Steuerrecht

Berechnungsgrundlage für Zweitwohnungssteuer

Aktenzeichen  M 10 K 19.94

Datum:
13.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30693
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 12
ZwStS § 5 Abs. 1
KAG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Änderungsbescheid über Zweitwohnungsteuer der Beklagten vom 28. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 4. Dezember 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für die Erhebung der Zweitwohnungsteuer durch die angefochtenen Bescheide ist die Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten vom 9. Mai 2018. Diese Satzung ist wirksam.
a) Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass dieser Zweitwohnungsteuersatzung findet sich in Art. 3 Abs. 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) i.V.m. Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG. Nach diesen Vorschriften können Gemeinden örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern erheben, solange und soweit diese nicht bundesrechtlich geregelten Steuern gleichartig sind. Die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer im Freistaat Bayern ist demgemäß grundsätzlich zulässig (vgl. ausführlich hierzu: BayVGH, U.v. 4.4.2006 – 4 N 04.2798 – BayVBl 2006, 500 ff.).
b) Die Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten vom 9. Mai 2018 ist formell wirksam. Fehler im Satzungserlassverfahren sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der zweite Bürgermeister fertigte die am 8. Mai 2018 durch den Stadtrat beschlossene Zweitwohnungsteuersatzung in Vertretung für den ersten Bürgermeister (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Gemeindeordnung – GO) am 9. Mai 2018 gemäß Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO aus. Die amtliche Bekanntmachung im Sinne von Art. 26 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 GO erfolgte durch Niederlegung in der Kämmerei im Rathaus sowie durch Bekanntgabe dieser Niederlegung durch Anschlag an allen Amtstafeln der Stadt im Zeitraum vom 14. Mai bis 5. Juni 2018.
c) Die Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten vom 9. Mai 2018 ist auch materiell wirksam. Die inhaltlichen Regelungen verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere ist der Steuersatz in § 5 Abs. 1 ZwStS rechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Das in § 12 ZwStS angeordnete rückwirkende Inkrafttreten der Satzung zum 1. Januar 2018 begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Im vorliegenden Fall ist eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig, da die Vorgängersatzung der Beklagten vom 28. September 2004 in der Fassung vom 6. Juli 2005 wegen eines unzulässigen Stufentarifs unwirksam war (vgl. die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu einer Satzung einer anderen Gemeinde mit identischer Stufentarifsregelung wie in der Satzung der Beklagten: BVerwG, U.v. 14.12.2017 – 9 C 3.17 – BeckRS 2017, 142398).
Der Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen steht in diesem Fall der Rückwirkung nicht entgegen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Satzungen neu und rückwirkend in Kraft gesetzt werden dürfen, wenn eine bereits bestehende Zweitwohnungsteuersatzung vom Verwaltungsgericht als nichtig angesehen wird, ohne dass ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes vorliegt. In diesen Fällen müssen die Inhaber von Zweitwohnungen im betreffenden Gemeindegebiet nämlich von Anfang an damit rechnen, zur Zweitwohnungsteuer herangezogen zu werden. Sie dürfen nicht berechtigt darauf vertrauen, wegen der vom Verwaltungsgericht festgestellten Nichtigkeit dieser Satzung künftig von der Zweitwohnungsteuer verschont zu werden (vgl. BayVGH, U.v. 23.2.2010 – 4 N 09.1960 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 30.4.2009 – 4 ZB 08.2317 – juris Rn. 9 f. m.w.N.).
Auch im konkreten Fall ist von einem schutzwürdigen Vertrauen der Steuerpflichtigen, das der rückwirkenden Erhebung entgegenstehen könnte, nicht auszugehen. Zwar ist die Vorgängersatzung nicht explizit von einem Verwaltungsgericht für nichtig erachtet worden. Aber das Bundesverwaltungsgericht hat eine identische Regelung des Steuersatzes wie in der Satzung der Beklagten für nichtig erachtet. Daraufhin hat die Beklagte im Januar 2018 gegenüber den Steuerpflichtigen im Stadtgebiet alle Zweitwohnungsteuerveranlagungen für das Jahr 2018 aufgehoben. Gleichzeitig hat sie in einem Informationsschreiben an alle Zweitwohnungsteuerpflichtigen im Stadtgebiet darauf hingewiesen, dass ihre Zweitwohnungsteuersatzung an die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angepasst werde und die Steuerpflichtigen daher im Lauf des Jahres 2018 einen neuen Zweitwohnungsteuerbescheid erhalten würden. Die Steuerpflichtigen mussten aufgrund dessen bereits im Zeitpunkt der Aufhebung ihrer Veranlagungen damit rechnen, erneut zur Zweitwohnungsteuer für das Jahr 2018 herangezogen zu werden.
