Steuerrecht

Anordnung eines Vollservice bei der Sammlung restentleerter Verpackungen im Holsystem

Aktenzeichen  M 17 S 20.2672

Datum:
24.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24152
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VerpackG § 14, § 22 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Da es sich bei der durch § 22 Abs. 2 VerpackG eingeräumten einseitigen hoheitlichen Steuerungsmöglichkeit durch Erlass einer Rahmenvorgabe ohne Zustimmung durch die Systeme um eine Durchbrechung des nach § 22 Abs. 1 VerpackG grundsätzlich geltenden Kooperationsprinzips zwischen dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und den Systemen handelt, sind die enumerativ aufgezählten Ausnahmetatbestände eng auszulegen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anordnung eines Vollservice für alle Müllgroßbehälter dergestalt, dass diese vom Standplatz zu holen und nach der Leerung wieder zum Standplatz zurückzustellen sind, geht inhaltlich über die Festlegung eines Holsystems hinaus, indem sie dem System eine konkrete Vorgehensweise bei der Abholung auferlegt. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Von Abfallbesitzern kann aufgrund ihrer Mitwirkungspflicht auch im Rahmen eines Holsystems die Verbringung der Abfallbehältnisse an einen bestimmten (Sammel-)Ort verlangt werden, von dem aus die Abholung erfolgt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. Entscheidet sich der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger dafür, bei der in seiner Verantwortung durchzuführenden Sammlung der gemischten Siedlungsabfälle aus privaten Haushaltungen einen Vollservice im Holsystem durchzuführen, hat dies nicht zur Folge, dass der Systembetreiber einseitig hoheitlich zur Durchführung eines entsprechenden Vollservice verpflichtet werden kann. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 30. April 2020 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. April 2020 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Bescheid des Antragsgegners, mit dem durch eine Rahmenvorgabe angeordnet wurde, dass die Antragstellerin alle Müllgroßbehälter in einem Vollservice zu entleeren hat.
Die Antragstellerin betreibt eines von acht bundesweit genehmigten Systemen zur regelmäßigen Abholung von als Abfall anfallenden restentleerten Verkaufsverpackungen beim privaten Endverbraucher gemäß § 3 Abs. 16 des Gesetzes über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen (Verpackungsgesetz – VerpackG – vom 5. Juli 2017, BGBl. I S. 2234). Aufgabe der Systembetreiber ist die flächendeckende Organisation und Durchführung der Sammlung, Sortierung und Verwertung von Verkaufsverpackungen. Die für die Tätigkeit als Systembetreiber erforderliche Systemfeststellung wurde der Antragstellerin mit Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen vom 22. Dezember 1992, zuletzt geändert durch den zweiten Änderungsbescheid vom 5. September 2011 sowie seine Ergänzung vom 18. Oktober 2012, erteilt.
Der Antragsgegner ist nach Art. 5 BayAbfG i.V.m. der Übertragungsverordnung des Landkreises München vom 16. Juni 1994, geändert durch Verordnung vom 14. Mai 2010, öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger für die Gemeinden Aying, Brunnthal, Höhenkirchen-Siegertsbrunn, Hohenbrunn, Neubiberg und Putzbrunn. Die Sammlung restentleerter Kunststoff-, Metall- und Verbundverpackungen (im Folgenden: …*) privater Endverbraucher erfolgt im Holsystem durch gelbe Säcke und Müllgroßbehälter mit einem Volumen von 120, 240, 360 und 1.100 Litern in einem 14-tägigen Entsorgungsrythmus, ergänzt durch ein Bringsystem am Wertstoffhof und mit mobilen Wertstoffsammelmobilen.
