Steuerrecht

Ausbildungsförderung – Rückforderung

Aktenzeichen  M 15 K 18.2748

Datum:
3.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19491
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2
BAföG § 11 Abs. 2 S. 1,§ 26
BGB , § 116 S. 1,§ 814
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 124, § 124 a Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 3. April 2017 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Niederbayern vom 8. Mai 2018 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 3. April 2017 und der Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2018 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Voraussetzungen für eine Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit gemäß § 45 Abs. 1 SGB X lagen nicht vor, da die Klägerin im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum einen Anspruch auf die bewilligte Ausbildungsförderung hatte und der Bewilligungsbescheid vom 1. Februar 2017 damit rechtmäßig war.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 30. September 2013 hatte die Klägerin kein den Freibetrag übersteigendes, auf den Bedarf gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 Alt. 1 BAföG i.V.m. §§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 28 Abs. 2 BAföG anzurechnendes Vermögen.
1. Zwar befand sich unstrittig zum Zeitpunkt der Antragstellung auf dem auf den Namen der Klägerin lautenden Konto bei der … … ein Guthaben in Höhe von 36.173,64 Euro. Die Klägerin war als Kontoinhaberin nach dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen, objektiv für die Bank erkennbaren Willen und unabhängig davon, aus wessen Mitteln das eingezahlte Geld stammte, Gläubigerin des Guthabens. Ein etwaiger anderweitiger, nicht nach außen kundgetaner Vorbehalt bei der Kontoerrichtung wäre gemäß § 116 Satz 1 BGB unbeachtlich (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 12.08 – juris Rn. 12 unter Hinweis auf BGH, U.v. 18.10.1994 – IX ZR 237/93 – BGHZ 127, 229; BayVGH, U.v. 28.1.2009 – 12 B 08.824 – juris Rn. 31 ff.).
2. Allerdings scheidet vorliegend eine Anrechnung des Guthabens in Höhe von 35.000,- Euro aus, da es sich insoweit aufgrund eines bestehenden Treuhandverhältnisses entweder schon nicht um Vermögen der Klägerin handelte oder ein daraus resultierender Herausgabeanspruch der Mutter (bzw. ein hier nicht durch § 814 BGB bzw. § 817 S. 2 BGB ausgeschlossener bereicherungsrechtlicher Anspruch im Falle der Nichtigkeit der Vereinbarung) gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG abzuziehen war.
2.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Anerkennung von Verbindlichkeiten aus Treuhandabreden bei der Bewilligung von Ausbildungsförderung nicht ausgeschlossen. Das gilt auch für sogenannte verdeckte Treuhandverhältnisse (BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 12/08 – juris Rn. 13). Ein Treuhandvertrag ist dadurch gekennzeichnet, dass der Treugeber dem Treuhänder Vermögensrechte überträgt, ihn aber in der Ausübung der sich aus dem Außenverhältnis ergebenden Rechtsmacht im Innenverhältnis nach Maßgabe der schuldrechtlichen Treuhandvereinbarung beschränkt (BSG, U.v. 28.8.2007 – B 7/7a AL 10/06 R – juris Rn. 16). Eine rechtlich anzuerkennende Treuhandschaft setzt eine entsprechende schuldrechtliche Vereinbarung voraus, aus der sich ergeben muss, dass die mit der rechtlichen Inhaberstellung verbundene Verfügungsmacht im Innenverhältnis zu Gunsten des Treugebers eingeschränkt ist; die Treuhandabrede muss die Weisungsbefugnis des Treugebers gegenüber dem Treuhänder und dessen Verpflichtung zur jederzeitigen Rückgabe des Treugutes zum Gegenstand haben. Die Vereinbarung eines entsprechenden Auftrags-, Geschäftsbesorgungs- oder Darlehensverhältnisses muss ernsthaft gewollt sein und es muss eine konkrete, mit rechtsgeschäftlichem Bindungswillen zustande gekommene Absprache nachgewiesen werden. Dabei muss das Handeln des Treuhänders im fremden Interesse wegen der vom zivilrechtlichen Eigentum abweichenden Zurechnungsfolge eindeutig erkennbar sein (BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 12/08 – juris Rn. 18).
