Steuerrecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen den Widerruf einer Gaststättenerlaubnis

Aktenzeichen  RN 5 S 17.190

Datum:
5.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
GG GG Art. 12 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
GastG GastG § 2 Abs. 1, § 15 Abs. 2, § 31
GewO GewO § 15 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Ist der Widerruf einer Gaststättenerlaubnis in seiner Intensität einem Berufsverbot vergleichbar, vermag die voraussichtliche Erfolglosigkeit der hiergegen gerichteten Anfechtungsklage die sofortige Vollziehung des Erlaubniswiderrufs allein nicht zu rechtfertigen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Erforderlich ist die aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls gewonnene zusätzliche Feststellung, dass die sofortige Vollziehbarkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter notwendig ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 30.01.2017 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17.01.2017 (Az.: 41-3/8231) wird hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen den Widerruf seiner Gaststättenerlaubnis.
Mit Bescheid vom 25.07.2014 wurde dem Antragsteller die Erlaubnis gem. § 2 Abs. 1 GastG zur Führung einer Schank- und Speisewirtschaft für die Gaststätte in B … („A …“) erteilt.
Mit Schreiben vom 18.11.2015 teilte die Gemeinde B … dem Landratsamt mit, dass der Antragsteller seiner Zahlungspflicht bezüglich des Fremdenverkehrsbeitrags und der Gewerbesteuer trotz mehrmaliger Aufforderung nicht nachgekommen sei und daher seinerzeit Rückstände i.H.v. ca. 16.600,00 EUR aufgelaufen sind. Die Gemeinde bat um Überprüfung des Antragstellers auf seine persönliche Zuverlässigkeit als Gewerbetreibender und regte den Widerruf der gaststättenrechtlichen Erlaubnis und die Einleitung eines „Gewerbeuntersagungsverfahrens“ an (Bl. 6 d.Beh.A.). Zum 04.03.2016 betrugen die Forderungen der Gemeinde noch 11.065 EUR (Bl. 47 d.A.).
Das Finanzamt 1 … bezifferte am 21.12.2015 die Rückstände in der Einkommensteuer, dem Solidaritätszuschlag und Säumniszuschlägen für das 4. Quartal 2015 mit insgesamt 11.347,50 EUR (Bl. 33 d.A.). Zum 15.02.2016 belief sich der Gesamtrückstand auf 22.341,31 EUR (Bl. 42 d.A.).
In einer Mitteilung der IHK vom 27.11.2015 wurden Rückstände im Kammerbeitrag mit 145,00 EUR (trotz zweifacher Mahnung) beziffert (Bl. 13 d.A.).
Der Rückstand bei der AOK betrug zum 30.11.2015 6.816,62 EUR. Der Antragsteller befand sich seit Mai 2007 permanent im Rückstand. Seither würden durch einen Vollziehungsbeamten wöchentlich Teilzahlungen in bar eingezogen. Bis zum 16.02.2016 hatten sich die Forderungen auf 5.637,96 EUR verringert (Bl. 14.d.A.).
Bei der Knappschaft Bahn See (Minijob-Zentrale) war am 11.12.2015 ein Betrag i.H.v. 164,23 EUR offen (Bl. 25 d.A.).
Die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe teilte am 02.12.2015 Gesamtrückstände von 3.229,24 EUR mit (Bl. 19 d.A.).
Mit Schreiben vom 07.03.2016 (zugestellt am 09.03.2016) wurde der Antragsteller hinsichtlich des beabsichtigten Widerrufs seiner Gaststättenkonzession angehört (Bl. 49 bis 52 d.A.).
In einem Anruf vom 16.03.2016 bezweifelte die Mutter des Antragstellers, die sich nach eigenen Angaben um die wirtschaftlichen Angelegenheiten ihres Sohnes kümmere, dass es aufgrund geringer Einnahmen im Winter bei unveränderten Personalkosten gelänge, sämtliche Verbindlichkeiten zum festgelegten Termin (17.06.2016) zu begleichen. Von Seiten des Landratsamts wurde darauf hingewiesen, dass bei größeren Verbindlichkeiten Zahlungsvereinbarungen akzeptiert werden, sofern der Kostenschuldner diese zuverlässig bedient und einhält. In einem weiteren Telefonat vom 09.06.2016 legte die Mutter des Antragstellers dar, dass die offenen Forderungen größtenteils beglichen werden konnten. Der Rückstand beim Finanzamt belaufe sich nunmehr auf einen Betrag in Höhe von 8.000,00 EUR und die Verbindlichkeiten gegenüber der Gemeinde B … würden alsbald gänzlich bezahlt. Weiterhin gelänge es bis zum 15.06.2016, die Forderungen gegenüber dem Finanzamt, der IHK etc. zu begleichen, so die Aussage (Bl. 55 und 56 d.A.).
