Strafrecht

Erkrankung, Krankheit, Hauptverhandlung, Gehweg, Untersuchungshaft, Versorgung, Unterbringung, Krankenhaus, Kinder, Beschuldigte, Reisepass, Psychotherapie, Zeitpunkt, Angeklagte, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, nicht ausreichend, paranoide Schizophrenie

Aktenzeichen  1 Ks 221 Js 3090/21 Sich

Datum:
17.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54643
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Weiden
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 20, § 63

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wird angeordnet.
2. Die Beschuldigte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I. Feststellungen zur Person:
Die Beschuldigte wurde in … geboren und wuchs dort auf. Sie war das zweite der insgesamt vier Kinder ihrer Eltern. Ihr Vater arbeitete als Möbelschreiner. Die Eltern und ihre Geschwister lebten zunächst in … und wohnen derzeit in …. In den 9 Schulklassen in … zeigte sie durchschnittliche Leistungen. Nach der Schule war sie zunächst, ohne einen Beruf auszuüben, zu Hause. Sie heiratete mit 17 Jahren ihren 6 Jahre älteren Ehemann. Sie haben vier gemeinsame Kinder: …, geb. am …, geb. am …, geb. am … und … geb. am …. Die Kinder leben derzeit in Pflegefamilien. Die Beschuldigte konsumierte weder Alkohol noch Drogen. Suizid oder Suizidversuche bei ihr oder in der Familie kamen nicht vor. Ihr Ehemann kam im Jahr 2015 nach Deutschland, die Beschuldigte über die … mit den beiden Kindern am 15.11.2018 nach. Die Familie wohnte in … im Landkreis …. Sie lebte von Zuwendungen des Job-Centers sowie dem Kinder- und Elterngeld. Dem Ehemann wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom … die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt jedoch mit Bescheid vom … widerrufen, nachdem er mit Urteil des Amtsgerichts … vom … wegen gefährlicher Körperverletzung mit Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung nach Auseinandersetzungen in einer Asylbewerberunterkunft vom … und … zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 1 Monat auf Bewährung verurteilt worden war. Die Beschuldigte hat keine Vorahndungen. Sie versteht und spricht die deutsche Sprache derzeit nur äußerst bruchstückhaft, ist jedoch bestrebt sie alsbald zu erlernen.
Seit dem Unterbringungsbefehl, (Az: …) des Amtsgerichts … vom … befindet sie sich in einstweiliger Unterbringung im … in ….
II. Feststellungen zur Sache:
Vorgeschichte der Tat und Erkrankung der Beschuldigten:
Der Ehemann des Beschuldigten forderte sie in der Wohnung der Familie in … am Abend des 25.03.2021 auf, mit den Kindern nach … zurückzugehen, nachdem er im Gegensatz zur Familie nach … abgeschoben werden solle. Wenn sie sich weigere, drohte er sie umbringen.
Am 03.04.2021 um 02.20 Uhr teilte die Beschuldigte der Polizeistation … telefonisch mit, dass sie von ihrem Ehemann geschlagen worden sei. Sie gab auch an, dass er ihr mit einer Einwegrasierklinge, nach späteren Angaben mit einer Rasierklinge, Schnitte am Hals zugefügt habe. Tatsächlich befand sich der Ehemann zu diesem Zeitpunkt in … bei seinem Bruder.
Nach der polizeilichen Vernehmung am Vormittag des 03.04.2021 fuhr PHK … nach einem weiteren Notruf der Beschuldigen mittags zur Wohnung. Sie hatte die Koffer gepackt. Ein Gespräch mit der völlig hysterischen Beschuldigten war nicht möglich. Der Sohn … gab an, dass nachts Papa komme. Am 04.04.2021 eilte PHK … mit einem Notarzt nach einem weiteren Notruf der Beschuldigten erneut zur Wohnung. Dort gab die Beschuldigte gegenüber den beiden an, dass ihr Mann, der tatsächlich noch in … verweilte, ihr ins Bein eine Spritze gegeben habe, um sie zu vergiften. Nachdem der Notarzt keine Einstichstelle finden konnte, gab sie an, dass ihr Mann ihr Tabletten gegeben habe. PHK … nahm telefonisch Kontakt mit dem Ehemann auf. Dieser reiste aus … an. Ihm wurde ein Kontaktverbot durch PHK … mitgeteilt. Er gab bereitwillig den Wohnungsschlüssel und die EC-Karte ab. Anschließend begab sich der Ehemann zur Wohnung und trat dort gegen 16.35 Uhr mit dem Fuß die Wohnungstüre ein. Die Beschuldigte und ihr Sohn … hatten versucht, die Türe zuzuhalten. Durch das Eintreten der Türe flog diese gegen … Kopf, wodurch dieser Schmerzen erlitt. Als nach einem Notruf die Polizei ankam, kam der Ehemann mit erhobenen Händen aus der Wohnung heraus. Die Beschuldigte hatte sich mit den Kindern im Schlafzimmer eingesperrt. PHK … brachte die Beschuldigte mit den Kindern in eine Pension. Als man aus der Pension heraus ein Rufen hörte, bekam die Beschuldigte dadurch Todesangst und lief mit ihrem kleinen Sohn … für PHK … völlig unvermittelt und überraschend in die Fahrbahn der Straße, auf der glücklicherweise kein Fahrzeug unterwegs war.
Am 06.04.2021 bezog die Beschuldigte mit ihren Kindern zum Schutz vor dem gewalttätigen Ehemann ein Zimmer im ersten Stock des Frauenhauses in der … in …. Obwohl der Beschuldigten mittels einer Dolmetscherin die Vorgänge und die Hausordnung nahegebracht wurden und auch die Heimleiterin … die arabisch spricht, mit ihr immer wieder das Gespräch suchte, war die Beschuldigte gegenüber den Mitarbeiterinnen und Hausbewohnerinnen sehr misstrauisch. Im Laufe ihres Aufenthalts bildete sich die Beschuldigte unter anderem ein, dass ihr Mitbewohnerinnen Drogen oder Gift ins Essen tun könnten. Sie kümmerte sich nicht ausreichend um ihre Kinder, die in anderen Kühlschränken essbares suchen mussten und bei kalten Temperaturen völlig unzureichend angezogen waren. Die Beschuldigte kümmerte sich insbesondere nicht hinreichend um die beiden kleineren Kinder, um die sich regelmäßig die größeren Kindern kümmern und sie trösten mussten. Die Beschuldigte warf regelmäßig ohne erkennbaren Grund benutztes Geschirr, Töpfe und Pfannen im gelben Sack weg. Am 26.04.2021 mahnte die Leiterin des Frauenhauses … die Beschuldigte wegen des immer merkwürdigeren Verhaltens ab. Diese gab trotz des Einwands, dass dies für sie unmöglich zu bewerkstelligen sei, bestimmt an, dass sie ausziehen und sich eine Wohnung suchen werde. Am 27.04.2021 gab sie gegenüber der Zeugin … an, dass ihre Tochter … ihren Vater, der sich in Untersuchungshaft befand, sehen möchte. Mit gepackten Koffern, jedoch ohne Geld und gültigen Ausweis sowie ohne Fahrausweise fuhr sie mit den vier Kindern mit dem Zug nach …. Gegenüber der Bundespolizei gab sie dort an, dass sie ihre Mutter in der … besuchen wollten. Die Mutter der Beschuldigten lebt nach wie vor in …. Die Polizei behielt einstweilen den Schlüssel zum Frauenhaus. Die Familie wurde dorthin wieder zurückgebracht. Am Vormittag des 29.04.2021 sah sich die Leiterin des Frauenhauses … aufgrund des nicht einschätzbaren Verhaltens der Beschuldigten veranlasst, bei der … eine möglichst rasche Untersuchung des gesundheitlichen Zustands der Beschuldigten im Bezirkskrankenhaus … zu beantragen. Nach mehrfachem Drängen wurde schließlich, ohne dies der Beschuldigten vorher mitzuteilen, vereinbart, dass die Beschuldigte um 16.30 Uhr durch Polizeibeamte mit einer Dolmetscherin ins Bezirkskrankenhaus gebracht werden sollte.
Am Vormittag des 29.04.2021 schlug die Beschuldigte am Balkon ihres Zimmers mit einem Hammer auf ein Handy ein. Sie bildete sich ein, dass Angehörige ihres Ehemanns sie über dieses überwachen könnten. Die Schläge waren so zahlreich und heftig, dass das Handy Feuer fing bis die Leiterin … dazwischenging.
Als die beiden Mitarbeiterinnen des Frauenhauses, … und … gegen 16.00 Uhr die Beschuldigte unter einem Vorwand nach unten bitten wollten, hatte sie die Tür zum Zimmer mit zuvor gepackten Koffern verbarrikadiert.
