Strafrecht

Revision, Schuldspruch, Rechtsfolgenausspruch, PKK, Hauptverhandlung, Berufung, Angeklagte, Bildnis, Werbung, Generalstaatsanwaltschaft, Freiheitsstrafe, Kennzeichnung, Zuwiderhandlung, Rechtsfehler, keinen Rechtsfehler

Aktenzeichen  206 StRR 27/22

Datum:
14.7.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17506
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VereinsG § 9, § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5

 

Leitsatz

1. Das Zurschaustellen einer Fahne mit dem Abbild von Abdullah Öcalan anlässlich einer öffentlichen Versammlung kann als Verwenden eines Kennzeichens einer verbotenen Vereinigung – der PKK – nach §§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, 9 VereinsG strafbar sein.
2. Eine ausnahmsweise zulässige sozialadäquate Verwendung gemäß §§ 20 Abs. 1 Satz 2, 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG kann vorliegen, wenn sie nach den Gesamtumständen dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderläuft (Anschluss an BGH, Urteil vom 9. Juli 2015, 3 StR 33/15 Rn. 22).

Verfahrensgang

18 Ns 111 Js 138359/20 2021-10-06 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Die Revision der Angeklagten A. Z. gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 06. Oktober 2021 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Zur Begründung wird auf die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 15. Januar 2022 nach Maßgabe folgender Ausführungen Bezug genommen.
1. Die Revision richtet sich gegen das Berufungsurteil des Landgerichts München I lediglich insoweit, als die Angeklagte wegen Zuwiderhandlung gegen Verbote des Vereinsgesetzes (Tat vom 15. Februar 2020) verurteilt worden ist. Die Verurteilung wegen Zuwiderhandlung gegen Versammlungsbeschränkungen (Tat vom 20. Juni 2020) wird weder im Schuldspruch noch im Rechtsfolgenausspruch angegriffen.
a) Wegen des Tatgeschehens vom 20. Juni 2020 lag der Angeklagten zur Last, als Leiterin einer Versammlung gegen die Anordnung der Landeshauptstadt München, den Versammlungsort mittels geeigneter Maßnahmen (z.B. Flatterband) abzugrenzen, verstoßen zu haben, sowie ihr Smartphone, auf dessen Rückseite ein Porträt von Abdullah Öcalan angebracht war, in einer solchen Weise hochgehalten zu haben, dass die Abbildung für Versammlungsteilnehmer und Passanten sichtbar war. Die Angeklagte ist deswegen vom Amtsgericht München der Zuwiderhandlung gegen Verbote des Vereinsgesetzes in Tateinheit mit Zuwiderhandlung gegen Versammlungsbeschränkungen schuldig gesprochen worden; die dafür verhängte Einzelstrafe betrug 90 Tagessätze zu je 15,00 Euro.
In der Berufungshauptverhandlung ist gemäß § 154a Abs. 2 StPO von der Verfolgung des Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG (durch Verwendung des Bildnisses von Öcalan) abgesehen worden. Die Angeklagte hat daraufhin ihre zunächst vollumfänglich eingelegte Berufung hinsichtlich der Tat vom 20. Juni 2020 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Nachdem dies, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt, gemäß § 318 StPO wirksam war, ist damit der Schuldspruch wegen Zuwiderhandlung gegen Versammlungsbeschränkungen (durch Nichterrichten einer räumlichen Abgrenzung) teilrechtskräftig geworden und kann bereits deshalb nicht mehr Gegenstand revisionsrechtlicher Überprüfung sein.
Der gleichwohl im Tenor des Berufungsurteils erfolgte Schuldspruch wegen Zuwiderhandlung gegen Versammlungsbeschränkungen ist demgemäß deklaratorisch und war erforderlich weil der Wegfall der tateinheitlichen Verwirklichung der Zuwiderhandlung gegen Verbote des Vereinsgesetzes klarstellend zum Ausdruck gebracht werden musste.
b) Die Revision richtet sich auch nicht gegen die vom Berufungsgericht für die Tat vom 20. Juni 2020 festgesetzte Einzelgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 €.