Mit Bescheid vom 9. April 2020 ordnete der Antragsgegner in Ziffer 1 an, dass die Sammlung der restentleerten Kunststoff-, Metall- und Verbundverpackungen bei privaten Haushaltungen im Verbandsgebiet ab dem 1. Januar 2021 – spätestens acht Monate nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheids – nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen durchzuführen sei: „Im ansonsten über die bisher erfolgten Systembeschreibungen abgestimmten Sammelsystem erfolgt die Entleerung aller Müllgroßbehälter (MGB) im Vollservice gemäß den Vorgaben des § 13 Abs. 10 der Abfallwirtschaftssatzung des Zweckverbands München – Südost (ZVMSO). 120, 240, 360 und 1.100 l MGB sind bis maximal 15 m vom öffentlichen Verkehrsraum, der mit Schwerlastverkehr befahrbar ist, zu holen und nach der Leerung wieder zurückzustellen. Behälter sind zudem, auch unter Benutzung von Schlüsseln, aus Tonnenhäusern herauszuholen. Bei Altbeständen sind die MGB auch zu holen und zurückzustellen, die weiter als 15 m entfernt stehen.“ In Ziffer 2 wurde die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet. Bei der Anordnung des Vollservice für das Holsystems für … handele es sich um eine nach § 22 Abs. 2 VerpackG zulässige Rahmenvorgabe. Auch bezüglich der Haushaltsabfälle bestehe im Entsorgungsgebiet des Antragsgegners ein entsprechend ausgestaltetes Holsystem. Die sofortige Vollziehung liege im öffentlichen Interesse, da die Ausschreibung der …-Sammlung für die Vertragslaufzeit vom 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2023 anstehe. Das Interesse an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs müsse gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung zurücktreten, weil die Durchführung des Vollservice bei allen Behältergrößen an Gelben Tonnen im Sinne einer einheitlichen bürgerfreundlichen Entsorgung, wie sie auch bei der Abfuhr von Müllgroßbehälter für überlassungspflichtige Siedlungsabfälle praktiziert werde, überwiege.
Gegen den Bescheid vom 9. April 2020 erhob die Antragstellerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, am 30. April 2020 Klage (M 17 K 20.1882). Mit Schriftsatz vom 16. Juni 2020 beantragte sie zudem,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 30. April 2020 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. April 2019 wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Rahmenvorgabe rechtswidrig sei, da sie nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 22 Abs. 2 VerpackG gedeckt sei. Die zulässigen Inhalte einer einseitigen Rahmenvorgabe seien in § 22 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VerpackG abschließend geregelt. Der Tatbestand des § 22 Abs. 2 Nr. 1 VerpackG („Art des Sammelsystems“) sei eng auszulegen und erfasse nur die Festlegung eines Holsystems, Bringsystems oder eines kombinierten Hol- und Bringsystems, nicht aber die konkrete Ausgestaltung des Systems. Zudem sei bei Erlass der Rahmenvorgabe der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht hinreichend beachtet worden. Die Anordnung des Vollservice sei zur Erreichung der verpackungsrechtlichen Zielsetzung der Erhöhung der Effektivität der Sammlung und der Verringerung von Umweltbelastungen ungeeignet und auch nicht erforderlich. Die Anordnung sei nicht zur Sicherstellung einer effektiven und umweltverträglichen Erfassung der Abfälle geeignet, da die Verringerung von Standortverschmutzungen und die Erhöhung der getrennt erfassten Mengen an wertstoffhaltigen Abfällen nicht geprüft und dargelegt worden sei; die Emissionen würden sich nicht verringern, sondern erhöhen. Der Umstand, dass der Antragsgegner die in seinen Verantwortungsbereich fallende Abfallentsorgung überobligatorisch im Vollservice durchführe, führe nicht dazu, dass auch von den dualen Systemen ein solcher Vollservice verlangt werden könne. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass es keinen gesetzlichen Anspruch auf die Abholung jeglichen Abfalls vom Grundstück gebe. Ferner sei die Jahresfrist des § 22 Abs. 2 Satz 4 VerpackG nicht eingehalten, die nicht nur bei Änderung einer Rahmenvorgabe, sondern auch beim erstmaligen Erlass einer Rahmenvorgabe zu berücksichtigen sei.
Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2020 beantragten die Bevollmächtigten des Antragsgegners,
den Antrag der Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Die …-Entsorgung habe im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners bis zum Jahr 2015 im Vollservice stattgefunden; bis zu diesem Zeitpunkt sei der Antragsgegner selbst als Subunternehmer für die …-Entsorgung zuständig gewesen. Der Vollservice sei in der kommunalen Abfallsatzung für überlassungspflichtige Abfälle flächendeckend verankert. Für die Ausschreibungszeiträume 2015 bis 2017 und 2018 bis 2020 sei der Vollservice durch den Antragsgegner bereits gefordert worden, von der Antragstellerin aber nicht ausgeschrieben worden. Der Antragsgegner habe sich aufgrund des Scheiterns der konsensualen Verhandlungen in Bezug auf den Vollservice entschieden, seine Vorstellungen zur Umsetzung des …-Erfassungssystems im Wege einer Rahmenvorgabe durchzusetzen. Der Sofortvollzug sei angeordnet worden, da dem Antragsgegner bewusst gewesen sei, dass für die Antragstellerin ein zeitlicher Vorlauf nötig sein würde, um die Ausschreibung für das …-Sammelsystem durchzuführen, das nach der Anordnung zum 1. Januar 2021 umgesetzt sein müsse. Die Klage sei bereits aufgrund des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Rahmenvorgabe sei gegenüber den übrigen Systembetreibern gleichlautend ergangen und diesen gegenüber bestandskräftig. Die Rahmenvorgabe könne für ein Entsorgungsgebiet nur einheitlich erlassen und vor Ort umgesetzt werden. Die Klage der Antragstellerin könne die Situation nicht ändern. Der im Hauptsacheverfahren verfolgten Aufhebung der Rahmenvorgabe stehe deren Bestandskraft gegenüber den dualen Systemen … … … … * … … und … … … … entgegen. Im Übrigen sei die Rahmenvorgabe rechtmäßig. Die Jahresfrist des § 22 Abs. 2 Satz 4 VerpackG sei nicht einschlägig, da es sich um einen Ersterlass und nicht um eine Änderung einer Rahmenvorgabe gehandelt habe. Die Anordnung des Vollservice sei von der Ermächtigungsgrundlage des § 22 Abs. 2 VerpackG gedeckt. Sie konkretisiere die Vorgabe eines Holsystems im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VerpackG. Die Anordnung des Vollservice sei geeignet, um eine möglichst effektive und umweltverträgliche Erfassung sicherzustellen, da hierdurch das von vielen Bürgern monierte längere Stehen der Tonnen an der Straße vermieden werde, was zu Fehlwürfen durch Passanten geführt habe und den Straßenverkehr behindert habe. Es sei auch zu befürchten, dass bei fehlendem Vollservice mehr verwertbare Verpackungen in die Restmülltonne gegeben würden, da diese im Vollservice geleert werde. Die Rahmenvorgabe gehe auch nicht über den Entsorgungsstandard hinaus, den der Antragsgegner bei der in seiner Verantwortung liegenden Sammelstruktur zugrunde lege. Die Restmüllsammlung erfolge vollständig im Holsystem mit wöchentlicher bzw. wahlweise 14-tägiger Leerung. § 13 Abs. 10 der Abfallwirtschaftssatzung des Zweckverbands München Südost bestimme, dass die Abfallbehälter vom Standplatz nahe der Grundstücksgrenze geholt werden und nach der Leerung auch wieder dorthin zurückgebracht werden. Eine etwaige technische Unmöglichkeit bzw. die wirtschaftliche Unzumutbarkeit sei vom Systembetreiber zu beweisen; ein entsprechender Nachweis sei nicht erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren, im Verfahren M 17 K 20.1882 sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist zulässig und begründet.
I.
Der Antrag ist zulässig. Wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO hat die Klage der Antragstellerin keine aufschiebende Wirkung. In solchen Fällen kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen bzw. anordnen.