Zur Tat:
Kurz nach 16.00 Uhr fasste die Beschuldigte den Entschluss, dass sie und ihre drei jüngeren Kinder nicht weiterleben und vom Fenster auf den gepflasterten Gehweg stürzen sollten. Sie meinte, dass der Teufel mit ihr spreche, erkannte keinen Ausweg für sich und ihre Kinder als den Tod, um ihnen vermeintlich ein besseres Leben nach dem Tod zu ermöglichen. Sie ergriff ihre Tochter … und beförderte sie über die Fensterbank hinweg nach draußen, wo sie 5,08 Meter tief auf den gepflasterten Gehweg stürzte. Sie zog sich dabei glücklicherweise nur leichte Prellungen und Hämatome an der Hüfte zu.
Die Beschuldigte leidet an einer paranoiden Schizophrenie und war nicht in der Lage das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Anschließend stürzte auch die Tochter … aus dem Fenster auf den Gehweg und zog sich eine Orbitalbodenfraktur rechts, einen Fersenbeinbruch rechts, eine Kieferhöhleneinblutung, ein Monokelhämatom rechts und diverse Prellungen sowie Abschürfungen zu. Dabei ist zu Gunsten der Beschuldigten davon auszugehen, dass die Beschuldigte … nicht durch ein körperliches Einwirken der Beschuldigten nach draußen beförderte und auch nicht durch Zureden oder Anschreien sie zum Springen aufforderte. Zu Gunsten der Beschuldigten muss von der Möglichkeit ausgegangen werden, dass sie, betroffen vom Sturz ihrer Schwester oder um ihr nahe zu sein oder helfen zu wollen aus eigenem Entschluss nachsprang.
Vorgänge nach der Tat:
Die Beschuldigte, die ihren Sohn … mit einem Tragetuch am Bauch befestigt hatte, setzte sich auf die Fensterbank und schrie auf arabisch zu den Passanten und Polizeibeamten, dass sie runterspringe, wenn ihr Mann nicht zurückkomme. Man solle sie in Ruhe lassen und ihr ihren Mann zurückbringen. Sie packte ihren Sohn … mit beiden Händen und machte damit eine Bewegung, als wenn sie ihn aus dem Fenster werfen wolle. Der Sohn … klammerte sich schreiend an die Füße seiner Mutter und stellte sich zeitweise auch auf ihren Geheiß den Fenstersims.
Die zur Hilfe herbeigeeilte Passantin … verschaffte sich durch starkes Drücken der Tür Zutritt zum Zimmer, konnte jedoch die hysterisch schreiende Beschuldigte nicht beruhigen und nicht vom Fenster wegbewegen. Die Beschuldigte schrie die Zeugin … an, wegzugehen, warf einen nicht genau identifizierbaren Gegenstand in ihre Richtung, um dieser Aufforderung Nachdruck zu verleihen. Sie erhob eine gebrauchte Windel und später eine Flasche und drohte damit, auf sie zu werfen. Erst die eindringenden Polizeibeamten … und … konnten die Beschuldigte nach einem körperlichen Zugriff vom Fenster entfernen und sie fixieren, so dass man ihr den Sohn … abnehmen konnte.
III. Beweiswürdigung
1. Einlassung der Beschuldigten:
a) Im Ermittlungsverfahren hat sich die Beschuldigte nicht eingelassen.
b) In der Hauptverhandlung gab die Beschuldigte folgende schriftliche auch von ihr autorisierte Erklärung Ihres Verteidigers ab:
(1.) Es darf der Einlassung vorangestellt werden, dass Frau … zum Vorfall am 29.04.2021 nur noch lückenhafte Erinnerungen hat.
(2.) Richtig ist, dass Frau … am 29.04.2021 gegen 16 Uhr das Frauenhaus in der … zusammen mit ihren Kindern verlassen wollte. Den genauen Grund kann Frau … zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr nennen. Sie wollte ihrer Erinnerung nach nur weg.
Sie war zu diesem Zeitpunkt in einer psychischen Ausnahmesituation. Zum einen war sie von ihrem Ehemann geflüchtet, der gegenüber den Kindern und ihr gewalttätig wurde. Zum anderen leidet sie an einer psychotischen Störung mit Symptomen einer Schizophrenie, was ihr zum damaligen Zeitpunkt nicht bewusst war, sie jedoch jetzt aufgrund der Behandlung im Rahmen der vorläufigen Unterbringung erkannt hat.
(3.) Die Flucht aus dem Frauenhaus war durch die Tür nicht möglich, da die Tür verschlossen und sie zu diesem Zeitpunkt keinen Schlüssel mehr hatte. Nicht erinnerlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Koffer gepackt waren.
Um das Frauenhaus zu verlassen, war aufgrund der versperrten Eingangstür lediglich – aus ihrer Sicht – eine Flucht über das Fenster möglich. In welcher Reihenfolge und auf welchem Wege sie die Töchter … und … aus dem Fenster gestürzt sind, ist ihr heute nicht mehr erinnerlich, wobei sei davon ausgeht, dass sie … aus dem Fenster hat fallen lassen, … selbst auf Drängen von ihr gesprungen ist. Dies kann sie jedoch nicht mehr hundertprozentig sagen.
Jedoch verhält es sich so, dass Frau … dafür Sorge getragen hat, dass die beiden Kinder … und … schlussendlich aus dem Fenster gestürzt sind.
Ausdrücklich betont werden muss, dass die Angeklagte in keinster Weise den Tod ihrer Kinder wollte. Auch die größere Entfernung des Fensters zum Gehsteig hat sie – rückblickend betrachtet – nicht realisiert.
(4.) Frau … liebt ihre Kinder über alles und wollte in keinster Weise, dass diese in Todesgefahr gebracht werden. Frau … tut es unendlich leid, ihren beiden Kindern Schmerzen zugefügt und schlussendlich durch diesen Vorfall den Kindern auch die Mutter weggenommen zu haben. Wenn es möglich wäre, würde Frau … die Zeit bis vor diesem Vorfall zurückdrehen.
(5.) Seit dem 29.04.2021 befindet sich Frau … nunmehr im Bezirksklinikum. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat Frau … jedoch mittlerweile die Einsicht gewonnen, dass sie an einer erheblichen psychischen Erkrankung leidet. Frau … wünscht sich nichts mehr, als diese Krankheit nunmehr in den Griff zu bekommen bzw. die bereits vorhandenen Erfolge weiter auszubauen. Ihr sehnlichster Wunsch ist, ihre Kinder wieder zu sehen.
(6.) Abschließend will Frau … nochmals ausdrücklich betonen, dass es nie ihr Ziel war, ihre Kinder zu verletzen geschweige denn zu töten. Sie wollte einfach das Frauenhaus verlassen. Es tut ihr unendlich leid, welche Schmerzen, gleich ob psychischer oder physischer Art, sie ihren Kindern zugefügt hat.
(7.) Auch darf von Frau … ausdrücklich betont werden, dass sie mit jeder stationären oder ambulanten Maßnahme, die für die Heilung ihrer Krankheit erforderlich ist, einverstanden ist, etwa die Durchführung einer Psychotherapie oder eine medikamentöse Behandlung. Der Wille von Frau … ist, dass sie keine Dritten, sich selbst und insbesondere ihre Kinder jemals wieder gefährdet.
2. Überzeugung der Kammer:
Die Kammer ist aufgrund einer Gesamtwürdigung sämtlicher beweisrelevanter Tatsachen davon überzeugt, dass sich das Geschehen wie unter II. festgestellt, tatsächlich zugetragen hat.
Die Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen auf den glaubhaften Angaben der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen.
Der Zeuge PHK … gab in der Hauptverhandlung an, dass es am 25.03.2021 einen ersten Fall gegeben habe, bei dem die Beschuldigte angegeben habe, von ihrem Mann mit dem Umbringen bedroht worden zu sein, wenn sie nicht mit den Kindern mit ihm nach … zurückgehe.