Die Revisionsbegründung vom 26. November 2021 enthält eine ausdrückliche Beschränkung des Rechtsmittels auf die Verurteilung wegen Zuwiderhandlung gegen Verbote des Vereinsgesetzes (Tat vom 15. Februar 2020). Die Verurteilung wegen der Tat vom 20. Juni 2020 werde nicht weiter angegriffen. Der Revisionsantrag gem. § 344 Abs. 1 StPO lautet auf Aufhebung des Urteils des Landgerichts München I, soweit die Angeklagte wegen Zuwiderhandlung gegen Verbote des Vereinsgesetzes verurteilt wurde. Die wegen der Tat vom 20. Juni 2020 festgesetzte Rechtsfolge wird weder mit dem gestellten Revisionsantrag noch in der Begründung des Rechtsmittels beanstandet und ist damit rechtskräftig geworden.
2. Der Schuldspruch wegen Zuwiderhandlung gegen Verbote des Vereinsgesetzes gemäß §§ 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG ist frei von Rechtsfehlern. Er wird von den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts getragen, die auf einer rechtlich nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung beruhen.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm die Angeklagte am 15. Februar 2020 an einer sich fortbewegenden Versammlung unter dem Thema „Gegen die Nato-Kriegstagung in München, gegen Aufrüstung, Kriegspropaganda, Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, Antiislamhetze, für Solidarität mit Flüchtlingen“ die anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz stattfand, in nicht leitender Funktion teil und trug über einen Zeitraum von jedenfalls 14:33 Uhr bis 14:58 Uhr eine 80 x 80 cm große Fahne mit dem Abbild Abdullah Öcalans und der Aufschrift „Freedom for Öcalan“. Die Fahne wurde von der Angeklagten teilweise geschwenkt und teilweise vor der Brust getragen. Bei Abdullah Öcalan handelt es sich nach den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts um den politischen Anführer der „PKK“, der bei deren Anhängern teilweise personenkultartigen Status genießt. Darstellungen seiner Person dienen der Verkörperung der Organisation selbst. Die PKK ist durch Verfügung des Bundesministeriums des Inneren vom 22. November 1993 inzwischen bestandskräftig, verboten.
b) Die vom Tatgericht vorgenommene Beweiswürdigung erweist sich als frei von Rechtsfehlern. Das Revisionsgericht hat in sachlichrechtlicher Hinsicht lediglich zu überprüfen, ob die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder ob sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Im Übrigen ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts, § 261 StPO. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2011, 2 StR 362/11, NStZ-RR 2012, 53, 54; st. Rspr.). Die revisionsgerichtliche Prüfung hat keine Fehler im Sinne dieser Maßstäbe ergeben; auch die Revision hat solche nicht aufgezeigt. Insbesondere beruht die Überzeugung des Gerichts davon, dass es sich bei Abdullah Öcalan um den politischen Führer der PKK mit zentraler Bedeutung und teilweise personenkultartigem Status handelt, und dass sein Bildnis in gleicher Weise wie das klassische Symbol der PKK der Verkörperung der Organisation dient, auf der in den Urteilsgründen wiedergegebenen Aussage der insoweit sachkundigen Zeugin B. aus dem Bundesinnenministerium.
c) Auf der Grundlage der fehlerfrei getroffenen Feststellungen hat die Angeklagte in objektiver Hinsicht den Straftatbestand der Zuwiderhandlung gegen Verbote des Vereinsgesetzes gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG verwirklicht.
aa) Bei der PKK handelt es sich um einen verbotenen Verein im Sinne des § 9 Abs. 1 VereinsG. Das Tatbestandsmerkmal des „verbotenen Vereins“ verweist auf einen Akt der Verbotsbehörde nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG, der mit der – bestandskräftigen, mithin fortdauernd vollziehbaren – Verbotsverfügung vom 22. November 1993 vorliegt. Lediglich das Vorhandensein der konstitutiven Verbotsverfügung, nicht aber deren formelle und materielle Rechtmäßigkeit ist von den Strafgerichten im Rahmen der verwaltungsaktsakzessorischen Strafbestimmung (vgl. El-Ghazi, StV 2018, 116, 118) zu überprüfen.
bb) Die bildliche und mit einem Text versehenen Darstellung auf der von der Angeklagten getragenen Fahne stellt ein Kennzeichen der verbotenen PKK i.S.d. § 9 VereinsG dar.
