Steuerrecht

Selbstentscheidung des abgelehnten Richters

Aktenzeichen  III B 122/16

Datum:
5.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2017:B.050417.IIIB122.16.0
Normen:
Art 101 Abs 1 S 2 GG
§ 51 Abs 1 S 1 FGO
§ 42 Abs 2 ZPO
§ 44 Abs 3 ZPO
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. NV: Der wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnte Richter darf nur unter engen Voraussetzungen selbst über diesen Antrag entscheiden. Die Selbstentscheidung ist vor dem Hintergrund der Garantie des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann und insoweit gerechtfertigt, wie die durch den gestellten Ablehnungsantrag erforderliche Entscheidung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens voraussetzt.
2. NV: Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen.
3. NV: Wird zu Unrecht im Urteil über ein Ablehnungsgesuch entschieden, kann dessen Zurückweisung das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter verletzen und im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren als Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 1 FGO geltend gemacht werden.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 16. Juni 2016, Az: 13 K 13224/15, Urteil

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. Juni 2016  13 K 13224/15 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

1
I. Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Haushalt das im Jahr 2000 geborene gemeinsame Kind der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und des Beigeladenen in den Monaten September und Oktober 2013 aufgenommen war. Mit Bescheid vom 27. November 2013 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für die Monate September und Oktober 2013 gegenüber der Klägerin auf und forderte den überzahlten Betrag von 368 € zurück. Zur Begründung berief sie sich darauf, dass der Beigeladene das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe. Der Einspruch blieb erfolglos.
2
In dem sich anschließenden Klageverfahren übersandte der vom Finanzgericht (FG) bestimmte Einzelrichter nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 16. Juni 2016 am 2. Juni 2016 ein Schreiben des Beigeladenen vom 30. Mai 2016 dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Kenntnis. Daraufhin beantragte der Prozessbevollmächtigte am 14. Juni 2016 die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung. Zur Begründung führte er aus, dass erst am 6. Juni 2016 das 14-seitige Schreiben des Beigeladenen unmittelbar vor seinem Urlaubsbeginn eingegangen sei. Aufgrund der urlaubsbedingten Abwesenheit habe er das Schreiben erst am 14. Juni 2016 zur Kenntnis nehmen können. Da er am 15. Juni 2016 einen ganztägigen Termin in X wahrnehmen müsse, könne er den Schriftsatz des Beigeladenen vor dem Verhandlungstermin am 16. Juni 2016 weder mit der Klägerin erörtern noch eine Stellungnahme dazu abgeben.
3
Das FG lehnte eine Terminverlegung mit der Begründung ab, erhebliche Gründe hierfür seien weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. In einem weiteren Schreiben vom 14. Juni 2016 vertrat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Auffassung, dass man von einer Stattgabe der Klage ausginge, weil keine Akteneinsicht gewährt worden sei. Diese habe man am 8. Januar 2016 beantragt, sofern das Gericht weitere Ausführungen für erforderlich halte. Das FG teilte daraufhin dem Prozessbevollmächtigten mit, dass Einschätzungen zu den Erfolgsaussichten der Klage vor Durchführung der mündlichen Verhandlung nicht gemacht werden könnten und die Kindergeldakte im Gericht eingesehen werden könne.
4
Am Tag der mündlichen Verhandlung ging um 9:56 Uhr ein Schreiben beim FG ein, mit dem der Prozessbevollmächtigte den Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte. Zur Begründung trug er vor, der Einzelrichter habe mit seinem Verhalten Hinweispflichten, das Recht auf rechtliches Gehör, das Recht auf ein faires Verfahren und das Akteneinsichtsrecht verletzt.
5
Das FG wies die Klage ab. In den Gründen des durch den Einzelrichter erlassenen Urteils wurde ausgeführt, dass der Rechtsstreit aufgrund der mündlichen Verhandlung ohne Gewährung einer weiteren schriftlichen Stellungnahmemöglichkeit für die Klägerin, ohne deren Teilnahme an der Verhandlung und trotz des Befangenheitsantrags gegen den Einzelrichter entschieden werden könne. Die Voraussetzungen für eine Verlegung des mündlichen Verhandlungstermins seien nicht gegeben, eines richterlichen Hinweises auf “weitere Ausführungen” hätte es nicht bedurft, das Recht auf Akteneinsicht sei nicht verletzt worden und der Befangenheitsantrag sei missbräuchlich gewesen, so dass das Gericht im Urteil darüber hätte mitentscheiden können. Es habe offenbar der Prozessverschleppung gedient. Die zur Antragsbegründung behauptete Verletzung von Prozessgrundrechten sei zudem haltlos.
6
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, die sie auf verschiedene Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) stützt. Im Wesentlichen rügt sie einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter (§ 119 Nr. 1 FGO). Der abgelehnte Richter habe sich zum Richter in eigener Sache gemacht, indem er sein Verhalten, nämlich die von der Klägerin gerügten Verletzungen der Grundsätze eines fairen Verfahrens, der richterlichen Hinweispflichten, der Gewährung rechtlichen Gehörs, einer Prüfung unterzog und als “haltlos” bewertet habe.


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