordnung gemäß Ziffer 3 nicht bis zum 15. Juli 2020 nachkommen, wird unter Ziffer 4 die Ersatzvornahme mit voraussichtlichen Kosten in Höhe von 600,00 EUR angedroht.
Ferner wurden unter Ziffer 5 die sofortige Vollziehung der Verpflichtungen gemäß den Ziffern 1 und 3 angeordnet.
Der Antragsgegner führte aus, dass bei einem Ortstermin am 6. Mai 2020 von der Bauaufsichtsbehörde festgestellt worden sei, dass die beiden verbliebenen Nebengebäude auf dem streitbefangenen Grundstück nach wie vor als Wohn- und Schlafräume genutzt werden würden.
Dem Antragsteller sei bereits in der Vergangenheit mehrfach, zuletzt mit Bescheid vom 11. Mai 2020, die Möglichkeit eingeräumt worden, sich zu dem Sachverhalt zu äußern. Vom Recht zur Stellungnahme habe er über seinen Prozessbevollmächtigten mit der Klageschrift vom 12. Juni 2020 Gebrauch gemacht. Da sich die zur Entscheidung erheblichen Tatsachen seit Erstellung des Bescheides vom 11. Mai 2020 nicht geändert hätten, könne gemäß Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG auf eine erneute Anhörung verzichtet werden.
Die Anordnungen unter Ziffer 1 sowie Ziffer 3 würden sich auf Art. 54 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BayBO stützen. Die vorgefundene Ausstattung der Räume, wie etwa ein Bett, Tisch mit Stühlen, Kochutensilien, Unterhaltungselektronik, weise eindeutig darauf hin, dass die Gebäude – entgegen der schriftlichen Zusage des Antragstellers vom 24. Januar 2018 – nach wie vor als Wohn- bzw. Schlafraum genutzt werden. Die erhöhte Brandgefahr bei einer Wohnnutzung der Gebäude gefährde nicht nur die Bewohner des Anwesens, sondern auch die angrenzende Kinderkrippe. Zwar werde dem in der Klageschrift vom 12. Juni 2020 widersprochen. Jedoch müsse der Antragsgegner der fachlichen Einschätzung des Kreisbrandrates sowie der zuständigen Bautechnikerin den Vorzug geben. Eine Verfahrensfreiheit der Nebengebäude entbinde nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen an Wohngebäude, wie sie u.a. in Art. 45 und 46 BayBO festgesetzt seien. Diesen Anforderungen würden die Räumlichkeiten in den beiden Nebengebäuden gemäß fachlicher Einschätzung nicht entsprechen. So fehle es etwa an der notwendigen Belüftung der Räume, an einer Küche, einer Toilette und einem Bad. Auch sei der vorbeugende Brandschutz nach Art. 12 BayBO entgegen der Auffassung des Antragstellers nach fachlicher Begutachtung der Bauten durch Mitarbeiter der Fachbehörde nicht gegeben. Die verwendeten Baustoffe würden nicht die Anforderungen der Art. 24 ff. BayBO erfüllen. Rettungswege seien nicht vorhanden. Mithin sei die Nutzung der Gebäude zu Wohnzwecken materiell rechtswidrig. Rechtmäßige Zustände könnten lediglich durch eine Untersagung der Nutzung hergestellt werden.
Überdies seien in diesem Zusammenhang die Möbel sowie sonstigen Einrichtungsgegenstände als Grundlage für die illegale Nutzung aus den Gebäuden zu entfernen, um die Wohnnutzung in diesen Gebäuden zu unterbinden. Wie das bisherige Verhalten des Antragstellers zeige, sei ein milderes und ebenso effizientes Mittel nicht ersichtlich. Insbesondere habe die bloße Untersagung der Nutzung unter Androhung eines Zwangsgeldes mit Bescheid vom 14. Februar 2020 keine Wirkung gezeigt.
Letztlich unterliege das Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung der aktuellen Situation dem Interesse der Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften in Bezug auf die Gefahrenabwehr.
Die Androhung der Versiegelung unter Ziffer 2 stütze sich auf Art. 29, 30, 34 und 36 VwZVG und sei aufgrund der Gefahren für Leib und Leben bei einer Weiterbelassung des aktuellen Zustandes verhältnismäßig. Unmittelbarer Zwang sei anzuwenden, wenn sonstige zulässige Zwangsmittel nicht zum Ziel führen. Der Antragsteller habe trotz Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 EUR im Bescheid vom 14. Februar 2020 die Nutzung der Nebengebäude nicht unterlassen. Da es sich bei der Nutzungsuntersagung um eine nicht vertretbare Handlung handele, sei eine Ersatzvornahme nicht möglich und ein milderes Mittel zur Durchsetzung der Nutzungsuntersagung nicht ersichtlich.
Die Androhung der Ersatzvornahme unter Ziffer 4 stütze sich auf Art. 29, 30, 32 und 36 VwZVG. Bei der Räumung der Gebäude handele es sich um eine vertretbare Handlung. Auch insoweit wird auf die bereits mit Bescheid vom 14. Februar 2020 erfolgte Androhung eines Zwangsgeldes im Hinblick auf die Nutzungsuntersagung verwiesen, welche nicht zum Erfolg geführt habe. Ein milderes Mittel zur Durchsetzung der Nutzungsuntersagung sei nicht ersichtlich. Der Kostenbetrag für die Ersatzvornahme sei ohne Lagerkosten mit vorläufig 600,00 EUR zu veranschlagen.
Im Hinblick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ziffern 1 und 3 des Tenors wird ausgeführt, dass für die Bewohner sowie Anwohner und Besucher der angrenzenden Kindertagesstätte aufgrund des fehlenden Brandschutzes – entgegen der Einschätzung des Antragstellers – eine konkrete Gefahr für Leib und Leben bestehe. Hierzu sei insbesondere auf das Brandereignis am 12. Februar 2020 zu verweisen. Eine Nutzung der damals abgebrannten Scheune trotz anderslautender Erklärung des Antragstellers sei nachgewiesen worden. Daher bestehe für die Anordnungen der Nutzungsuntersagung sowie der Entfernung der Gebrauchsgegenstände zu Aufenthaltszwecken ein öffentliches Interesse im Sinne des § 80 Abs. 2 VwGO. Die aufschiebende Wirkung einer Klage berge die Gefahr, dass es zwischenzeitlich zu weiteren Bränden kommt, so dass gemäß Einschätzung der Fachbehörde eine schwere Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses in Bezug auf Sicherheit für Leib und Leben vorliege.
Der Antragsteller erhob am 30. Juli 2020 Klage gegen den Bescheid vom 29. Juni 2020, zugestellt am 1. Juli 2020, und beantragte zugleich sinngemäß die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller den Anordnungen in den Ziffern 1 und 2 des Bescheides vom 11. Mai 2020 bereits unstreitig nachgekommen sei. Mithin sei zum Zeitpunkt des 29. Juni 2020 weder ein Gebäude zu Aufenthaltszwecken genutzt worden, noch hätten sich in einem dieser Nebengebäude Einrichtungsgegenstände oder – wie im aktuellen Bescheid erstmals aufgenommen – Unterhaltungselektronik befunden. Die Versiegelungsandrohung sei bereits zeitlich überholt, insbesondere soweit diese in dem streitgegenständlichen Bescheid dahingehend lautet, dass die genannten Anlagen „weiterhin“ zu Aufenthaltszwecken genutzt werden. Wenn überhaupt keine Nutzung mehr stattgefunden habe, könne auch keine Versiegelung angedroht werden. Hiervon habe sich auch ein Baukontrolleur des Antragsgegners vor Ort persönlich überzeugen können, so dass es dem Antragsgegner zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides positiv bekannt gewesen sei, dass die Gebäude nicht zu Aufenthaltszwecken genutzt werden. Des Weiteren seien sämtliche Einrichtungsgegenstände bereits vor dem 18. Mai 2020 entfernt worden, so dass der inmitten stehende Bescheid einen Zustand zugrunde lege, der zum Zeitpunkt seines Erlasses nicht mehr existiert habe. Entsprechend seien die Androhung der Ersatzvornahme sowie die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig Unabhängig davon, dass der Antragsgegner bereits von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehe, sei der Bescheid schon formell rechtswidrig, nachdem es an einer ordnungsgemäßen Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG fehle. Dem Antragsteller könne nicht entgegengehalten werden, dass ihm mit Bescheid vom 11. Mai 2020 die Möglichkeit eingeräumt worden wäre, sich zum Sachverhalt zu äußern. Schließlich könne dieser Bescheid aufgrund seiner Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit keine Rechtswirkungen mehr entfalten. Dies gelte auch für die Angabe des Antragsgegners, dass die Klageschrift vom 12. Juni 2020 als Anhörung zu werten sei. Des Weiteren gehe der Hinweis, dass es in der Vergangenheit „mehrfache“ Möglichkeiten zur Stellungnahme gegeben habe, fehl. Denn soweit der Antragsteller auf den Bescheid vom 14. Februar 2020 abstelle, handele es sich inhaltlich um lediglich teilweise identische Gebäude. Der Bescheid vom 14. Februar 2020 betreffe Räumlichkeiten in dem nordöstlich gelegenen Nebengebäude sowie der abgebrannten Scheune. Der streitgegenständliche Bescheid beziehe sich auf „die“ Nebengebäude. Jedenfalls hinsichtlich des weiteren Nebengebäudes, gemeint sei wohl der „Wintergarten“, sei jedenfalls in der Vergangenheit eine Anhörung nicht erfolgt.
In materieller Hinsicht beruhe die Anordnung des Antragsgegners auf bloßen Mutmaßungen, dass die Gebäude als Wohn- bzw. Schlafräume genutzt werden. Anders als in dem Bescheid vom 11. Mai 2020, wo noch von einem „eindeutigen“ Hinweis ausgegangen worden sei, sei dies nun in dem Bescheid vom 29. Juni 2020 relativiert worden und nur noch allgemein davon ausgegangen worden, dass die Gebäude zu Wohn- und Schlafzwecken genutzt werden. Es wäre dem Antragsgegner jedoch durch eigene Nachforschungen möglich gewesen, zu erkennen, dass die Räumlichkeiten zu keinem Zeitpunkt als Schlafräume genutzt worden seien. Vielmehr würden sich auf dem Grundstück zwei Wohnwagen befinden; ausschließlich diese werden und würden zu Schlafzwecken genutzt werden. Bei ordnungsgemäßer Überprüfung hätte der Antragsgegner dies erkennen müssen.
Im Hinblick auf den Aufenthalt in den Gebäuden seien die Ehefrau des Antragstellers sowie dessen Tochter bei einem Termin im Landratsamt … am 23. Januar 2018 von der damaligen Sachbearbeiterin Frau … darauf hingewiesen worden, dass nichts dagegen spreche, wenn man sich tagsüber in den Räumen aufhalte. Hierauf hätten sich der Antragsteller und seine Familie verlassen.
Darüber hinaus sei es unzutreffend, dass das Leben und die Gesundheit anderer gefährdet seien. Die von dem Antragsgegner nunmehr erstmals aufgeführte fachliche Einschätzung des Kreisbrandrates sowie der zuständigen Bautechnikerin seien dem Antragsgegner nicht bekannt. Eine Anhörung oder Mitteilung hierzu sei nicht erfolgt. Diese Stellungnahmen seien in dem inmitten stehenden Bescheid auch nicht dezidiert dargelegt worden, so dass der Antragsteller hierzu nicht einlassungsfähig sei. Es wird bestritten, dass diese Stellungnahmen vorliegen.
Unrichtig sei jedenfalls, dass es an einer notwendigen Belüftung der Räume fehlen würde. Das mittig auf dem streitgegenständlichen Grundstück befindliche „…“ werde über die Fenster ausreichend belüftet. Der „Wintergarten“ werde über die Schiebetür belüftet. Dies könne durch ein Sachverständigengutachten sowie vor Ort bestätigt werden.
Auch bestehe keine Brandgefahr, insbesondere soweit der Antragsgegner die verwendeten Baustoffe bemängelt. Insbesondere habe er nicht angegeben, welche Baustoffe verwendet worden seien. Tatsächlich würden das „…“ aus Bruchsteinen und Tonhohlsteinen (Ziegeln) und der „Wintergarten“ aus Tonhohlziegeln und damit aus nicht brennbaren Baustoffen bestehen. Die Außenwand der Kindertagesstätte sowie die ehemalige Hauswand würden ebenfalls aus Bruchsteinen bestehen. Die Dachziegel seien Frankfurter Pfannen und damit ebenfalls nicht brennbar. Auch dies könne alles durch ein Sachverständigengutachten bestätigt werden.
