Steuerrecht

Nachträgliche Rückgängigmachung eines Investitionsabzugsbetrags wegen Überschreitens des schädlichen Betriebsgrößenmerkmals

Aktenzeichen  9 K 253/18

Datum:
24.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22523
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
EStG § 7g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. a

 

Leitsatz

1. Stellt das Finanzamrt im Rahmen einer Außenprüfung fest, dass unentgetliche Gesellschafterdarlehen der Kommanditisten einer GmbH & Co. KG bislang nicht als Sonderbetriebsvermögen I behandelt wurden, ist ein wegen Überschreitens des Betriebsgrößenmerkmals zu Unrecht gebildeter Investitionsabzugsbetrag nachträglich im Jahr der Bildung rückgängig zu machen.
2. Das Finanzamt ist an eine in den Sonderbilanzen der Vorjahre unbeanstandet gebliebene – aber fehlerhafte – steuerliche Behandlung der Darlehen der Kommanditisten nicht gebunden.
3. Liegt eine fehlerhafte Bilanz einem Feststellungsbescheid zugrunde, der aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr geändert werden kann, so ist nach dem Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs der unrichtige Bilanzansatz grundsätzlich bei der ersten Gewinnfeststellung richtigzustellen, in der dies unter Beachtung der für die Eintritt der Bestandskraft und der Verjährung maßgeblichen Vorschriften möglich ist (BFH, Urteil vom 17. Juni 2019 IV R 19/16, BFHE 265, 217, BStBl II 2019, 614). Auch der Grundsatz der Bewertungsstetigkeit rechtfertigt nicht die Fortführung der fehlerhaften Nichtaktivierung eines Wirtschaftsgutes. Denn der Stetigkeitsgrundsatz hindert nicht, materiell rechtswidrige Bilanzen zu berichtigen, und kann insbesondere nicht rechtfertigen, dass ein fehlerhafter Bewertungsansatz fortzuführen ist (BFH, Urteil vom 16. Januar 2020 VI R 49/17, juris).