Am 03.04.2021 habe die Beschuldigte der Polizeistation … telefonisch mitgeteilt, dass sie von ihrem Ehemann geschlagen worden sei. Sie habe angegeben, dass er ihr mit einer Einwegklinge, nach späteren Angaben mit einer Rasierklinge, Schnitte am Hals zugefügt habe. Am Vormittag des 03.04.2021 sei er nach einem weiteren Notruf der Beschuldigten mittags zur Wohnung gefahren. Sie habe die Koffer gepackt gehabt. Ein Gespräch mit ihr sei nicht möglich gewesen, da sie völlig hysterisch gewesen sei. Der Sohn … habe angegeben, dass Papa komme. Am 04.04.2021 sei er mit einem Notarzt wegen eines weiteren Notrufs der Beschuldigten erneut zur Wohnung geeilt. Dort habe die Beschuldigte angegeben, dass ihr Mann, ihr eine Spritze ins Bein gegeben habe, um sie zu vergiften. Der Notarzt habe jedoch mitgeteilt, dass er keine Einstichstelle habe finden können und die Beschuldigte darauf angegeben habe, dass ihr Mann ihr nichts gespritzt, sondern sie mit Tabletten vergiftet habe. Nach einem telefonischen Kontakt mit dem Ehemann sei dieser einige Stunden später in der Polizeistation erschienen. Er habe gesagt, dass er aus … komme und bei seinem Bruder gewesen sei. Ein Zugticket habe er vorgezeigt. Nachdem ihm ein Kontaktverbot mitgeteilt worden sei, habe er bereitwillig den Wohnungsschlüssel und die EC-Karte abgegeben und sei gegangen. Nach einem anschließenden erneuten Notruf sei er erneut zur Wohnung geeilt und der Ehemann mit erhobenen Händen herausgekommen. Die Beschuldigte sei mit den Kindern im Schlafzimmer eingesperrt gewesen. Die Wohnungstür, die sich vorher schon in einem schlechten Zustand befunden habe, sei vom Ehemann gewaltsam eingedrückt bzw. eingetreten und beschädigt worden. Dabei sei die Tür gegen den Kopf des Sohns … gestoßen. Er habe die Beschuldigte und die Kinder zu einer Pension gebracht. Als man aus der Pension heraus ein Rufen gehört habe, habe die Beschuldigte für ihn völlig überraschend durch das Rufen große Angst bekommen und sei mit dem kleinen Sohn … unvermittelt in die Fahrbahn der daneben gelegenen Straße gelaufen, auf der glücklicherweise kein Fahrzeug unterwegs gewesen sei.
Zeuginnen … und …:
Die Zeugin … Leiterin des Frauenhauses, gab an, die Beschuldigte habe am 06.04.2021 mit ihren Kindern ein Zimmer im 1. Stock des Frauenhauses in der … bezogen. Mit Hilfe einer Dolmetscherin sei ihr die Hausordnung bekannt gegeben worden. Sie selbst spreche unter anderem relativ gut arabisch und habe mit der Beschuldigten immer wieder das Gespräch gesucht. Diese sei jedoch von Anfang an ihr gegenüber, den Mitarbeiterinnen und den Hausbewohnerinnen sehr misstrauisch gewesen. Sie habe auffällige Verhaltensweisen gezeigt, sich u.a. eingebildet, dass ihr Mitbewohnerinnen Drogen oder Gift ins Essen tun könnten. Sie habe sich nicht ausreichend um ihre Kinder gekümmert. Diese hätten in anderen Kühlschränken nach Essbarem gesucht und seien bei kalten Temperaturen völlig unzureichend angezogen gewesen. Die beiden größeren Kinder hätten sich regelmäßig um die beiden kleineren Kinder kümmern und sie trösten müssen. Die Beschuldigte habe völlig unverständlicherweise immer wieder benutztes Geschirr, Töpfe und Pfannen in den gelben Sack gegeben und zum Papiermüll gestellt. Danach gefragt, habe sie dies bestritten, dieses Verhalten aber nicht geändert; Nach einem ermahnenden Gespräch am 24.04.2021 habe sie gesagt, dass sie ausziehen und sich eine Wohnung suchen werde. Ihren Einwand, dass sie dies doch unmöglich alleine schaffen könne, habe sie ignoriert. Am 27.04.2021 habe sie gesagt, dass … ihren Vater sehen möchte. Dieser habe sich jedoch in Untersuchungshaft befunden. Mit gepackten Koffern habe sie das Frauenhaus mit den Kindern verlassen. Sie sei davon unterrichtet worden, dass die Bundespolizei die Familie in … ohne Fahrausweise, ohne Geld und gültige Ausweise angetroffen habe und die Beschuldigte gegenüber der Bundespolizei angegeben habe, dass sie ihre Mutter in der … besuchen wolle. Für sie sei das völlig unverständlich gewesen, zumal die Mutter der Beschuldigten nach wie vor offensichtlich in … gelebt habe. Die Familie sei anschließend wieder ins Frauenhaus zurückgebracht worden. Wegen des immer ungewöhnlicheren Verhaltens der Beschuldigten habe sie am 29.04.2021 vormittags mit der Stadt … schriftlich und mehrfach telefonisch Kontakt aufgenommen und schließlich erreichen können, dass um 16:30 Uhr Polizeibeamte und eine Dolmetscherin die Beschuldigte ins Bezirkskrankenhaus … bringen sollten, um sie dort auf ihren auffälligen psychischen Gesundheitszustand hin untersuchen zu lassen. Am Vormittag des 29.04.2021 sei sie dann darauf aufmerksam geworden, dass die Beschuldigte am Balkon ihres Zimmers mit einem Hammer so heftig auf ein Handy eingeschlagen habe, dass der Akku schon Feuer gefangen habe und sie dazwischen habe gehen müssen. Sie habe ihr gegenüber angegeben, dass sie das Handy zerstöre, weil Angehörige ihres Ehemannes sie über dieses überwachen würden. Die Kolleginnen … und … seien dann gegen 16:00 Uhr zur Wohnungstür gegangen, um die Beschuldigte unter einem Vorwand zu bitten, doch herauszukommen. Die Wohnungstüre habe sich jedoch wegen davorgestellter Koffer nur einen Spalt breit öffnen lassen. Dabei hätten die Mitarbeiterinnen gesehen, dass die komplette Familie angezogen gewesen sei. Es seien dann andere Kinder aus dem Spielzimmer gelaufen und hätten mitgeteilt, dass die beiden Töchter der Beschuldigten vor dem Haus auf dem Pflaster lägen; Zwischenzeitlich eingetroffene Polizeibeamte hätten es geschafft, ins Zimmer zu dringen und die Beschuldigte zu überwältigen.
Die Mitarbeiterinnen … und … bestätigten diese Angaben der Zeugin …:
Zeugin …:
Die Zeugin gab an, dass sie als Justizbedienstete gegen 16:00 Uhr das gegenüber dem Frauenhaus befindliche Justizgebäude … verlassen habe und von einem Kollegen darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass eine Frau Kinder aus dem Fenster schmeiße. Eine Frau habe am Fenster ein Kind vor der Brust getragen, welches durch zwei Gurte gesichert gewesen sei. Die Frau habe sie in einer fremden Sprache gezielt angeschrien und ihr mit der flachen Hand angezeigt, dass sie stehen bleiben solle. Dann sei eine Frau gekommen, die gesagt habe, dass sie die Sprache der Frau verstehe. Nach den Angaben dieser Frau habe die Beschuldigte am Fenster gesagt, dass ihr Mann im Gefängnis sitzen würde und sie möchte, dass er sofort zu ihr komme.
Die Passantin … gab als Zeugin an, dass sie zwei Kinder auf dem Boden habe liegen sehen, das ältere Mädchen habe im Gesicht über dem rechten Auge eine Wunde gehabt und stark geblutet, das andere Kind sei ein ca. 2-jähriges Mädchen gewesen.
Zeuge …:
Der Zeuge gab an, dass er als passierender Pkw-Fahrer ein kleines Kind und dann ein weiteres Kind auf dem Gehweg habe liegen sehen. Er sei dann darauf aufmerksam geworden, dass oben am Fenster eine Frau stehe, welche in einem Schal ein Kleinkind bei sich getragen habe. Für ihn habe es den Anschein erweckt, als wolle die Frau ebenfalls springen.
Zeugin …:
Die Zeugin …, welche als Lehrerin der angrenzenden Wirtschaftsschule zufällig auf das Geschehen aufmerksam wurde, gab an, in der … ein am Boden liegendes Kind gesehen zu haben. Im Hintergrund habe sie eine sehr aufgebrachte Frauenstimme in einer für sie nicht verständlichen Sprache gehört. Sie habe dann im ersten Obergeschoss plötzlich ein merklich älteres Kind gesehen, welches aus dem Fenster gefallen sei. Die am Fenster im ersten Obergeschoss stehende Frau mit dem Säugling vor der Brust habe einen verstörten und hysterischen Eindruck gemacht und überhaupt nicht auf die Rufe des gestürzten Kindes reagiert. Sie habe damit gerechnet, dass die Frau im ersten Obergeschoss das Kleinkind vor der Brust auch hinunterwerfen will. Sie habe das Kind mehrfach mit ausgestreckten Armen aus dem Fenster gehalten und sich selber mit dem kompletten Oberkörper über das Fensterbrett gebeugt. Zu einem Sprung sei es glücklicherweise nicht gekommen.
