Strafrecht

Bescheid, Meinungsfreiheit, Behinderung, Ermessensentscheidung, Genehmigung, Eingliederung, Ablehnung, Zulassung, Therapie, Justizvollzugsanstalt, Strafvollstreckungskammer, Strafvollzug, Erteilung, Antragsteller, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, informationelle Selbstbestimmung, gerichtliche Entscheidung

Aktenzeichen  SR StVK 131/19

Datum:
28.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3348
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 12.02.2019 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 1.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller befindet sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt … Er verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe. 15 Jahre werden am 29.09.2026 verbüßt sein.
Mit Schreiben vom 12.02.2019, hier eingegangen am 13.02.2019, hat der Antragsteller eine gerichtliche Entscheidung nach den §§ 109 ff StVollzG beantragt. Dem zugrunde lag der Antrag des Antragstellers an die Antragsgegnerin vom 29.05.2018 mit welchem er die Genehmigung für den Besuch eines Filmteams zur Aufnahme eines gefilmten Interviews beantragte. In ihrem Bescheid vom 29.01.2019 genehmigte die Antragsgegnerin ein Interview unter Aufnahme des Originaltones mittels Diktiergerät. Im Übrigen wies sie den Antrag ab. Mit seinem Antrag gem. den §§ 109 ff. StVollzG begehrt der Antragsteller nun, den vorgenannten Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Genehmigung aufzuheben. Ferner begehrt er, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antrag auf Zulassung eines gefilmten Interviews mit der … zu genehmigen, hilfsweise dazu, den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden. Im Übrigen wird auf den Antragsschriftsatz vom 12.2.2019 Bezug genommen. Der daneben gestellte Antrag im einstweiligen Rechtsschutz wurde mit Beschluss des Landgerichts Regensburg – auswärtige kleine Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Straubing – vom 05.03.2020 zurückgewiesen.
Der Antragssteller hat nebst dem Antragsschriftsatz ergänzend mit Schriftsatz vom 26.02.2019, 19.03.2019, hier eingegangen am 22.03.2019, 17.08.2019, hier eingegangen am 22.08.2019 sowie 30.06.2020, hier eingegangen am 02.07.2019 Stellung genommen. Auf diese Schreiben wird ebenfalls Bezug genommen.
Der Antragsteller meint, die Versagung der Genehmigung verstoße gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG, was auch das Selbstdarstellungsrecht beinhalte. Ferner sei auch das Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG betroffen. Daraus ergebe sich, dass jedermann an einer Fernsehsendung teilnehmen kann. Von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit sei insbesondere auch das Wahl des Mittels der Meinungsäußerung umfasst. Auch sei Art. 28 Nr. 1 Alt. 2 und Nr. 2 BayStvollzG kein allgemeines Gesetz dar, welches das Recht auf Meinungsfreiheit einschränken könnte. Art. 28 Nr. 1 Alt. 2 und Nr. 2 BayStVollzG sei selbst im Lichte der Meinungsfreiheit auszulegen. Die Ausübung der Meinungsfreiheit auch hinsichtlich des eigenen Delikts sei Ausdruck der Demokratie. Die Zulassung von Interviews von verurteilten Strafgefangenen gewährleiste den demokratischen Grundsatz der Transparenz des Staates und seiner Einrichtungen.
Nebst dem anliegenden Ablehnungsbescheid vom 29.01.2019 hat die Vollzugsbehörde zu dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Schreiben vom 18.02.2019 hier eingegangen am 19.02.2019, 28.02.2019, 12.03.2019, 19.07.2019, 06.09.2019 und 22.05.2020 Stellung genommen. Auf diese Schreiben wird Bezug genommen.
