Steuerrecht

Sozialgerichtsverfahren: Wiederaufnahme eines Berufungsverfahrens nach rechtskräftiger Feststellung der Erleigung der Berufung durch deren Rücknahme

Aktenzeichen  L 15 VG 23/13

Datum:
5.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43852
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 179 Abs. 1
ZPO § 589 Abs. 1, § 580

 

Leitsatz

Zur erneuten Wiederaufnahme von Berufungsverfahren, die durch Berufungsrücknahmen erledigt worden sind, nach Feststellung der Erledigung durch rechtskräftiges Urteil des Berufungsgericht in einem ersten Wiederaufnahmeverfahren (Rn. 19)
1. Unabhängig davon, ob man die schlüssige Behauptung eines Wiederaufnahmegrund der Statthaftigkeit oder der Beschwer im Sinn einer Klagebefugnis zuordnet, ist angesichts des Ausnahmecharakters der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahrens unabdingbar, dass wenigstens ein gewisser „Anfangsverdacht“ für einen Wiederaufnahmegrund besteht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 5 VG 20/12 2012-10-26 SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Die Wiederaufnahmeklage wird als unzulässig verworfen.  Es wird festgestellt, dass die Berufungsverfahren L 15 VG 24/12, L 15 VG 26/12, L 15 VG 28/12, L 15 VG 30/12 und L 15 VG 32/12 aufgrund der Erklärungen der Klägerin vom 13.05.2013 erledigt sind.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat kann durch Beschluss gemäß § 158 Satz 2 SGG entscheiden: Die Beteiligten sind hierzu angehört worden. Eine Entscheidung per Beschluss ist auch bei Zurückweisung einer unzulässigen Wiederaufnahmeklage ohne Weiteres rechtlich zulässig (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 158, Rn. 6a, m.w.N.).
Der Klägerin geht es vorliegend – wie aus dem oben genannten Antrag ersichtlich wird – um die Fortsetzung der Berufungsverfahren und eine sachliche Entscheidung in ihrem Sinne, wozu die verbindliche Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits im Urteil vom 12.11.2013 kassiert werden muss, was nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Senats ausschließlich durch eine Wiederaufnahme des Verfahrens L 15 VG 23/13 möglich ist. Streitgegenstand ist somit die Wiederaufnahmeklage der Klägerin. Zudem hat der Senat über den Fortsetzungsantrag der Klägerin zu entscheiden.
Die Wiederaufnahmeklage der Klägerin ist unzulässig.
Nach § 179 Abs. 1 SGG kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren unter entsprechender Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) wiederaufgenommen werden. Eine Wiederaufnahmeklage zieht unter Umständen ein dreistufiges Verfahren nach sich. Zunächst haben die Gerichte zu prüfen, ob die Wiederaufnahmeklage zulässig ist. Bejahendenfalls schließt sich die Prüfung ihrer Begründetheit an, wobei es darum geht, ob tatsächlich ein Wiederaufnahmegrund vorliegt; ist das der Fall, hat das Gericht das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wieder aufzunehmen. Unter Umständen schließt sich sodann das ersetzende Verfahren in der Sache an.
Die Wiederaufnahmeklage der Klägerin ist nicht statthaft (§ 179 Abs. 1 SGG i.V.m. § 589 Abs. 1 ZPO). Statthaft ist eine Wiederaufnahmeklage nur dann, wenn ein Wiederaufnahmegrund schlüssig behauptet wird (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ders., SGG, 13. Aufl. 2020, § 179, Rdnr. 9, m.w.N.). Keine Rolle spielt, ob man dieses Erfordernis tatsächlich der Statthaftigkeit oder der Beschwer im Sinn einer Klagebefugnis zuordnet. Jedenfalls erscheint es angesichts des Ausnahmecharakters der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahrens unabdingbar, zur Zulässigkeitsvoraussetzung zu erheben, dass wenigstens ein gewisser „Anfangsverdacht“ für einen Wiederaufnahmegrund besteht (vgl. die Urteile des Senats vom 31.03.2011 – L 15 VG 2/11 WA, 28.12.2012 – L 15 VK 3/09 – und 24.09.2018 – L 15 VJ 11/17 WA). In diesem Zusammenhang bedeutet schlüssiges Behaupten, dass bei Unterstellung, die tatsächlichen Behauptungen der Kläger würden zutreffen, ein Wiederaufnahmegrund gegeben wäre. Daran fehlt es hier jedoch.