Es ist auch mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip unbedenklich, dass mit der Rückwirkung eine Erhöhung der Steuer verbunden worden ist, weil der Mangel der Vorgängersatzung gerade in einem Fehler des Beitragssatzes lag, der rückwirkend beseitigt werden sollte (BayVGH, B.v. 30.4.2009, a.a.O. Rn. 10).
bb) Die Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten ist nicht deshalb rechtlich zu beanstanden, weil sie in §§ 2, 3 keine Ausnahme von der Steuerpflicht für bestimmte Personen oder Personengruppen normiert (vgl. zu diesen inhaltsgleichen Regelungen der Vorgängersatzung der Beklagten: BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.). Insbesondere ist geklärt, dass auch das Innehaben einer Zweitwohnung, das durch die Berufsausübung veranlasst wird, besteuerbar ist. Belastungsgrund für den steuerbaren Aufwand ist allein der im Konsum bestimmter Güter zum Ausdruck kommende äußere Eindruck einer besonderen Leistungsfähigkeit, ohne Rücksicht auf den persönlichen Anlass, den Grund oder das Motiv für den betriebenen Aufwand (grundlegend hierzu: BVerfG, B.v. 6.12.1983 – 2 BvR 1275/79 – juris Rn. 96 f.; vgl. auch: BVerfG, B.v. 11.10.2005 – 1 BvR 1232/00 u.a. – NJW 2005, 3556 (3557); BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 4 ZB 12.2053 – BeckRS 2013, 48110 Rn. 11 ff.). Eine Ausnahme besteht insoweit nur für Erwerbszweitwohnungen von Verheirateten, die nicht dauernd von ihrer Familie getrennt leben (vgl. BVerfG, B.v. 11.10.2005, a.a.O.).
cc) Der Steuermaßstab des § 4 ZwStS ist wirksam; insbesondere verstößt er nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 ZwStS wird die Steuer nach dem jährlichen Mietaufwand berechnet. Der jährliche Mietaufwand ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 ZwStS die Nettokaltmiete, die der Steuerpflichtige für die Benutzung der Wohnung aufgrund vertraglicher Vereinbarungen nach dem Stand im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerpflicht für ein Jahr zu entrichten hätte (Jahresnettokaltmiete). Nach § 4 Abs. 3 ZwStS ist die Nettokaltmiete für Wohnungen, die im Eigentum des Steuerpflichtigen stehen oder die dem Steuerpflichtigen unentgeltlich oder zu einem Entgelt unterhalb der ortsüblichen Miete überlassen sind, in der ortsüblichen Höhe anzusetzen. Sie wird von der Beklagten in Anlehnung an die Nettokaltmiete geschätzt, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird.
Der auf die Jahresnettokaltmiete abstellende Mietaufwand als Maßstab für die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in § 4 Abs. 1 ZwStS ist eine von der Rechtsprechung anerkannte Bemessungsgrundlage (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 29.1.2003 – 9 C 3/02 – NVwZ 2003, 753 (754); BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.). Hierbei besteht ein sachlicher Bezug zum Aufwand des Steuerpflichtigen, den er für seine Zweitwohnung für die persönliche Lebensführung tätigt.
