Strafrecht

Briefkontrolle bei als Behördenpost gekennzeichnetem Schriftverkehr des Strafgefangenen

Aktenzeichen  2 Ws 276/18

Datum:
11.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 42115
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVollzG § 29 Abs. 3, § 109, § 138
BayStVollzG Art. 32 Abs. 3
GG Art. 10 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass in einer Justizvollzugsanstalt, für die die höchste Sicherheitsstufe gilt, eine allgemeine Briefkontrolle unabhängig von individuell begründeten Missbrauchsbefürchtungen der einzelnen Insassen durchgeführt wird. Das gilt auch bezüglich der generellen Kontrolle des ausdrücklich als Behördenpost gekennzeichneten Schriftverkehrs. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Strafgefangene sind verpflichtet, auch ausgehende als Behörden- oder Gerichtspost deklarierte Schreiben in einem offenen Umschlag zu übergeben. Kommen Strafgefangene dieser Verpflichtung nicht nach, müssen verschlossene Schreiben unverzüglich an sie zurückgeben werden, damit die Schreiben erneut mit einem offenen Umschlag zur Kontrolle vorgelegt werden können. Die hierdurch eintretende Verzögerung der Briefbeförderung sowie damit verbundene rechtliche Nachteile fallen  in den Verantwortungsbereich der Strafgefangenen und können der Justizvollzugsanstalt nicht angelastet werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen P… R… gegen den Beschluss des Landgerichts Regensburg – auswärtige kleine Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Straubing – vom 27.3.2018 wird auf seine Kosten unter Festsetzung eines Beschwerdewerts von 50 € als unbegründet verworfen.