Gründe

1. Der Senat konnte auf die Beiladung der Kommanditisten BF und NF verzichten.
Klagt – wie im Streitfall – eine Personengesellschaft und geht es darum, ob ein Wirtschaftsgut zum Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters gehört und insoweit Sonderbetriebseinnahmen oder – ausgaben vorliegen, ist der betroffene Gesellschafter notwendig beizuladen (§ 60 Abs. 3 FGO; vgl. Levedag in: Gräber, Kommentar zu FGO, § 60 Rz. 59 „Sonderbetriebsvermögen, Sonderbilanz, Sonderbetriebseinnahmen, Sonderbetriebsausgaben, Sondervergütungen“).
Im Streitfall ist zwar die Zugehörigkeit der Gesellschafterdarlehen der Kommanditisten BF und NF zu deren Sonderbetriebsvermögen I streitig. Die Entscheidung führt aber wegen der Unverzinslichkeit der Darlehen nicht zu Sonderbetriebseinnahmen. Auch Sonderbetriebsausgaben sind nicht ersichtlich. Mangels steuerlicher Auswirkungen im Sonderbereich konnte die notwendige Beiladung daher unterbleiben.
2. Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung 2011, geändert durch Bescheides vom 24. November 2017, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2018, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -).
Zu Recht ist der Beklagte davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Bildung eines Investitionsabzugsbetrages gemäß § 7g EStG in der Fassung des Streitjahres nicht vorlagen. Insbesondere konnte der Investitionsabzugsbetrag deshalb nicht in Anspruch genommen werden, weil der Betrieb der Klägerin am Schluss des Wirtschaftsjahres, in dem der Abzug vorgenommen worden war, das Größenmerkmal des § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a EStG – Betriebsvermögen über 235.000 € – überschritten hatte.
a. Nach § 7g EStG können Steuerpflichtige für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgutes des Anlagevermögens bis zu 40% der voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnmindernd abziehen (Investitionsabzugsbetrag). Der Investitionsabzugsbetrag kann neben weiteren – hier nicht streitigen – Voraussetzungen nach § 7g Abs. 1 Satz 2 EStG nur in Anspruch genommen werden, wenn am Schluss des Wirtschaftsjahres, in dem der Abzug vorgenommen werden soll, der Betrieb eine bestimmte Größe nicht überschreitet. Bei Gewerbebetrieben, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ermitteln, liegt diese Grenze bei einem Betriebsvermögen in Höhe von 235.000 €. Nach § 52 Abs. 23 Satz 5 EStG wird dieser Grenzbetrag nur für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2008 und vor dem 01.01.2011 enden, auf 335.000 € angehoben. Bei Personengesellschaften und Gemeinschaften tritt an die Stelle des Steuerpflichtigen die Gesellschaft oder Gemeinschaft (§ 7g Abs. 7 EStG).
b. Bei dem Betriebsvermögen im Sinne von § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a EStG handelt es sich um das in der Steuerbilanz auszuweisende Kapitalkonto, das sich nach Ansatz der in der Steuerbilanz auszuweisenden Positionen ergibt. Bei Personengesellschaften ist neben dem Gesamtvermögen auch das Sonderbetriebsvermögen zu erfassen (vgl. BFH, Urteil vom 3. August 2017 IV R 12/14, BFHE 259, 104, BStBl. II 2018, 20).
aa. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind auch die Gesellschafterdarlehen der Kommanditisten BF und NF bei der Bestimmung des Betriebsvermögens zu erfassen.
Hat ein Gesellschafter gegen die Personengesellschaft eine Forderung, z.B. aus Darlehen, ist diese einkommensteuerlich – ebenso wie zivilrechtlich – nicht aufzuspalten in eine Forderung gegen sich selbst und die übrigen Gesellschafter. Solche Forderungen sind, soweit sie von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG erfasst werden, Sonderbetriebsvermögen I des Gesellschafters und in der Sonderbilanz zu aktivieren (BFH, Urteil vom 28. März 2000 VIII R 28/98, BFHE 191, 347, BStBl. II 2000, 347). In der Steuerbilanz der Gesellschaft steht ihnen eine Schuld (Fremdkapital) gegenüber (BFH, Urteil vom 12. Dezember 1996 IV R 77/93, BFHE 183, 379, BStBl. II 1998, 180), auch wenn der Kredit als gesellschaftsrechtlicher Beitrag gewährt ist (BFH, Urteil vom 13. Oktober 1998 VIII R 78/97, BFHE 187, 227, BStBl. II 1999, 163), oder das Darlehen eigenkapitalersetzend ist (BFH, Urteil vom 28. März 2000, a. a. O.). In der Gesamtbilanz sind sie Eigenkapital. Die Hingabe von Kapital ist danach Einlage, die Rückzahlung Entnahme. Dies gilt grundsätzlich – Ausnahme kein wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem Gesellschaftsverhältnis – unabhängig davon, ob die Forderung beim Gesellschafter an sich zu einem eigenen Betriebsvermögen gehören würde, das Kapital zu fremdüblichen oder nichtfremdüblichen Konditionen, z.B. niedrigverzinslich, unverzinslich, ungesichert überlassen wird und welcher Art die Gesellschafterforderung ist (vgl. Wacker in: Schmidt, Kommentar zum EStG, 39. Auflage 2020, Rz 540 mit weiteren Hinweisen auf die BFH-Rechtsprechung).