Auch die Bemessung der Zweitwohnungsteuer anhand einer Schätzung der Nettokaltmiete in ortsüblicher Höhe gemäß § 4 Abs. 3 ZwStS ist nach der bayerischen Rechtsprechung zulässig (explizit zu dieser Regelung in der Vorgängersatzung der Beklagten: BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.). Es liegt im Ermessen der rechtsetzenden Gemeinde, auf welche Weise sie bei selbstgenutzten Eigentumswohnungen den jährlichen Mietaufwand ermittelt. Da für diese Wohnungen tatsächlich keine Mietausgaben anfallen und damit ein konkreter Anhaltspunkt für den jährlichen Mietaufwand nicht besteht, stellt die Schätzung der Nettokaltmiete in ortsüblicher Höhe eine geradezu zwingende Ermittlungsmethode dar (ausführlich hierzu: VG München, U.v. 12.12.2019 – M 10 K 18.5034 – juris Rn. 32 ff.; so im Ergebnis auch: VG München, B.v. 28.5.2019 – M 10 S 19.539 – juris; VG München, B.v. 22.1.2019 – M 10 S 18.1924; VG München, U.v. 26.1.2017 – M 10 K 16.1328 – juris; vgl. auch BayVGH, 7.5.2009 – 4 ZB 08.1342 – BeckRS 2009, 43257; BVerwG, U.v. 14.12.2017, a.a.O.).
dd) Die Höhe des Steuersatzes von 20% in § 5 Abs. 1 ZwStS ist rechtlich nicht zu beanstanden.
(1) Gegen die Höhe des Steuersatzes kann nicht eingewandt werden, dass die Beklagte mit der Anhebung des Steuersatzes auf 20% den nicht fiskalischen Zweck verfolgt, Zweitwohnsitze zurückzudrängen.
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass mit einer Steuer grundsätzlich Lenkungsziele jenseits des Zwecks der Einnahmeerzielung verfolgt werden dürfen. Nur wenn die steuerliche Lenkung nach Gewicht und Auswirkung einer verbindlichen Verhaltensregel nahekommt, die Finanzierungsfunktion der Steuer also durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter verdrängt wird, bietet die Besteuerungskompetenz keine ausreichende Rechtsgrundlage mehr (grundlegend hierzu: BVerfG, U.v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991-95 u. 2004-95 – NJW 1998, 2341 zur kommunalen Verpackungssteuer; s. auch: BVerfG, B.v. 15.1.2014 – 1 BvR 1656/09 – juris Rn. 49, 81 ff.).
Die mit einer Zweitwohnungsteuer verfolgten Lenkungszwecke, Wohnungsinhaber zur Ummeldung von Zweitin Hauptwohnsitze zu veranlassen und Wohnraum für Dritte freizumachen, ändern nach der Rechtsprechung nichts an ihrem Charakter als Steuer, weil die beabsichtigte Lenkung jedenfalls nicht die Wirkung einer verbindlichen Verhaltensregel entfaltet. Eine etwaige Ausweichreaktion hängt vielmehr maßgeblich vom Willen der Steuerpflichtigen ab (BVerfG, B.v. 15.1.2014, a.a.O. Rn. 50, 85; vgl. zu diesem zulässigen Lenkungszweck auch: BVerwG, B.v. 27.10.2003 – 9 B 102/03 – BeckRS 2003, 25337; explizit zur Vorgängersatzung der Beklagten: BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.). Auch die Eindämmung von sogenannten Rollladensiedlungen, die zur Verödung des Ortes beitragen können, ist legitimes kommunales Anliegen (BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.).
Der Lenkungszweck muss allerdings nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur: BVerfG, B.v. 15.1.2014, a.a.O. Rn. 83 m.w.N.) von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen sein. Dabei genügt es, wenn diese anhand der üblichen Auslegungsmethoden festgestellt werden kann; Lenkungszwecke können sich etwa aus den Gesetzesmaterialien ergeben.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der im konkreten Fall von der Beklagten verfolgte Zweck, Zweitwohnsitze zurückzudrängen, ein legitimes Ziel einer Zweitwohnungsteuererhebung. Dieser Lenkungszweck ist auch von einer erkennbaren Entscheidung der Satzungsgeberin getragen. Ausweislich der Satzungsunterlagen (Beschlussbuchauszug betreffend die Sitzung des Stadtrates vom 8.5.2018, Tagesordnungspunkt 5 mit Anlage) hat sich die Beklagte ausführlich mit der Notwendigkeit einer derartigen Lenkung auseinandergesetzt. Sie hat insbesondere dargelegt, dass die Anzahl von Zweitwohnsitzen im Stadtgebiet im Zeitraum zwischen 2008 und 2018 kontinuierlich (um 24%) zulasten des lokalen Wohnungsmarkts gestiegen ist. Darüber hinaus habe die Beklagte nur begrenzte Möglichkeiten, neues Bauland auszuweisen sowie städtebaulich nachzuverdichten.
