Steuerrecht

Beanstandung eines Ratsbeschlusses

Aktenzeichen  M 2 K 15.1642

Datum:
10.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG BayKAG Art. 5 Abs. 1 S. 1, S. 3
BayGO BayGO Art. 62 Abs. 2, Abs. 3, Art. 112, Art. 113

 

Leitsatz

Die Kommunalaufsichtsbehörde kann einen Ratsbeschluss ohne vorherige Beanstandung aufheben, wenn dieser einen bereits beanstandeten Beschluss zwar beseitigt, den gerügten Rechtsverstoß aber inhaltsgleich unverändert wieder aufnimmt. (redaktioneller Leitsatz)
Die Gemeinden sind zur Erhebung von Ausbaubeiträgen verpflichtet und dürfen Ausbaumaßnahmen „nur in Ausnahmefällen“ vollständig aus eigenen Deckungsmitteln finanzieren; ein solcher Ausnahmefall kann bei einer atypisch herausragenden Haushalts- und Finanzsituation der Gemeinde vorliegen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg. Die im Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 25. März 2015 ist zwar zulässig, aber unbegründet. Die hilfsweise erhobene Feststellungsklage ist unzulässig und unbegründet.
I.
Die Anfechtungsklage ist zulässig. Insbesondere hat sich der Bescheid vom 25. März 2015 nicht erledigt.
Zwar ist, anders als der Beklagte meint, eine Erledigung nicht deshalb zu verneinen, weil dieser ein Rechtsinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Stadtratsbeschlusses vom 5. März 2015 geltend macht: Zum einen ist schon begrifflich zwischen einer Erledigung eines Bescheids und eines (trotz dieser Erledigung) fortbestehenden Interesses an einer richterlichen Feststellung zu unterscheiden. Zum andern stellt sich prozessual die Frage eines Feststellungsinteresses allein aus Sicht der jeweilige Klagepartei: Diese muss entscheiden, ob sie im Falle einer Erledigung des Bescheids eine Fortsetzungsfeststellungsklage erheben möchte bzw. ihre Klage dahingehend ändern möchte. Auch inhaltlich kommt es nur darauf an, ob die Klagepartei ein Feststellungsinteresse geltend machen kann. Hingegen spielt es keine Rolle, ob die Beklagtenpartei ein Interesse daran hat, dass die Rechtmäßigkeit ihres Bescheids festgestellt wird.
Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Beurteilung, ob sich der Bescheid vom 25. März 2015 erledigt hat, ist vielmehr die Frage, ob die mit der Anfechtungsklage bekämpfte beschwerende Regelung weggefallen ist (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 113 Rn. 76 m. w. N.). Ein solcher Wegfall der Beschwer tritt klassischerweise mit Aufhebung des beschwerenden Verwaltungsakts ein, kann aber auch dadurch bewirkt werden, dass ein Bescheid durch Zeitablauf oder Erledigung auf andere Weise wirkungslos geworden ist (vgl. Schmidt in Eyermann, a. a. O., § 113 Rn. 77 ff. m. w. N.). Vorliegend hat indes der von der Klägerin vorgebrachte Umstand, dass die vom Stadtrat am 5. März 2015 beschlossene und vom ersten Bürgermeister am 6. März 2015 ausgefertigte Aufhebungssatzung nicht bekanntgemacht wurde und auch nicht mehr bekannt gemacht werden kann, nicht den Wegfall der Beschwer zur Folge: Mit Ziffer 1. des Bescheids vom 25. März 2015 wird die Aufhebung der Ausbaubeitragssatzung der Klägerin vom 24. Januar 2003, geändert mit Satzung vom 17. November 2006, beanstandet. Die mit dieser Regelung verbundene beschwerende Regelung ist allein deshalb nicht weggefallen, weil die Klägerin aufgrund eines erneuten Stadtratsbeschlusses vom 22. April 2015 erneut eine Aufhebungssatzung erlassen hat, die am 24. April 2015 amtlich bekanntgemacht wurde, mithin die Beanstandung der Aufhebung