Die Ablehnung der Erteilung der Genehmigung stützte die Antragsgegnerin auf Art. 28 Nr. 1 Alt. 2, Nr. 2 BayStVollzG. Die Ablehnung sei auch unter der Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 GG geschehen. Durch die Erteilung der beantragten Drehgenehmigung die Ordnung der Justizvollzugsanstalt Straubing, insbesondere durch die Schaffung eines Präzedenzfalles, gefährdet werde. Ferner sei zu befürchten, dass die Durchführung des Interviews einen schädlichen Einfluss auf den Gefangenen habe und dessen Eingliederung behindern würde. Auch sprächen Gesichtspunkte des Opferschutzes gegen die Erteilung der Genehmigung. Auf das Schreiben wird Bezug genommen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Sachverständigengutachten von … vom 29.6.2019 und … (22.4.2020). Auf die Gutachten im Sonderband wird verwiesen, sowie auf die Anhörung des Sachverständigen … durch die Kammer am 16.9.2020.
II.
Der Antrag ist zulässig aber unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die angerufene Strafvollstreckungskammer ist für die Entscheidung über den Antrag örtlich und sachlich zuständig gem. § 110 StVollzG.
Die Antragsfrist gem. § 112 StVollzG wurde eingehalten.
Der Antrag erfolgte schriftlich und damit in der Form des § 112 Abs. 1 StVollzG.
Der Verpflichtungsantrag ist statthaft. Der Antragsteller begehrt den Erlass eines für ihn günstigen Verwaltungsaktes, die Erteilung der Genehmigung über die Haltung eines Wellensittichs.
Bei der vom Antragsteller begehrten Genehmigung handelt es sich um eine Maßnahme zur Regelung auf dem Gebiet des Strafvollzugs.
Der Antragsteller ist als Gefangener antragsberechtigt.
Der Antragsteller ist antragsbefugt. Die Antragsbefugnis liegt gem. § 109 Abs. 2 StVollzG vor, wenn der Antragsteller eine Verletzung seiner Rechte geltend macht. Dazu muss er Tatsachen vortragen, die, wenn sie gegeben wären, eine Rechtsverletzung als möglich erscheinen lassen. Der Antragsteller macht geltend, in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verletzt zu sein.
Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis liegt vor. Der Antragsteller beantragte am 29.05.2018 bei der Antragsgegnerin die Genehmigung der Durchführung eines gefilmten Interviews mit der … Filmproduktion, …
2. Der Antrag ist unbegründet. Die Ablehnung des Besuchs ist an Art. 28 BayStVollzG zu messen und rechtmäßig. Der Antragsteller ist durch die Ablehnung nicht in seinen Rechten verletzt.
Strafgefangene haben das Recht, mit Personen außerhalb der Anstalt zu verkehren (Art. 26 S. 1 BayStVollzG). Nach Satz 2 der Vorschrift ist der Verkehr mit Außenstehenden zu fördern. Art. 27 BayStVollzG regelt das Recht des Strafgefangenen, regelmäßig Besuch zu empfangen.
Ein Besuch kann bei Vorliegen der in Art. 28 BayStVollzG geregelten Tatbestandvoraussetzungen vom Anstaltsleiter oder der Anstaltsleiterin untersagt werden, „wenn die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde (Nr. 1) oder bei Besuchern, die nicht Angehörige des oder der Gefangenen im Sinn des Strafgesetzbuchs sind, wenn zu befürchten ist, dass sie einen schädlichen Einfluss auf den Gefangenen oder die Gefangene haben oder deren Eingliederung behindern würden (Nr. 2)“. Die getroffene Regelung ist mit der des § 25 (Bundes-)StVollzG identisch.
Nach der Rechtsprechung und Kommentarliteratur zu § 25 StVollzG, die auch für die wortgleiche Regelung in Art. 28 BayStVollzG gilt, sind beide Tatbestandsalternativen (Nr. 1 und 2) dadurch gekennzeichnet, dass sie auf der Tatbestandsseite in Form unbestimmter Rechtsbegriffe Voraussetzungen enthalten, deren Anwendung gerichtlich voll nachprüfbar ist (Calliess/Müller-Dietz StVollzG, 11. Aufl., § 25 Rn 1; Joester/Wegner in Feest/Lesting AK-StVollzG, 6. Aufl., § 25 Rn 1; Schwind in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal StVollzG, 5. Aufl., § 25 Rn 2 m.w.N. und § 115 Rn 21 m.w.N.), und bei denen die Vollzugsbehörde keinen Beurteilungsspielraum hat (Arloth StVollzG, 3. Aufl., § 25 Rn 3 m.w.N.). Bei § 25 StVollzG handelt es sich um einen sog. Mischtatbestand, d.h. um eine Koppelung von unbestimmten Rechtsbegriffen auf der Tatbestandsseite der Norm (Gefährdung von Sicherheit und Ordnung der Anstalt, zu befürchtender schädlicher Einfluss auf den Gefangenen, zu befürchtende Behinderung seiner Eingliederung) mit einem Handlungsermessen auf der Rechtsfolgenseite.
Die genannten unbestimmten Rechtsbegriffe unterliegen der vollen gerichtlichen Nachprüfung. Erst die Entscheidung über die Rechtsfolge (Untersagung des Besuchs) ist eine Ermessensentscheidung, bei der es entscheidend darauf ankommt, wie groß die Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt ist und in welchem Maße befürchtet werden muss, dass der Besuch einen schädlichen Einfluss auf den Gefangenen ausüben oder seine Eingliederung behindern würde (OLG Nürnberg Beschl. v. 6.9.1983 – Ws 628/83, juris; Calliess/Müller-Dietz a.a.O., Rn 2 NStZ 2013, 364, beck-online). Dabei muss im Hinblick auf den schwerwiegenden Eingriff aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildere Mittel zu prüfen sind (Arloth, Kommentar StVollzG, 3. Auflage, § 25 Rn. 1) Seitens der Antragsgegnerin wurde das Besuchsverbot sowohl auf den Tatbestand des Art. 28 Nr. 1 als auch den Tatbestand des Art. 28 Nr. 2 BayStVollzG gestützt und zwar jeweils auf beide Alternativen.
Die Antragsgegnerin begründet die Ablehnung auch mit möglichen negativen Folgen für die Therapie des Antragsstellers, also mit einem schädlichen Einfluss auf den Strafgefangenen bzw. einer Gefährdung der Wiedereingliederung durch eine schlechtere Legalprognose bei weiterer Therapieverweigerung.
Dabei hat die „Strafvollstreckungskammer […] im Rahmen ihrer Entscheidung insbesondere zu überprüfen, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist (OLG Nürnberg NStZ 1998, 215; OLG Hamm NStZ 1991, 303) und ob alle für die Abwägung relevanten Aspekte einbezogen worden sind (OLG Hamm NStZ-RR 1997, 63).“ (BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 14. Ed. 1.8.2018, StVollzG § 115 Rn. 18)
„Ein schädlicher Einfluss ist dann anzunehmen, wenn der Besucher auf den Gefangenen dahingehend einwirkt, dass er ihn zu weiteren Straftaten geneigt macht (zu § 25 StVollzG RegE BT-Drs. 7/918, 58) bzw. den Gefangenen in seiner verfassungs- oder vollzugsfeindlichen Haltung bestärkt, wofür konkrete Anhaltspunkte bestehen müssen (OLG Frankfurt a.M. ZfStrVo 1987, 112; OLG Nürnberg ZfStrVo 1988, 187; bei Matzke NStZ 1999, 445; Calliess/Müller-Dietz StVollzG § 25 Rn. 3; AK-StVollzG/Feest/Wegner StVollzG Teil II § 27 Rn. 5). Anonyme Hinweise allein reichen nicht aus (OLG Frankfurt a.M. StV 1994, 431 m.Anm. Bemmann; BeckOK Strafvollzug Bund/Walter/Bosch StVollzG § 25 Rn. 5 und 7). Unerheblich ist, ob der Besucher einen solchen Zweck verfolgt oder ob der Gefangene überhaupt noch in diese Richtung zu beeinflussen ist (OLG Nürnberg ZfStrVo 1988, 187; BeckOK Strafvollzug Bund/Walter/Bosch StVollzG § 25 Rn. 8; LNNV/Laubenthal StVollzG Abschn. E Rn. 34; a.A. OLG Zweibrücken NStZ 1987, 95 = ZfStrVo 1987, 304; AK-StVollzG/Feest/Wegner StVollzG Teil II § 27 Rn. 5).“ (BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 10. Ed. 10.7.2018, BayStVollzG Art. 28 Rn. 5)
„Unter schädlichem Einfluss ist eine Einwirkung auf den Gefangenen zu verstehen, die ihn zu weiteren Straftaten anregen kann. Der Begriff umfasst alle Einwirkungen, die dem Vollzugsziel der Behandlung, den Gefangenen zu einer künftigen straffreien Lebensführung in sozialer Verantwortung zu bringen, entgegenwirken (Schwind a.a.O. Rn. 8 m.w.N.).“ (OLG München NStZ 2013, 364)
Dabei genügt es nach Ansicht der Kammer auch, wenn durch die Folgen des Besuchs, also der Ausstrahlung des Interviews eine vollzugsfeindliche Einstellung gestärkt wird oder die bestehende Persönlichkeitsstörung des Antragsstellers dadurch verstärkt wird und dadurch mangels Therapie die Resozialisierung erheblich erschwert wird.