(2) Die Höhe des Steuersatzes von 20% hat keine erdrosselnde Wirkung.
Hinsichtlich der Höhe des Steuersatzes hat der Satzungsgeber einen relativ großen Spielraum. Dieser Spielraum wird allerdings dann überschritten, wenn die Steuer erdrosselnde Wirkung hat. Die „Erdrosselungsgrenze“ stellt die äußerste Schranke der Besteuerung dar. Auch insoweit bietet die Besteuerungskompetenz keine ausreichende Rechtsgrundlage mehr, wenn die – grundsätzlich zulässige – steuerliche Lenkung nach Gewicht und Auswirkung einer verbindlichen Verhaltensregel nahekommt, die Finanzierungsfunktion der Steuer also durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter verdrängt wird. Dies ist der Fall, wenn der steuerpflichtige Vorgang (wirtschaftlich) unmöglich gemacht wird (stRspr, vgl. nur: BVerwG, U.v. 15.10.2014 – 9 C 8.13 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Wann eine „erdrosselnde“ Wirkung vorliegt, ist anhand der Umstände des Einzelfalles, insbesondere hinsichtlich der Verhältnisse in der konkreten Gemeinde zu beurteilen. Abzustellen ist nicht auf den individuellen, sondern auf den durchschnittlichen Steuerpflichtigen im Gemeindegebiet (BVerwG, U.v. 15.10.2014, a.a.O. Rn. 24). Hierbei kann der Umstand eine Rolle spielen, dass in einer Gemeinde bereits eine beachtliche Zahl von Zweitwohnungsinhabern zur Zweitwohnungsteuer veranlagt wird und sich diese Zahl in den letzten Jahren noch erhöht hat (vgl. BVerwG, U.v. 15.5.2014 – 9 B 57.13 – NVwZ-RR 1014, 657 (658) m.w.N.).
Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Zweitwohnungsteuersätze in einem Bereich bis zu einschließlich 20% des jährlichen Mietaufwands keine erdrosselnde Wirkung haben und damit keinen rechtlichen Bedenken unterliegen (BayVGH, U.v. 14.4.2011 – 4 B 10.2557 – BeckRS 2011, 53040 Rn. 22; BayVGH, B.v. 28.10.2009 – 4 ZB 08.1893 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 30.4.2009, a.a.O. Rn. 12; VG München, U.v. 14.1.2010 – M 10 K 09.1827 – juris Rn. 28; VG München, U.v. 28.9.2006 – M 10 K 06.2059 – BeckRS 2006, 18758; OVG Lüneburg, U.v. 20.6.2018 – 9 LB 124/17 – BeckRS 2018, 16931 Rn. 90; VGH Baden-Württemberg, B.v. 28.7.2020 – VGH 2 S 1474/20 – BeckRS 2020, 19106 Rn. 25; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 8.3.2018 – 2 LB 97/17 – juris Rn. 75; in diese Richtung auch, aber letztlich offen gelassen: OVG Lüneburg, B.v. 22.11.2010 – 9 ME 76/10 – NordÖR 2011, 80 (81); weiter gehend: VGH Baden-Württemberg, U.v. 24.6.2013 – 2 S 2116/12 – juris Rn. 44 ff. für Steuersätze in Höhe von 20%, 27,5% und 35%, s. Rn. 11-13).
Gemessen an diesen Maßstäben ist auch im vorliegenden Fall eine erdrosselnde Wirkung des Steuersatzes von 20% nicht anzunehmen.