Zeugen … und …:
Die als Fahrer bzw. Beifahrer in der … fahrenden Zeugen gaben an, dass sie zwei Kinder auf dem Gehweg haben liegen sehen. Oben am Fenster im ersten Stock sei eine Frau gestanden mit einem Baby vor der Brust, die einen sehr verwirrten Eindruck gemacht habe. Sie hätten befürchtet, dass sie das kleine Baby fallen lassen würde.
Zeugin …:
Die zufällig passierende Zeugin gab an, dass sie auf eine Frau aufmerksam geworden sei, die im oberen Stockwerk des Frauenhauses bei geöffnetem Fenster ein Kleinkind in der Hand gehalten habe. Sie habe auf dem Gehweg ein kleines und ein älteres Kind liegen sehen. Später sei sie ins Frauenhaus gegangen und habe es geschafft, die Zimmertüre aufzubringen, indem sie voll dagegen gedrückt habe. Die Frau habe ein Kleinkind in einer Art Tragegurt am Bauch getragen. Die Frau habe immer wieder zu ihr gesagt, dass sie weggehen solle. Einen Gegenstand, den sie nicht mehr genauer identifizieren könne, habe die Frau in ihre Richtung geworfen und später auch eine gebrauchte Windel und eine Flasche in der Hand gehalten und Anstalten gemacht, diese auf sie zu werfen. Der Junge habe immer wieder „Mama, Mama“ geschrien, geweint und sich an die Füße der Frau geklammert. Schließlich seien Polizeibeamte gekommen, die die Frau vom Fenster entfernt und überwältigt hätten, so dass man ihr das kleine Kind habe abnehmen können.
Zeugin …:
Die Zeugin gab an, dass sie zufällig in der … unterwegs gewesen sei und gehört habe, dass eine ihr bis dahin unbekannte Frau etwas aus dem Fenster in arabischer Sprache rufe. Sie beherrsche die arabische Sprache als ihre Muttersprache gut und leiste inzwischen auch Übersetzungstätigkeiten für die Polizei. Die Frau habe gerufen: „Wenn mein Mann nicht zurückkommt, springe ich runter! Lasst mich in Ruhe, bringt mir meinen Mann zurück!“. Als sie im Frauenhaus bei der polizeilichen Vernehmung gedolmetscht habe, habe die Frau gesagt, dass sie die Kinder aus dem Fenster geworfen habe, damit sie ein besseres Leben hätten. Später habe sie gesagt, dass die Kinder sowieso sterben würden und geäußert: „Lieber töte ich sie, als dass es jemand anderes tut!“. Die Frau habe während dieser Aussage gelacht, so dass sie diese Aussage nicht so ernst genommen habe. So wie sie sie erlebt habe, glaube sie schon, dass die Frau ihre drei kleineren Kinder habe töten wollen. Sie habe gesagt, der große Junge sei ihr egal. Weiterhin habe sie geäußert, dass sie sich in dem Frauenhaus eingesperrt fühle und sie auch keinen Schlüssel habe, um die Eingangstüre aufzusperren. Außerdem bekomme sie nichts zu essen und zu trinken. Ihre Kinder würden zweimal die Woche außerhalb der Schule einen Ethik-Unterricht haben, sie wolle das nicht, sie wolle ihre Kinder anders erziehen, sie wolle die Kinder religiös nach der islamischen Kultur erziehen. Dann habe sie wiederholt, dass es ihr egal wäre, wenn die Kinder sterben würden. Die Frau sei die ganze Zeit eiskalt und sehr ruhig gewesen, sie habe keine Gefühle und keine Reue gezeigt. Nach dem Wohlergeben der Kinder habe sie nicht gefragt.
Zeugen … und …:
Die Zeugen gaben an, dass sie als erstzugreifende Polizeibeamte in das Zimmer gedrungen seien. Es sei gelungen, die am Sims des geöffneten Fensters befindliche Beschuldigte mit dem Kleinkind in der Trage vor der Brust vom Fenster wegzudrücken. Sie hätten sie zu Boden drücken können und fixiert, so dass man das Kleinkind wegnehmen habe können.
Zeuge …:
Der Zeuge gab an, dass die Beschuldigte zunächst vom 29. bis 30.04.2021 im Bezirkskrankenhaus … untergebracht worden sei. Als Facharzt für Psychiatrie habe er sie untersucht. Zu Fragen habe sie die Aussage verweigert. Sie habe sich weggedreht, wenig bewegt und wenig Augenkontakt hergestellt. Sie habe emotionslos gewirkt. Er habe eine psychiatrische Erkrankung angenommen, jedoch noch keine Diagnose gestellt. Sie sei die ganze Zeit im Bett gelegen und habe keine Wünsche geäußert.
Zeuge …:
Er gab an, dass er nach dem Vorfall von der Polizei hinzugezogen worden sei, um unter Hinzuziehung einer Dolmetscherin die Haftfähigkeit der Beschuldigten zu prüfen. Sie habe einen gefasst und ruhigen Eindruck gemacht und sei kooperativ und nicht abgewendet gewesen. Sie habe davon gesprochen, dass sie sich und ihre Kinder habe umbringen wollen. Er habe die Arrestfähigkeit festgestellt und darauf gedrängt, dass die Beschuldigte in einer geschützten Einrichtung untergebracht werde.
Sachverständiger Zeuge …:
Der Zeuge gab an, dass er als Kinderarzt im Klinikum … die Kinder … und … untersucht und behandelt habe. … sei fast unverletzt gewesen und habe nur leichte Prellungen und ein blasses Hämatom an der Hüfte aufgewiesen. … habe sich eine Orbitalbodenfraktur rechts, einen Fersenbeinbruch rechts, einen Bruch des linken Wadenbeins, eine Kieferhöhleneinblutung, Nasenbluten, ein Monokelhämatom rechts und diverse Prellungen sowie Abschürfungen zugezogen. 6 Wochen lang habe sie sich mühsam nur mit einer Teilbelastung fortbewegen können. Ein Sturz aus einer Höhe von über 5 Metern auf einen gepflasterten Gehweg sei nach seiner ärztlichen Erfahrung und sachverständigen Einschätzung generell lebensgefährlich, insbesondere bei Aufschlagen des Kopfes auf einen harten, gepflasterten Boden.
Zeugen KHK … und KOK …:
Die beiden Polizeibeamten gaben an, dass sie die Beschuldigte nach dem Vorfall unter Beiziehung der Zeugin … als Dolmetscherin zum Tatvorwurf vernommen hätten. Die Beschuldigte habe gefasst, aber emotionslos gewirkt. Nach dem Wohlbefinden ihrer gestürzten Kinder habe sie sich nicht erkundigt. Auf die Frage, ob sie ihre beiden anderen Kinder auch aus dem Fenster habe werfen wollen, habe sie geantwortet: „Nein, den großen nicht! Aber ich wollte mit … in den Tod springen.“ Auf die Frage: „Wollten sie, dass … und … sterben?“ habe sie geantwortet: „Ich wollte, dass sie ein besseres Leben haben. Sie sollen es in einer anderen Welt besser haben!“. Auf die Frage: „Sind sie sich bewusst, dass … und … tot sein könnten?“ habe sie geantwortet: „Ja, war mir bewusst.“ Auf die Frage: „War es ihr Ziel, dass die beiden tot sind?“ habe sie geantwortet: „Ja, lieber sollen sie tot sein, bevor sie mir weggenommen werden.“ Auf die Frage: „Warum denken sie, dass ihre Kinder weggenommen werden?“ habe sie geantwortet: „Die Frauen hier im Haus zwingen mich, Sachen zu machen, die ich nicht will, z.B. dass meine Kinder in den Ethikunterricht geschickt werden.“
Auf die Frage: „Was stört sie am Ethikunterricht?“ habe sie geantwortet: „Aus religiösen Gründen, wir Muslime haben andere Ansichten“. Auf die Frage: „Verstehe ich es richtig, dass sie ihre Kinder aus dem Fenster geworfen haben, weil sie nicht wollten, dass sie weltoffen unterrichtet werden?“ habe sie geantwortet: „Ja, auch, aber auch, weil ich so enttäuscht war, dass meine Kinder nicht zu ihrem Vater dürfen und weil hier alles so streng war und ich zu allem gezwungen wurde, z.B. wurden mir die Toilettenzeiten vorgegeben.“
Auf die Frage: „Sind sie orientiert, wissen sie, welches Datum wir haben?“ habe sie geantwortet: „Heute ist Donnerstag, Ende April. Genaues Datum weiß ich nicht.“ Während des gesamten Gesprächs sei sie voll orientiert und ansprechbar gewesen. Sie habe einen gefestigten Eindruck gemacht und nie unpassend auf Fragen reagiert. Hin und wieder habe sie gelacht über ihre Einlassungen, beispielsweise über die Antwort zum Ethikunterricht.
