Strafrecht

Nachträgliches rechtliches Gehör nach Durchsuchung und Beschlagnahme – Volksverhetzung

Aktenzeichen  1 Qs 212/17

Datum:
4.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26597
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 130 Abs. 1 Nr. 1
StPO § 33 Abs. 4, § 308 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Ist bei einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen eine ablehnende Entscheidung des Amtsgerichts vor einem im Beschwerdeverfahren ergangenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss die vorherige Anhörung des Beschuldigten nicht erfolgt, da dies den Zweck der Anordnung, nämlich das Auffinden und die Beschlagnahme von Beweismitteln, gefährdet hätte, so ist dem Beschuldigten nachträglich rechtliches Gehör zu gewähren, auch wenn sich die Durchsuchung als solche bereits erledigt hat. (Rn. 12 und 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Werden von einer Gruppe die Rufe „Syria Syria“ und „Ficki Ficki“ skandiert sowie Konfettischnipsel mit der Aufschrift „Ficki Ficki“ geworfen, ist dies als Herabsetzung syrischer Personen als sexuell gesteuerte Menschen und somit als Volksverhetzung zu werten, auch wenn es im Rahmen eines Faschingsumzugs geschieht. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 Qs 212/17 2017-10-11 Bes LGWUERZBURG LG Würzburg

Tenor

Es verbleibt nach erfolgter Nachholung des rechtlichen Gehörs bei der mit Beschluss vom 11.10.2017 angeordneten Durchsuchung der Personen, der Wohnungen mit Nebenräumen sowie der Fahrzeuge der Beschuldigten … und der angeordneten Beschlagnahme der in dem Beschluss vom 11.10.2017 genannten Gegenstände.

Gründe

I.
Die Staatsanwaltschaft Würzburg beantragte am 07.09.2017 den Erlass von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen gegen die Beschwerdeführerin … und drei weitere Beschuldigte wegen des Verdachts der gemeinschaftlich begangenen Volksverhetzung.
Dem lag die Annahme folgenden Sachverhalts zu Grunde:
„Die vier Beschuldigten sollen sich gemeinsam mit drei weiteren, bislang nicht identifizierten Personen am 26.02.2017 gegen 13:00 Uhr im Bereich der … unter den Faschingszug gemischt und diesen in die … begleitet haben. Sie hätten dort eine eigene Gruppe gebildet und den falschen Eindruck erweckt, dass es sich bei ihnen um eine offizielle Gruppe des Faschingszuges handele. Die Gesichter der Beschuldigten und der drei weiteren Personen seien (mit einer Ausnahme) schwarz geschminkt gewesen, die Personen (mit einer Ausnahme) hätten bunte Rasta-Mützen getragen, einer der Beschuldigten habe eine Gesichtsmaske getragen, welche das Gesicht der Bundeskanzlerin Dr. Merkel zeigte. Zwei Personen dieser Gruppe hätten ein Transparent mit der Aufschrift „Wir wissen genau ABSCHIEBEN wird uns keine Sau!“ getragen. Die Mitglieder dieser Gruppe hätten u.a. „Syria, Syria, Ficki, Ficki, alle reinkommen!“ gerufen und selbst gefertigtes Konfetti mit der Aufschrift „Ficki! Ficki! Tel. …/666666“ in die Zuschauer geworfen“.
Der Tatverdacht beruhe auf den kriminalpolizeilichen Ermittlungen, insbesondere der Auswertung vorhandener Lichtbilder und Videoaufnahmen, welche o.g. Szene festgehalten habe.
Die Staatsanwaltschaft wertete dieses Verhalten als Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Das Amtsgericht Würzburg lehnte mit Beschluss vom 14.09.2017 (1 Gs 3026/17) die Anträge der Staatsanwaltschaft Würzburg auf Erlass der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass bei Faschingsveranstaltungen eine in der Darstellung überzogene und inhaltlich satirische kritische Äußerung zu aktuellen politischen Themen üblich sei und die tatbestandlichen Voraussetzungen der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 StGB) auch unter Berücksichtigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) nicht gegeben seien. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen.
Die Staatsanwaltschaft Würzburg legte gegen diesen Beschluss das Rechtsmittel der (einfachen) Beschwerde ein, auf deren Begründung ebenfalls Bezug genommen wird.
Das Amtsgericht Würzburg half der Beschwerde am 04.10.2017 nicht ab.
Die Staatsanwaltschaft Würzburg beantragte am 06.10.2017, den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 14.09.2017 aufzuheben und die Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse zu erlassen.
Die Beschwerdekammer hob mit Beschluss vom 11.10.2017 den Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 14.09.2017 auf und ordnete zugleich nach §§ 102, 105 Abs. 1, 162 Abs. 1 StPO gem. § 33 Abs. 4 StPO ohne vorherige Anhörung die Durchsuchung der Personen, der Wohnungen mit Nebenräumen und der Fahrzeuge der Beschwerdeführerin und der drei weiteren Beschuldigten an.
Der Durchsuchungsbeschluss wurde am 15.11.2017 vollzogen (Bl. 111, 112 d.A.). Bei der Durchsuchung wurden lt. Sicherstellungsverzeichnis drei Mobiltelefone, ein Notebook und eine Digitalkamera der Beschuldigten … sichergestellt (Bl. 114, 115 d.A.).
Mit Schriftsatz vom 24.11.2017, beim Landgericht eingegangen am 27.11.2017, legte der Verteidiger der Beschuldigten Beschwerde gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Landgerichts Würzburg vom 13.10.2017 ein und beantragte zugleich die Aufhebung dieses Beschlusses (Bl. 179-185 d.A.). Auf die Begründung des Rechtsmittels wird Bezug genommen. Das Landgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 11.12.2017 nicht ab (Bl. 187 d.A.).
Gem. §§ 308 Abs. 1 Satz 2, 33 Abs. 4 StPO wurde davon Abstand genommen, die Beschwerde der Staatsanwaltschaft den Beschuldigten zur Gegenerklärung mitzuteilen, da die vorherige Anhörung den Zweck der Anordnung, das Auffinden und Beschlagnahmen der Beweismittel, gefährdet hätte.
Das Oberlandesgericht Bamberg wertete die Beschwerde rechtlich als weitere Beschwerde, verwarf diese mit Beschluss vom 03.01.2018 als unzulässig und legte der Beschuldigten … die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels auf (Bl. 203-205 d.A.).
Der Verteidiger erhob gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 03.01.2018 mit Schriftsatz vom 26.01.2018 (Bl. 231-237 d.A.), beim Oberlandesgericht eingegangen am 26.01.2018, eine Gegenvorstellung, die das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 12.03.2018 zurückwies (Bl. 253-255 d.A.).
In der Zwischenzeit ging am 29.01.2018 beim Landgericht Würzburg der Schriftsatz des Verteidigers vom 26.01.2018 (Bl. 216-222 d.A.) ein. Mit diesem wurde die Nachholung rechtlichen Gehörs nach § 311 a StPO beantragt. Auf den schriftsätzlichen Vortrag wird Bezug genommen.
Die Akte wurde am 21.03.2018 dem Landgericht von der Staatsanwaltschaft zugeleitet (Bl. 262 d.A.).
II.
Die Durchführung des Nachverfahrens ist zulässig, da sich die Durchsuchung als solche zwar erledigt hat, sie jedoch mit einem Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) verbunden war, und die erfolgte Sicherstellung andauert.
Die ohne Anhörung der Beschwerdeführerin getroffene Entscheidung vom 11.10.2017 wird auch unter Berücksichtigung des nachträglich durch den Verteidiger Vorgetragenen bestätigt.
Auf die rechtlichen Ausführungen in den Gründen des Beschlusses vom 11.10.2017 wird auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verteidigung festgehalten.
1.
Soweit der Verteidiger vorträgt, dass die in dem angegriffenen Beschluss zitierten Worte „Syria, Syria“ und „Ficki, Ficki“ nicht nachweislich von seiner Mandantin gerufen worden seien, und auch nicht feststehe, ob sie jenes Konfetti geworfen habe, ändert dies an der rechtlichen Beurteilung nichts. Nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen besteht Grund zu der Annahme einer mittäterschaftlichen Tatbegehung, womit eine Zurechnung der Tatbeiträge der Mittäter untereinander gem. § 25 Abs. 2 StGB erfolgt. Insoweit ist unerheblich, ob die Beschuldigte … selbst eine jener Äußerungen getätigt oder Konfetti mit der Aufschrift „Ficki! Ficki! Tel. 0931/666666“ geworfen hat. Ob die rechtlichen Voraussetzungen eines die Zurechnung ausschließenden Mittäterexzesses vorliegen (vgl. hierzu etwa Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 25 Rn. 36 f. m.w.N.) bleibt nach Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung den Feststellungen des erkennenden Gerichts vorbehalten.
2.
Der von der Verteidigung ferner vorgetragene Umstand, dass die Verkleidung der Beschuldigten („schwarz geschminkte Personen mit Rastazöpfen“) nicht den Eindruck erwecke, dass diese Syrer seien oder darstellen, sondern vielmehr auf die Karibik oder Afrika schließen lasse, steht der Annahme des Verdachts der Volksverhetzung in keiner Weise entgegen. Der Verdacht gründet auf den getätigten Äußerungen, welche von der Kostümierung unabhängig sind. Selbstverständlich ist – wie die Verteidigung vorträgt (Schriftsatz vom 26.01.2018, unten), das Rufen von „Ficki Ficki“ und das Verteilen des Konfettis als solches nicht strafbar. Das Verhalten der Beschwerdeführerin und der drei weiteren Beschuldigten ist jedoch in einem Kontext zu sehen, der in dem Durchsuchungsbeschluss aufgezeigt wurde.
3.
Der Annahme des Verteidigers, es stehe nicht einmal fest, ob die Beschwerdeführerin Teilnehmerin jener Fußgruppe gewesen sei, steht die erfolgte Bildauswertung (Bl. 68, 72 d.A.) entgegen, die zumindest den für die Anordnung der Durchsuchung erforderlichen Tatverdacht begründet.
4.
Auch unter Berücksichtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit ist der Tatverdacht der Volksverhetzung gegeben. Soweit die Verteidigung jene Rechtsprechung insoweit zitiert, dass bei der Auslegung einer Äußerung auch ein möglicher rechtmäßiger Aussageinhalt geprüft und berücksichtigt werden müsse, ergibt sich letzterer aus der Gesamtbetrachtung nicht. Was mit den Äußerungen „Syria Syria“ und „Ficki Ficki“ anderes gemeint sein soll als eine Herabwürdigung syrischer Personen als sexuell gesteuerte Personen, wurde von der Verteidigung nicht erläutert und erschließt sich der Kammer nicht.
5.
Auch unter Berücksichtigung des mit der Durchsuchung verbundenen Eingriffs in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung sowie das Recht auf Privatspähre ist die angeordnete Durchsuchung rechtmäßig. Hierbei ist zum einen die Schwere der Straftat und die Stärke des gegen die Beschwerdeführerin stehenden Tatverdachts ebenso zu sehen wie der Umstand, dass weniger einschneidende Ermittlungsmöglichkeiten, welche denselben Erfolg versprochen hätten, nicht vorlagen. Dem steht gegenüber, dass der Grundrechtseingriff lediglich vorübergehend und von kurzer Dauer war.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

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