(1) Der Kennzeichenbegriff ist nicht legal definiert; in § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG sind beispielhaft Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen genannt. Das „klassische“, hier nicht gegenständliche Symbol der PKK besteht aus einem fünfzackigen Stern mit Hammer und Sichel, umrandet mit dem Schriftzug der PKK (vgl. OVG Bremen, Urteil v. 25. Oktober 2005, 1 A 144/05, juris Rn. 25).
(2) Der Umstand, dass, wie vom Landgericht festgestellt, das Bildnis Öcalans im Anhang zu einem Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern (nachfolgend BMI) vom 2. März 2017 dem Kennzeichenverbot zugeordnet wird, entfaltet für die Frage der Strafbarkeit kein Präjudiz. Bei dem Schreiben handelt es sich, aus den Feststellungen noch erkennbar, nicht um eine das Bild Öcalans betreffende konstitutive Verbotsverfügung, sondern um ein verwaltungsinternes Rundschreiben, welches eine rechtstatsächliche Auffassung des BMI wiedergibt. Als solches entfaltet es keine Bindungswirkung für die ausschließlich von den unabhängigen Strafgerichten vorzunehmende Beurteilung, ob eine strafbare Verwendung des Kennzeichens eines verbotenen Vereins vorliegt (vgl. insoweit zutreffend Antwort der Bundesregierung vom 21. April 2017 auf eine Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter betreffend das Rundschreiben des BMI vom 2. März 2017, BT-Drucks 18/12025, S. 5; vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 22. März 2022, 1 S 2284/20, juris Rn. 62).
(3) Das Landgericht ist auf der Grundlage seiner insoweit – noch – ausreichenden Feststellungen, an die das Revisionsgericht gebunden ist, und zu denen es ergänzend lediglich allgemeinbekannte Tatsachen berücksichtigen kann, ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass es sich zum Tatzeitpunkt bei dem Abbild von Öcalan um ein Kennzeichen der verbotenen PKK handelte.
(i) Zur Bestimmung des Kennzeichenbegriffs in § 9 VereinsG kann, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darlegt, auf die zu § 86a StGB ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden (BGH, Urteil vom 9. Juli 2015, 3 StR 33/15, NJW 2015, 3590 Rn. 23; Groh in Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2012, § 9 Rn. 6). In Literatur und Rechtsprechung werden als Kennzeichen i.S.v. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG, § 86a Abs. 1 StGB optisch oder akustisch wahrnehmbare Symbole und Sinnesäußerungen verstanden, durch die der Verein auf sich und seine Zwecke hinweist, und die intern den Zusammenhalt der Vereinsmitglieder stärken (BGH NJW 2015, 3590 Rn. 13; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008, 3 StR 164/08, NStZ 2009, 88, Rn. 19; VGH Mannheim, Urteil vom 22. März 2022, 1 S 2284/20, juris Rn. 59 m.w.N.).
(ii) Auch Bildnisse politischer Persönlichkeiten können Kennzeichen verbotener Organisationen sein (BGH, Urteil vom 27. Juni 2013, 3 StR 109/13, NStZ 2013, 733, 734 [Öcalan]; Urteil vom 9. August 1965, 1 StE 1/65, juris Rn. 21; Urteil vom 25. Juli 1979, 3 StR 182/79 (S), juris Rn. 19; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 18. März 1998, 1 Ss 407-97; NStZ 1999, 356; jeweils zum Bildnis Öcalans: VGH Mannheim, Urteil vom 22. März 2022, 1 S 2284/20, juris Rn. 59; OVG Bremen, Urteil vom 25. Oktober 2005, 1 A 144/05, BeckRS 2006, 24299 Rn. 19 vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15. November 2001, 1 BvR 98/97, NVwZ 2002, 709).