Ausweislich der Satzungsunterlagen der Beklagten betrug im Stufentarifsmodell der Vorgängersatzung der Steuersatz im Eingang der jeweiligen Stufe 9% und an deren Ende 18%, mithin belief sich der durchschnittliche Steuersatz auf 12,85%. Da die Anzahl der Zweitwohnsitze im Stadtgebiet der Beklagten, wie bereits dargestellt, seit 2008 trotz dieses im Durchschnitt nicht unerheblichen Steuersatzes kontinuierlich angestiegen ist, ist nicht erkennbar, dass mit diesen Steuersätzen in der Vergangenheit eine prohibitive Wirkung im Hinblick auf das Halten einer Zweitwohnung verbunden gewesen wäre. Gegen eine erdrosselnde Wirkung spricht auch, dass nach der Einführung des Steuersatzes von 20% die Anzahl der Zweitwohnungen im Stadtgebiet der Beklagten nur leicht zurückgegangen ist (laut Pressemeldung vom 13.10.2020 unter https://www.br.de/nachrichten/meldungen/neu-moe-voraus-fuer-1310-zweitwohnungssteuer- …-100.html: Rückgang im Jahr 2019 von 450 auf 428 Zweitwohnungen, abgerufen im Internet am 16.10.2020; laut Pressemeldung vom 13.10.2020 unter https://www.br.de/nachrichten/bayern/erhoehte-zweitwohnungssteuer-in- …-wohl-zulaessig,SDI94jW/: Rückgang von 2019 auf 2020 von 442 auf 427 Zweitwohnungen, abgerufen im Internet am 16.10.2020; zum Vergleich: am 31.12.2016, also vor Einführung des 20-prozentigen Steuersatzes betrug die Anzahl der Zweitwohnungen im Stadtgebiet ausweislich der Satzungsunterlagen der Beklagten 464). Hinzu kommt, dass der Steuersatz von 20% des jährlichen Mietaufwands nicht unangemessen hoch ist im Hinblick auf die jährlichen Gesamtkosten für das Halten einer Zweitwohnung in …, bei der zumindest auch die (Miet-)Nebenkosten einzubeziehen sind.
Der diesbezügliche Einwand der Klagepartei, bei der erdrosselnden Wirkung sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Kosten von zwei Wohnsitzen zu tragen seien, ist nicht stichhaltig. Charakter der Zweitwohnungsteuer und Anknüpfungspunkt der Besteuerung ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, die gerade darin liegt, dass er es sich leisten kann, zwei Wohnungen zu finanzieren. Dieser Gesichtspunkt kann daher nicht als Argument für eine erdrosselnde Wirkung der Steuerhöhe eingewandt werden.
(3) Neben dieser Prüfung der erdrosselnden Wirkung ist eine gesonderte Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Steuersatzes von 20% nicht erforderlich. Da die „Erdrosselungsgrenze“ – wie bereits dargestellt – die äußerste Schranke der Besteuerung darstellt, besteht, wenn diese gewahrt wird, keine Notwendigkeit hierfür.
(4) Es begegnet auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass die satzungsmäßige Anhebung des Steuersatzes auf 20% in der Anwendung im Einzelfall zu einer Erhöhung der Steuer um bis zu 153,4% führen kann. Entscheidend ist die absolute Höhe der Steuer, insbesondere ob diese – wie hier nicht – erdrosselnd ist. Insoweit ist die aktuell gültige Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten für sich zu betrachten und nicht in Relation zu der Vorgängersatzung zu setzen, die überdies nichtig war.
(5) Durch die Steuersatzhöhe von 20% werden die Grundrechte aus Art. 14, Art. 12, Art. 2 Abs. 1 GG nicht verletzt.
Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 12 GG liegt nicht vor, da die Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten bereits keine objektiv berufsregelnde Tendenz verfolgt. Die Steuererhebung knüpft an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, nicht aber die Einkommenserzielung an.
Zwar stellt die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer als Auferlegung einer Geldleistungspflicht einen Eingriff in Freiheitsrechte des Steuerpflichtigen und seine persönliche Freiheitsentfaltung im vermögensrechtlichen Bereich dar. Aber es bedarf keiner Entscheidung, ob die Belastung des Klägers dabei an Art. 14 Abs. 1 oder an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen ist, da sich der Eingriff jedenfalls als verfassungsgemäß erweist. Denn er beruht auf einer gesetzlichen Grundlage, welche die Kompetenzordnung des Grundgesetzes wahrt und die Steuerpflichtigen nicht unverhältnismäßig belastet (vgl. zu diesen Anforderungen: BVerfG, B.v. 15.1.2014, a.a.O. Rn. 43 ff.).