Sind die der Entscheidung zu Grunde liegenden Feststellungen bestritten, hat die Strafvollstreckungskammer diese ggf. selbst festzustellen.
Vorliegend behauptet die Antragsgegnerin, aufgrund der Persönlichkeitsstörung des Antragsstellers mit geltungsbedürftigen aber auch haltlosen, narzistischen sowie dissozialen Zügen, drohe aufgrund eines im Fernsehen ausgestrahlten Interviews mit einer Verschlimmerung dieser Störung und damit eine weitere oder stärkere Vollzugsablehnung und Therapieverweigerung.
Dazu hat die Antragsgegnerin auch ergänzend dargestellt, dass diese Verschlimmerung gerade bei der gewählten Form eines Fernseh-Interviews mit bildlicher Darstellung drohe.
Zu den vorgenannten entscheidungserheblichen Tatsachen, hat das Gericht ein zwei Sachverständigengutachten eingeholt.
Dass die bestrittene Störung überhaupt besteht, steht aufgrund des Sachverständigengutachtens des …fest. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Persönlichkeitsakzentuierung oder -störung vorliegt. Es handelt sich um einen rein graduellen Unterschied, so dass der von der JVA festgestellte Sachverhalt im Kern zutrifft.
Die Kammer hat zudem ein forensisch-psychologische Gutachten des … vom 22.04.2020 (S. 137 bis 215 d. Akte) eingeholt, auf das verwiesen wird.
Auf Grund der durch … in seinem Gutachten getroffenen Feststellungen, ist die Kammer der Ansicht, dass der Versagungsgrund des Art. 28 Nr. 2 BayStVollzG gegeben ist. Bei einem Besuch des Filmteams wäre zu befürchten, dass dies einen schädlichen Einfluss auf den Antragsteller hat bzw. seine Resozialisierung gefährdet.
Zwar äußerte sich der Sachverständige dahingehend, dass durch das Interview alleine für sich gesehen eine unmittelbare Verstärkung der vordiagnostizierten histrionischen Persönlichkeitszüge in erheblichem Ausmaß nicht zu erwarten sei.
Begreife man das geplante Interview aber als Teil der Anpassungs-/Bewältigungsstrategie des Antragstellers an seine durch Verurteilung und Haft gekennzeichnete Lebenssituation, so ergebe sich eine Gesamtkonstellation, die durch Tatleugnung und der damit verbundenen Ablehnung von Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln, als Teil einer Verteidigungsstrategie geprägt sei, die im Kern der Selbstwertstabilisierung dienen dürfe. In diesem Zusammenhang trage das Interview als einer von mehreren Aspekten zu einer ungünstigen Persönlichkeitsentwicklung im Sinne einer Fehlanpassung im Rahmen der Haft bei, verfestige diese, bzw. könne diese weiter verstärken.