der Ausbaubeitragsatzung nicht ins Leere geht. An diesem Ergebnis ändert sich nichts, wenn man die Beanstandung in Ziffer 1. so wie ausdrücklich das Aufhebungsverlangen in Ziffer 2. und die Fristsetzung für die Ersatzvornahme in Ziffer 3. des Bescheids auf den Stadtratsbeschluss vom 5. März 2015 bezieht: Dieser Stadtratsbeschluss ist nach wie vor existent, insbesondere hat der Stadtrat der Klägerin diesen nicht aufgehoben. Allein deshalb besteht die beschwerende Wirkung der Ziffern 1. – 3. des Bescheids fort. Hinzu kommt noch, dass sich der Beklagte auf das Urteil des OVG Münster vom 17. Februar 1984 – 15 A 2626/81 – (DVBl. 1985, 172) beruft, wonach die Aufhebung eines Ratsbeschlusses im Wege der Ersatzvornahme ohne vorherige Beanstandung möglich ist, wenn dieser Ratsbeschluss einen bereits beanstandeten Ratsbeschluss zwar beseitigt, den gerügten Rechtsverstoß aber inhaltsgleich unverändert wieder aufnimmt. Demzufolge hat die Beanstandung sowie das Aufhebungsverlagen und die Fristsetzung hinsichtlich des Beschlusses des Stadtrats vom 5. März 2015 auch insoweit weiterhin beschwerende Wirkung, als diese Grundlage dafür sein könnten, dass der Beklagte hinsichtlich des inhaltsgleichen Stadtratsbeschlusses vom 22. April 2015 ohne vorherige Beanstandung sogleich zu dessen Aufhebung im Wege der Ersatzvornahme schreiten könnte.
II.
Die Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid vom 25. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Ziffer 1. des Bescheids findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 112 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BayGO. Nach dieser Vorschrift kann die Rechtsaufsichtsbehörde rechtswidrige Beschlüsse und Verfügungen der Gemeinde beanstanden. Vorliegend konnte die Aufhebung der Ausbaubeitragssatzung vom 24. Januar 2003, geändert am 17. November 2006, vom Beklagten durch die nach Art. 110 S. 1 BayGO zuständige Rechtsaufsichtsbehörde beanstandet werden, weil diese Aufhebung gegen Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 3 KAG verstößt und deshalb rechtswidrig ist:
Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Nach Satz 3 dieser Vorschrift sollen sie für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen solche Beiträge erheben, soweit nicht Erschließungsbeiträge zu erheben sind.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (U. v. 10.3.1999 – 4 B 98.1349 – juris Rn. 23 m. w. N.; vgl. auch: U. v. 18.6.2010 – 6 BV 09.1228 – juris Rn. 22) hat hierzu ausgeführt, dass nach seiner Rechtsprechung der Begriff „sollen“ in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG – wie bei Sollvorschriften in anderen Gesetzen auch – grundsätzlich verbindlichen Charakter habe. Die Gemeinden seien deshalb in der Regel zur Beitragserhebung verpflichtet und dürften Ausbaumaßnahmen „nur in Ausnahmefällen“ vollständig aus allgemeinen Deckungsmitteln finanzieren. Ein den Gemeinden durch Art. 62 Abs. 2 BayGO, der den Vorrang der Einnahmenbeschaffung aus besonderen Entgelten bestimmt, allenfalls belassener Gestaltungsspielraum werde durch Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG weiter eingeschränkt. Das Gericht teilt diese Rechtsauffassung, die auch im Einklang mit der ausbaubeitragsrechtlichen Literatur steht (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 28 Rn. 8 ff., 14 ff.; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand Januar 2016, Rn. 2001; Bulla, BayVBl 2014, 225/227; Hesse, Bayerischer Gemeindetag 2013, 94/95).