An den Nachweis eines solchen Treuhandverhältnisses unter Angehörigen im Zusammenhang mit beantragter Ausbildungsförderung sind wegen der Missbrauchsgefahr strenge Anforderungen zu stellen (BayVGH, U.v. 28.1.2009 – 12 B 08.824 – juris Rn. 38). Demnach ist der Treuhandcharakter eines Kontos oder Depots nur anzunehmen, wenn eine entsprechende Treuhandabrede zivilrechtlich wirksam zustande gekommen ist. Zur Klärung der Frage, ob überhaupt ein wirksamer Treuhandvertrag geschlossen worden ist und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hat, sind alle Umstände des Einzelfalles sorgsam zu würdigen. Soweit die tatsächlichen Grundlagen des Vertragsschlusses der Sphäre des Auszubildenden zuzuordnen sind, obliegt ihm bei der Aufklärung der erforderlichen Tatsachen eine gesteigerte Mitwirkungspflicht; die Nichterweislichkeit der Tatsachen geht insoweit zu seinen Lasten (BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 12.08 – juris Rn. 19; B.v. 9.1.2009 – 5 B 53.08 – juris Rn. 5). Da die relevanten Umstände oft in familiären Beziehungen wurzeln oder sich als innere Tatsachen darstellen, die häufig nicht zweifelsfrei feststellbar sind, ist es zudem gerechtfertigt, für die Frage, ob ein entsprechender Vertragsschluss vorliegt, äußerlich erkennbare Merkmale als Beweisanzeichen (Indizien) heranzuziehen (BVerfG, B.v. 7.11.1995 – 2 BvR 802/90 – juris Rn. 22; BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 12.08 – juris Rn. 19; B.v. 9.1.2009 – 5 B 53.08 – juris Rn. 5). Ein gewichtiges Beweisanzeichen in diesem Sinne ist die Separierung des Treuguts (vgl. zur regelmäßig bestehenden Pflicht, das Treugut vom eigenen Vermögen des Treuhänders getrennt zu halten, § 292 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 2 DepotG). Ein zivilrechtlicher Herausgabeanspruch gegen den Treuhänder kann aber auch dann bestehen, wenn der Treuhänder empfangenes Geldvermögen abredewidrig nicht getrennt von seinem Vermögen verwahrt hat. Ferner spricht es gegen die Glaubhaftigkeit eines behaupteten Vertragsschlusses, wenn der Inhalt der Abrede und der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht substantiiert dargelegt werden. Gleiches gilt, wenn ein plausibler Grund für den Abschluss des Vertrages nicht genannt werden kann. Zweifel am Eingehen einer entsprechenden Verbindlichkeit können ferner berechtigt sein oder bestätigt werden, wenn die Durchführung des Treuhandvertrages nicht den geltend gemachten Vereinbarungen entspricht und die Abweichung nicht nachvollziehbar begründet werden kann. Ebenso lässt es sich als Indiz gegen einen wirksamen Vertragsschluss werten, wenn der Auszubildende eine treuhänderische Bindung (von Teilen) seines Vermögens nicht von vornherein in seinem Antragsformular bezeichnet hat, sondern erst geltend macht, nachdem er der Behörde gegenüber nachträglich einräumen musste, anrechenbares Vermögen zu besitzen. Für das Vorliegen eines beachtlichen Treuhandverhältnisses kann es sprechen, wenn das Treugut nachweislich bereits zu dem Zeitpunkt an den Treugeber zurückgegeben worden war, zu dem der Auszubildende zum ersten Mal das Treuhandverhältnis offenlegte und sich damit erstmals die Frage seiner ausbildungsförderungsrechtlichen Anrechnung stellte (zu alldem vgl. z.B. BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 12.08 – juris Rn. 20 f.).
2.2 Gemessen an diesen von der Rechtsprechung entwickelten hohen Anforderungen wurde nach umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass zwischen der Klägerin und ihrer Mutter ein Treuhandverhältnis über einen Betrag in Höhe von 35.000,- Euro bestand.
Zwar spricht gegen das Vorliegen einer Treuhandabrede, dass die Klägerin nicht bereits in den Antragsformularen die Umstände offengelegt und insbesondere das über 35.000,- Euro hinausgehende Guthaben in Höhe von 1.173,64 Euro, das sich aus Zinserträgen bzw. Einzahlungen der Klägerin zusammensetzte, nicht angegeben hatte. Durch die spätere Einzahlung eigener Ersparnisse der Klägerin wurde auch die Separierung des Treugutes aufgehoben. Da eine Separierung durch die vereinbarte Eröffnung eines neuen Kontos jedoch zunächst Bestandteil der Abrede zwischen der Klägerin und ihrer Mutter war, handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um ein gewichtiges Indiz gegen ein Treuhandverhältnis.
Für das Bestehen eines Treuhandverhältnisses spricht, dass die Klägerin und die Zeugin den Abschluss und Inhalt einer Treuhandabrede substantiiert darlegen konnten und Ungereimtheiten hinsichtlich der Durchführung der Vereinbarung durch die in allen wesentlichen Aspekten übereinstimmenden Angaben in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt werden konnten. Das Gericht hält die Aussagen der Klägerin und der Zeugin für glaubhaft. Der Sachverhalt wurde sicher, detailreich, mit Benennung zeitlicher Anknüpfungspunkte und Motive im Wesentlichen nachvollziehbar vorgetragen und stimmt mit den sich aus den vorgelegten Kontoauszügen bzw. Überweisungsbelegen ergebenden Transaktionen überein.