Die von der Beklagten erhobene Zweitwohnungsteuer ist eine örtliche Aufwandsteuer im Sinne des Art. 3 Abs. 1 KAG i.V.m. Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG. Wie bereits dargelegt, bietet diese (grund-)gesetzliche Besteuerungskompetenz im konkreten Fall eine ausreichende Rechtsgrundlage, da die Finanzierungsfunktion der Steuer nicht durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter verdrängt wird. Auch eine unverhältnismäßige Belastung liegt hier nicht vor, da die Steuer, wie bereits aufgezeigt, zwar (zulässigerweise) drosselt, aber nicht erdrosselnd ist.
ee) Im Übrigen werden Bedenken gegen die Wirksamkeit der Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten vom 9. Mai 2018 weder geltend gemacht noch sind Rechtsfehler ersichtlich, vgl. hierzu BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O., wonach die – abgesehen von der Stufentarifsregelung in § 5 Abs. 1 – inhaltsgleichen Regelungen der §§ 1-7 der Vorgängersatzung der Beklagten unbeanstandet geblieben sind.
Insbesondere begegnet die Regelung in § 6 Abs. 1 ZwStS, nach der die Steuer als Jahressteuer erhoben wird und der Besteuerungszeitraum das Kalenderjahr ist, keinen rechtlichen Bedenken, gleichwohl eine explizite Regelung über den nur anteiligen Besteuerungszeitraum fehlt, wenn die Steuerpflicht nicht während des gesamten Kalenderjahres besteht. Allerdings regelt § 6 Abs. 2 Satz 2 ZwStS das unterjährige Entstehen der Steuerpflicht und § 6 Abs. 3 ZwStS das Ende der Steuerpflicht mit Ablauf des Kalendermonats, in dem die Zweitwohnungseigenschaft entfällt. Zudem stellt § 7 Abs. 1 Satz 1 ZwStS klar, dass, wenn die Steuerpflicht erst während des Kalenderjahres entsteht, die Steuer nur für den Rest des Kalenderjahres durch Bescheid festgesetzt werden darf. Schließlich regelt § 7 Abs. 3 ZwStS die anteilige Rückerstattung im Fall der Beendigung der Steuerpflicht. In Auslegung und Gesamtbetrachtung dieser Vorschriften ist klar, dass im Fall einer nicht während des gesamten Kalenderjahres bestehenden Steuerpflicht die Zweitwohnungsteuer auch nur anteilig für die Monate des Bestehens der Steuerpflicht erhoben werden darf, auch wenn in § 7 Abs. 1 Satz 1 ZwStS nur auf das unterjährige Entstehen, nicht aber auf das nur jahresanteilige Bestehen der Steuerpflicht abgestellt wird.
2. Die Beklagte hat die Zweitwohnungsteuersatzung vom 9. Mai 2018 auf den konkreten Fall auch zutreffend angewandt.
a) Der Kläger, der in Leinfelden-Echterdingen seinen Hauptwohnsitz hat, hat die Wohnung im Stadtgebiet der Beklagten zur persönlichen Lebensführung im Sinne des § 2 Satz 1 ZwStS seit 15. Juni 2015 inne. Wie bereits ausgeführt, steht dem auch nicht entgegen, dass es sich um eine berufsbedingte Zweitwohnung handelt.
b) Aufgrund dessen ist er auch richtiger Steuerpflichtiger im Sinne des § 3 Abs. 1 ZwStS.
c) Die Beklagte hat die Steuer gemäß §§ 4 Abs. 1 und 5 Abs. 1 ZwStS richtig berechnet.
d) Die Steuer ist gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 ZwStS entstanden. Auch die Festsetzung für die Folgejahre begegnet nach § 7 Abs. 1 Satz 2 ZwStS, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 KAG keinen rechtlichen Bedenken. Die Fälligkeitsregelungen in § 7 Abs. 2 Satz 2 ZwStS und Art. 12 Abs. 1 Satz 2 KAG wurden beachtet.
e) Der Steuerfestsetzung steht auch nicht ein Anspruch auf Befreiung wegen geringen Einkommens nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 KAG entgegen. Abgesehen davon, dass die Befreiungsvoraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 ff. KAG im Steuerfestsetzungsverfahren nicht automatisch mit geprüft, sondern auf Antrag in einem eigenständigen Verfahren geprüft werden (s. hierzu ausführlich: VG München, U.v. 11.10.2018 – M 10 K 17.5157 – juris), hat der Kläger nach Aktenlage jedenfalls einen solchen Antrag nicht gestellt.
f) Die Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer verstößt im konkreten Fall auch nicht gegen Art. 6 GG.