Daran gemessen ist vorliegend die Aufhebung der Ausbaubeitragssatzung durch die Klägerin nicht gerechtfertigt. Ein Ausnahmefall liegt weder unter dem Gesichtspunkt ihrer Haushaltslage – sogleich a) -, noch unter dem Gesichtspunkt geringer Einnahmen aus Straßenausbaubeiträgen in der Vergangenheit – sogleich b) – und auch nicht wegen sonstiger Gesichtspunkte – sogleich c) – vor.
a) Die Haushaltslage der Klägerin rechtfertigt es nicht, von der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen abzusehen.
Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen angesichts einer besonders positiven Haushaltslage einer Gemeinde ein atypischer Fall vorliegen kann, der es rechtfertigen könnte, ausnahmsweise auf die Erhebung von Ausbaubeiträgen zu verzichten, hat die Kammer bereits in ihrem Urteil vom 28. Oktober 2014 – M 2 K 14.1641 – (juris Rn. 22 ff.) auf die bisherige Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und verschiedene Auffassungen in der Literatur hingewiesen: So hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dies als möglichen Ausnahmefall zu der grundsätzlich bestehenden Beitragserhebungspflicht angedeutet, wenn die finanzielle Situation einer Gemeinde „so günstig [ist], dass ohne empfindliche Einbußen an der dauernden Leistungsfähigkeit i. S. des Art. 61 Abs. 1 GO auf die Einnahmenbeschaffung aus Straßenausbaubeiträgen für die erforderlichen und geplanten Ausbaumaßnahmen verzichtet werden könnte“ (BayVGH, U. v. 10.3.1999 – 4 B 98.1349 – juris Rn. 23). In der Literatur wird diese Fallgruppe ebenfalls aufgegriffen: Sie setze voraus, dass „die Kommune weder für den laufenden Haushalt noch zur Finanzierung von anstehenden Investitionen auf eine Kreditaufnahme angewiesen ist“ (Bulla, BayVBl 2014, 225/228). Bei der Prüfung, ob eine „herausragende Finanzlage“ ausnahmsweise ein Abweichen von der grundsätzlichen Verpflichtung zum Satzungserlass erlaube, komme es nicht nur darauf an, ob Kreditaufnahmen erforderlich seien, sondern auch, wie sich der Schuldenstand darstelle, wie hoch die Schlüsselzuweisungen seien, ob und in welcher Höhe in den nächsten Jahren Investitionen bevorstünden. Grundsätzlich werde „nur eine Gemeinde ohne Verschuldung und ohne größeren Kreditbedarf für anstehende Investitionen von der Beitragserhebung absehen können“ (Hesse, Bayerischer Gemeindetag 2013, 94/95).
In Ergänzung dazu gibt der vorliegende Fall Anlass auf Folgendes hinzuweisen: Ein Ausnahmefall liegt erst dann vor, wenn eine atypisch herausragende Haushaltslage gegeben ist, hingegen nicht schon, wenn „keine schlechte“ Haushaltslage vorliegt. Deshalb reicht selbst eine „solide und gesicherte“, also durchschnittliche oder sogar gute Haushaltslage nicht aus, um von einem Ausnahmefall im Hinblick auf die Haushaltslage sprechen zu können. Ferner ist besonders auf die in Art. 62 BayGO niedergelegten Grundsätze der Einnahmebeschaffung hinzuweisen (hierauf haben der Beklagte, der Kämmerer und der Rechnungsprüfer der Klägerin zu Recht aufmerksam gemacht; vgl. auch den richterlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung): Aus Art. 62 Abs. 2 und 3 BayGO ergibt sich eine gesetzlich vorgeschriebene Rangfolge der gemeindlichen Einnahmebeschaffung. Zunächst haben die Gemeinde ihre Einnahmen aus „sonstigen Einnahmen“ zu beschaffen (Art. 62 Abs. 2 BayGO a.E.), dann aus besonderen Entgelten für die von ihr erbrachten Leistungen – dazu gehören auch Ausbaubeiträge nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG – (Art. 62 Abs. 2 Nr. 1 BayGO), erst dann aus Steuern (Art. 62 Abs. 2 Nr. 2 GO) und zuletzt aus Krediten (Art. 62 Abs. 3 GO). Dies bedeutet, dass die Frage eines ausnahmsweisen Verzichts auf Straßenausbaubeiträge wegen einer atypisch herausragenden Haushaltslage nicht losgelöst von der vorrangigen Einnahmebeschaffung durch Steuern, also insbesondere durch Grund- und Gewerbesteuer und die hierfür geltenden Hebesätze einer Gemeinde, gesehen werden kann.