(iii) Kennzeichen einer verbotenen Organisation können auch solche sein, die von nicht verbotenen Vereinen oder in gänzlich anderem Kontext genutzt werden (BGH NJW 2015, 3590, Rn. 13). Für die Frage, ob ein Kennzeichen vorliegt, haben außerhalb desselben liegende Umstände jedoch außer Betracht zu bleiben. Auf den jeweiligen konkreten Verwendungszusammenhang kommt es wegen der damit verbundenen nachteiligen Folgen für die Rechtssicherheit und die Bestimmtheit des die Strafbarkeit begründenden Tatbestandes nicht an (vgl. BGH NJW 2015, 3590, Rn. 13; Beschluss vom 7. Oktober 1998, 3 StR 370/98, NJW 1999, 435, 436; Groh in Vereinsgesetz, § 9 Rn. 6); handelt es sich um eine ausnahmsweise erlaubte Verwendung des Kennzeichens, ist dies erst im Rahmen des § 20 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG zu berücksichtigen.
(iv) Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei der verfahrensgegenständlichen Fahne um ein Kennzeichen der PKK. Zwar ist den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils lediglich zu entnehmen, dass auf der von der Angeklagten getragenen Fahne das „Porträt Abdullah Öcalans“ aufgebracht war (UA S. 19). Dieses wird weder näher beschrieben noch liegt eine Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf ein etwaig vorhandenes Lichtbild vor. In welcher Pose und in welcher Kleidung der Porträtierte dargestellt war, lässt sich daher nicht ersehen. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, dass das Abbild jedenfalls annähernd der Größe der Fahne entsprach. Darauf, ob Öcalan in einer Pose oder Situation dargestellt war, die Führereigenschaften symbolisieren soll (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 25. Oktober 2005, 1 A 144/05, juris Rn. 24) kommt es vorliegend nicht entscheidend an. Bei Abdullah Öcalan handelt es sich, was allgemeinbekannt ist, um den seit 1999 in Haft befindlichen (Mit-)Gründer und Führer der PKK, der für die Partei und ihre Anhänger eine Identifikationsfigur darstellt. Nach den Feststellungen genießt er bei seinen Anhängern teilweise personenkultartigen Status; sein Bildnis dient der Verkörperung der verbotenen PKK und ist geeignet, aufgrund seines Emotionalisierungseffekts deren Zusammenhalt zu fördern und nach außen zu demonstrieren. Jedenfalls im Hinblick auf die beträchtliche Größe der Fahne sieht auch der Senat diese im konkreten Fall als geeignet an, Öcalan als Führungs- und Identifikationsfigur der verbotenen PKK darzustellen und auf diese selbst und ihre politischen Ziele hinzuweisen. Darauf, ob sich die PKK das Bild Öcalans in einem formalen Akt als Kennzeichnung gegeben hat, kommt es nicht an. Es genügt, wenn es von ihr propagandistisch für die Werbung für ihre Ziele eingesetzt und mit ihr identifiziert wird (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 25. Oktober 2005, 1 A 144/05, juris Rn. 22; VGH Mannheim, Urteil vom 22. März 2022, 1 S 2284/20, juris Rn. 59). Auch diese Voraussetzung, dass die PKK sich die Darstellung der Person Öcalan durch andauernde Übung als Kennzeichen zu eigen gemacht hat, lässt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, unter Berücksichtigung der in den Urteilsgründen wiedergegebenen, vom Gericht als glaubhaft angesehenen Aussage der Zeugin B., gerade noch entnehmen. Dass das Bildnis Abdullah Öcalans regelmäßig ein Kennzeichen der verbotenen PKK darstellt, entspricht im Übrigen einhelliger Rechtsprechung (BVerfG, NVwZ 2002, 709, 710; BGH NStZ 2013, 733, 734; VGH München, Beschluss vom 16. Februar 2018, 10 Cs 18.405, juris Rn. 9 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 22. März 2022, 1 S 2284/20, juris Rn. 62; OVG Bremen, Urteil vom 25. Oktober 2005, 1 A 144/05, juris Rn. 26; Beschluss vom 21. Februar 2011, 1 A 227/09, BeckRS 2011, 48379; OVG Münster, Beschluss vom 3. November 2017, 15 B 1371/17, juris Rn. 28; OVG BerlinBrandenburg, Beschluss vom 25. November 2011, 1 S 187/11, juris Rn. 7; VG München, Beschluss vom 16. Februar 2018, M 13 S 18.743, juris Rn. 27; VG Düsseldorf, Urteil vom 19. Februar 2020, 18 K 17619/17, juris Rn. 43).