Dem Antrag fehlt es nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Der Umstand, dass eine gegenüber den Systembetreibern … … … … * … … und … … … … ergangene gleichlautende Rahmenvorgabe diesen gegenüber bestandskräftig geworden ist, führt nicht zum Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses der Antragstellerin. Die Rahmenvorgabe ist als solche unteilbar, da ihr Regelungsinhalt nur dann seine Wirkung entfalten kann, wenn sie gegenüber allen Systemen einheitlich ergeht. Dies ergibt sich aus § 22 Abs. 2 Satz 1 VerpackG, wonach vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger „durch schriftlichen Verwaltungsakt gegenüber den Systemen“ festgelegt werden kann, wie die Sammlung auszugestalten ist. Aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 2 Satz 1 VerpackG ergibt sich, dass nicht mehrere einzelne Verwaltungsakte gegenüber jedem einzelnen System erlassen werden sollen, sondern nur ein Verwaltungsakt gegenüber den Systemen in ihrer Gesamtheit. (vgl. hierzu auch die Gesetzesbegründung, nach der „ein schriftlicher Verwaltungsakt […] gegenüber allen […] beteiligten Systemen zu erlassen ist“ (BT-Drs. 18/11274, S. 111).
Die streitgegenständliche Rahmenvorgabe wurde vom Antragsgegner nicht – wie es aufgrund der gesetzlich angeordneten Unteilbarkeit zutreffend gewesen wäre – in einem an die Antragstellerin und die sieben weiteren Systeme gerichteten Bescheid erlassen, sondern in Form von an jedes System adressierten gleichlautenden Einzelverfügungen. Diese Verwaltungsakte entfalten ihre Wirksamkeit zwar grundsätzlich nur inter partes; aus der vom Gesetzgeber festgelegten Unteilbarkeit folgt jedoch, dass die Rahmenvorgabe bei Anfechtung durch ein System auch gegenüber den übrigen Systemen trotz einer etwaigen erlangten Bestandskraft nicht vollziehbar ist. Die vom Antragsgegner vertretene Auffassung, dass die Bestandskraft zweier gegenüber anderen Systemen erlassenen Einzelverfügungen zur Folge habe, dass das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage und den Antrag der Antragstellerin entfalle, wäre mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar.
II.
Der Antrag ist auch begründet, da die Anordnung in Ziffer I. des Bescheids nach summarischer Prüfung formell und materiell rechtswidrig ist (hierzu 2.1 und 2.2).
1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides entspricht den sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ergebenden formellen Anforderungen.
Die Begründung des Sofortvollzugs erfordert insbesondere auf den Einzelfall bezogene, konkrete Gründe, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen. Eine bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts ist nicht ausreichend. Allerdings dürfen keine allzu hohen Anforderungen an die Begründungspflicht gestellt werden (Schmidt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 43). Die Begründung soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen („Warnfunktion“), ob tatsächlich ein besonderes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert (BayVGH, B.v. 24.3.1999 – 10 CS 99.27 – BayVBl. 1999, 465; VG Würzburg, B.v. 22.5.2013 – W 4 S 13.327 – juris Rn. 24). Vorliegend hat der Antragsgegner hinreichend einzelfallbezogen und insbesondere nicht nur floskelhaft dargelegt, dass er ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids annimmt: Die Anordnung des Sofortvollzugs sei zur Sicherstellung einer einheitlichen bürgerfreundlichen Entsorgung erforderlich, um auch bei den Gelben Tonnen einen Vollservice zur Verfügung zu stellen, wie er bei der Abfuhr von Müllgroßbehältern für überlassungspflichtige Siedlungsabfälle praktiziert werde. Da die Systembetreiber angekündigt hätten, die Ausschreibungen für den Ausschreibungszeitraum ab 1. Januar 2021 bereits im zweiten Quartal 2020 durchzuführen, sei eine besondere Dringlichkeit gegeben. Im Hinblick auf das überwiegende öffentliche Interesse habe das private Interesse der Antragstellerin zurückzutreten. Diese Begründung macht deutlich, dass die Behörde sich den Ausnahmecharakter der Anordnung des Sofortvollzugs vor Augen geführt hat, das Begründungserfordernis also seiner Warnfunktion gerecht geworden ist. Ob sie ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung zu Recht angenommen hat und die Begründung auch in inhaltlicher Hinsicht zu überzeugen vermag, ist keine Frage der Begründungspflicht, sondern des Vollzugsinteresses.
2. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei seiner Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten der Hauptsache als wesentliches, wenn auch nicht alleiniges Indiz für die vorzunehmende Interessenabwägung zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Hauptsacherechtsbehelf offensichtlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, weil nach einer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes dafür spricht, dass der streitgegenständliche Bescheid sich in der Hauptsache als rechtswidrig erweisen wird. Für eine darüberhinausgehende Interessenabwägung, die nur bei offenen Erfolgsaussichten der Klage vorzunehmen ist, bleibt daher kein Raum.
2.1 Die Anordnung in Ziffer I. des Bescheids ist nach summarischer Prüfung formell rechtswidrig.
2.1.1. Der Tenor in Ziffer I. des Bescheids ist bereits nicht bestimmt genug.
Ein Verwaltungsakt muss gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG inhaltlich bestimmt sein, d.h. Inhalt, Reichweite und Umfang der getroffenen Regelung müssen für den Adressaten klar und eindeutig erkennbar sein. Dabei kann neben dem Anordnungssatz auch die Begründung zur Auslegung des Regelungsinhalts herangezogen werden.
Die Regelungen in Ziff. I. 1 Satz 1 „ab dem 01.01.2021 – spätestens 8 Monate nach Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheides -“ und in Ziff. I., 1 Satz 4 „Bei Altbeständen sind die MGB auch zu holen und zurückzustellen, die weiter als 15 m entfernt stehen“ verstoßen gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
a) Nach dem Wortlaut der Formulierung „ab dem 01.01.2021 – spätestens 8 Monate nach Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheides -“ wird die Rahmenvorgabe im Falle der Klageerhebung nicht ab dem 01.01.2021, sondern erst acht Monate nach Eintritt der Rechtskraft des letztinstanzlichen Urteils wirksam. Aus der Begründung des Bescheids wird jedoch deutlich, dass ein Wirksamwerden zum 1. Januar 2021 beabsichtigt war. Da der Wortlaut des Anordnungssatzes in Widerspruch zu der Begründung steht, ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Bescheids unklar und die Anordnung damit unbestimmt. Die Antragstellerin muss sich wegen des für die Ausschreibung benötigten zeitlichen Vorlaufs auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens einstellen können. Die unklare Formulierung des Zeitpunkts des Wirksamwerdens der Rahmenvorgabe verstößt deshalb gegen das Bestimmtheitsgebot.
b) Auch der Anordnungssatz „Bei Altbeständen sind die MGB auch zu holen und zurückzustellen, die weiter als 15 m entfernt stehen.“ ist zu unbestimmt. Der Begriff „Altbestände“ weist keinen hinreichend bestimmten und vollstreckungsfähigen Inhalt auf. Darüber hinaus wird weder aus dem Tenor, noch aus der Begründung des Bescheides deutlich, wie weit die Müllgroßbehälter bei „Altbeständen“ maximal vom Grundstück entfernt stehen können.
2.1.2 Da sich die Anordnung somit bereits aus anderen Gründen als rechtswidrig erweist, bedarf die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage, ob die beabsichtigte Rahmenvorgabe der Antragstellerin mit einem zeitlichen Vorlauf von mindestens einem Jahr bekannt gegeben werden hätte müssen, keiner Klärung. Es kann dahinstehen, ob die Regelung des § 22 Abs. 2 Satz 4, wonach der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger den Systemen eine geplante Änderung seiner Rahmenvorgaben mit einem angemessenen zeitlichen Vorlauf, mindestens jedoch ein Jahr vor dem Wirksamwerden des Verwaltungsakts bekannt geben muss, über ihren eindeutigen Wortlaut hinaus auch für den erstmaligen Erlass einer Rahmenvorgabe Geltung beansprucht.