An diesen Maßstäben gemessen liegt im Fall der Klägerin keine atypisch herausragende Haushalts- und Finanzsituation vor:
Zwar weist die Klägerin zu Recht insbesondere darauf hin, dass sie seit 2013 schuldenfrei ist, seit 1996 keine Kreditaufnahme mehr erfolgte (anders bei dem als Sondervermögen der Klägerin geführten Eigenbetrieb Stadtwerke), sie in den vergangenen Jahren über Rücklagen zwischen 29 Mio. € und 42 Mio. € verfügte und sie in den letzten Jahren von einigen Ausnahmen abgesehen Überschüsse des Verwaltungshaushalt dem Vermögenshaushalt zuführen konnte (vgl. dazu die zuletzt vorgelegte Aufstellung „Entwicklung der Zuführungen, Schulden und Rücklagen in den Jahren 2005 – 2015 anhand der Rechnungsergebnisse“ vom 20. April 2016). Im Fall der Klägerin kann deshalb derzeit noch von einer durchaus soliden Haushaltslage gesprochen werden. Gleichwohl zeigen diverse Parameter, dass trotzdem von einer atypisch herausragenden Haushaltslage der Klägerin keine Rede sein kann:
So ist etwa nach den eigenen Angaben der Klägerin damit zu rechnen, dass im Jahr 2016 nur eine geringe Zuführung sowie ab dem Jahr 2017 keine Zuführungen vom Verwaltungshaushalt zum Vermögenshaushalt mehr möglich sein werden (Vorbericht zum Haushaltsplan der Klägerin für 2016, S. 7 und S. 20; vgl. dazu auch bereits die Stellungnahmen des Kämmerers und des Rechnungsprüfers der Klägerin zum Stadtratsantrag vom 2. Februar 2015, Bl. 40 ff. BA). Hinsichtlich der Rücklagen prognostiziert die Klägerin, dass diese wegen nötiger Entnahmen in den nächsten Jahren auf ca. 410.000,00 € im Jahr 2020 abgeschmolzen und damit nahezu aufgebraucht sein werden (Vorbericht zum Haushaltsplan 2016, S. 7, S. 21 f.; vgl. ferner die Stellungnahmen des Kämmerers und des Rechnungsprüfers). Die Einnahmen aus Gewerbesteuer unterliegen – von den Beteiligten übereinstimmend vorgetragen – starken konjunkturellen Schwankungen, da diese von wenigen Unternehmen abhängig sind. Die Steuerkraft je Einwohner ist in den letzten Jahren erheblich gesunken (Vorbericht zum Haushaltsplan für 2016, S. 5). Auch geht die Klägerin davon aus, dass es in den nächsten Jahren nicht möglich sein wird, die Finanzierung der kurzlebigen beweglichen Anlagegüter und Erneuerungsmaßnahmen von Straßen aus dem Verwaltungshaushalt abzudecken. Auch die Rücklagen werden nicht ausreichen, um die nötigen Investitionen – darunter auch der weitere Ausbau von Straßen – zu tätigen (Vorbericht zum Haushaltsplan 2016, S. 7, S. 21; Stellungnahmen des Kämmerers und des Rechnungsprüfers). Bei einer Gesamtwürdigung all dieser Umstände kann deshalb – so zu Recht der Kämmerer der Klägerin in seiner Stellungnahme zum Stadtratsantrag, Bl. 41 BA – die Haushaltslage der Klägerin jedenfalls mittelfristig nicht als gesichert angesehen werden. Allein dies belegt, dass von einer atypisch herausragenden Haushaltssituation der Klägerin keine Rede sein kann, wovon ja auch die Finanzfachleute der Klägerin – Kämmerer und Rechnungsprüfer – ausgehen (vgl. deren Stellungnahmen zum Stadtratsantrag).