Nach Mitteilung der Gemeinde B … vom 14.07.2016 waren bei der Gemeinde keine Rückstände mehr vorhanden (Bl. 58 d.A.).
Das Finanzamt bat am 30.08.2016 darum, das Widerrufsverfahren weiterzuverfolgen, da der Antragssteller mit seinen Rückständen und Erklärungen immer noch nicht in akzeptablem Maße auf dem Laufenden sei. Das Geld konnte nur mittels eines Vollziehungsbeamten beigetrieben werden. Der Rückstand belief sich auf 12.055,80 EUR (Hauptforderung: 9.991,85 EUR, Nebenforderung: 2.063,95 EUR). Zu diesem Zeitpunkt fehlten dem Finanzamt noch die Lohnsteueranmeldungen für Juni und Juli 2016 sowie die Umsatzsteuervoranmeldungen für selbige Monate. Bis zum 14.10.2016 war die Steuerschuld auf insgesamt 27.272,80 EUR (Hauptforderung: 24.933,85 EUR, Nebenforderungen: 2.338,95 EUR) angewachsen. Es fehlten weiterhin die Lohnsteuervoranmeldungen ab 06/16, Schätzungen mussten für 06/16, 07/16, und 08/16 durchgeführt werden. Am Zahlungsverhalten habe sich nichts geändert. Jahressteuererklärungen lägen lediglich bis einschließlich dem Jahr 2014 vor (Bl. 59 bis 61 d.A.).
Zum 06.09.2016 betrug der Rückstand bei der lHK noch 5,00 EUR (Bl. 67 d.A.)
Die AOK 1 … bezifferte am 06.09.2016 die offenen Zahlungen auf 4.617,00 EUR. Am Zahlungsverhalten habe sich seither nichts geändert (Bl. 62 d.A.). Der Rückstand bei der AOK erhöhte sich bis zum 04.10.2016 auf 4.782,89 EUR und wuchs bis zum 25.10.2016 auf 9.155,46 EUR an. Aufgrund zwischenzeitlich vorgelegter Beitragsnachweise (höher als ursprüngliche Schätzung) wurde von einer Reduktion um 6.000,00 EUR ausgegangen (Bl. 82 d.A.).
Die Rückstände bei der Knappschaft Bahn See (Minijob-Zentrale) für die Zeit vom 01.06.2016 bis zum 31.08.2016 beliefen sich laut Schreiben vom 13.09.2016 auf 1.598,31 EUR. Ein weiterer Anstieg der offenen Beitragsforderung sei aufgrund weiterhin laufender monatlicher Forderungen zu erwarten. Für die Monate Juli und August wurden die Beitragshöhen von Amts wegen geschätzt, da der Antragsteller als Arbeitgeber seiner Nachweispflicht nicht nachkam (Bl. 74 d.A.).
Auch gegenüber der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe wies das Beitragskonto des Antragstellers zum 07.09.2016 einen Gesamtrückstand von 417,21 EUR auf. Eine weitere Erhöhung sei zu erwarten. Beitragszahlungen gingen erst im Zuge von eingeleiteten Zwangsmaßnahmen ein. Die Beitragsforderung bei der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe i.H.v. 417,21 EUR war zum 11.10.2016 weiterhin zur Zahlung fällig und wurde bereits angemahnt (Bl. 77 d.A.).
Mit Schreiben vom 31.10.2016 (zugestellt am 02.11.2016) wurde gegenüber dem Antragsteller die unzureichende Situation dargelegt und er nochmals hinsichtlich des beabsichtigten Widerrufs angehört (Bl. 85 bis 86 d.A.).
Die Mutter des Antragstellers äußerte sich in einem Ferngespräch am 15.11.2016 erneut. Inzwischen sei ein neuer Steuerberater gefunden, dieser sei dabei, die steuerlichen Probleme in Ordnung zu bringen. Von Seiten des Landratsamts wurde dargelegt, dass das Hauptproblem im Erklärungsverhalten und den Zahlungsrückständen gegenüber dem Finanzamt gesehen werde. Es wurde angeregt Zahlungsvereinbarungen mit dem Finanzamt sowie der AOK abzuschließen (Bl. 90 d.A.).