Soweit der Kläger geltend macht, Art. 6 GG werde verletzt, weil er seinen Hauptwohnsitz in … wegen seiner dort wohnhaften Lebensgefährtin aufrechterhalten müsse, ist der Schutzbereich des Art. 6 GG bereits nicht eröffnet. Lebensgefährten sind vom Schutzbereich des Grundrechts auf Ehe und Familie nicht erfasst (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2011 – 4 ZB 10.2987 – BeckRS 2011, 30398 Rn. 4).
Soweit der Kläger einen Verstoß gegen Art. 6 GG im Hinblick auf die Notwendigkeit behauptet, sich am Wochenende um seine kranke Schwester und seine Eltern kümmern zu müssen, ist bereits fraglich, ob der Schutzbereich von Art. 6 GG eröffnet ist. Zwar werden grundsätzlich von Art. 6 GG auch Eltern und nahe Verwandte in der Seitenlinie erfasst, allerdings nur, falls zwischen ihnen tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte engere Beziehungen bestehen (Uhle in BeckOK GG, 44. Ed. 15.8.2020, Art. 6 Rn. 14 f.). Dass solche engeren Beziehungen des Klägers zu seinen Eltern und seiner Schwester bestehen, ist nicht (substantiiert) vorgetragen. Es wird lediglich geltend gemacht, dass der Kläger seinen Verwandten am Wochenende helfe. Diese Frage kann jedoch im Ergebnis offenbleiben.
Jedenfalls liegt ein Verstoß gegen Art. 6 GG nicht vor, weil der Kläger melderechtlich nicht gezwungen ist, seinen Zweitwohnsitz in … anzumelden.
Nach § 21 Abs. 2 Bundesmeldegesetz (BMG) ist Hauptwohnung die vorwiegend benutzte Wohnung des Einwohners. Gemäß § 21 Abs. 3 BMG ist Nebenwohnung jede weitere Wohnung des Einwohners im Inland. Nach § 22 Abs. 1 BMG ist Hauptwohnung eines verheirateten oder eine Lebenspartnerschaft führenden Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seiner Familie oder seinem Lebenspartner lebt, die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie oder der Lebenspartner. Gemäß § 22 Abs. 3 BMG ist in Zweifelsfällen die vorwiegend benutzte Wohnung dort, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt.
Im vorliegenden Fall könnte der Kläger seinen Hauptwohnsitz gemäß § 21 Abs. 2 BMG in … anmelden, da er sich wegen seiner Arbeit dort zeitlich überwiegend aufhalten und dies damit die vorwiegend benutzte Wohnung sein dürfte. Insofern ist auch nichts Gegenteiliges vorgetragen. Auf diese Weise könnte er daher, wenn er seinen bisherigen Hauptwohnsitz als Nebenwohnsitz beibehalten will, der Zweitwohnungsteuerpflicht entgehen, da … keine Zweitwohnungsteuer erhebt.
Insoweit ist die vorliegende Konstellation anders gelagert als bei Erwerbszweitwohnungen von Verheirateten, die nicht dauernd von ihrer Familie getrennt leben. In diesen Fällen ist der Ehegatte, der die berufsbedingte Zweitwohnung bewohnt, aufgrund des Melderechts gezwungen, die vorwiegend benutzte Familienwohnung als Hauptwohnung anzugeben (§ 22 Abs. 1 BMG). Die berufsbedingte Zweitwohnung muss daher aus melderechtlichen Gründen als Nebenwohnung geführt werden (§ 21 Abs. 3 BMG). Wenn eine solche „melderechtliche Zwangslage“ die Zweitwohnungsteuerpflicht auslöst, bewirkt dies einen Verstoß gegen Art. 6 GG (vgl. BVerfG, B.v. 11.10.2005, a.a.O.; BayVGH, B.v. 21.2.2013, a.a.O. Rn. 7, 9).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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