Soweit der Antragsgegner lediglich auf eine „fachliche Begutachtung der Bauten durch Mitarbeiter der Fachbehörde“ abstelle, ohne näher auf das verwendete Baumaterial oder sonstige eine Brandgefahr auslösende Umstände einzugehen, sei dies nicht ausreichend und der Verwaltungsakt nicht hinreichend bestimmt. Bereits der ursprüngliche Bescheid vom 11. Mai 2020 sei nicht bestimmt gewesen. Wenn nunmehr im Nachhinein die ein oder andere nicht näher dargelegte Behauptung mit aufgenommen werde, führe dies sowohl zur Unbestimmtheit als auch jedenfalls zu einem Anhörungsmangel. Der Antragsgegner habe lediglich die ursprüngliche Klage des Antragstellers herangezogen und dessen Argumentation nunmehr pauschal aufgegriffen.
Auch Rettungswege würden nicht fehlen. Schließlich könne man bis auf 5 Meter direkt sowohl an das „…“ als auch an den „Wintergarten“ heranfahren. Auch das könne durch ein Sachverständigengutachten sowie vor Ort bestätigt werden.
Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass das „…“, in welchem früher ein Knecht genächtigt habe, bereits seit 200 Jahren sowie der „Wintergarten“ seit 40 Jahren existieren würden und beide Gebäude bestandsgeschützt seien.
Nachdem bereits keine Brandgefahr gegeben sei, sei die verfügte Nutzungsuntersagung auch kein geeignetes Mittel, um eine unmittelbare Gefahr der Bewohner bei einem Brand abzuwenden.
Nicht darstellbar erscheine ferner, dass der Bescheid nach wie vor auf eine Nutzung der Räumlichkeiten in der Scheune abstelle, obgleich dem Antragsgegner positiv bekannt sei, dass diese abgebrannt sei.
Es wird beantragt,
den Bescheid vom 29. Juni 2020, zugegangen am 1. Juli 2020, aufzuheben; die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 3 des Bescheides vom 29. Juni 2020 auszusetzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten in diesem Verfahren sowie in den Verfahren AN 3 S 20.01141 sowie AN 3 K 20.01126 verwiesen.
II.
Streitgegenstand des vorliegenden Eilverfahrens ist die angeordnete sofortige Vollziehbarkeit der in den Ziffern 1 und 3 des Bescheids des Antragsgegners vom 29. Juni 2020 angeordneten Nutzungsuntersagung und Verpflichtung zum Entfernen der zu Aufenthaltszwecken dienenden Einrichtungsgegenstände sowie die hinsichtlich dieser Anordnungen in den Ziffern 2 und 4 angedrohte Ersatzvornahme und Versiegelung der auf dem streitbefangenen Grundstück befindlichen Nebengebäude.
1. Der gemäß § 88 VwGO auszulegende Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner eingelegten Klage, soweit die Nutzungsuntersagung sowie das Entfernen der zu Aufenthaltszwecken dienenden Einrichtungsgegenstände betroffen sind, und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, soweit die angedrohte Versiegelung sowie die Ersatzvornahme inmitten stehen, ist nur teilweise zulässig.
Soweit in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides die Ersatzvornahme bezüglich der Anordnung in Ziffer 3 angedroht wurde, richtet sich die Statthaftigkeit des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 VwZVG.
Hinsichtlich der Androhung der Ersatzvornahme ist der am 30. Juli 2020 bei Gericht eingegangene Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzulehnen, nachdem der Antragsteller die durch die Grundverfügung auferlegte Pflicht bis zum Ablauf der zum 15. Juli 2020 gesetzten Erfüllungsfrist nicht vollständig erfüllt hat und die Vollstreckungsvoraussetzungen während des maßgeblichen Zeitraumes bis zum Ablauf der Erfüllungsfrist gegeben waren, so dass der Antragsgegner mit Ablauf der Erfüllungsfrist berechtigt gewesen wäre, die angedrohte Ersatzvornahme vorzunehmen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 11.7.2001 – 1 ZB 01.1255 – juris. 26; VG Ansbach, B.v. 5.5.2020 – AN 9 S 20.00727 – juris Rn. 90).