Die vorbeschriebene, ungünstige Dynamik im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung, halte die aktuell bereits fehlende Behandlungsbereitschaft des Antragstellers aufrecht und verfestige diese. Ohne Behandlungsbereitschaft sei eine Bearbeitung deliktsrelevanter situativer, aber auch persönlichkeitsbedingter Faktoren nicht möglich. Zentrale Risikobereiche entzögen sich somit im Sinne einer „black box“ sowohl einer therapeutischen Beeinflussung als auch einer legalprognostischen Beurteilung.
Zu erwähnen sei, dass aus einer lerntheoretischen Perspektive das Verhalten des Antragstellers (Suche nach Öffentlichkeit, Durchsetzung der subjektiv erlebten Ansprüche auf gerichtlichem Weg) kurzfristig durch das komplementäre Verhalten seiner Interaktionspartner, vor allem auf Ebene der interaktionellen Ziele, einer positiven Verstärkung unterliege und damit unabhängig von der Erlaubnis und vom tatsächlichen Erfolg des Interviews aufrechterhalten werde.
Dennoch würde durch eine entsprechende, in die Öffentlichkeit getragene, Erneuerung seiner Selbstdarstellung als Justizopfer über die erfolgte rechtskräftige Verurteilung im erkennenden Verfahren hinaus, die Position des Antragstellers zementiert. Dadurch würden sich aus sachverständiger Sicht die Chancen im Rahmen seiner Haft den Antragsteller zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit seiner Tat, mit dem Ziel der Risikominimierung in Zukunft zu gewinnen, nachhaltig ungünstig entwickeln.
Aufgrund dieser sachverständigen Feststellung ist die JVA grundsätzlich von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Die Kammer macht sich die ausführlich begründeten und nachvollziehbaren Ausführunge des Sachverständigen zu eigen.
Die anderen, von der Antragsgegnerin angeführten, Versagungsgründe hält die Kammer für nicht tragfähig, insbesondere eine Gefährdung der Ordnung der Justizvollzugsanstalt … i.S.v. Art. 28 Nr. 1 Alt. 2 BayStVollzG sowie die Schaffung eines Präzedenzfalles. Dazu hat die Kammer bereits im Beschluss vom 2.11.2018 im Verfahren SR StVK 414/18 umfassend Stellung genommen.
Als Versagungsgrund wird seitens der Antragsgegnerin ferner die Wiedereingliederung des Gefangenen angeführt, Art. 28 Nr. 2 Alt. 2 BayStVollzG, weil sein Bild in der Öffentlichkeit erscheine. Dies ist angesichts der frühestmöglichen Entlassung in mehr als 5 Jahren, der medialen Aufmerksamkeit die der Fall bereits erlangt hat und des reichhaltig im Internet verfügbaren Bildmaterials, das den Antragssteller zeigt, nach Ansicht der Kammer für sich alleine nicht von ausreichendem Gewicht, um die Meinungsfreiheit des Antragsstellers zu beschneiden. Jedenfalls wäre dann eine erneute Ermessensentscheidung notwendig und auch weitere Feststellungen über die Pläne des Antragsstellers nach seiner Entlassung.
Das gleiche gilt für die opferbezogene Vollzugsgestaltung, die wohl vorliegend auch Ermittlungen in Richtung der Angehörigen des Opfers notwendig gemacht hätte, wie diese zu dem beabsichtigten Interview stehen. Im Übrigen ist der Schutz von eventuellen Opfern kein Versagungsgrund in Art. 28 BayStVollzG, so dass dieser Aspekt allenfalls auf Ermessensebene berücksichtigt werdn kann.
Das sich der Antragsgegnerin durch das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 28 Nr. 2 BayStVollzG eröffnende Ermessen hat die Antragsgegnerin ordnungsgemäß ausgeübt.
Bei einer Ermessensentscheidung dürfen und müssen die Gerichte prüfen, ob die Behörde die rechtlichen Grenzen eingehalten und das Ermessen insbesondere entsprechend dem gesetzlichen Zweck ausgeübt hat. In diesem Umfang hat der Einzelne einen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung, was letztlich nichts anderes bedeutet, als dass diese fehlerfrei sein muss. Die Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle auf Rechtsfehler verbietet es dem Gericht, an Stelle der Behörde zu entscheiden und der aus gerichtlicher Sicht vermeintlich bestmöglichen Lösung zum Durchbruch zu verhelfen. (Schoch/Schneider/Bier/Riese, 37. EL Juli 2019, VwGO § 114 Rn. 51).