Die Rückstände beim Finanzamt waren zum 03.01.2017 auf einen Betrag in Höhe von 61.453,48 EUR (Hauptforderung: 57.911,53 EUR, Nebenforderung/Säumniszuschläge: 3.541,95 EUR) rapide angewachsen. Zumindest bis zum Erlass des Widerrufsbescheides wurden keinerlei Zahlungsvereinbarungen mit dem Finanzamt geschlossen. Es ist weder zu einer Kontaktaufnahme noch zu einer Antragstellung gekommen. Bis auf das Jahr 2015 wurden alle Jahressteuererklärungen eingereicht. Weiterhin fehlten die Umsatzsteuervoranmeldung für die Zeitdauer von Juni bis September 2016. Die Anmeldungszeiträume wurden geschätzt. Zuletzt ist am 17.11.2016 ein Betrag in Höhe von 1.507,09 EUR eingegangen. Übrige Zahlungen wurden von Herrn … zwangsweise vom Vollziehungsbeamten des Finanzamtes beigetrieben. Am 03.11.2016 hatte dieser 3.300,00 EUR eingenommen (Bl. 100 bis 104 d.A.).
Die offenen Beiträge bei der AOK beliefen sich am 11.01.2017 auf einen Betrag in Höhe von 9.235,21 EUR. Auch mit der Krankenkasse wurde zwischenzeitlich keine Zahlungsvereinbarung geschlossen. Darüber hinaus hat sich das Zahlungsverhalten des Herrn … nicht geändert. Nach wie vor erfolgt wöchentlich eine Bareinzahlung mittels des Vollziehungsbeamten.
Bei der Knappschaft Bahn See (Minijob-Zentrale) erhöhten sich die Forderungen aus Pauschalabgaben aus geringfügiger Beschäftigung und Umlagebeiträgen einschließlich Nebenforderungen für die Zeit vom 01.09.2016 bis 31.12.2016 nach Mitteilung vom 02.01.2017 auf 2.145,52 EUR. Aufgrund weiterhin laufender monatlicher Beitragsforderungen ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen (Bl. 107 d.A.).
Mit Bescheid vom 17.01.2017 (Bl. 101 bis 119) wurde
1.die im Antragssteller erteilte Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft widerrufen,
2.verfügt, dass der Betrieb der unter Nummer 1 genannten Gaststätte innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung dieses Bescheides einzustellen ist. Im Falle der Aussetzung der Vollziehbarkeit ist das Lokal binnen zwei Wochen nach erneuter Vollziehbarkeit zu schließen,
3.die sofortige Vollziehung der Nummern 1 und 2 dieses Bescheides angeordnet und
4.für den Fall der Nichtbefolgung der unter Nummer 2 dieses Bescheides verfügten Anordnung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500 EUR angedroht.
Dieser Bescheid wurde dem Adressaten laut Postzustellungsurkunde am 18.01.2017 (Bl. 125 bis 126 d.A.) zugestellt.
Zur Begründung stützte sich dieser Bescheid insbesondere auf die Höhe der Steuerrückstände einschließlich des kürzlichen rapiden Anstiegs. Auf Anregungen der Behörde zum Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung ging der Kläger zudem nicht ein. Daneben stützten sein weiteres Zahlungsverhalten sowie die Tatsache, dass er seinen Erklärungs- und Zahlungspflichten kaum jemals freiwillig nachkam, den Bescheidserlass. Zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nahm der Antragsgegner im Wesentlichen in den Bescheid auf, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung überwiege, da der weitere Betrieb unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit und der Gefährdung zum Beispiel des Verpächters des Lokals oder der Geschäftspartner nicht hingenommen werden kann. Nur durch Anordnung des Sofortvollzuges könne gewährleistet werden, dass die bestehenden Steuer- und Beitragsrückstände nicht weiter anwachsen. Daher müsse diese Maßnahme trotz ihres einschneidenden Charakters im Interesse der Allgemeinheit getroffen werden.
Am 30.01.2017 ließ der Antragssteller im Verfahren RN 5 K 17.178 Klage gegen diesen Bescheid erheben und am 01.02.2017 im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 30.01.2017 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17.01.2017 (Az.: 41-3/8231) wird im Hinblick auf Ziffern 1 und 2 wiederhergestellt.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgebracht, dass ein vorläufiges Berufsverbot während des Hauptsacheverfahrens in Form der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eine Verletzung der Berufsfreiheit darstelle, da aufgrund nunmehr fließender Zahlungen eine Gefährdung der Allgemeinheit jedenfalls für die Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht vorliege. Zudem sei die Anordnung des Sofortvollzuges formell rechtswidrig, da zu Begründung nur Selbstverständlichkeiten vorgetragen würde, aber keine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses stattfände.