Daran, dass es sich bei dem von der Großmutter der Klägerin überwiesenen Betrag in Höhe von 35.000,- Euro um den Pflichtteil der Mutter sowie des Onkels der Klägerin handelte, bestehen aufgrund der vorgelegten Unterlagen (Überweisungsbeleg mit dem Verwendungszweck „… … … … Nachweis der Auszahlung des Anteils an den – im außereuropäischen Ausland lebenden – Onkel) und der übereinstimmenden Angaben der Klägerin und der Zeugin für das Gericht keine Zweifel.
Trotz verbleibender Ungereimtheiten in Hinblick auf die möglicherweise in Form von Sozialleistungsbetrug strafrechtlich relevanten Motive der Mutter für das „Parken“ des Geldes auf dem Konto der Klägerin, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin das Guthaben in Höhe von 35.000,- Euro entsprechend der Vereinbarung mit ihrer Mutter – zum Zeitpunkt des Abschlusses der Treuhandabrede, aber auch später – nicht als eigenes betrachtete bzw. betrachten durfte. Hierfür spricht neben den übereinstimmenden Ausführungen der Klägerin und ihrer Mutter auch der Umstand, dass die Klägerin das Guthaben in Höhe von 35.000,- Euro zu keiner Zeit antastete, sondern dieses nach den vorgelegten Kontoauszügen seit Einzahlung im November/Dezember 2009 bis zur Auszahlung im September/Dezember 2014 auf dem Konto verblieb. Auch nach den glaubhaften Ausführungen der Zeugin, die seit dem Jahr 2009 arbeitslos gewesen sei und von ihrem Ersparten gelebt habe, sei eine Schenkung nie in Betracht gekommen.
Zudem konnte die Zeugin nachvollziehbar erläutern, dass sie das Treuhandverhältnis aufgrund der bevorstehenden sechsmonatigen Reise der Klägerin beendete, da sie sonst währenddessen nicht an das Geld gekommen wäre, und sie zu dieser Zeit das Geld auch benötigt habe. Insoweit wurden mit der Barabhebung im Januar 2015 im zeitlichen Zusammenhang stehende erhöhte Ausgaben der Zeugin infolge eines Umzugs belegt. Die Rückzahlung eines Betrags in Höhe von 10.000,- Euro an die Zeugin wurde durch entsprechende Kontoauszüge nachgewiesen. Auch die Rückzahlung des Restguthabens in Höhe von 25.000,- steht aufgrund der glaubhaften, übereinstimmenden Angaben der Klägerin und ihrer Mutter zu Zeitpunkt, Ort sowie Art und Weise der Übergabe zur Überzeugung des Gerichts fest. Anders als die Beklagte geht das Gericht nicht davon aus, dass das zunächst mit dem Verwendungszweck „Mexiko“ auf das Konto der Klägerin bei der Raiffeisenbank überwiesene und schließlich in bar abgehobene Guthaben in Höhe von 25.000,- Euro von der Klägerin für ihre Reise verwendet wurde. Zum einen erläuterte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft, dass sie sich keine Gedanken über den Verwendungszweck gemacht habe und dieser sich damit erkläre, dass ihre Mexiko-Reise der Auslöser für die Rückzahlung des Geldes gewesen sei. Zum anderen ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen des Kontos bei der Raiffeisenbank Einnahmen der Klägerin aus einem Arbeitsverhältnis in den Monaten Oktober 2014 bis März 2015 in Höhe von 6.653,20 Euro, mit denen sie die sich aus den Kontoauszügen des …-Kontos für Januar bis Oktober 2015 ergebenden Kosten der Reise selbst finanzieren konnte.
Auch, dass das Guthaben zu dem Zeitpunkt bereits zurückgeflossen war, zu dem die Klägerin nach Aufforderung der Beklagten das Treuhandverhältnis offenlegte und sich damit zum ersten Mal die Frage der ausbildungsförderungsrechtlichen Anrechnung stellte, spricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für das Vorliegen eines beachtlichen Treuhandverhältnisses.
Nach alledem waren die 35.000,- Euro aufgrund der zugrundeliegenden Treuhandabrede nicht auf den ausbildungsrechtlichen Bedarf der Klägerin anzurechnen, sodass diese kein den Freibetrag übersteigendes Vermögen innehatte. Daher war der Klage vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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