Dass die Ablehnung im Einzelfall durchaus möglich ist nach sorgfältiger Interessensabwägung und Tatsachenfeststellung zeigt auch die durch den Antragssteller zitierte Entscheidung des EGMR: „Wegen der Bedeutung aber der Medien in einer demokratischen Gesellschaft und des engen Ermessenspielraums der staatlichen Behörden und Gerichte bei einer Fernsehsendung über ein Thema, das erhebliches öffentliches Interesse erwecken kann, muss überzeugend nachgewiesen werden, dass die Beschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung notwendig war. Die von den staatlichen Behörden und Gerichten zu seiner Rechtfertigung angeführten Gründe müssen „stichhaltig und ausreichend“ sein. Im vorliegenden Fall haben die Schweizer Behörden und Gerichte insbesondere wegen ihrer recht summarischen Begründung und dem Fehlen einer wirklichen Interessenabwägung in ihren Entscheidungen nicht überzeugend darlegen können, dass das Verbot, im Gefängnis zu filmen, das auf eine absolute Weise ausgesprochen worden ist, strikt verhältnismäßig zu den verfolgten Zielen war und damit einem „dringenden sozialen Bedürfnis“ im Sinne der erwähnten Rechtsprechung entsprochen hat.“ (EGMR NJW 2013, 765)
Im Rahmen der bei der Ermessensentscheidung getätigten Abwägung durch die Antragsgegnerin war also auf Seiten des Antragstellers insbesondere dessen Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG einzustellen. Auf Seiten der Antragsgegnerin war abwägungsrelevant, ob ein dringendes soziales Bedürfnis besteht, auf Grund dessen die Genehmigung des Interviews abzulehnen war.
Die Teilnahme an einem Fernsehinterview ist von dem Recht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst. Ebenso schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG das Wahl des Mittels der Meinungsäußerung. Die Nichterteilung der Genehmigung zur Durchführung eines Fernsehinterviews in der JVA stellt einen Eingriff in das Recht des Antragstellers auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG dar.
Der Eingriff ist jedoch gerechtfertigt. Entsprechend der Auffassung der Antragsgegnerin, ist es ein legitimes Ziel des Eingriffs, einen schädlichen Einfluss auf den Antragsteller und dessen Eingliederung zu verhindern. Insbesondere gilt es, seine Therapie und künftige Straffreiheit zu sichern. Beides stellen „dringende sozialen Bedürfnisse“ im Sinne der erwähnten Rechtsprechung dar. (EGMR NJW 2013, 765). Wie oben erläutert, kommt die Kammer auf der Grundlage des vorgenannten Sachverständigengutachtens zu der Überzeugung, dass das beantragte Interview als Teil einer Gesamtkonstellation sich negativ auf die Behandlungsbereitschaft und Sozialprognose des Antragstellers auswirkt. Die Genehmigung des Interviews trägt dazu bei, die Therapie und zukünftige Straffreiheit des Antragstellers zu gefährden. Weshalb es sich bei Art. 28 BayStVollzG nicht um ein allgemeines Gesetz handeln soll ist für die Kammer nicht nachvollziehbar.
Das BVerfG versteht unter allgemeinen Gesetzen alle Gesetze, die sich nicht gegen die Meinungsfreiheit oder die Freiheit von Presse und Rundfunk an sich oder gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung richten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen (BVerfGE 7, 198 (209) = NJW 1958, 257 – Lüth).“ (BeckOK GG/Schemmer, 49. Ed. 15.11.2021, GG Art. 5 Rn. 99). Das ist bei Art. 28 BayStVollzG der Fall.
Die Versagung der Besuchserlaubnis stellt ein geeignetes Mittel dar um das vorgenannte Ziel zu erreichen. Ferner ist die Versagung der Besuchserlaubnis erforderlich.