An diesem Ergebnis ändert nichts, dass in den vergangenen Jahren die Rechnungsergebnisse gegenüber der Prognose im Haushaltsplan günstiger gewesen sind, weil etwa Mehreinnahmen bei Steuern erzielt werden konnten und entsprechende Zuführungen zum Vermögenshaushalt erfolgten. Dieses Phänomen liegt bei der gebotenen vorsichtigen und zurückhaltenden Veranschlagung von Einnahmen im Haushaltsplan in der Natur der Sache. An der von der Klägerin selbst prognostizierten Tendenz, dass sich in den nächsten Jahren die Zuführungen zum Vermögenshaushalt und die Rücklagen vermindern werden, bei gleichzeitig stark schwankenden Gewerbesteuereinnahmen mithin keine ausreichenden Mittel zur Finanzierung der Investitionen verfügbar sein werden, ändert dies indes nichts. Allein der Umstand, dass sich die prognostizierte Entwicklung der Haushaltslage der Klägerin möglicherweise etwas in die Zukunft verschieben könnte, lässt die Haushaltslage nicht als atypisch herausragend erscheinen. Entsprechendes gilt für das Argument der Klägerin, in einem Jahr mit hoher Kreisumlage wegen vorangegangener Steuermehreinnahmen und aktuell schwächeren Gewerbesteuereinnahmen sei zwangsläufig eine Rücklagenentnahme erforderlich. Dieses durchaus auch bei anderen Gemeinden auftretende Phänomen in einem einzelnen Haushaltsjahr ändert nichts an der von der Klägerin bei einer Gesamtbetrachtung der nächsten Jahre selbst prognostizierten negativen Entwicklung der Rücklagen.
Auch streitet die in Art. 62 Abs. 2 und 3 BayGO gesetzlich vorgeschriebene Rangfolge der gemeindlichen Einnahmebeschaffung dafür, dass im Fall der Klägerin nicht von einer atypisch herausragenden Haushaltslage gesprochen werden kann: Wie das Gericht bereits in der mündlichen Verhandlung näher dargelegt hat, entsprechen die Hebesätze der Klägerin für die Grundsteuer A (300%) und B (330%) sowie die Gewerbesteuer (340%) in etwa dem Landesdurchschnitt bei Gemeinden mit ca. 20.000 Einwohnern (Vorbericht zum Haushaltsplan, S. 12; Realsteuersätze in Bayern im Jahr 2013, Landesamt für Statistik, Bayern in Zahlen 6/2014, S. 324). Der Gewerbesteuerhebesatz liegt dabei erheblich über dem sich aus § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG ergebenden Mindesthebesatz von 200%. Bei dieser Sachlage kann wegen der in Art. 62 Abs. 2 und 3 BayGO vorgeschriebenen Reihenfolge der Einnahmebeschaffung – insbesondere: die Einnahmebeschaffung aus besonderen Entgelten für erbrachte Leistungen, wozu auch die Ausbaubeiträge nach Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 3 KAG gehören, ist vorrangig gegenüber der Einnahmebeschaffung aus Steuern – nicht davon ausgegangen werden, die Klägerin könne ihre Straßenausbaubeitragssatzung wegen einer atypisch herausragenden Haushaltslage aufheben. Auch die Festsetzung der Hebesätze in dieser Höhe spricht dagegen, dass die Haushaltslage der Klägerin so atypisch herausragend gut ist, dass diese zur Finanzierung von Straßenbaumaßnahmen auf Straßenausbaubeiträge verzichten kann.
b) Nicht weiterhelfen kann der Klägerin auch ihr Vorbringen, in der Vergangenheit hätten die Einnahmen aus Ausbaubeiträgen nur sehr geringfügig zu ihren Gesamteinnahmen beigetragen, deshalb stünde der Verwaltungsaufwand in keiner verantwortbaren Relation zu den Erträgen und hätte der Verzicht auf Ausbaubeiträge keine spürbaren Auswirkungen auf den Haushalt bzw. beeinträchtigte ihre Leistungsfähigkeit nicht. Derartige Umstände begründen keinen Ausnahmefall, der es rechtfertigen könnte, auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen zu verzichten:
Es kann vielfältige Gründe haben, wenn eine Gemeinde in der Vergangenheit nur geringfügige Einnahmen aus Straßenausbaubeiträgen verzeichnen konnte. So kann es etwa sein, dass über mehrere Jahre hinweg nur wenige beitragsfähige Ausbaumaßnahmen erfolgten. Dies kann z. B. daran liegen, dass hinsichtlich der gemeindlichen Straßen in diesen Jahren von vornherein nur wenig Verbesserungs- oder Erneuerungsbedarf bestand, dass es sich bei Straßenbaumaßnahmen lediglich um laufenden Unterhalt oder Instandsetzungsmaßnahmen gehandelt hat, dass Straßenbaumaßnahmen bewusst so geplant wurden, damit die Bürger möglichst wenig belastet werden (z. B. bloßer Teilstreckenausbau) oder dass eigentlich notwendige Straßenbaumaßnahmen z. B. aus finanziellen Gründen nicht realisiert wurden. Darüber hinaus kann dies auch daran liegen, dass an sich beitragsfähige Straßenbaumaßnahmen tatsächlich nicht abgerechnet wurden (Vollzugsdefizit). Da geringfügige Einnahmen in der Vergangenheit somit auf eine Vielzahl verschiedener Ursachen zurückgeführt werden können, die bei vielen Gemeinden auftreten können, kann in diesem Zusammenhang nicht von einem atypischen Ausnahmefall gesprochen werden, der einen Verzicht auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen rechtfertigen könnte.
Gegen einen Ausnahmefall wegen geringfügiger Einnahmen in der Vergangenheit sprechen zudem folgende Gründe: Selbst geringe Einnahmen aus Straßenausbaubeiträgen entlasten die kommunalen Haushalte. Außerdem sagt der Blick in die Vergangenheit nichts darüber aus, ob auch in der Zukunft keine Einnahmen zu erzielen sein werden.
c) Sonstige Gesichtspunkte, die im Fall der Klägerin einen ausnahmsweisen Verzicht auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
2. Ziffer 2. des Bescheids findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 112 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BayGO. Nach dieser Vorschrift kann die Rechtsaufsichtsbehörde auch verlangen, rechtswidrige Beschlüsse und Verfügungen der Gemeinde aufzuheben oder zu ändern. Vorliegend konnte die Aufhebung des Beschlusses des Stadtrats der Klägerin vom 5. März 2015 über die Aufhebung der Ausbaubeitragssatzung verlangt werden, weil dieser – wie sich aus den Ausführungen unter 1. ergibt – rechtswidrig ist.
3. Die Androhung der Ersatzvornahme in Ziffer 3. des Bescheids im Hinblick auf das Aufhebungsverlangen gemäß Ziffer 2. des Bescheids ist ebenfalls rechtmäßig. Sie ist zwar in Art. 113 BayGO nicht explizit gesetzlich geregelt, aber als Voraussetzung einer rechtmäßigen Ersatzvornahme nach dieser Vorschrift allgemein anerkannt (vgl. Praxis der Kommunalverwaltung – Bayern, Art. 113 GO Erl. 1.1). Auch die Klägerin hat insoweit keine rechtlichen Bedenken angemeldet.
4. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der streitgegenständliche Bescheid auch nicht wegen Ermessensfehlern rechtswidrig.
