Steuerrecht

Befreiung von der Zweitwohnungsteuer

Aktenzeichen  M 10 K 18.1923

Datum:
11.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21925
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 3 Abs. 3 S. 2, 7, Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 lit. a
AO § 163, § 227
VwGO § 80 Abs. 5
VermG § 30a

 

Leitsatz

1 Die Befreiung von der Zweitwohnungsteuer setzt einen fristgerechten Antrag voraus (Art. 3 Abs. 3 S. 2 und 7 BayKAG). Diese Antragsfrist ist eine materiell-rechtlich Ausschlussfrist, die Behörden und Gerichte bindet und den Befreiungsanspruch zum Erlöschen bringt. Eine Wiedereinsetzung ist nicht möglich (BayVGH BeckRS 2017, 102532). (Rn. 35 und 41) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird die Antragsfrist versäumt, kommt auch ein Erlass der Zweitwohnungsteuer aus Gründen Billigkeit nicht in Betracht. (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.      
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2018 ist in den streitgegenständlichen Ziffern 1 und 2 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, sie für die Jahre 2010 bis 2017 von der Zweitwohnungsteuer zu befreien, noch ist die Beklagte zu verpflichten, über den von der Klägerin für diesen Zeitraum beantragten Erlass der Zweitwohnungsteuer unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).
1. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Zweitwohnungsteuer nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 KAG liegen für die Jahre 2010 bis 2017 nicht vor.
Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 KAG (eingeführt durch das Änderungsgesetz vom 22. Juli 2008, bekannt gemacht im Bayerischen Gesetzes- und Verordnungsblatt – GVBl – Nr. 15 vom 28. Juli 2008, Seite 460, und in Kraft getreten am 1. September 2009) wird eine Steuer auf das Innehaben einer Wohnung nicht erhoben, wenn die Summe der positiven Einkünfte des Steuerpflichtigen nach § 2 Abs. 1, 2 und 5a des Einkommensteuergesetzes (EStG) im vorletzten Jahr vor Entstehen der Steuerpflicht 25.000 Euro bzw. 29.000 Euro (seit 1. Januar 2015, vgl. KAG-Änderungsgesetz vom 11. März 2014) nicht überschritten hat; bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten und Lebenspartnern beträgt die Summe der positiven Einkünfte 33.000 bzw. 37.000 Euro (Art. 3 Abs. 3 Satz 3 KAG).
Ungeachtet der Frage, ob – wie wohl der Fall – die Klägerin betreffend die Jahre 2010 bis 2017 die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Zweitwohnungsteuerpflicht aufgrund der in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 KAG normierten Einkommensgrenzen erfüllt hat, fehlt es an einem fristgerechten Befreiungsantrag i.S.v. Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG.
a) Nach dieser Vorschrift setzt die Entscheidung über die Nichterhebung der Steuer nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 bis 6 KAG einen Antrag voraus, der bis zum Ende des Kalendermonats, der auf das Steuerjahr folgt, gestellt sein muss.
In seinem Urteil vom 26. Januar 2017 – 4 B 16.1541 – (juris) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hierzu ausdrücklich festgestellt, dass diese Vorschrift eine sogenannte materiell-rechtliche Ausschlussfrist normiert (vgl. auch Engelbrecht in Schieder/Happ, BayKAG, Stand Juni 2016, Art. 3 Rn. 27 f, h).
Unter einer solchen Ausschlussfrist versteht man eine vom materiellen Recht gesetzte Frist, deren Nichteinhaltung den Verlust einer materiellen Rechtsposition zur Folge hat. Sie ist für die Behörden und die Beteiligten verbindlich und steht nicht zur Disposition der Verwaltung oder der Gerichte. Mit Ablauf der Frist kann der Rechtsanspruch dann grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden (Michler in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand: 1.7.2018, § 31 Rn. 19 ff.).