Die Versagung der Besuchserlaubnis ist auch angemessen, also verhältnismäßig im engeren Sinne. Ein milderes Mittel zur Erreichung des oben genannten Zieles stellt nach Ansicht der Antragsgegnerin die Erlaubnis des Besuchs zur Aufnahme eines Interviews unter Aufzeichnung des Originaltones dar, da dies seitens der Antragsgegnerin bereits mit Schreiben vom 29.01.2019 genehmigt wurde. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen ihrer Ermessensübung also auch überprüft, ob mildere Mittel als eine gänzliche Versagung der Besuchserlaubnis vorliegen und damit der Schwere des Eingriffs Rechnung getragen.
Auch wenn dies letztlich dazu führt, dass möglicherweise gar kein Interview geführt werden kann, weil das Fernseh-Team an Audio-Aufzeichnungen kein Interesse hat, so bleibt die Meinungsfreiheit des Antragsstellers immer noch hinter dem Interesse an einer gelingenden Resozialisierung seiner Person zurück. Dabei handelt es sich auch um Interesse der Allgemeinheit und nicht nur sein eigenes Interesse, so dass er darüber auch nicht frei disponieren kann.
Insbesondere ist die Ausstrahlung eines Interviews mit Bild auch weit mehr geeignet die vollzugsfeindliche Einstellung zu verfestigen als ein Audio-Interview, weil das zusätzliche Bild offenkundig geeignet ist, den Antragssteller weiter in seiner Opferrolle zu bestätigen, weil zum Inhalt dann auch ein Bild seiner Person gezeigt wird für die Öffentlichkeit.
Der Sachverständige gibt zwar an, dass auch die Versagung des Interviews die vollzugsfeindliche Einstellung verstärken kann. Das ist im Rahmen des Begriffs der Prüfung des Versagungsgrundes nicht zu berücksichtigen und hier auch nicht auf Ermessensebene. Die Norm lässt eine Ablehnung zu, wenn schädliche Auswirkungen zu befürchten sind. Ob hingegen von der Versagung möglicherweise auch schädliche Auswirkungen ausgehen kann hier außer Betracht bleiben. Dies jedenfalls dann, wenn der Grad des befürchteten Schadens nicht den zu befürchtenden Schaden durch die Gestattung des Besuchs in jedem Fall überwiegt. Nachdem dies nicht der Fall ist, ist es rechtmäßig diesen Gesichtspunkt nicht die Ermessensabwägung einzustellen. Bei den Auswirkungen der Versagung handelt es sich auch nur um mögliche Schäden, die ähnlich zu gewichten sind.
Der Sachverständige hat zwar auch dargelegt, dass es für ihn keinen Unterschied mache, ob das Interview gefilmt werde oder nur als Ton aufgenommen werde. Beides würde die oben genannten Probleme verursachen. Im Rahmen der Ermessenskontrolle überprüft die Kammer aber nur den ablehnenden Teil auf Rechtsfehler. Soweit die JVA also bei zutreffend ermitteltem Sachverhalt und konsequenter Ermessensausübung eigentlich mehr hätte verbieten müssen, als sie verboten hat, führt dies daher nicht umgekehrt dazu, dass nunmehr die rechtmäßige (Teil-)Versagung aufzuheben wäre.
Die Ermessensentscheidung war alternativ zutreffend und nachvollziehbar auf alle Ablehnungsgründe einzeln gestützt. Es genügt daher, dass die schädlichen Auswirkungen zu befürchten sind.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Absatz 1, Absatz 2 Satz 1 StVollzG.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf den §§ 60, 52 Absatz 1 bis 3 GKG.
Verfügung
In dem Strafvollzugsverfahren
L T K E (geb. L), geboren am 00.00.1979 ./. Justizvollzugsanstalt Straubing
Beschluss: Der Beschluss vom 28.2.22 wird auf S. 3 II 1.4. Absatz berichtigt wie folgt:
„Statt „über die Haltung eines Wellensittichs“ muss es heißen „eines Besuchs in Form eines gefilmten Interviews“.“
Gründe: Es ist ein offensichtliches Schreibversehen.


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