Zeuge KHK …:
Der Zeuge gab an, dass er den Tatortbefund- und Spurensicherungsbericht erstellt habe und deswegen am 29. und 30.04.2021 vor Ort gewesen sei. Die Höhe von der Oberkante des äußeren Fensterbrettes bis zum Gehweg betrage, gemessen mit einem Handlasermesser, 5,08 Meter, die Gesamtbreite des Fensterbrettes 1,37 Meter und die Höhe zur Oberkante vom Fußboden aus gemessen 81 cm. Vor dem Fenster befinde sich der gepflasterte Gehweg.
Zeuge KHK …:
Der Zeuge gab an, dass er als Sachbearbeiter die Kinder … und … zu den Vorgängen vernommen habe. Die Kinder hätten einen stabilen und aufgeweckten Eindruck gemacht. Die Vernehmungen, seien sehr schwierig verlaufen. … sei noch sehr kindlich und verspielt gewesen, so dass man letztlich von einer unbrauchbaren Vernehmung ausgehen habe müssen und er die Anhörung dann abgebrochen habe.
… habe deutliche Erinnerungsprobleme gezeigt. Verwertbare Angaben zum Ablauf des Geschehens habe er daher insgesamt ebenfalls nicht machen können. Er habe jedoch angegeben, dass seine Mutter, im Zimmer immer wieder gesagt habe, den Teufel gesehen zu haben. Diese Angaben seien für ihn glaubhaft gewesen, er habe sie so verstanden, dass sich die Beschuldigte nach den Angaben des Sohnes vom Teufel verfolgt gefühlt habe. Der Zeuge gab weiterhin an, dass das sichergestellte Handy der Beschuldigten mit Hilfe der Dolmetscherin … hinsichtlich ihrer WhatsApp-Kontakte vor dem Tatgeschehen am 29.04.2021 ausgewertet worden sei. Bei der Auswertung sei festgestellt worden, dass die Beschuldigte lediglich 5 Personen in ihrer Kontaktliste geführt habe, einen Herrn … eine Person namens … ihren Vater bzw. Mutter, ihren Ehemann und eine Person namens …. Zu den ausgewerteten, versandten Audio-Nachrichten, welche sie an ihre Mutter gesandt habe, sei folgendes festgestellt worden:
21.04.2021
Frau … schildert, dass ihr Ehemann ein Unmensch sei. Kein Mensch mit Herz sei und auch die Kinder nicht liebt. Daraufhin antwortet ihre Mutter, sie soll aus dem Haus ausziehen, in dem sie geschlagen und getötet wird. Im weiteren Verlauf erzählt Frau … vom Frauenhaus in … und von einer angenehmen Atmosphäre. Außerdem gibt sie ihrer Mutter gegenüber an, dass ihr Ehemann ihr den … Personalausweis und den Reisepass weggenommen habe. Ihr Mann will, dass sie Deutschland nicht verlassen kann. Auch ihre Schwiegermutter in … habe Dokumente von ihr. Des Weiteren gibt sie ihrer Mutter gegenüber an, dass „sie“ versucht haben, sie verrückt zu machen und dass sie mit Tabletten dazu gebracht werden soll. Außerdem musste sie Haschisch rauchen. Ihre Mutter sagte ihr daraufhin: „Die machen Dich nur verrückt und bringen Dich wieder ins Haus.“
Frau … sagt, ihr Mann und seine Familie wollen sie entführen, dann auf dem Land frei lassen, damit sie „verrückt“ wird. Ihr altes Smartphone wurde von ihrem Mann und den „anderen“ gelesen.
23.04.2021:
Frau … gibt ihrer Mutter gegenüber an, Probleme mit einem Mann namens … zu haben. Außerdem sei sie müde und schwach. Sie kann die Situation nicht mehr ertragen. Ihrer Mutter gegenüber gibt sie weiterhin an, nicht mehr gehasst zu werden und ihre Ruhe haben zu wollen. Sie will keinen Mann der „Musa“ heißt. Auch wenn sie geschieden sei, sei sie nach religiösem Recht verpflichtet, bei keinem anderen Mann zu wohnen. Im weiteren Verlauf des Chats gibt sie an, dass ihr Mann ein guter, aber ein fauler Mensch sei. Außerdem sei sie müde und kann nicht schlafen. Daraufhin sagte ihre Mutter, sie soll Paracetamol nehmen. Frau … gibt ihrer Mutter gegenüber dann an, ohne Kinder wäre sie nichts und ohne Kinder hätte ihr niemand geholfen.
24.04.2021:
Nachdem ihre Mutter sie fragt, wie es ihr geht, gibt sie an, viel besser, nachdem sie ins Frauenhaus gekommen ist. Sie bleibt dort lieber allein und einsam, will mit anderen keine Freundschaft pflege. Ihre Mutter sagt: „Geh nicht zurück und tu nicht das, was Du schon mal getan hast.“ Daraufhin antwortet Frau … dass … nichts damit zu tun hat. Es gibt gute und schlechte Männer.
25.04.2021:
Frau … wünscht sich den Tod aber stirbt einfach nicht. Auf Frage ihrer Mutter gab sie dann an, dass es kein Leben in einem Zimmer ist mit vier Kindern. Ihre Mutter sagt dann zu ihr „Komm in die Türkei.“ Daraufhin sagt Frau … ihrer Mutter, dass, wenn die Situation so bleibt, sie auch in die Türkei kommen wird. Die Eltern wollen daraufhin auch in die Türkei kommen, damit alle wieder zusammen sind. Frau … gab dann an, wiederholt schwach zu sein. Ihre Mutter wiederholt mehrmals, dass sie sich scheiden lassen und in die … kommen soll. Frau … gibt dann an, ihr Mann würde eine Frau zu ihr schicken, um sie zu beobachten. Sie fühlt sich ständig durch diese Frau beobachtet. Ihre Mutter sagt daraufhin, dass „die“ eine schicken würde, weil sie ein Tötungsdelikt angezeigt hat.
26.04.2021:
Ihrer Mutter gegenüber gibt Frau … an, dass außer ihrem Mann ihr niemand etwas angetan habe. Er macht alles nur, um ihr zu schaden.
27.04.20212:
Ihrer Mutter gegenüber gibt Frau … an, dass es ihr tagsüber gut geht, aber sie nachts nicht schlafen kann. Die Kinder möchten ihren Onkel besuchen. Daraufhin sagt ihre Mutter „Sei vorsichtig, gehe nicht zurück dorthin.“ Des weiteren will Frau … mit den Kindern die Cousins besuchen.
28.04.2021:
Die Mutter will den Bruder der Frau … besuchen. Bei einem geplanten Telefonat mit ihrem Bruder soll sie sagen, dass nichts passiert sei. Frau … weigert sich mit ihrem Bruder zu telefonieren. Dann gibt sie an, ihr Ehemann und seine Familie sind gut zu ihr. Sie liebe alle Menschen, aber niemand liebt sie. Sie sei glücklich im Frauenhaus und ihr wird viel geholfen. Um 16.55 Uhr gibt sie dann an, dass es ihr wieder sehr schlecht gehen würde. Sie fragt sich, warum sie nach Deutschland gekommen sei. Außerdem habe sie Bauchschmerzen.
29.04.2021:
Um 06.30 Uhr teilt sie ihrer Mutter mit, dass es ihr nicht gut geht. Sie habe seit zwei Tagen nicht geschlafen.
Um 16.18 Uhr teilt sie mit „es ist losgegangen“ (im Hintergrund ist ein Martinshorn zu hören).
Weitere WhatsApp-Nachrichten seien auf dem Handy der Beschuldigten nicht aufgefunden worden, so der Zeuge KHK … in der Hauptverhandlung.
Sachverständiger Zeuge …:
Der Sachverständige Zeuge gab an, dass die Beschuldigte seit 30.04.2021 stationär im Bezirkskrankenhaus … untergebracht sei. Er sei dort Psychologe und seit September 2021 Therapeut der Beschuldigten. Am Anfang des Aufenthalts bis etwas September 2021 habe die Beschuldigte bizarre Verhaltensweisen gezeigt. Sie habe sich z.B. die Zähne mit Erdreich geputzt, das Zimmer mit Urin geputzt und mit Kot beschmiert. Seit September würden die bizarren Verhaltensweisen abnehmen. In den letzten Wochen habe sie keine solchen mehr gezeigt. Anfangs habe sie Befürchtungen geäußert, vergiftet zu werden und, dass ihre Gespräche überwacht werden. Sie habe auch immer wieder berichtet, den Teufel zu sehen und zu hören. Der Teufel spiele, bis auch zuletzt noch, eine große Rolle in ihren Gedankengängen. Sie habe auch Gefühle des Ferngesteuertseins geäußert. Sie habe sich abweisend und provokant gezeigt.