Unter dem 01.02.2017 gewährte das Finanzamt (nach Verhandlung und adressiert an einen neu beauftragten Steuerberater) einen Vollstreckungsaufschub folgenden Inhalts: die näher bezeichneten Rückstände von Lohnsteuer und Umsatzsteuer bis einschließlich Dezember 2016 im Gesamtbetrag von 52.295,56 EUR sollten bis 28.04.2017 in vier Raten (jeweils durch Kassenpfändung) von einmal 30.000 EUR, zweimal 7.538,58 EUR und einmal dem verbleibenden Restbetrag getilgt werden. Laufende steuerliche Erklärungs- und Anmeldungspflichten sollten erfüllt werden, ebenso wie laufend fällig werdende Abgaben und die Steuererklärungen 2015 sollte bis 28.02.2017 abgegeben werden. Sollte eine der Bedingungen nicht eingehalten werden, wäre der gesamte Vollstreckungsaufschub hinfällig.
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 02.02.2017:
Der Antrag wird abgewiesen.
Zur Begründung wurden im Wesentlichen der oben bezeichnete Sachverhalt und die Bescheidsbegründung wiederholt. Trotz eines Dreivierteljahres an entsprechenden Zusagen sei es dem Antragssteller nicht gelungen, seine finanziellen Verhältnisse nachhaltig zu ordnen. Zuletzt hätten sich die Verbindlichkeiten gegenüber den Hauptgläubigern in erheblichem Maße erhöht. Dies obwohl der Vollziehungsbeamte des Sozialversicherungsträgers seit mehreren Jahren wöchentliche Teilzahlungen vor Ort einziehe. Die Nichtzahlung von (treuhänderisch einbehaltener) Umsatzsteuer und Krankenkassenbeiträgen würde schwer wiegen, da sie direkt zulasten der Gemeinschaft der Steuerpflichtigen bzw. der Versicherten gehen.
Laut Quittung des Finanzamts 1 … vom 03.02.2017 wurden auf einen Vollstreckungsauftrag vom 02.02.2017 tatsächlich 30.000 EUR entgegengenommen. Am 28.02.2017 wurden aufgrund Vollstreckungsauftrags vom 23.02.2017 weitere 7.538,58 EUR entgegengenommen. Laut vorgelegten Kontoauszügen erfolgte am 09.02.2017 die Zahlung der Lohnsteuer für den Monat Januar in Höhe von 1.160,31 EUR und 13.02.2017 die Überweisung der Umsatzsteuer für Januar 2017 in Höhe von 8.498,46 EUR. Laut telefonischer Auskunft des Finanzamts vom 05.04.2017 wurde die vollständige Rate für März 2017 ebenfalls entgegengenommen, die bis Ende Februar abzugebende Steuererklärung wurde pflichtgemäß abgegeben. Nach deren Bearbeitung ergab sich ein Guthaben, welches sich mit der aktuell überfälligen und nicht fristgerecht gezahlten Umsatzsteuer für den Monat Februar 2017 verrechnen ließe und zu einer verbleibenden Forderung gegenüber dem Antragssteller von etwa 150 EUR führen würde. Hierüber werde der Steuerberater nunmehr informiert werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Hauptsacheverfahrens RN 5 K 17.178) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheides entfällt, da die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat. In einem derartigen Fall kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Es prüft grundsätzlich, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind (1.) und trifft im Übrigen eine eigene Ermessensentscheidung (2.). Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen.
1. Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs erfüllt die notwendigen Voraussetzungen aus § 80 Abs. 3 VwGO. Grundsätzlich muss die Begründung auf den konkreten Einzelfall abstellen und darf sich nicht mit „formelhaften“ Erwägungen begnügen (BayVGH, B.v. 30.10.2009, 7 CS 09.2606, juris Rn. 17). Die Begründung soll den Betroffenen einerseits in die Lage versetzen seine Rechte wirksam wahrnehmen zu können. Andererseits soll sie der Behörde den Ausnahmecharakter vor Augen führen und sie veranlassen genau zu prüfen, ob und warum ausnahmsweise der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsrechtsbehelfen durchbrochen werden soll (Kopp/Schenke, VwGO, 20.Aufl. 2014, § 80 Rn. 84 ff.). Die Behörde muss konkret die Gründe angeben, die dafür sprechen, dass die sofortige Vollziehung aufgrund erheblicher öffentlicher Interessen notwendig ist und warum dahinter die Interessen des Betroffenen zurückstehen müssen. Ein Abstellen auf die Gesichtspunkte, die den Grundverwaltungsakt selbst rechtfertigen, ist nicht ausreichend. Allerdings können bei gleichartigen Tatbeständen auch gleiche oder „gruppentypisierte“ Begründungen ausreichen. Gerade dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass nach ihrer Auffassung diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt (BayVGH B.v. 27.10.2005, Az 11 CS 05.1967, juris Rn. 13; BayVGH B.v. 13.10.2006 – Az. 11 CS 06.1724).