Gründe

I.
Der Beschwerdeführer ist Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt S.
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 24.7.2017 begehrt der Antragsteller die Feststellung, dass die Verweigerung der Justizvollzugsanstalt S. [im Folgenden: Justizvollzugsanstalt], einen als Behördenpost an die Strafvollstreckungskammer deutlich adressierten verschlossenen Brief weiter zu leiten, rechtswidrig war. Ergänzend führt er aus, er habe am 21.7.2017 zur Mittagsleerung einen als Behördenpost deklarierten Brief, den er an die Strafvollstreckungskammer adressiert habe, verschlossen in den hausinternen Briefkasten geworfen. Bei dem Brief sei es um ein laufendes Verfahren gegangen, wozu er entscheidungserhebliche Sachverhalte vorgetragen habe. Der verschlossene Brief sei ihm zurückgegeben worden.
Die Justizvollzugsanstalt bestätigt das Anhalten und die Rückleitung des verschlossenen Briefes unter Hinweis auf Art. 32 Abs. 3 BayStVollzG, dass auch der übrige Schriftverkehr, wozu auch Behördenpost falle, überwacht werden dürfte, soweit es aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit und Ordnung der Anstalt erforderlich sei. Eine generelle Überwachung der Post, wozu auch die Behördenpost und die Gerichtspost zählen würden, sei zulässig, weil es sich bei der JVA S. um eine Anstalt mit der höchsten Sicherheitsstufe handle. Eine Manipulation von Behördenpost sei nicht als fernliegend anzusehen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Briefe zwar an eine Behörde oder an ein Gericht adressiert seien, darin aber ein weiterer frankierter Brief mit anderer Adresse eingelegt werde, mit dem Ziel und dem Vertrauen darauf, der Zweitbrief werde bei der Posteingangsstelle des Gerichts (oder der Behörde) als sog. „Irrläufer“ behandelt und ungeprüft auf den weiteren Postweg gegeben. Zudem könnten auch die Schreiben von Gefangenen an Behörden und Gerichte negative Nachrichten beinhalten, die einen Behandlungsauftrag der Anstalt auslösten. Zudem sei auf diese Art auch eine funktionierende Suizidprophylaxe möglich, nachdem sich in Briefen von Gefangenen auch an Behörden und Gerichte Hinweise auf derartige Vorhaben ergeben könnten. Auch in diesem Zusammenhang würde eine vollständige Nichtkontrolle von Behörden- oder Gerichtspost zu einer Untergrabung des im Gesetz verankerten Behandlungsauftrags führen.
Mit Beschluss vom 27.3.2018 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Strafgefangenen auf gerichtliche Entscheidung vom 24.7.2017 zurückgewiesen. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Briefüberwachung erweise sich grundsätzlich als zulässig, weil ein erforderliches Feststellungsinteresse in Form einer Wiederholungsgefahr gegeben sei, denn es sei gerichtsbekannt, dass der Antragsteller eine Vielzahl von Schreiben an die Strafvollstreckungskammer sowie auch an das Oberlandesgericht Nürnberg versende. Der Antrag sei unbegründet. Wie die Justizvollzugsanstalt richtig ausführe, sei die Überwachung der [ausgehenden] Behörden- oder Gerichtspost gemäß § 32 Abs. 3 BayStVollzG – gleichlautend mit § 29 Abs. 3 StVollzG des Bundes – gerechtfertigt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 27.3.2018 Bezug genommen.
Gegen den ihm am 4.4.2018 zugestellten Beschluss hat der Strafgefangene am 11.4.2018 zur Niederschrift des Amtsgerichts Straubing Rechtsbeschwerde eingelegt und diese begründet. Er rügt im Ergebnis die Verletzung materiellen Rechts. Wegen der Einzelheiten wird auf die Rechtsbeschwerde Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat mit Schreiben vom 23.4.2018 beantragt,
die zulässige Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Hierzu nahm der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 2.5.2018 Stellung.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den vorgenannten Beschluss und die vorgenannten Schreiben Bezug genommen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 27.3.2018 ist unbegründet.
1. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist zulässig.
1.1. Sie wurde gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 118 StVollzG form- und fristgerecht eingelegt.
1.2. Auch sind die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 StVollzG gegeben. Die Nachprüfung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist nämlich zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Zudem ist Entscheidungsgegenstand die grundrechtskonforme (Art. 10 Abs. 1 GG) Auslegung des Art. 32 Abs. 3 BayStVollzG nicht nur für eingehende, sondern wie hier auch für ausgehende als Behörden- und Gerichtspost deklarierte Schreiben. Außerdem besteht Wiederholungsgefahr.
Der Senat hat bisher nur für eingehende Behörden- oder Gerichtspost Leitsätze aufgestellt. Danach darf im Anschluss an die obergerichtliche Rechtsprechung (insbesondere OLG Karlsruhe NStZ 2004, 517/518) bei einem an einen Strafgefangenen gerichteten gerichtlichen Schreiben (dort: Brief der Strafvollstreckungskammer), welches auf dem Behördenweg transportiert wurde, eine Sichtkontrolle durch Öffnung des Briefes, um die Identität des Absenders überprüfen zu können, nur bei einem entsprechenden (konkreten) Manipulationsverdacht und nur im Beisein des Verurteilten erfolgen [Beschlüsse vom 29.11.2017, 2 Ws 728/17; vom 8.6.2017, 2 Ws 343/17 und vom 13.9.2017, 2 Ws 573/17 – letzter Beschluss betreffend die Zurückweisung einer Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt, wodurch die festgestellte Rechtswidrigkeit der Briefkontrolle bestätigt wurde].
2. Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge keinen Erfolg.
Das Anhalten des als Behörden- bzw. Gerichtspost deklarierten verschlossenen Briefes des Beschwerdeführers und dessen Zurückgabe durch die Justizvollzugsanstalt war gemäß § 32 Abs. 3 BayStVollzG gerechtfertigt, da dies aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich war. Der Senat verweist hierzu auf die zutreffende Begründung der Strafvollstreckungskammer im angefochtenen Beschluss vom 27.3.2018.
Der Senat hat im vorliegenden Einzelfall aber nicht darüber zu entscheiden, ob eine bloße Sichtkontrolle oder auch eine Inhaltskontrolle ausgehender Behörden- oder Gerichtspost zulässig ist, weil solche Kontrollen nicht stattgefunden haben und der Strafgefangene mit seinem bei der Strafvollstreckungskammer gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung ausschließlich die Weigerung der Justizvollzugsanstalt, sein verschlossenes als Behördenpost bezeichnetes Schreiben weiterzuleiten, angegriffen hat.
2.1. Das Bundesverfassungsgericht (NStZ 2004, 225, Zitat juris) hat bereits in seinem Nichtannahmebeschluss vom 22.10.2003 auch für ausgehende Behördenpost (vgl. juris a.a.O. Rn. 8) entschieden, dass § 29 Abs. 3 StVollzG – gleiches hat für die inhaltsgleiche Vorschrift des § 32 Abs. 2 BayStVollzG zu gelten – den Art. 10 Abs. 1 GG in verfassungsmäßiger Weise einschränkt. Diese Einschränkung müsse allerdings ihrerseits im Lichte der besonderen Bedeutung dieses Grundrechts unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgelegt und angewendet werden (BVerfG Zitat juris a.a.O. Rn. 4 mit Hinweis auf BVerfG, 1997-09-04, 2 BvR 1152/97). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet jedoch nicht, eine Überwachung des Schriftwechsels davon abhängig zu machen, dass besondere Gründe für eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt gerade in der Person des jeweils betroffenen Gefangenen (oder Sicherungsverwahrten) festgestellt werden (BVerfG a.a.O. Rn. 5 mit w.N.). Auch eine regelhafte Einschränkung kann mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar sein. [Im entschiedenen Fall hat das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der konkreten Durchführung der Kontrolle zur Frage des Übermaßverbots, insbesondere zur Frage, ob eine bloße Sichtkontrolle oder eine Inhaltskontrolle zulässig ist, wegen des Subsidiaritätsgrundsatzes keine Entscheidung getroffen. – BVerfG a.a.O. Rn. 8, 9].
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass in einer Justizvollzugsanstalt, für die die höchste Sicherheitsstufe gilt, eine allgemeine Briefkontrolle unabhängig von individuell begründeten Missbrauchsbefürchtungen der einzelnen Insassen durchgeführt wird. Das gilt auch bezüglich der generellen Kontrolle des ausdrücklich als Behördenpost gekennzeichneten Schriftverkehrs (OLG Hamm, Beschluss vom 26.7.2006, 1 Vollz (Ws) 481/06 Zitat juris). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des OLG Hamm, die auch für die Kontrolle ausgehender Behördenpost gilt (a.a.O. Rn. 10), ausdrücklich an, nachdem es sich senatsbekannt bei der Justizvollzugsanstalt S. um eine Justizvollzugsanstalt der höchsten Sicherheitsstufe handelt.
2.2. Das Anhalten des verschlossenen und als Behördenpost bezeichneten Briefes am 21.7.2017 und dessen Rückgabe an den Beschwerdeführer im ungeöffneten Zustand war aus den dargelegten Gründen nicht rechtswidrig. Eine Sicht- oder Inhaltskontrolle hat nicht stattgefunden und bildet auch nicht den Gegenstand des Antrags auf gerichtliche Entscheidung und der Rechtsbeschwerde. Der Senat hat deshalb darüber nicht zu befinden.
2.3. Ergänzend bemerkt der Senat:
Strafgefangene sind verpflichtet, bei Überwachung des Schriftverkehrs gemäß Nr. 4 Abs. 2 VV zu Art. 32 BayStVollzG auch ausgehende als Behörden- oder Gerichtspost deklarierte Schreiben, selbst wenn sie als eilbedürftig bezeichnet sind, in einem offenen Umschlag zu übergeben. Kommen Strafgefangene dieser Verpflichtung nicht nach, müssen verschlossene Schreiben unverzüglich an sie zurückgeben werden, um ihnen Gelegenheit zu geben, die Schreiben erneut mit einem offenen Umschlag vorzulegen, um der Justizvollzugsanstalt generell die Möglichkeit einer Kontrolle zu eröffnen. Die zwangsläufig durch eine Briefrückgabe eingetretene Verzögerung der Briefbeförderung sowie die möglicherweise damit verbundenen rechtlichen Nachteile fallen wegen eigenen Verschuldens in den Verantwortungsbereich der Strafgefangenen und können der Justizvollzugsanstalt nicht angelastet werden.
2.4. Der Beschluss ergeht einstimmig, weshalb er keiner weiteren Begründung bedarf (Art. 208 BayStVollzG, § 119 Abs. 3 StVollzG).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 208 BayStVollzG, § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 StPO. Die Entscheidung über den Gegenstandswert ergibt sich aus §§ 65, 60, 52 GKG.


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