Forderung des Mitunternehmers und Schuld der Gesellschaft unterliegen dem Grundsatz der korrespondierenden Bilanzierung (vgl. Wacker in: Schmidt, 39. Auflage 2020, § 15 Rz. 541, 544).
bb. Der Wert des Betriebsvermögens ist eigenständig und ohne Bindung an die Steuerbilanzwerte zu ermitteln. Die Berechnung ist formlos vorzunehmen und erschöpft sich in der Regel in der Übernahme der Steuerbilanzwerte. Materielle Fehler selbst einer bestandskräftig veranlagten Steuerbilanz können daher zugunsten wie zu Ungunsten der Steuerpflichtigen für Zwecke der Inanspruchnahme des Investitionsabzugsbetrages korrigiert werden (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 18. November 2014, 7 K 543/14, EFG 2015, 1204; Niedersächsisches FG, Urteil vom 19. Dezember 2001, 2 K (XII) 589/97, EFG 2002, 747; Meier: in Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG/KStG, 282. Ergänzungslieferung, Stand Oktober 2017, § 7g EStG, Anm. 28; andere Ansicht Kulosa in: Schmidt, EStG, 39. Auflage 2020, § 7g Rz. 33).
cc. Hinsichtlich des Überschreitens dieses Größenmerkmals kommt es auf den Schluss des Wirtschaftsjahres an, in dem der Abzug vorgenommen wird. Wird durch eine spätere Betriebsprüfung das Betriebsvermögen für das Abzugsjahr über den Grenzbetrag hinaus erhöht, z. B. durch Nachaktivierung von Aufwendungen, entfällt nachträglich auch der Investitionsabzugsbetrag (vgl. Bruschke, DStZ 2008, 204, 206; Kulosa in: Schmidt EStG, 39. Auflage 2020, § 7g EStG, Rz. 32).
c. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechungsgrundsätze, denen der Senat folgt, sind entgegen der Auffassung der Klägerin die Gesellschafterdarlehen als Sonderbetriebsvermögen I bei der Bestimmung des Betriebsvermögens des Streitjahres zu berücksichtigen und führen zur Überschreitung der schädlichen Grenze mit der Folge der nachträglichen Rückgängigmachung des in Anspruch genommenen Investitionsabzugsbetrages.
aa. Entgegen der Auffassung der Klägerin war der Beklagte auch nicht an die in den Sonderbilanzen der Vorjahre unbeanstandet gebliebene – aber fehlerhafte – Handhabung der Darlehen der Kommanditisten gebunden.
Zwar ist der Grundsatz von Treu und Glauben, wonach jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht zu nehmen hat und sich zu seinem früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzen darf, auch im Steuerrecht anzuwenden (vgl. BFH-Urteil vom 29. März 2017 VI R 82/14, BFH/NV 2017, 1313 mit weiteren Nachweisen). Bei Veranlagungssteuern, wie der Einkommensteuer, bedeutet jedoch die unterschiedliche Behandlung eines gleichartigen Sachverhaltes in verschiedenen Veranlagungszeiträumen auch bei einem früheren nachhaltigen Verhalten weder einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz noch einen Verstoß gegen Treu und Glauben. Das Finanzamt ist daher an die Behandlung in einem früheren Veranlagungszeitraum nicht gebunden (vgl. BFH, Urteil vom 5. Dezember 1989 VI R 322/84, BFH/NV 1990, 499). Im Ertragssteuerrecht gilt vielmehr der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung; die Grundlagen für die Festsetzung der Einkommensteuer sind jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 Satz 2 EStG). Dies ermöglicht der Finanzbehörde in jedem Veranlagungszeitraum eine erneute Überprüfung und ggf. Änderung einer steuerlichen Würdigung aus früheren Veranlagungszeiträumen. Entsprechendes gilt für das Feststellungsverfahren.
Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf die für sie günstigere steuerrechtliche Behandlung der Gesellschafterdarlehen in den Vorjahren.
bb. Der Beklagte konnte danach den fehlenden Ansatz der Darlehensforderungen im Sonderbetriebsvermögen I der Kommanditisten BF und NF auch im Streitjahr 2011 korrigieren.
Liegt – wie im Streitfall – eine fehlerhafte Bilanz einem Feststellungsbescheid zugrunde, der aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr geändert werden kann, so ist nach dem Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs der unrichtige Bilanzansatz grundsätzlich bei der ersten Gewinnfeststellung richtigzustellen, in der dies unter Beachtung der für die Eintritt der Bestandskraft und der Verjährung maßgeblichen Vorschriften möglich ist (BFH, Beschluss vom 31. Januar 2013 – GrS 1/10 -, BFHE 240, 162, BStBl II 2013, 317; BFH, Urteil vom 17. Juni 2019 IV R 19/16, BFHE 265, 217, BStBl II 2019, 614). Auch der Grundsatz der Bewertungsstetigkeit rechtfertigt nicht die Fortführung der fehlerhaften Nichtaktivierung eines Wirtschaftsgutes. Denn der Stetigkeitsgrundsatz hindert nicht, materiell rechtswidrige Bilanzen zu berichtigen, und kann insbesondere nicht rechtfertigen, dass ein fehlerhafter Bewertungsansatz fortzuführen ist (BFH, Urteil vom 16. Januar 2020 VI R 49/17, juris).
Wegen der eingetretenen Bestandskraft in den Vorjahren bis 2010 konnte die Richtigstellung im ersten „offenen“ Jahr – im Streitjahr 2011 – erfolgen.
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.


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