cc) Die Würdigung des Landgerichts, dass die Angeklagte das Kennzeichen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG öffentlich und in einer Versammlung verwendet hat, ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlich zutreffend; eine sozialadäquate legale Verwendung im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 2 i. V.m. § 9 Abs. 1 Satz 2 hat das Gericht zu Recht verneint. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, das vom Landgericht gesehen und in die rechtliche Abwägung einbezogen wurde (UA S. 29), gebietet entgegen der Auffassung der Revision keine andere Beurteilung.
(1) Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VereinsG dürfen Kennzeichen eines verbotenen Vereins für die Dauer der Vollziehbarkeit nicht mehr öffentlich oder in einer Versammlung verwendet werden. Das Verbot richtet sich an jede Person, nicht nur an die Mitglieder. Wie die Generalstaatsanwaltschaft richtig darlegt, kommt es für den Begriff des „Verwendens“ im Sinne der Strafnorm nicht darauf an, unter welchen Umständen das Kennzeichen gezeigt wird; auch die Absicht des Handelnden ist nicht von Bedeutung.
(2) Das Landgericht hat festgestellt, dass die Angeklagte die Fahne über jedenfalls 25 Minuten hinweg als Teilnehmerin der sich fortbewegenden Versammlung, bei der sie aufgrund ihrer Positionierung in dem Umzug als Einzelperson wahrgenommen werden konnte, getragen, geschwenkt und sich vor die Brust gehalten hat; daraus folgt zweifelsfrei, dass sie diese in einer Versammlung verwendet hat und die Fahne zudem öffentlich wahrgenommen werden konnte und wurde.
(3) Eine ausnahmsweise erlaubte Verwendung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG ist nach den festgestellten Umständen auszuschließen.
(i) § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG lässt die Verwendung von Kennzeichen im Rahmen staatsbürgerlicher Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke zu. Die Vorschrift wird erweiternd dahingehend ausgelegt, dass Verwenden auch für solche Zwecke, die den genannten Merkmalen ähnlich sind, z.B. für Zwecke der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung und Lehre, wie auch der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens und der Geschichte, zu sog. „sozialadäquaten Zwecken“ zulässig sein kann (OVG Münster, Beschluss vom 9. Oktober 2020, 15 B 1528/20, juris Rn. 16). Bei der Auslegung der Norm sind, worauf die Revision zu Recht hinweist, die grundrechtlichen Freiheiten, namentlich die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, zu berücksichtigen. Zwar handelt es sich bei § 20 Abs. 1 VereinsG um ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, welches die Meinungsfreiheit einschränken kann; § 20 Abs. 1 VereinsG ist aber seinerseits im Lichte des Schutzgehaltes der Meinungsfreiheit auszulegen (BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958, 1 BvR 400/57 und seitdem st. Rspr.). Nach der Rechtsprechung zu § 86a StGB, die auf die Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StGB zu übertragen ist (BGH NJW 2015, 3590, Rn. 22 f.), scheidet ein strafbares Verwenden des Kennzeichens einer verbotenen Organisation dann aus, wenn der mit seinem Gebrauch verbundene Aussagegehalt nach den Gesamtumständen dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderläuft (BGH a.a.O.; vgl. auch Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 86a Rn. 18 m.w.N.)
(ii) Diese Anforderungen hat das Berufungsgericht bedacht und das Vorliegen sozialadäquaten Verhaltens durch die Angeklagte im Ergebnis zutreffend verneint. Die Präsentation des Öcalan-Bildnisses mit dem verbundenen Text „Freedom for Öcalan“ durch die Angeklagte war, anders als die Revision meint, nicht, jedenfalls nicht „eindeutig“ und nicht einmal überwiegend dahin zu verstehen, dass sie allein die persönliche Haftsituation des Menschen Öcalan zum Gegenstand hatte. Die engen Voraussetzungen, unter denen die von der Revision angeführte Entscheidung des OVG Münster (Beschluss vom 9. Oktober 2020, 15 B 1528/20, juris) in einem, soweit ersichtlich, vereinzelt gebliebenen Fall, sozialadäquates Handeln bejaht hat, liegen, wie die Generalstaatsanwaltschaft im Einzelnen zutreffend darlegt, nicht vor.