2.2 Der Bescheid ist voraussichtlich auch materiell rechtswidrig.
2.2.1 Rechtsgrundlage für den Erlass einer Rahmenvorgabe ist § 22 Abs. 2 VerpackG. Hiernach kann ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger durch schriftlichen Verwaltungsakt gegenüber den Systemen festlegen, wie die nach § 14 Absatz 1 durchzuführende Sammlung der restentleerten Kunststoff-, Metall- und Verbundverpackungen bei privaten Haushaltungen hinsichtlich
1. der Art des Sammelsystems, entweder Holsystem, Bringsystem oder Kombination aus beiden Sammelsystemen,
2. der Art und Größe der Sammelbehälter, sofern es sich um Standard-Sammelbehälter handelt, sowie
3. der Häufigkeit und des Zeitraums der Behälterleerungen
auszugestalten ist, soweit eine solche Vorgabe geeignet ist, um eine möglichst effektive und umweltverträgliche Erfassung der Abfälle aus privaten Haushaltungen sicherzustellen, und soweit deren Befolgung den Systemen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz nicht technisch unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar ist.
2.2.2 Die streitgegenständliche Anordnung, dass die Antragstellerin alle Müllgroßbehälter in einem Vollservice gemäß § 13 Abs. 10 der Abfallwirtschaftssatzung des ZVMSO zu entleeren hat, ist nach summarischer Prüfung nicht von § 22 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VerpackG gedeckt.
Da es sich bei der durch § 22 Abs. 2 VerpackG eingeräumten einseitigen hoheitlichen Steuerungsmöglichkeit durch Erlass einer Rahmenvorgabe ohne Zustimmung durch die Systeme um eine Durchbrechung des nach § 22 Abs. 1 VerpackG grundsätzlich geltenden Kooperationsprinzips zwischen dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und den Systemen handelt, sind die enumerativ aufgezählten Ausnahmetatbestände eng auszulegen (vgl. hierzu auch VG Sigmaringen, B.v. 21.7.2020 – 4 K 786/20). Die Rahmenvorgabe stellt kein Instrument dar, um im Falle des Scheiterns von Abstimmungsverhandlungen eine hoheitliche Durchsetzung der Forderungen des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers zu ermöglichen. Vielmehr ist außerhalb der abschließenden Ausnahmetatbestände des § 22 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VerpackG zwingend eine Abstimmungsvereinbarung zu treffen, die eine Einigung zwischen den Parteien voraussetzt; eine Zustimmung wäre ggf. auf dem Klageweg geltend zu machen. Auch aus der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass § 22 Abs. 2 VerpackG eine eng begrenzte Ausnahme zu dem dem VerpackG zugrundeliegenden Kooperationsprinzip und der Gleichordnung von öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern und Systemen darstellen soll (vgl. BT-Drucksache 18/11274, S. 108, 109).
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners handelt es sich bei der streitgegenständlichen Anordnung nicht nur um die Festlegung der Art des Sammelsystems als Holsystem. Die Begriffe des Holsystems und des Bringsystems sind in § 14 Abs. 1 Satz 1 VerpackG legaldefiniert. Hiernach sind die Systeme verpflichtet, im Einzugsgebiet der beteiligten Hersteller eine vom gemischten Siedlungsabfall getrennte, flächendeckende Sammlung aller restentleerten Verpackungen bei den privaten Endverbrauchern (Holsystem) oder in deren Nähe (Bringsystem) oder durch eine Kombination beider Varianten in ausreichender Weise und für den privaten Endverbraucher unentgeltlich sicherzustellen. Vorliegend steht nicht die Festlegung eines Holsystems als solchen in Streit, sondern die Einführung eines Vollservice für alle Müllgroßbehälter dergestalt, dass die Müllgroßbehälter vom Standplatz zu holen und nach der Leerung wieder zum Standplatz zurückzustellen sind, erforderlichenfalls unter Benutzung eines Schlüssels. Diese Anordnung geht inhaltlich über die Festlegung eines Holsystems hinaus, indem sie dem System eine konkrete Vorgehensweise bei der Abholung auferlegt.