Nach § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufnahme durch Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) oder durch Restitutionsklage (§ 580 ZPO) erfolgen. Die Wiederaufnahmegründe sind im Gesetz abschließend aufgezählt.
Die Voraussetzungen einer Nichtigkeitsklage sind hier nicht gegeben.
§ 579 ZPO lautet wie folgt:
„(1) Die Nichtigkeitsklage findet statt:
1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2. wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4. wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat.
(2) In den Fällen der Nummern 1, 3 findet die Klage nicht statt, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnte.“
Einen Fehler im Sinn von § 579 ZPO hat die Klägerin evident nicht behauptet und auch nicht behaupten wollen.
Auch einen Grund für eine Restitutionsklage gemäß §§ 580, 581 ZPO hat die Klägerin nicht schlüssig behauptet.
§ 580 ZPO hat folgenden Wortlaut:
„Die Restitutionsklage findet statt:
1. wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat;
2. wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war;
3. wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat;
4. wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist;
5. wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat;
6. wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist;
7. wenn die Partei
a) ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder
b) eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde;
8. wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.“
§ 581 ZPO fordert darüber hinaus:
„(1) In den Fällen des vorhergehenden Paragraphen Nummern 1 bis 5 findet die Restitutionsklage nur statt, wenn wegen der Straftat eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann.
(2) Der Beweis der Tatsachen, welche die Restitutionsklage begründen, kann durch den Antrag auf Parteivernehmung nicht geführt werden.“
Die Klägerin hat vorliegend nicht schlüssig dargelegt, dass bzw. wie sich die Richter des (damals) erkennenden Senats im am 12.11.2013 abgeschlossenen Wiederaufnahmeverfahren – oder ggf. auch zuvor – einer strafbaren Verletzung ihrer Amtspflichten gegen die Klägerin im Sinne von Ziff. 5 der genannten Vorschrift schuldig gemacht hätten. Zudem liegen freilich auch die Voraussetzungen des § 581 Abs. 1 ZPO nicht vor.
Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass sich auch aus einer Unrichtigkeit der getroffenen Entscheidung keine Möglichkeit ergeben würde, das Verfahren wieder aufzunehmen. Selbst eine auf der Hand liegende Unrichtigkeit, von der hier mit Sicherheit nicht auszugehen ist, würde nicht die Wiederaufnahme eröffnen, sofern der Fehler keinen im Gesetz explizit genannten Wiederaufnahmegrund darstellt. Selbst wenn das BayLSG am 12.11.2013 also falsch entschieden hätte, und im Übrigen auch die Tatsache, dass die Kläger das Urteil gegebenenfalls nicht nachvollziehen kann, rechtfertigt also in keiner Weise eine Wiederaufnahme.
Die Wiederaufnahmeklage der Klägerin ist somit als unzulässig zu verwerfen. Damit verbleibt es beim Urteil des Senats vom 12.11.2013. Eine Fortsetzung der o.g. Verfahren kommt also nicht in Betracht, weil in dem Urteil deren Erledigung bereits festgestellt worden ist.
Auf den Fortsetzungsantrag der Klägerin ist an dieser Stelle zudem die Erledigung der oben genannten Berufungsverfahren (erneut) festzustellen. Die Berufungen der Klägerin L 15 VG 24/12, L 15 VG 26/12, L 15 VG 28/12, L 15 VG 30/12 und L 15 VG 32/12 sind durch Berufungsrücknahmen aufgrund Erklärungen der Klägerin im Erörterungstermin des Senats am 13.05.2013 erledigt. Zur Begründung wird vollumfänglich auf die oben wiedergegebenen Darlegungen im Urteil vom 12.11.2013 verwiesen. Eine Entscheidung in der Sache hat daher nicht zu erfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben