Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit

Aktenzeichen  M 16 K 16.1175

Datum:
20.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 6

 

Leitsatz

Aus Beitragsrückständen des Gewerbetreibenden gegenüber der Deutschen Rentenversicherung kann sich eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit iSv § 35 Abs. 1 S. 1 GewO auch dann ergeben, wenn sich die Beitragsrückstände aus einer Schätzung ergeben. Kommt der Gewerbetreibende seinen Erklärungspflichten nicht nach, ist die auf der Grundlage einer Schätzung festgesetzte Beitragsschuld nicht von anderer rechtlicher Qualität und daher im Rahmen des § 35 GewO nicht anders zu würdigen als eine Beitragsschuld, die sich aus exakt ermittelten Grundlagen ergibt (Anschluss an BVerwG BeckRS 9998, 46681; vgl. auch BVerwG BeckRS 1996, 31225272). (redaktioneller Leitsatz)
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden als Grundlage der Gewerbeuntersagung ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Anschluss an BVerwG BeckRS 1995, 31220646); nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (Anschluss an VGH München BeckRS 2012, 59081 Rn. 15; vgl. für den Fall von Sanierungsbemühungen zum Erfordernis eines tragfähigen Sanierungskonzepts auch VGH München BeckRS 2016, 52322). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers über die Sache verhandeln und entscheiden, da der Kläger nachweislich der Zustellungsurkunde vom 3. August 2016 ordnungsgemäß geladen wurde und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid vom 15. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Klage ist zulässig. Zwar hat der Kläger die Klage beim sachlich unzuständigen Amtsgericht München erhoben. Da die Klage jedoch innerhalb der offenen Klagefrist beim sachlich unzuständigen Amtsgericht München erhoben wurde und von diesem Gericht an das zuständige Verwaltungsgericht München verwiesen worden ist, gilt die Klagefrist als gewahrt, auch wenn die Klage erst nach Ablauf der Klagefrist am 10. März 2016 beim Verwaltungsgericht München einging. Das folgt aus § 17b Abs. 1 S. 2 Gerichtverfassungsgesetz (GVG) und aus § 83 S. 1 VwGO, nach denen die Wirkungen der beim unzuständigen Gericht eingetretenen Rechtshängigkeit nach der Verweisung erhalten bleiben.
Das Gericht sieht gemäß § 117 Abs. 5 VwGO von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und folgt der zutreffenden Begründung des Verwaltungsakts vom 19. November 2015.
Das Gericht weist ergänzend darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung ein Gewerbetreibender dann im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO gewerberechtlich unzuverlässig ist, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit des Klägers ergibt sich aus dessen mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, die sich in entsprechenden Eintragungen im Vollstreckungsportal manifestiert, und dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei der DRV. Nach ständiger Rechtsprechung ist unerheblich, ob sich Beitragsrückstände bei der DRV aus geschätzten oder aus exakt ermittelten Grundlagen ergeben. Müssen Beitragsgrundlagen, weil der Kläger seinen Erklärungspflichten nicht nachkommt, geschätzt werden, so ist die auf dieser Grundlage festgesetzte Beitragsschuld nicht von anderer rechtlicher Qualität und daher im Rahmen des § 35 GewO nicht anders zu würdigen als eine Beitragsschuld, die sich aus exakt ermittelten Grundlagen ergibt (vgl. etwa BVerwG, B.v. 29.1.1988 – 1 B 164/87 – juris Rn. 4). Auch die erweitere Gewerbeuntersagung ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO sind erfüllt. Der Kläger ist gewerbeübergreifend unzuverlässig, da er bereits mit der fortlaufenden Verletzung von Zahlungspflichten gegenüber der DRV Pflichten verletzt hat, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger künftig keine anderweitige Tätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ausüben wird. Die Beklagte hat das ihr im Rahmen des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO zustehende Ermessen ausgeübt. Die Ermessensausübung der Beklagten begegnet keinen Bedenken.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit, welche Grundlage der Gewerbeuntersagung ist, ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris; BVerwG, B.v. 16.6.1995 – 1 B 83/95 – juris). Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2012 – 22 ZB 12. 888 – juris). Unabhängig davon hätten auch die nunmehr nach neuer Sachlage vorhandenen Beitragsrückstände in Höhe von EUR 9.798,53 und die nach wie vor vorhandenen Eintragungen im Vollstreckungsportal die Annahme einer Unzuverlässigkeit des Klägers und damit eine (erweiterte) Gewerbeuntersagung gerechtfertigt.
Die festgesetzte Verwaltungsgebühr in Höhe von EUR 450,00 bewegt sich innerhalb des einschlägigen Gebührenrahmens, der von EUR 50,00 bis EUR 2000,00 reicht (vgl. Tarif-Nr. 5.III.5/15 des Kostenverzeichnisses). Rechtliche Bedenken gegen die Höhe der Gebühr bestehen nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 ff. ZPO.


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