Bei dem angeordneten Vollservice handelt es sich auch nicht – wie von Antragsgegnerseite vorgetragen – um einen „integralen Bestandteil“ des Holsystems, sondern um eine über die Anordnung eines Holsystems hinausgehende Verpflichtung, die Müllgroßbehälter von ihrem Standort zu holen und nach der Leerung wieder dorthin zurückzubringen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass von den Abfallbesitzern aufgrund ihrer Mitwirkungspflicht auch im Rahmen eines Holsystems die Verbringung der Abfallbehältnisse an einen bestimmten (Sammel-)ort verlangt werden kann, von dem aus die Abholung erfolgt (vgl. BayVGH, U.v. 14.10.2003 – 20 B 03.637; BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 20 ZB 18.957). Der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger kann aufgrund seines Organisationsrechts im Rahmen des Holsystems bestimmen, in welcher Art, in welcher Weise, an welchem Ort und zu welcher Zeit ihm die Abfälle zu überlassen sind (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Bayerisches Abfallgesetz – BayAbfG, § 17 KrWG). Entscheidet sich der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger dafür, bei der in seiner Verantwortung durchzuführenden Sammlung der gemischten Siedlungsabfälle aus privaten Haushaltungen einen Vollservice im Holsystem durchzuführen – wie es vorliegend durch § 13 Abs. 10 der Abfallwirtschaftssatzung vorgesehen ist -, hat dies nicht zur Folge, dass der Systembetreiber einseitig hoheitlich zur Durchführung eines entsprechenden Vollservice verpflichtet werden kann. Auch aus der den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisierenden Regelung des § 22 Abs. 2 Satz 2 VerpackG, wonach die Rahmenvorgabe nicht über den Entsorgungsstandard hinausgehen darf, den der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger der in seiner Verantwortung durchzuführenden Sammlung der gemischten Siedlungsabfälle aus privaten Haushaltungen zugrunde legt, folgt nicht gleichermaßen, dass der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger von den Systemen grundsätzlich die Einhaltung des von ihm bei der Sammlung der gemischten Siedlungsabfälle aus privaten Haushaltungen zugrunde gelegten Entsorgungsstandards verlangen kann.
Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, dass auch die konkrete Ausgestaltung eines Holsystems Gegenstand einer Rahmenvorgabe sein kann, hätte es nahegelegen, neben § 22 Abs. 2 Nr. 2 VerpackG (Art und Größe der Sammelbehälter) und § 22 Abs. 2 Nr. 3 VerpackG (Häufigkeit und Zeitraum der Behälterleerungen) eine entsprechende weitere Regelung vorzusehen.
2.2.3 Da die Anordnung bereits nicht von der Rechtsgrundlage des § 22 Abs. 2 VerpackG gedeckt ist, kann dahingestellt bleiben, ob sie geeignet ist, um eine möglichst effektive und umweltverträgliche Erfassung der Abfälle aus privaten Haushaltungen sicherzustellen.
Nach der Gesetzesbegründung versteht der Gesetzgeber unter „Effektivität“ die Erhöhung der getrennt erfassten Menge an wertstoffhaltigen Abfällen und unter „Umweltverträglichkeit“ die Verringerung von durch die Sammlung regelmäßig verursachten Umweltbelastungen. Die Förderung eines der Ziele soll ausreichend sein, sofern dies nicht zu Lasten des jeweils anderen Ziels geht (BT-Drucksache 18/11274, S. 110). Ob der von Antragsgegnerseite angeführte Ausnahmefall des tagelangen Herumstehens überfüllter Tonnen auf der Straße wegen Versäumnissen der in Mehrfamilienhäusern zuständigen Verantwortlichen oder der Verschiebung von Leerungsterminen ausreicht, die Effektivität eines Vollservices gegenüber einem Holservice mit Abholung der Müllgroßbehälter an einem Sammelpunkt zu rechtfertigen, erscheint zweifelhaft, zumal bei einem Vollservice das Ziel der Umweltverträglichkeit durch die durch die wohl nicht gänzlich zu vermeidenden längeren Verweilzeiten der Sammelfahrzeuge auf der Straße beeinträchtigt werden dürfte.
Dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 9. April 2020 war daher stattzugeben.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz – GKG. Dieser Wert war im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren.


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