Nachdem bereits in der Vergangenheit gegenüber dem Antragsteller im Hinblick auf die Nutzungen auf dessen Grundstück Fl.Nr. … vergeblich Zwangsgelder angedroht wurden, durfte der Antragsgegner davon ausgehen, dass eine weitere Zwangsgeldandrohung keinen Erfolg erwarten lässt, Art. 32 Satz 2 VwZVG.
Der Antragsgegner hat des Weiteren entsprechend Art. 36 Abs. 4 Satz 1 VwZVG in der Androhung vorläufig einen Kostenbetrag in Höhe von 600,00 EUR veranschlagt.
Schließlich ist insbesondere die dem Antragsteller bis zum 15. Juli 2020 gesetzte Frist zur Erfüllung der unter Ziffer 3 getroffenen Anordnung nicht zu kurz bemessen.
Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG ist bei der Androhung der Vollstreckung für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann. Eine Frist ist angemessen und zumutbar, wenn sie einerseits das behördliche Interesse an der Dringlichkeit der Ausführung berücksichtigt und andererseits dem Betroffenen die nach der allgemeinen Lebenserfahrung erforderliche Zeit gibt, seiner Pflicht nachzukommen (vgl. BayVGH, B.v. 1.4.2016 – 15 CS 15.2451 – juris Rn. 26).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Beseitigung der Einrichtungsgegenstände erfordert nach allgemeiner Lebenserfahrung keinen besonderen Aufwand, der nicht innerhalb von zwei Wochen zu bewältigen wäre. Die Vornahme der inmitten stehenden Handlungen duldet überdies im Hinblick auf die Brandgefahr keinen weiteren Aufschub.
Bei Eingang des Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes am 30. Juli 2020 war die bis zum 15. Juli 2020 gesetzte Frist bereits abgelaufen, so dass einem gegen diese Zwangsmittelandrohung gerichteten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (vgl. hierzu BayVGH, B.v 1.4.2016 – 15 CS 15.2451 – juris Rn. 26).
2. Soweit der Antrag im Übrigen zulässig ist, erweist er sich als begründet.
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat eine Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese entfällt kraft Gesetzes bei den in § 80 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO aufgeführten Maßnahmen und des Weiteren nach Nr. 4 der Bestimmung, wenn die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeord-net wird. Das besondere Vollzugsinteresse, welches grundsätzlich über jenes hinausgehen muss, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt, und mit den Interessen des Betroffenen abzuwägen ist, ist schriftlich zu begründen (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist nämlich nicht die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Vollzugsanordnung am Maßstab des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, sondern die eigenständig und losgelöst von der vorangegangenen behördlichen Vollzugsentscheidung zu beurteilende Frage, ob die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen ist. Diese eigenständige Abwägung hat sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 19 Abs. 4 GG und am Zweck des Aussetzungsverfahrens auszurichten. Die aufschiebende Wirkung des § 80 Abs. 1 VwGO soll gemäß der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes Tatsachen geschaffen werden, die, wenn sich der Verwaltungsakt bei gerichtlicher Überprüfung als rechtswidrig erweist, nur schwer und mit unverhältnismäßigem Aufwand rückgängig gemacht werden können. Sie ist andererseits kein Selbstzweck und soll einen im öffentlichen Interesse liegenden Vollzug nicht hindern (BVerwG, B.v. 26.6.1990 – 4 B 61/90 – juris). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, aber nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Eilantrags. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 18.9.2017 – 15 CS 17.1675 – juris; B.v. 19.3.2003 – 14 CS 03.85 – juris).
Im vorliegenden Fall überwiegt das Suspensivinteresse des Antragstellers, da die von ihm erhobene Anfechtungsklage gegen die streitgegenständliche Nutzungsuntersagung sowie die Verpflichtung zur Entfernung der zu Aufenthaltszwecken dienenden Einrichtungsgegenstände derzeit voraussichtlich Erfolg haben wird. Denn die von dem Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller verfügte Nutzungsuntersagung sowie Verpflichtung zur Entfernung der zu Aufenthaltszwecken dienenden Einrichtungsgegenstände sind nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach rechtswidrig und verletzen den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Entsprechend ist insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers wiederherzustellen.
aa) Die Anordnungen in den Ziffern 1 und 3 des streitgegenständlichen Bescheides sind bereits formell rechtswidrig, nachdem eine erforderliche Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG nicht erfolgt ist.