Fremd- oder selbstaggressives Verhalten sei während des Aufenthalts nicht beobachtet worden. Wegen der Sprachprobleme, die nach wie vor massiv seien, sei eine Kommunikation jedoch schwierig. Zwei- bis viermal im Monat bestehe die Möglichkeit, sich mit einem Dolmetscher mit der Beschuldigten zu unterhalten. Sie zeige sich gewillt, einen Deutschkurs zu besuchen. Coronabedingt habe dieser jedoch nicht wie beabsichtigt durchgeführt werden können. Die oral ihr verabreichten und verordneten Medikamente habe sie teilweise nicht genommen. Der Medikamentenspiegel habe sich deswegen deutlich zu niedrig gezeigt. Am 01.12.2021 sei erstmals eine Depot-Spritze gegeben worden. Eine greifbare Verbesserung ihres Zustandes sei bislang nicht festzustellen.
Bei der Therapie arbeite sie nur teilweise mit, im Wesentlichen nur bei Therapien, die ihr Freude machen. Arbeitstherapien seien problematisch. Erinnerungen an die Tat habe sie zunächst geleugnet. Zur Tat habe sie später Suizidgedanken angegeben und geäußert, die Kinder sollten ein besseres Leben haben. Das Problembewusstsein für die Erkrankung sei bei der Beschuldigten nicht ausgeprägt. Ein geschlossenes Setting sei unbedingt erforderlich. In einem offenen Setting sei keineswegs sicher, dass sie die Behandlungsvorgaben und Termine einhalte. In einem nicht strukturierten Setting müsse man davon ausgehen, dass sie ein psychotisches Verhalten wie zuvor zeige und auch andere Menschen in Gefahr bringe.
Gesamtabwägung:
Die Kammer ist aufgrund der Angaben der Zeugen in Zusammenschau mit der Aussage der Beschuldigten davon überzeugt, dass sich das Geschehen wie unter II. festgestellt, tatsächlich zugetragen hat.
Die Zeuginnen … und … konnten bestätigen, dass die Beschuldigte sich mit ihren Kindern im Zimmer befand, während die Türe verbarrikadiert war, als sie verständigt wurden, dass die beiden Kinder vor dem Zimmerfenster auf dem Gehweg lagen. Zahlreiche oben angeführte Zeugen sahen die beiden Kinder ebenfalls auf dem Gehweg liegen, während die hysterische Beschuldigte in arabischer Sprache schreiend mit ihrem kleinen Sohn … auf dem Bauch geschnallt sich am Fenster befand.
Die Zeugen … und … konnten nach der Tat ins Zimmer eindringen und fanden dort am Fenster die Beschuldigte vor. Die Zeugen … und … bestätigten, dass die Beschuldigte auf die Frage, ob sie die beiden anderen Kinder auch aus dem Fenster habe werfen wollen, geantwortet habe: „Nein, den Großen nicht! Aber ich wollte mit … in den Tod springen.“ und sie auf die Frage: „Sind Sie sich bewusst, dass … und … tot sein könnten?“ geantwortet habe: „Ja, war mir bewusst.“ Der Zeuge … gab an, dass die Beschuldigte davon gesprochen habe, dass sie sich und ihre Kinder habe umbringen wollen.
Auch die Beschuldigte selbst gab in der Hauptverhandlung an, dass sie davon ausgehe, dass sie ihre Tochter … aus dem Fenster habe fallen lassen.
Auch wenn die unmittelbare Tathandlung von keinem Zeugen gesehen wurde, blieben daher keinerlei vernünftige Zweifel an der Tat gegenüber ihrer Tochter ….
Die Fallhöhe von 5,08 Meter vom Fenster auf den Gehweg ergab sich aus den Angaben des die Spuren sichernden Zeugen KHK … sowie aus der Inaugenscheinnahme der Lichtbilder des Tatorts.
Nicht hinreichend zweifelsfrei hingegen konnte die Kammer klären, ob eine Tathandlung der Beschuldigten verantwortlich war für das Herabstürzen ihrer Tochter …. Die vernommenen Zeugen konnten zu den Umständen ihres Sturzes keine Beobachtungen machen. Die Beschuldigte gibt an, dass nach ihrer lückenhaften Erinnerung … selbst auf Drängen von ihr gesprungen sei. Dies könne sie jedoch nicht mehr 100 %ig sagen. Der Zeuge … gab an, dass eine Bewertung der Aussage … sehr schwierig sei, aber … angegeben habe, auf die Frage, ob … auch geschubst oder von alleine gesprungen sei, letzteres bestätigt habe. Die Angaben der Beschuldigten bei der ersten Vernehmung gegenüber den Zeugen … und … dass ihr bewusst sei, dass … und … tot sein könnten, sind nach Auffassung der Kammer nicht ausreichend belastbar dahingehend, dass sie damit zugegeben hat, auch … durch unmittelbaren körperlichen Zwang oder durch drängendes Zurufen oder Zuschreien zum Sturz gebracht zu haben.
Zumal die Zeugin … angab, dass … sich um ihre Schwester … besonders gekümmert und ein inniges Verhältnis gehabt habe, hält es die Kammer zumindest für möglich, dass … ihrer kleinen Schwester aus Verzweiflung, um ihr nahe zu sein oder zu helfen, hinterhersprang. Weil diese näheren Umstände nicht aufgeklärt werden konnten, kann auch eine Tathandlung der Beschuldigten durch Bedrängen oder Unterlassen insoweit nicht hinreichend gesichert angenommen werden.
IV.
Unterbringung der Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus:
Das Gericht ordnet gem. § 63 Satz 1 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat und die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht (§ 62 StGB).
1. Ausführungen des Sachverständigen …
a) Den persönlichen Werdegang der Beschuldigten berichtete der Sachverständige … wie unter I. festgestellt.
Zum Tatvorwurf habe sie ausgeführt, dass sie am 29.04.2021 am Ende gewesen sei. Die Nachbarin habe „zu viele Drogen reingetan“. Die Haustüre sei geschlossen gewesen, sie habe nicht weg gekonnt. Sie habe nur die Kinder raus getan, um das Haus zu verlassen. Sie habe aus dem Fenster rausgehen wollen, sie habe den Kindern gesagt, „wir gehen jetzt raus aus dem Fenster“. … sei als erste rausgegangen, sie habe sie hinausgeworfen oder hinausgetan. … sei dann selber gesprungen. Sie habe nicht darüber nachgedacht, dass da etwas Schlimmes passiere. Sie habe ihren Kindern nicht weh tun wollen, dass sie ihren Kindern den Tod gewünscht habe, stimme nicht. Sie habe gesagt, dass sie sich wünsche, dass es die Kinder gut hätten im Paradies.
b) Zum psychopathologischen Untersuchungsbefund führte der Sachverständige aus, die Beschuldigte sei zum Untersuchungszeitpunkt wach und zu allen Qualitäten vollständig orientiert gewesen. Sie habe ihn freundlich begrüßt und die kulturübliche Distanz eingehalten. Die Angaben über die biographische Entwicklung seien logisch und in sich nachvollziehbar gewesen. Sie habe die Umstände ihres familiären Ursprungs sowie der Zeit nach der Übersiedlung von … nach Deutschland inhaltlich strukturiert ausgeführt. Die geistige Entwicklung sei aufgrund ihres schulisehen Abschlusses, aber auch nach den inhaltlichen Angaben in der Untersuchung im Bereich der normalen intellektuellen Leistungsfähigkeit einzuordnen.
Sie habe nicht über einschneidende Erlebnisses oder Traumatisierungen berichtet. Weder seien schwere Unfälle noch sexuelle oder körperliche Übergriffe angegeben worden. Die Gestaltung des Alltags in den letzten Monaten sei mit deutlichen Beeinträchtigungen für das körperliche und seelische Wohnbefinden geäußert worden.
Zum Zeitpunkt der Untersuchung am 08.07.2021 seien noch Symptome einer wahnhaft ausgestalteten Beeinträchtigungssymptomatik berichtet worden (Wahnwahrnehmungen über die Familie, sichere Gewissheiten, Wahnstimmung einer Unsicherheit, Vergiftungswahn – Handlungsrelevant, körperliche Symptome i.S.v. Zoenästhesien, Verfolgungswahn mit Wahrnehmung des Teufels i.S. eines religiös gefärbten paranoiden Erlebens).
Differentialdiagnostisch könne aber auch eine Minussymptomatik bzw. Desorganisiertheit im Rahmen einer polymorph-psychotischen Störung angenommen werden. Hinweise auf eine emotional unpassende Reaktion mit unangepasstem Lachen und einer unpassenden Fröhlichkeit seien wenige Male während der Untersuchung beobachtet worden.