Hier hat der Antragsgegner in knapper, aber ausreichender Begründung zutreffend darauf abgestellt, dass ohne Sofortvollzug die konkrete Gefahr bestehe, dass die Steuerrückstände weiter anwachsen könnten, wenn der Antragsteller sein Gewerbe bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter ausüben würde. Zudem hat die Behörde auf die Gefahr weiterer Vermögensgefährdungen anderer Gläubiger hingewiesen. Diese Erwägungen sind aus formeller Sicht nicht zu beanstanden. Ob diese Gründe auch inhaltlich zutreffen, ist bei der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit der Vollzugsanordnung unbeachtlich (Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, § 80 Rn. 246). Zwar enthält diese Begründung einige „formelhafte“ Erwägungen, diese sind aber deshalb unschädlich, weil ein Widerruf einer Gaststättenerlaubnis wegen steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Rückstände ein typisierter Fall ist, der in der Verwaltungspraxis oft auftritt und deshalb auch eine „gruppentypisierte“ Begründung ausreichend ist (BayVGH, E.v. 13.10.2006 – Az. 11 CS 06.1724).
2. Zwar spricht einiges dafür, dass die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage des Antragstellers in der Hauptsache gering sind, weil der Widerruf der Gaststättenerlaubnis angesichts der hohen und vor Bescheidserlass weiter ansteigenden Steuerrückstände, sowie der andauernden Notwendigkeit, Zahlungen durch Vollziehungspersonal einzutreiben, voraussichtlich rechtmäßig ist und der Antragsteller deshalb nicht in seinen Rechten verletzt. Insbesondere spricht bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids viel für die Richtigkeit der Unzuverlässigkeitsprognose aufgrund der Nichterfüllung der mit dem Betreiben der Gaststätte zusammenhängenden steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten. Eine Ratenzahlungsvereinbarung sowie ein tragfähiges Sanierungskonzept hatte der Antragsteller nicht vorgelegt. Ein Wohlverhalten während des laufenden Widerrufsverfahrens gerade unter dem Eindruck behördlicher Maßnahmen reicht nicht (vgl. Ennuschat in Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, 8. Aufl. 2011, § 35 Rn. 58). Auch im Rahmen einer erneuten Erlaubniserteilung muss allein die vollständige Begleichung von Steuerrückständen nicht ausreichend sein, um eine erneute Zuverlässigkeit anzunehmen, etwa wenn dies zu Rückständen an anderer Stelle geführt hat, laufenden Verpflichtungen nicht nachgekommen wird oder weiterhin Zahlungen nicht aus eigener Initiative erfolgen.
Gleichwohl ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage begründet, weil im vorliegenden Fall dahinstehen kann, ob sich der angefochtene Widerruf der Gaststättenerlaubnis im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides voraussichtlich als rechtmäßig erweist und die Anfechtungsklage deshalb erfolglos bleiben wird (BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 22 CS 13.2348 – juris; B.v. 13.12.2011 – 22 CS 11.2428 – juris; OVG NRW, B.v. 24.6.2016 – 4 B 1087/15 – juris). Denn selbst eine voraussichtliche Erfolglosigkeit der Anfechtungsklage würde im vorliegenden Fall angesichts der weitreichenden Wirkungen des Erlaubniswiderrufs zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung nicht ausreichen. Der Widerruf, mit dem dem Antragsteller die aktuell ausgeübte gewerbliche Betätigung untersagt wird, ist in seiner das Grundrecht der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) beschränkenden Intensität einem Berufsverbot vergleichbar (BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 22 CS 13.2348 – juris mit Bezug auf BVerfG, B.v. 24.10.2003 – 1 BvR 1594/03 – NJW 2003, 3618). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Widerrufs einer Gaststättenerlaubnis erfordert im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtstaatsprinzip daher vielmehr die aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls gewonnene zusätzliche Feststellung, dass die sofortige Vollziehbarkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter notwendig ist. Denn effektiver Rechtsschutz ist nur dann gewährleistet, wenn für sofort vollziehbar erklärte Eingriffe in grundrechtlich gewährleistete Freiheiten noch einmal einer gesonderten – über die Beurteilung der zugrundeliegenden Verfügung hinausgehenden – Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof misst auf dieser Grundlage in seiner Rechtsprechung zum Gewerberecht in Fällen der vorliegenden Art dem Aufschubinteresse eines Antragstellers ein größeres Gewicht zu als dem Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 22 CS 13.2348 – juris; B.v. 13.12.2011 – 22 CS 11.2428 – juris; B.v. 10.11.2011 – 22 CS 11.1928 – GewArch 2012, 72, jeweils m.w.N. zur Rspr. des BVerfG; ebenso OVG NRW, B.v. 24.6.2016 – 4 B 1087/15 – juris; VGH BW, B.v. 27.1.2006 – 6 S 1860/05 – NVwZ-RR 2006, 395).