(1) Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Dies ist hier nicht geschehen. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners liegt vorliegend auch kein Fall vor, in dem die Anhörung nach Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG aufgrund der Umstände des Einzelfalles nicht geboten und insofern entbehrlich gewesen wäre.
Hierzu führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof etwa in seiner Entscheidung vom 1. Juni 2017, 20 B 16.2241 – juris, unter anderem Folgendes aus:
„Die von Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG statuierte Pflicht zur Anhörung ist das wichtigste Recht der Beteiligten im Verwaltungsverfahren. Sie ist im Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich verankert und dient dem Schutz der materiellen (Grund-)Rechtsposition der Beteiligten (BVerwG, U. v. 21.3.1986 – 4 C 48.82 – juris); der Beteiligte soll nicht „bloßes Objekt staatlichen Handelns“ sein. Es ist deshalb bei der Annahme einer Ausnahme von der Anhörungspflicht gemäß Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG ein strenger Maßstab anzuwenden (BGH, U. v. 10.1.2002 – 3 ZR 212/01 – juris). „Gefahr in Verzug“ im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alt. BayVwVfG setzt voraus, dass durch die vorherige Anhörung – auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen (evtl. telefonisch) – ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass der Zweck der zu treffenden Regelung nicht oder nur in geringerem Ausmaß als erforderlich erreicht würde (BVerwG, U. v. 15.12.1983 – 3 C 87.82). Abzustellen ist darauf, ob die Maßnahme selbst bei mündlicher – eventuell telefonischer – Anhörung zu spät käme (Stelkens/Bonk/Kallerhoff, VwVfG, 7. Aufl. 2008, Rdnr. 51 zu § 28).“
Vorliegend wäre zumindest eine telefonische Anhörung des Antragstellers oder eine schriftliche Anhörung unter Gewährung einer Frist von wenigen Tagen oder – angesichts dessen, dass in der Vergangenheit im Hinblick auf den Brandschutz gegenüber dem Antragsteller bereits mehrere bauaufsichtliche Bescheide erlassen wurden – auch von nur einem Tag geboten gewesen. Überdies spricht bereits das Verhalten des Antragsgegners im Vorfeld des Bescheiderlasses gegen die eine Ausnahme von der Anhörung rechtfertigende Annahme von Gefahr in Verzug im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass zumindest für das „…“ bereits ein bestandskräftiger Bescheid vorliegt, mit welchem unter Anordnung der sofortigen Vollziehung sowie Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 EUR eine Nutzungsuntersagung angeordnet wurde.
Soweit der Antragsteller vorträgt, dass sich im Hinblick auf den streitgegenständlichen Bescheid die erheblichen Tatsachen seit Erstellung des mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehobenen Bescheides vom 11. Mai 2020, in dessen Vorfeld ebenfalls eine Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG nicht erfolgt ist, nicht geändert hätten und daher gemäß Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG auf eine erneute Anhörung habe verzichtet werden können, ist anzumerken, dass es ausweislich der in den Behördenakten befindlichen Lichtbildaufnahmen zwischen dem Erlass der Bescheide vom 11. Mai 2020 sowie vom 29. Juni 2020 zum einen zu Veränderungen in der Ausstattung der Nebengebäude kam. Zum anderen traf der Antragsteller in dem nunmehr streitgegenständlichen Bescheid weitergehende Anordnungen als in dem Bescheid vom 11. Mai 2020.
(2) Dieser formelle Mangel wurde zum hier maßgeblichen Zeitpunkt auch (noch) nicht durch Nachholung der Anhörung durch den Antragsteller nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG geheilt.