Die Vergangenheit weise durchaus Hinweise für psychotische wahnhafte Episoden mit der Wahrnehmung von Fremdbeeinflussung durch die Familie des Ehemannes auf, negative Einflüsse auch durch eine Nachbarin, dem Auftreten von Denkstörungen im Sinne von Verwirrtheit, Zerfahrenheit und fehlender Handlungs- und Planungsfähigkeit im Alltag. Eine präzise Zuordnung über den Zeitraum sei wegen der widersprüchlichen Angaben kaum möglich, lasse aber auch negative Episoden vor dem März/April 2021 zu, was zur Einschätzung einer überdauernden Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis führe.
Eine Alkohol- oder Drogenintoxikation während des Tatzeitpunkts habe nicht bestanden, die Beschreibung der Primärpersönlichkeit sei eher schwierig, aufgrund einer kulturfremden Situation, die auch über ihren Dolmetscher berichtet werde. Aus psychiatrischer Einschätzung seien durchaus die Symptome einer polymorph-psychotischen Störung zugrundeliegend für die Schädigung der Kinder, was letztendlich zu einem Verlust der Wahrnehmungsfähigkeit für die Belange der Kinder, bzw. einer paranoiden Wahrnehmung mit einer akuten Bedrohung durch den Teufel geführt habe. Neben einer psychotischen Einengung der Wahrnehmung, stark ausgeprägten Ängsten und dem Versuch, möglichst schnell aus dem Frauenhaus zu kommen, könnten auch Handlungsunfähigkeit durch Denkstörungen in Betracht gezogen werden, die das juristische Eingangsmerkmal einer krankhaften seelischen Störung erfüllen.
Zum Untersuchungszeitpunkt habe keine ernsthafte Krankheits- und Behandlungseinsicht für die diagnostizierte paranoide Schizophrenie bestanden. Das Wissen über psychiatrische Störungen sei bei der Probandin nicht erkennbar ausgeprägt, sondern die zurückliegende Symptomatik werde bagatellisiert und dissimuliert.
Die Möglichkeit des Vorliegens einer akuten psychotischen Episode werde durch die Beschuldigte vollständig abgelehnt. Sie fühle sich gut und sei gesund und möchte in Freiheit entlassen werden. Eine gegenwärtig bestehende Compliance sei zwar für eine Depot-Medikation gegeben, wäre aber nach einer Entlassung aus der Unterbringung nicht mehr zu erwarten. Eine hinreichende Verbesserung ihres Zustandes nach der erstmals Anfang Dezember verabreichten Depot-Spritze sei derzeit noch nicht feststellbar.
Der Sachverständige … führte weiter aus, dass die begonnene medikamentöse Behandlung schon eine gewisse Wirkung zeige, aber momentan kein klares Verständnis bei der Beschuldigten für die Erkrankung vorliege. Nach wie vor komme es zu gereizten Phasen.
Da der Zeitraum bis zum ersten Auftreten paranoider wahnhafter Symptome vor der Tat nicht festgelegt werden könne, sei von einer akuten polymorph-psychotischen Störung mit den Symptomen einer Schizophrenie auszugehen. Im weiteren Verlauf sei nach dem Fortbestehen der Symptomatik auch im Hinblick auf eine medikamentöse Behandlung von einem systematischen Wahnerleben, das über 4 Wochen hinaus bestanden habe, somit von einer paranoiden halluzinatorischen Schizophrenie als Diagnose auszugehen.
So seien bisher keine Angaben darüber gemacht worden, dass imperatives Stimmenhören, Gedankenausweitung, Gedankeneingebung oder eine Ich-Störung eine besondere Rolle gespielt hätten. Des Weiteren seien keine formalen Denkstörungen erkennbar geworden. Darüber hinaus seien keine besonderen Schmerzsyndrome oder körperliche Beeinträchtigungen erkennbar im Sinne von Zoenästhesien. Im Rahmen der Diagnose einer akuten polyformen-psychotischen Störung mit Symptomen einer Schizophrenie seien sowohl die Grundlagen des Eingangsmerkmals einer krankhaften seelischen Störung erfüllt, aber darüber hinaus sei zur prognostischen Beurteilung von einem hohen Risiko einer erneut auftretenden psychotischen Episode oder deren Fortbestehen auszugehen.
Zur Schuldfähigkeit sei zu sagen, dass davon auszugehen sei, dass schon bei dem Versuch am 27.04.2021 … zu verlassen und in die … zu reisen, hier ein Beeinträchtigungserleben eine relevante Rolle gespielt habe.
Zum Tatzeitpunkt am 29.04.2021 habe die polymorph ausgestaltete Wahnsymptomatik eine relevante Fähigkeit, das Für und Wider der Handlung abzuwägen, in Verbindung mit ausgeprägten Ängsten durch einen Teufel verletzt oder gar getötet worden zu sein, handlungsrelevant eine Rolle gespielt. Im Rahmen eines systematischen Wahnerlebens seien die Handlungsspielräume der Beschuldigten nicht nur erheblich beeinträchtigt einzuschätzen, sondern als aufgehoben zu beurteilen. Die Folgen der Handlungen seien für die Beschuldigte nicht erkennbar gewesen.
Aus psychiatrischer Einschätzung sei für den Tatzeitpunkt daher sowohl die Einsicht- als auch die Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB aufgehoben gewesen.
Aus medizinischer Einschätzung seien die weiteren Voraussetzungen einer Unterbringung gem. § 63 StGB gegeben.
Das Vorliegen einer paranoiden Schizophrenie oder auch einer polymorph-psychotischen Störung werde ähnliche erneute Taten, insbesondere auch mit Gewaltbereitschaft gegenüber Kindem, erneut mit hoher Wahrscheinlichkeit begünstigen. (Das Wiederauftreten ähnlicher Episoden könne innerhalb eines kurzfristigen Zeitraums in einem geringen Prozentsatz bleiben). Auf längere Beobachtungszeiträume mit bis zu 7 Jahren Beobachtungszeit sei eine Rezidivrate von über 2/3 bis 3/4 der Betroffenen ohne Medikation anzunehmen. Innerhalb einer Beobachtungszeit von mehreren Jahren liege die Rezidivquote bei verschiedenen Studien bei etwa 80 %. Die Gefährlichkeit der Beschuldigten hänge mit ihrem Wahnsystem zusammen, in welches sie in einer aussichtslosen Lage nicht nur die eigenen Kinder, sondern auch die Nachbarinnen und Mitarbeiterinnen des Frauenhauses mit einbeziehe.
Es sei von einer ungünstigen Behandlungsprognose auszugehen, da die Beschuldigte weder Frühwarnzeichen noch die Definition einer psychotischen Episode erkennen könne. Das individuell hohe Rezidivrisiko bestehe vor allem in der Verbindung mit der Versorgung von schwächeren Personen im eigenen Haushalt oder auch einer Situation, dass die Beschuldigte erneut ein Kind bekommen könne, das sie selbst groß ziehen möchte. In dieser Situation wäre eine sehr hohe Gefahr für eine Verhaltensweise vorhanden, die die betroffenen Kinder geistig oder körperlich schwer schädigen würde.
Die bisher erzielten Behandlungserfolge auch der medikamentösen Behandlung mit der vor kurzem begonnenen Depotmedikation seien derzeit zurückhaltend zu beurteilen. Auch bei einer umfassenden Unterstützung der Beschuldigten sei ohne eine geschlossene stationäre Unterbringung von keinem hinreichenden Behandlungserfolg auszugehen.
Zwischen dem Tatvorwurf und der paranoiden Schizophrenie sowie zwischen der Erkrankung und der festgestellten Gefährlichkeit für die Allgemeinheit bestehe ein enger kausaler Zusammenhang, so dass eine intensive Pharmako-, Psycho- und Sozialtherapie weiterhin notwendig erachtet werde. Die Beschuldigte weise keinen Hang auf, Drogen oder Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen. Eine akute Intoxikation zum Tatzeitpunkt sei ebenfalls nicht ableitbar, so dass aus medizinischer Einschätzung keine Entwöhnungsbehandlung indiziert sei.
2. Überzeugung der Kammer:
Die Kammer ist auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen … davon überzeugt, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB gegeben sind.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erfordert:
Die Beschuldigte muss eine rechtswidrige Tat im Zustand der aufgehobenen oder verminderten Schuldfähigkeit begangen haben;
Sie muss infolge ihres Zustands für die Allgemeinheit gefährlich sein und ein symptomatischer Zusammenhang zwischen ihrem Zustand und der Anlasstat vorliegen.
Die Anordnung darf nicht unverhältnismäßig sein.
a) Rechtswidrige Tat:
Anlasstat für eine Unterbringungsanordnung nach § 63 StGB ist eine rechtswidrige Tat. Dies ist „nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht“ (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB).