Für den Erklärungsinhalt der inkriminierten Handlung der Angeklagten sind zunächst das Versammlungsthema „Gegen die Nato-Kriegstagung in München, gegen Aufrüstung, Kriegspropaganda, Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, Antiislamhetze, für Solidarität mit Flüchtlingen“, sowie deren Kontext, die in München stattfindende Sicherheitskonferenz, von zentraler Bedeutung. Es handelt sich dabei um Themen ausschließlich übernationalen, politischen Charakters. Ein Bezug zur persönlichen Haftsituation des Abdullah Öcalan ist nicht ersichtlich. Auch aus den sonstigen festgestellten Gesamtumständen ergibt sich kein irgendwie gearteter Anhaltspunkt dafür, dass sein Abbild ohne jeglichen Bezug zur verbotenen PKK lediglich deshalb gezeigt wurde, um auf seine fortdauernde Haft hinzuweisen und seine Freilassung zu fordern. Bereits auf dieser Grundlage fehlt es an der, für die Ausnahmevorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG nach der Rechtsprechung erforderlichen Eindeutigkeit, dass der Gebrauch des Kennzeichens in keinerlei Verbindung zum Wirken der verbotenen Organisation steht. Hinzu tritt ein Umstand, den das Landgericht nicht ausreichend gewürdigt hat, auf den es aber im Ergebnis auch nicht mehr entscheidend ankommt. Die Angeklagte ging nach den Urteilsgründen bei der Demonstration im sogenannten „kurdischen Block“, wobei mehrere Meter vor ihr ein Lautsprecherwagen mit kurdischen Fahnen sowie einer Fahne mit dem Abbild von Öcalan fuhr; daran, dass die Angeklagte dies wahrgenommen hat, kann nach den Umständen kein Zweifel bestehen. Ob die Angeklagte hingegen wusste, dass hinter ihr Demonstrationsteilnehmer auf die politische Lage der Kurden aufmerksam machten, hat das Landgericht aufgrund seiner – im gegenständlichen Kontext zu kurz gegriffenen – Annahme, dies sei von der Angeklagten nicht „zu verantworten“ (UA S. 25), nicht festgestellt. Jedenfalls ergibt sich bereits aus dem Auftreten der vor der Angeklagten befindlichen Teilnehmer ein objektiv klarer und von der Angeklagten subjektiv wahrgenommener Bezug zur Kurdenfrage. Vor diesem Hintergrund weist das von ihr gezeigte Porträt Öcalans klar auf diesen als Führungs- und Symbolfigur der PKK als derjenigen Organisation hin, der für die Lösung der Kurdenproblematik nach Auffassung der Mitglieder und Anhänger der PKK Bedeutung zukommt, und dessen Freiheit deshalb gefordert wird. Auch in diesem Zusammenhang weist nichts darauf hin, dass allein das persönliche Schicksal des Menschen Öcalan zum Gegenstand der öffentlichen Meinungsbildung gemacht werden sollte.
Ergänzend zum Fehlen eines ausnahmsweise erlaubten Kennzeichengebrauchs wird auf die zutreffende und ausführliche rechtliche Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen.
dd) Vorsatz der Angeklagten im Sinne der Kenntnis aller tatbestandsrelevanten Umstände hat das Landgericht zutreffend bejaht, einen Verbotsirrtum fehlerfrei ausgeschlossen. Kenntnis der Angeklagten vom dem vom Senat zusätzlich die Abwägung eingestellten Auftreten der vor ihr gehenden Demonstrationsteilnehmer liegt nach den festgestellten Umständen auf der Hand.
3. Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Bestimmung der Einzelfreiheitsstrafe sowie der Gesamtstrafenbildung hat keine Rechtsfehler ergeben. Die Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe i.S.d. § 47 Abs. 2 StGB ist zwar knapp, im Hinblick auf die Vielzahl der ausführlich dargestellten, unmittelbar einschlägigen Vorstrafen der Angeklagten ausreichend begründet.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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