Hierzu äußert sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 1. Juni 2017, 20 B 16.2241 – juris, wie folgt:
„Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Dezember 2015 (Az. 7 C 5.14 – NVwZ-RR 2016, 449 – 454 Rn. 17) in Konkretisierung und unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 24.6.2010 – 3 C 14.09 – BVerwGE 137, 199, Rn. 37 und v. 22.3.2012 – 3 C 16.11 – BVerwGE 142, 205, Rn. 18) die Anforderungen an eine nachträgliche Heilung einer unterbliebenen Anhörung dargestellt. Danach tritt die Heilung nur dann ein, wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Diese Funktion besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten in gerichtlichen Verfahren als solche zur Heilung einer zunächst unterbliebenen Anhörung nicht ausreichen lassen. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt vielmehr voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern dass sie das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken. Gemessen an diesen Maßstäben wurde der Anhörungsmangel allein durch die Klageerhebung am 11. Juli 2014 nicht geheilt. Nachdem die Quarantäneanordnung durch die Bescheide vom 22. August 2014, vom 2. September 2014 sowie vom 28. Oktober 2014 aufgehoben und die Anordnung damit für die Zukunft nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG unwirksam wurde, konnte eine Heilung nicht mehr stattfinden. Denn die Nachholung der Anhörung kann eine Heilung einer hoheitlichen Maßnahme nur für die Zukunft bewirken (vgl. BVerfG, B.v. 13.7.2015 – 1 BvR 2516/13 – juris Rn. 2).“
Vorliegend hätte durch das Vorbringen des Antragstellers in der Klageschrift vom 12. Juni 2020 sowie die entsprechende Würdigung dieses Vorbringens durch den Antragsgegner allenfalls die bezüglich des Bescheides vom 11. Mai 2020 unterbliebene Anhörung als geheilt angesehen werden können, nicht jedoch die nunmehr erneut unterbliebene Anhörung im Hinblick auf den streitgegenständlichen Bescheid vom 29. Juni 2020; eine Nachholung der Anhörung im streitgegenständlichen Verfahren steht dem Antragsteller jedoch offen.
bb) Darüber hinaus erweist es sich nach summarischer Prüfung als rechtswidrig, soweit dem Antragsteller unter Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides unmittelbarer Zwang in Gestalt der Versiegelung der auf der Fl.Nr. … befindlichen Nebengebäude für den Fall angedroht wird, dass die unter Ziffer 1 genannten Gebäude weiterhin zu Aufenthaltszwecken genutzt werden.
Da die Androhung unmittelbaren Zwangs kraft Gesetzes (Art. 21a Satz 1 VwZVG) sofort vollziehbar ist, ist insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers anzuordnen.
Gemäß Art. 34 Satz 1 VwZVG kommt unmittelbarer Zwang als Zwangsmittel zur Vollstreckung eines Verwaltungsaktes nur in Betracht, wenn die sonstigen zulässigen Zwangsmittel nicht zum Ziel führen oder dem Pflichtigen einen erheblich größeren Nachteil als unmittelbarer Zwang verursachen oder ihre Anwendung keinen zweckentsprechenden und rechtzeitigen Erfolg erwarten lassen.
Zwar wäre vorliegend im Hinblick auf die Brandereignisse in der Vergangenheit der in dieser Vorschrift zum Ausdruck gebrachte Gedanke der Verhältnismäßigkeit hinreichend beachtet. Der Antragsteller hätte insbesondere wohl nicht zunächst auf ein milderes, weniger einschneidendes Zwangsgeld gemäß Art. 31 VwZVG zurückgreifen müssen, nachdem die Androhung von Zwangsgeldern bereits in der Vergangenheit erfolglos blieb.
Jedoch wurde dem Antragsteller unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides im Hinblick auf die zu unterlassene Nutzung der Nebengebäude zu Aufenthaltszwecken eine gemäß Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG erforderliche Frist nicht gesetzt.
Es liegt vorliegend insbesondere auch kein unaufschiebbarer Fall im Sinne des Art. 35 VwZVG vor, wonach Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang innerhalb der Zuständigkeit der handelnden Behörde ohne vorausgehende Androhung angewendet werden können, wenn es zur Verhütung oder Unterbindung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder zur Abwehr einer drohenden Gefahr notwendig ist.
Gemeint ist hierbei eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung; nur diese rechtfertigt eine Anwendung von unmittelbar wirkenden Zwangsmaßnahmen. Eine solche Situation lag hier wohl nicht vor. Schon das zeitliche Vorgehen des Antragsgegners im Vorfeld zeigt, dass noch Raum für eine Androhung mit einer zumindest knapp bemessenen Frist von wenigen Tagen gewesen wäre (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 31.3.2010 – 9 ZB 07.2172 – juris Rn. 2).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe konnte im vorliegenden Fall schon aufgrund des Vorverhaltens des Antragsgegners auf eine Androhung bzw. Fristsetzung nicht verzichtet werden.
Nach alldem war dem Antrag im Umfange des Beschlusstenors stattzugeben; im Übrigen war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG sowie Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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