Die hier maßgebliche gesetzliche Ausschlussfrist in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 bis 6 KAG ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich (BayVGH, U.v. 26.1.2017 – 4 B 16.1541 – juris). Sie ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt und verhältnismäßig (vgl. zu diesen Kriterien BVerwG, U.v. 10.12.2013 – 8 C 25/12 – juris Rn. 24 ff.). Der Gesetzgeber erreicht mit einer solchen Regelung im Interesse der steuererhebenden Kommunen, dass schon kurze Zeit nach Beendigung eines Steuerjahres Rechtssicherheit herrscht und die Kommune nicht noch weiterhin mit Befreiungsanträgen und darauf gegebenenfalls folgenden Rückabwicklungen von Steuererhebungen für längst vergangene Steuerjahre rechnen muss. Zudem wird ein Anreiz bei den Steuerpflichtigen geschaffen, zur Vermeidung von Rechtsnachteilen (Fristablauf) der Anzeige- und Meldepflicht von Zweitwohnungen zeitnah nachzukommen und diese Wohnungen einer Veranlagung zuzuführen. Der Gesetzgeber hat dabei einen gewissen Gestaltungsspielraum insbesondere bei der Gewährung von Ansprüchen oder Vergünstigungen (wie hier der Gewährung von Steuerbefreiung) und kann bei seiner Regelung auf den „Normalfall“ eines sich rechtstreu meldenden und anzeigenden Steuerpflichtigen abstellen. Es ist nicht ersichtlich, dass für diese Fälle die vom Gesetzgeber gewählte Fristenregelung unzumutbar wäre (BayVGH, U.v. 26.1.2017 a.a.O.).
b) Einen insoweit beachtlichen Befreiungsantrag hat die Klägerin vorliegend mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 5. März 2018 im Rahmen ihres Widerspruchs gegen den Zweitwohnungsteuerbescheid der Beklagten vom 12. Februar 2018 (Neufestsetzung auf der Grundlage der geschätzten Nettokaltmiete) gestellt.
Dieser war in Bezug auf die Steuerjahre 2010 bis 2017 verspätet, denn er hätte jeweils bis Ende Januar des auf das jeweilige Steuerjahr folgenden Jahres eingereicht werden müssen.
Zwar hatte die Klägerin unter Hinweis auf ihren Renteneintritt eine Befreiung für die Jahre ab 2010 bereits mit Schreiben vom 2. Januar 2010 (sinngemäß) bzw. 6. Februar 2010 (ausdrücklich) beantragt. Dieser Antrag ist entgegen der Auffassung ihres Verfahrensbevollmächtigten aber nicht mehr „offen“. Denn die Beklagte hatte diesem Antrag bereits entsprochen und mit Bescheid vom 19. Februar 2010 die Zweitwohnungsteuer auf 0 Euro herabgesetzt. Der Antrag ist daher „verbraucht“; dass die Beklagte infolge der späteren Mitteilung über die kumulierten Ehegatteneinkünfte die Befreiungsvoraussetzungen nicht (mehr) als gegeben ansah und die Zweitwohnungsteuer mit Bescheid vom 29. Oktober 2010 (wieder) auf 374 Euro jährlich festsetzte, ändert hieran nichts.
c) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in die bezüglich der Jahre 2010 bis 2017 versäumten Fristen.
Da Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KAG verfahrensrechtlich nicht auf § 110 AO verweist, kommt eine Wiedereinsetzung allenfalls nach Art. 32 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG – in Betracht. Jedoch schließt Art. 32 Abs. 5 BayVwVfG die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in materiell-rechtliche Ausschlussfristen gerade aus. Zwar ist dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 bis 8 KAG ein Ausschluss der Wiedereinsetzung nicht ausdrücklich zu entnehmen; dies ist nach ständiger Rechtsprechung aber auch nicht erforderlich. Es genügt, wenn – wie hier durch das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Januar 2017 (a.a.O.) festgestellt – nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ein verspäteter Antragsteller materiell-rechtlich endgültig seine Anspruchsberechtigung verlieren soll (vgl. auch die Einzelbegründung im Gesetzgebungsverfahren B VI. zu § 1, LT-Drs. 15/10637 vom 9.5.2008).
Wie ausgeführt ist Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG kein für die Beklagte dispositives Recht. Fehlt es – aus welchen Gründen auch immer – an einem fristgerechten Antrag, können Entscheidungen nach Art. 3 Abs. 3 Sätze 2 bis 6 KAG nicht mehr ergehen.
d) Schließlich ist der Klägerin auch nicht ausnahmsweise im Wege einer sogenannten „Nachsichtgewährung“ Wiedereinsetzung in die in Bezug auf die Jahre 2010 bis 2017 versäumten Fristen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG zu gewähren.
Eine solche Nachsicht kommt nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht, um besonderen Härtefällen Rechnung zu tragen. Das ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung anzunehmen, wenn die Säumnis auf höherer Gewalt beruht oder auf ein rechts- oder treuwidriges staatliches Fehlverhalten bei der Anwendung von Rechtsvorschriften zurückzuführen ist, etwa wenn die Behörde durch eine falsche oder irreführende Rechts(behelfs) belehrung die verspätete Antragstellung gerade veranlasst hat (Huck in Huck/Müller, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auflage 2016, § 32 VwVfG Rn. 32; BVerwG, U.v. 28.3.1996 – 7 C 28/95 — juris, zu § 30 a VermG; vgl. auch U.v. 18.4.1997 – 8 C 38/95 – juris, zu § 27 SGB X; BayVGH, B.v. 19.1.2011 – 19 B 10.2714 – BeckRS 2011, 5..5433 Rn. 25 jeweils m.w.N.). Allein mangelnde Rechtskenntnis geht demgegenüber grundsätzlich zu Lasten des Säumigen (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1984 – 6 C 33.83 – Buchholz 238.90 Nr. 105).
Ein solcher Sachverhalt, der ausnahmsweise eine Nachsichtgewährung rechtfertigen könnte, ist vorliegend nicht gegeben. Weder ist ein qualifiziertes kausales Fehlverhalten der Beklagten darin ersichtlich, dass sie der Klägerin bzw. deren Ehemann unter dem 20. Oktober 2010 die Information gegeben hatte, dass es in Bezug auf die Einkommensgrenzen nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und 3 KAG bei Ehegatten nicht auf das jeweilige Einkommen des Zweitwohnungsinhabers ankomme, sondern auf das Gesamteinkommen (aa), noch ist der Beklagte in diesem Sinne vorwerfbar, dass sie die Klägerin im Anschluss an das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. November 2014 – 4 BV 13.1239 – (juris) über die Änderung ihrer Auslegung zu den Einkommensgrenzen nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und 3 KAG nicht explizit informiert hat (bb).
aa) Ob bei nicht getrennt lebenden Ehegatten die Summe der positiven Einkünfte beider Eheleute entscheidend sein oder ob bei jedem Ehegatten die Befreiungsgrenze 33.000 Euro betragen soll, lässt sich weder dem Gesetzeswortlaut des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 KAG noch der Gesetzesbegründung eindeutig entnehmen (BayVGH, U.v. 12.11.2014 a.a.O. Juris Rn. 27).
Die Beklagte hatte unter Bezugnahme auf einen Beitrag zu dieser Thematik in einer Fachzeitschrift für Kommunalverwaltungen (KommP BY 2008, 362/365; ebenso GK Bay 2008/230) im Rahmen einer systematischen Auslegung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und 3 KAG zunächst angenommen, dass es anders als bei Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht auf das jeweilige Einkommen des Zweitwohnungsinhabers ankomme, sondern auf das Gesamteinkommen beider. Auf dieser Basis handhabte die Beklagte auch ihre Verwaltungspraxis und gab entsprechende Auskünfte an die Steuerpflichtigen.
Diese Auslegung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 12. November 2014 für verfassungswidrig erklärt, da darin eine Diskriminierung der Ehe gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften zu sehen ist (BayVGH a.a.O. juris Rn. 31); nach Auffassung des VGH ist Art. 3 Abs. 3 Satz 3 KAG auch unter Beachtung des normgeberischen Willens verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die mit dieser Bestimmung bewirkte Erhöhung der allgemeinen Einkünftegrenze des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 KAG (25.000 Euro bzw. nunmehr 29.000 Euro) dann ausscheidet, wenn der nicht zweitwohnungsteuerpflichtige Ehegatte bzw. Lebenspartner über eigene Einkünfte verfügt, die den Erhöhungsbetrag von 8.000 Euro übersteigen (BayVGH a.a.O. juris Rn. 34).
Auch wenn sich vor diesem Hintergrund die Auskunft der Beklagten vom 20. Oktober 2010 in rückwirkender Betrachtung als inhaltlich unzutreffend darstellt, fehlt es insoweit am Umstand einer ihr vorwerfbare Treuewidrigkeit.
Eine fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes stellt als solche kein treuwidriges Verhalten einer Behörde dar; dies gilt vorliegend umso mehr, als auch das Verwaltungsgericht selbst in seiner Entscheidung vom 21. März 2013 – M 10 K 12.3768 – diese Auffassung der Beklagten zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und 3 KAG zunächst bestätigt hatte.
Hält ein Betroffener eine Gesetzesanwendung für rechtswidrig, steht ihm – gegebenenfalls nach Konsultation eines Anwalts – hiergegen der Rechtsweg offen; beschreitet er diesen nicht, kann er der Behörde nicht nachträglich treuwidriges Verhalten vorwerfen. Vielmehr ist er seiner eigenen Obliegenheit in Form der Rechtswegbeschreitung nicht nachgekommen.
bb) Entgegen der Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin war die Beklagte auch nicht verpflichtet, die Zweitwohnungsteuerpflichtigen (individuell) über die als Folge der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. November 2014 (a.a.O.) gebotene Änderung ihrer Verwaltungspraxis hinsichtlich der Befreiungsvoraussetzungen nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und 3 KAG ausdrücklich aufzuklären. Auch und gerade im Steuerrecht, das sich für die steuererhebende Behörde regelmäßig als Masseverfahren darstellt, obliegt es den Steuerpflichtigen regelmäßig selbst, sich über ihre Rechte, Pflichten und Ansprüche zu informieren. Dies gilt auch für gesetzliche Neuregelungen oder Änderungen sowie Änderungen der Rechtsprechung zu bestimmten Regelungsbereichen. Insbesondere bei komplizierten Sachverhalten erfasst diese Obliegenheit im Einzelfall auch, qualifizierte Hilfe etwa durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater in Anspruch zu nehmen.
Ungeachtet dessen hat die Beklagte nach Zustellung des vollständigen Urteils des Verwaltungsgerichtshofs in ihrer Rathaus-Umschau vom 14. Januar 2016 (also vor Ablauf der Antragsfrist nach Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG für 2015) und in ihrem Internetauftritt auf die Änderung ihrer Verwaltungspraxis als Folge der Beanstandung durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof hingewiesen.
e) Insgesamt bleibt es daher im Fall der Klägerin wegen ihrer verspäteten Antragstellung schlicht bei der Zweitwohnungsteuerpflicht nach der Zweitwohnungsteuersatzung (BayVGH, U.v. 26.1.2017 – 4 B 16.1541 – juris) und somit bei der Festsetzung im Bescheid vom 12. Februar 2018.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf den im Hilfsantrag begehrten Erlass der Zweitwohnungssteuer 2010 bis 2017 bzw. auf Verpflichtung der Beklagten zur Neuverbescheidung ihres Erlassantrags.