Das Verhalten der Beschuldigten gegenüber ihrer Tochter … erfüllt den Tatbestand des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 212 Abs. 1, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5, 22, 23, 52 StGB.
Die Beschuldigte handelte auch mit natürlichem Vorsatz. Dabei berücksichtigte die Kammer, dass die Tötung des eigenen Kindes die Überschreitung höchster Hemmschwellen voraussetzt. Denn die Beschuldigte äußerte, dass die Situation für sie so ausweglos war, dass sie und ihre Kinder nicht mehr leben sollten. Bei der großen Sturzhöhe von 5,08 Meter auf den gepflasterten Gehsteig nahm sie zumindest billigend in Kauf, dass ihre Tochter … stirbt. Bei dieser Sturzhöhe und dem harten Aufprall des kleinen Kindes besteht eine objektiv große Gefährlichkeit zu sterben. Dies stimmt auch mit den Angaben des sachverständigen Zeugen … als Kinderarzt überein, der angab, dass bei einem solchen Sturz eines kleinen Kindes mit dessen Tod erfahrungsgemäß gerechnet werden muss.
b) Zustand der aufgehobenen oder verminderten Schuldfähigkeit
Die Kammer ist auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen … in der Hauptverhandlung wie auch aufgrund des persönlichen Eindrucks von der Beschuldigten in der Hauptverhandlung davon überzeugt, dass die Beschuldigte zum Tatzeitpunkt unter einem der psychopathologischen Eingangsmerkmale im Sinne des § 20 StGB (nämlich einer krankhaften seelischen Störung gem. § 20 Var. 1 StGB) litt und störungsbedingt sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit aufgehoben war.
Die Beschuldigte befand sich zum Tatzeitpunkt in einem Wahn. Dieser Wahn war auch die Ursache für ihr Handeln.
Für das Vorliegen der krankhaften seelischen Störung sprechen auch ihre oben aufgezeigten irrationalen und teilweise bizarren Verhaltensweisen, die durch die Zeugen PHK … und … geschildert wurden, das äußerst auffällige Verhalten der Beschuldigten nach der Tat am Fenster und gegenüber der Zeugin …, die oben gezeigten irrationalen Verfolgungsängste, die sich auch aus den WhatsApp-Nachrichten ergeben, die mehrfachen Äußerungen der Beschuldigten, den Teufel gesehen zu haben sowie die vom sachverständigen Zeugen … während der Unterbringung bekundeten bizarren Verhaltensweisen und weiterhin bestehenden Verfolgungsängste.
c) Zustandsbedingte Allgemeingefährlichkeit
Es müssen nach § 63 Satz 1 StGB erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sein. Voraussetzung ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades. Eine lediglich „latente“ Gefahr und die bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reichen nicht aus.
Erhebliche Straftaten sind solche, die mindestens der mittleren Kriminalität zugeordnet sind, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Bei dem hier vorliegenden versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung liegt eine erhebliche Straftat in diesem Sinne vor.
Bei einer umfassenden Gesamtwürdigung der Person der Beschuldigten und ihrer Tat unter Berücksichtigung sämtlicher prognoserelevanter Umstände war die Kammer davon überzeugt, dass die Beschuldigte allgemeingefährlich ist, weswegen ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geboten ist.
Zu Gunsten der Beschuldigten sprach, dass sie. strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist.
Bis auf das letztlich nicht gefährliche Werfen eines Gegenstands in Richtung der Zeugin … trat die Beschuldigte nur bei der streitgegenständlichen Tat gegenüber Menschen körperlich aggressiv auf.
Für die Beschuldigte spricht auch, dass sich seit September 2021 ihr Verhalten in der Unterbringung leicht gebessert hat und sie in Ansätzen therapiemotiviert ist.
Es ist schließlich davon auszugehen, dass die Beschuldigte noch nicht lange an der Erkrankung leidet und sich diese noch nicht über einen längeren Zeitraum manifestierte.
Zu berücksichtigen war allerdings auch, dass die Erkrankung in den letzten Tagen vor der Tat eine starke Dynamik aufwies, welche grundsätzlich in ihrem nciht therapiertem Zustand auch weiterhin auftreten kann.
Gegen die Beschuldigte spricht die vom Sachverständigen oben festgestellte allgemeine-abstrakte hohe Rezidivrate im Fall einer solchen Erkrankung.
Die Medikation ist noch nicht hinreichend stabilisiert. Erst Anfang Dezember 2021 konnte mit einer Depotmedikation begonnen werden, hinreichende Behandlungserfolge konnten noch nicht erzielt werden.
Eine ausreichende ernsthafte Krankheits- und Behandlungseinsicht liegt bei der Beschuldigten nicht vor. Dies zeigte sich auch, indem sie teilweise die zur Heilbehandlung unbedingt erforderlichen Medikamente nicht einnahm.
Nach dem Sachverständigen … ist eine intensive Pharmako-, Psycho- und Soziotherapie dringend notwendig, die nur bei einer Fortdauer der stationären Behandlung gewährleistet ist.
Durch die am 03.12.2021 angeordnete rechtliche Betreuung kann die Beschuldigte nur begleitend unterstützt werden. Ein Ersatz für die unbedingt gebotene weitere stationäre Heilbehandlung kann sie nicht darstellen.
Es hing nur von einem glücklichen Zufall ab, dass ihre Tochter … bei der Tat nicht starb oder bei ihr keine schweren körperlichen Schäden eintraten.
Bei der Beschuldigten ist kein ausreichender sozialer Empfangsraum vorhanden, der sie unterstützen könnte. Vom Ehemann lebt sie getrennt. Sie hat ein problematisches Verhältnis zu ihm. Der Ehemann bedroht sie und ist gewalttätig. Unter anderem aus der Auswertung der WhatsApp-Nachrichten ergibt sich, dass die Beschuldigte in Deutschland kaum Bekannte oder Bezugspersonen hat, die sie unterstützen könnten. In den letzten Wochen vor der Tat zeigte sich eine starke Verschlechterungstendenz der Erkrankung. Würde diese Dynamik nach dem Sachverständigen … weitergehen, wäre zu erwarten, dass auch andere Menschen in den Wahn mit einbezogen werden und körperlich angegriffen werden. Die Einbeziehung der Mitbewohnerinnen des Frauenhauses und der Verwandten des Ehemanns in den Verfolgungswahn und das gegenüber der Zeugin … gezeigte Verhalten belegen, dass dieses Miteinbeziehung bei der Beschuldigten bereits begonnen hat und sich erschreckend dynamisch bis zum Tatgeschehen entwickelte.
Zu Ungunsten der Beschuldigten sprach insbesondere, dass die Beschuldigte mit natürlichem Tötungsvorsatz handelte und somit das höchste von der Rechtsordnung zu schützende Gut, das Recht am Leben, betroffen war.
Eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht nicht nur, wenn eine unbestimmte Vielzahl noch nicht näher individualisierter Personen betroffen ist. Jeder Einzelne ist Mitglied der Allgemeinheit, wenn ihm schwerer Schaden droht. Für eine Gefährlichkeit genügt es, wenn vom Täter erhebliche rechtswidrige Taten nur gegen eine Einzelperson oder einen begrenzten Personenkreis – wie z.B. Familienangehörige – zu erwarten sind. Zwar sind die Kinder der Beschuldigten zur Zeit in Pflegefamilien untergebracht. Die Beschuldigte kann aber ohne eine Unterbringung etwa durch ein weiteres leibliches Kind oder durch einen Lebensgefährten mit Kindern die Beaufsichtigung von Kindern vornehmen und für diese gefährlich werden.
d) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit:
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nicht unverhältnismäßig sein. Die Kammer hat insoweit das Freiheitsinteresse der Beschuldigten mit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit abgewogen und ist zu der Überzeugung gelangt, dass vorliegend das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit das Freiheitsinteresse der Beschuldigten überwiegt.
e) Keine Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung:
Das Gericht setzt die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann (§ 67 b Abs. 1 Satz 1 StGB).
Die Behandlung des Wahnsystems der Beschuldigten hat erst begonnen. Es wäre nicht verantwortbar, diese außerhalb des beaufsichtigten Rahmens einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fortzuführen, wie auch der Sachverständige … bestätigte. In Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen … ist die Kammer davon überzeugt, dass derzeit eine Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung nicht in Betracht kommt. Eine günstige Behandlungsprognose bei der Beschuldigten liegt nicht vor, zumal sie kaum Krankheitseinsicht hat, von ihrer Behandlungsbedürftigkeit nicht hinreichend überzeugt ist und keine umfassende Therapiebereitschaft besteht.
V. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 464 Abs. 1, 465 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Verwandte Themen: , , , , ,

Ähnliche Artikel


Nach oben