Das Landratsamt hat ausweislich der Bescheidsbegründung erkannt, dass es sich um eine Ermessenentscheidung handelt und das Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Keinen Ermessensfehler kann die Klägerin insbesondere mit ihrer Rüge einer Ungleichbehandlung mit anderen Gemeinden des Landkreises aufzeigen, bei denen das Landratsamt trotz angeblich schlechterer Haushaltslage das Fehlen einer Straßenausbaubeitragssatzung nicht beanstandet habe. Hinsichtlich des rechtsaufsichtlichen Vorgehens gegen die Aufhebung einer bestehenden Straßenausbaubeitragssatzung und jenem gegen das Unterlassen der Einführung einer entsprechenden Satzung liegen wesentlichen Unterschiede vor, es handelt sich nicht um gleichgelagerte Sachverhalte. Das rechtsaufsichtliche Vorgehen gegen die Aufhebung einer vorhandenen Straßenausbaubeitragssatzung setzt deshalb nicht voraus, dass das Unterlassen der Einführung einer entsprechenden Satzung rechtsaufsichtlich beanstandet werden müsste (vgl. BayVGH, U. v. 10.3.1999 – 4 B 98.1349 – juris Rn. 24). Darüber hinaus hat der Beklagte glaubhaft vorgetragen, dass bereits Ende Januar 2015 alle Gemeinden ohne Ausbaubeitragssatzung ersucht worden seien, die Notwendigkeit eines Satzungserlasses zu prüfen. Anders als die Klägerin meint, hat sich demnach das Landratsamt hinsichtlich seiner Ermessensausübung bei der Frage rechtsaufsichtlichen Einschreitens wegen fehlender Ausbaubeitragssatzungen nicht dahingehend festgelegt, bei ungünstigen Haushaltssituationen nicht tätig zu werden.
5. Schließlich erweist sich der streitgegenständliche Bescheid entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht deshalb als rechtswidrig, weil ihr kraft ihres verfassungsrechtlich garantieren Selbstverwaltungsrechts ein Satzungsermessen sowie ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Einschätzung des zu erwartenden Beitragsaufkommens, des Verwaltungsaufwands, des Entstehens beitragsfähiger Maßnahmen, der zu erwartenden Einkünfte, der allgemeinen Entwicklung des Haushalts etc. zukäme, den sie nicht überschritten habe und den der Beklagte durch eigene Einschätzungen und Beurteilungen unzulässigerweise eingeschränkt habe.
Das kommunale Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV) besteht nur im Rahmen der Gesetze. Die Klägerin ist deshalb insbesondere auch an die gesetzliche Regelung in Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 3 KAG gebunden, wonach sie grundsätzlich verpflichtet ist, Straßenausbaubeiträge zu erheben, und hiervon nur in Ausnahmefällen absehen darf. Dahingestellt kann bleiben, ob man der Klägerin bei der Beurteilung der Frage, ob ein solcher Ausnahmefall gegeben ist, hinsichtlich gewisser Aspekte einen Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum zuzubilligen hat (z. B. in Bezug auf Prognoseentscheidungen). Denn sowohl der Beklagte als auch das Gericht haben sich bei der rechtlichen Bewertung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, an der diesbezüglichen Einschätzung der Klägerin orientiert, wie sie insbesondere in den Stellungnahmen ihrer Finanzfachleute – Kämmerer und Rechnungsprüfer – zum Stadtratsantrag und im Vorbericht zum Haushaltsplan für 2016 zum Ausdruck gekommen ist. Der Stadtrat der Klägerin kann sich über die fachlich fundierten Bewertungen der Finanzfachleute der Klägerin auch nicht einfach ohne fachliche Begründung hinwegsetzen. Derartiges ist nicht mehr von einem etwaigen Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraum der Klägerin gedeckt.
III.
Die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) ist schon unzulässig, da sich der Bescheid vom 25. März 2015 – wie oben unter I. ausgeführt – nicht erledigt hatte, mithin weiterhin allein eine Anfechtungsklage statthaft ist. Unbeschadet dessen ist die Feststellungsklage auch unbegründet, da der Bescheid vom 25. März 2015 – wie unter II. ausgeführt – nicht rechtwidrig ist.
Mithin war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 15.000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG -, Ziff. 22.5 des Streitwertkatalogs).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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