Die Beklagte hat in nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass die Voraussetzungen für eine solche Billigkeitsentscheidung nicht vorliegen.
Dabei kann dahinstehen, ob als maßgebliche Rechtsgrundlage für den begehrten Erlass Erlass hierbei Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. aa KAG i.V.m. § 163 Abs. 1 AO oder Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG. i.V.m. § 227 AO heranzuziehen ist. Systematisch regelt § 163 AO den Billigkeitserlass im Festsetzungsverfahren, § 227 AO betrifft das Erhebungsverfahren; die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen dieser beiden Vorschriften sind jedoch identisch (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: April 2019, § 163 AO Rn. 1): eine Steuer kann – im Rahmen einer Ermessensentscheidung – erlassen werden, wenn ihre Erhebung bzw. Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.
Die Unbilligkeit ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff, der in den Ermessensbereich hineinragt und damit zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung bestimmt (vgl. GmS-OGB, B.v. 19.10.1971 – GmS-OGB 3/70 – BVerwGE 39, 355/366).
Das Gericht hat insoweit im Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO zu prüfen, ob ein Ermessensfehler vorliegt, insbesondere ob die Klägerin den unbestimmten Rechtsbegriff „unbillig“ richtig erkannt und angewandt hat. Die Billigkeitsprüfung verlangt dabei eine Gesamtbetrachtung aller Normen, die für die Entstehung des Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind. Erst durch sie kann festgestellt werden, ob das Ergebnis des allgemeinen Gesetzesvollzugs mit der Einzelfallgerechtigkeit noch vereinbar ist.
Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte hier eine Unbilligkeit sowohl aus sachlichen als auch aus persönlichen Gründen zu Recht verneint.
a) Sachlich unbillig ist die Einziehung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zu-widerläuft, dass die Erhebung der Steuer unbillig erscheint; eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (vgl. ausführlich Oosterkamp in: Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand: 1.7.2018, § 227 AO Rn. 37 m.w.N.).
Die Fristenregelung in Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG dient, wie bereits ausgeführt, der Rechtssicherheit. Diesem Zweck würde es widersprechen, nach Fristablauf Befreiungen im Billigkeitswege zu ermöglichen. Es liegt somit gerade keine untypische bzw. vom Gesetzgeber nicht in Kauf genommene Unbilligkeit vor (BayVGH, U.v. 26.1.2017 – 4 B 16.1541 – juris Rn. 55). Der Billigkeitserlass ist kein Vehikel, gesetzlich klar festgelegte Ausschlussfristen zu umgehen (vgl. BayVGH, U.v. 26.1.2017 – 4 B 16.1541 – juris Rn. 53)
b) Ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen setzt Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit voraus. Erlassbedürftig ist der Steuerpflichtige, dessen wirtschaftliche oder persönliche Existenz im Fall der Versagung des Billigkeitserlasses gefährdet ist.
Die wirtschaftliche Existenz ist gefährdet, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann (BVerwG, U.v. 23.8.1990 – 8 C 42/88 – DVBl 1990, 1405).
Für eine solche Existenzgefährdung der Klägerin durch die Einziehung der mit Bescheid vom 12. Februar 2018 festgesetzten Zweitwohnungsteuer bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte. Soweit die Klägerin vortragen lässt, ihr Einkommen liege unterhalb des Grundfreibetrags nach dem Einkommensteuergesetz, führt dies nicht zu ihrer Leistungsunfähigkeit im Sinne einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung. Letzteres auch schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin mit der streitbefangenen Wohnung im Stadtgebiet der Beklagten Eigentümerin einer laut Grundbuchauszug unbelasteten Immobilie ist.
c) Da die Entscheidung der Beklagten über die Ablehnung des beantragten Erlasses gemessen an § 114 Satz 1 VwGO ermessensfehlerfrei war, ist eine Neuverbescheidung über den Erlassantrag der Klägerin nicht geboten.
3. Die Klage war insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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