In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass für den Erfolg der erhobenen Hauptsacheklage zwar der Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids maßgeblich ist (BVerwG, Urteil vom 13. März 1973 – I C 36.71 – Rn.25). Insofern kommt es insbesondere für die Beurteilung der Zuverlässigkeitsprognose auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an. Die weitere Entwicklung kann aber – neben der Relevanz für die Wiedererlangung der Zuverlässigkeit – für die Beurteilung eine Rolle spielen, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich ist. Da der Schwerpunkt hier auf dem Verstoß gegen Zahlungspflichten gegenüber Trägern öffentlicher Belange liegt, hat insbesondere die Frage, ob der Schutz des diesbezüglichen Interesses der betreffenden Gläubiger bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens eine sofort vollziehbare Gewerbeuntersagung erfordert und ob ohne einen Sofortvollzug diese Interessen gefährdet wären, besonderes Gewicht (vgl. BayVGH, B.v. 13.12.2011 – 22 CS 11.2428 – juris; OVG NRW, B.v. 24.6.2016 – 4 B 1087/15 – juris).
Vorliegend zahlt der Antragssteller (wenn auch vereinbarungsgemäß nur durch Kassenpfändung durch einen Vollziehungsbeamten des Finanzamts) in erheblichem Maße die Steuerrückstände aufgrund einer mit dem Finanzamt (durch seinen Steuerberater) getroffenen Vereinbarung, sodass aktuell die Gefahr für öffentliche Kassen wegfällt bzw. jedenfalls erheblich reduziert ist. Auch Steuererklärungen werden überwiegend fristgemäß abgegeben. Vergleicht man die aktuell geringe Gefahr mit dem schweren Eingriff, den ein vorläufiges Berufsverbot darstellt, überwiegt daher das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs bis zur Hauptsacheentscheidung. Veränderungen in der Zahlungsmoral etwa nach Erlass dieser für den Antragssteller günstigen Entscheidung, können durch einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO Berücksichtigung finden.
3. Wird wie hier die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Widerruf der Gaststättenerlaubnis wiederhergestellt, da die Gefahr für die Allgemeinheit hinter den privaten Interessen zurücktritt, so führt diese Abwägung bezogen auf die Maßnahme nach § 31 GastG i.V.m. § 15 Abs. 2 GewO in Ziffer 2 des Bescheids zu dem gleichen Abwägungsergebnis. Schließlich würde die Anordnung der Betriebseinstellung, bliebe sie sofort vollziehbar, noch unmittelbarer zu einem präventiven Berufsverbot führen, was wie oben dargelegt vor dem Hintergrund der Verfassungsrechtsprechung im konkreten Fall nicht gerechtfertigt wäre.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die kraft Gesetzes nach Art. 21a Satz 1 VwZVG sofort vollziehbare Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 des Bescheides ist dagegen nicht beantragt. Da jedoch seitens des Gerichts die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des Grundverwaltungsakts wiederhergestellt worden ist, fehlt die Vollstreckungsvoraussetzung des Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG, weshalb insoweit eine Beitreibung von Zwangsgeldern nicht möglich ist.
Nachdem der Antrag begründet ist, ergab sich die Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar auf der Homepage des BVerwG), dessen Empfehlungen die Kammer folgt. Nach Nr. 54.2.1 beträgt der Streitwert 15.000 EUR. Im Eilverfahren war dieser Streitwert nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren.


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