Strafrecht

Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum während Untersuchungshaft

Aktenzeichen  5 Ks 470 Js 18229/14

Datum:
11.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 5068
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 114e, § 116b, § 119 Abs. 6 S. 2, § 119a Abs. 1, § 126
BayUVollzG Art. 7 Abs. 2, Art. 27
BayStVollzG Art. 96 Abs. 2 Nr. 5, Art. 99 Abs. 1, Art. 177 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Es besteht keine unmittelbare Zuständigkeit des Haftgerichts für die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es besteht keine gesetzliche zeitliche Beschränkung der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum. Eine Pflicht zur Entlassung wäre mit der Fürsorgepflicht für eine suizidgefährdete Person nicht zu vereinbaren.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es besteht kein Verbot, einen Angeklagten aus einem besonders gesicherten Haftraum zur Hauptverhandlung vorzuführen.  (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag des Antragstellers J. O., die Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung in einer gesicherten Haftzelle während seiner Untersuchungshaft im Zeitraum vom 22.01.2015 bis zum 05.03.2015 und die daraus erfolgte Vorführung zur Hauptverhandlung festzustellen, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Das Landgericht Traunstein hat den Antragsteller nach Hauptverhandlungsterminen am 29.01., 05.02., 10.02., 03.03. und am 05.03.2015 wegen Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen, rechtlich zusammentreffend mit Raub mit Todesfolge, sowie der schweren räuberischen Erpressung in Tatmehrheit mit 3 Fällen des Computerbetruges und des versuchten Computerbetruges zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die gegen das Urteil eingelegte Revision des Antragstellers hat der Bundesgerichtshof verworfen, das Urteil ist seit 01.09.2015 rechtskräftig.
Der Antragsteller hat sich im vorliegenden Verfahren in der Zeit vom 12.06.2014 bis zur Rechtskraft des Urteils in Untersuchungshaft befunden, zunächst im Inn-Salzach-Klinikum Gabersee und seit 16.06.2014 in der JVA Straubing.
Gegen den Antragsteller wurde am 22.01.2015 wegen eines Suizidversuches aus Eigenschutzgründen die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum in der JVA Straubing angeordnet. Er hatte an diesem Tag ein Verlängerungskabel durchschnitten, es an einem Schrägbalken befestigt und eine Schlinge gefertigt. Von einer kleinen Erhöhung versuchte er dann mit der Schlinge um den Hals zu springen, die Schlinge verrutschte jedoch, wodurch der Untersuchungsgefangene Schürfwunden am Hals und am Körper erlitt.
Die JVA Straubing hat mit Schreiben vom 29.01.2015 das Landgericht Traunstein, die Staatsanwaltschaft und den Verteidiger informiert. Nach dem Urteil vom 05.03.2015 wurde die Anordnung der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum am 09.03.2015 wieder aufgehoben.
Der Antragsteller, der erst zuletzt in seinem Schreiben vom 26.04.2020 wieder damit gedroht hat, dass er sich umbringt, hält die Unterbringung im Zeitraum vom 29.01.2015 – 09.03.2015 für rechtswidrig, weil er durch die Art der angeordneten Unterbringung seelische Qualen und körperliche Schmerzen erlitten habe, er nicht habe aus dem Fenster sehen können und der vollständig leere und vollständig geflieste Haftraum ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit erzeugt habe. Nach der Unterrichtung durch die Justizvollzugsanstalt über die Unterbringung am 29.01.2015 hätte der Vorsitzende Richter und der Pflichtverteidiger reagieren müssen, spätestens vor der Entscheidung über seine in der Hauptverhandlung gestellten Befangenheits- und Entbindungsanträge. Es seien aber weder vom Vorsitzenden noch vom Pflichtverteidiger das Informationsschreiben der Justizvollzugsanstalt in der Hauptverhandlung bekannt gegeben worden und die Verfahrensbeteiligten informiert worden, obwohl er sich 41 Tage in einem besonders gesicherten Haftraum befunden habe. Die angeordnete Maßnahme von über 6 Wochen sei während der Hauptverhandlung rechtswidrig gewesen, da er durch die Art der angeordneten Unterbringung außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt war; die angeordnete Maßnahme sei im gesamten Zeitraum der Hauptverhandlung nicht abgestellt worden sei und hätte nach § 119 Abs. 6 S. 2 StPO genehmigt werden müssen, ein solcher Beschluss liege aber nicht vor. Die Durchführung der besonderen Sicherungsmaßnahme stehe unter richterlichem Vorbehalt des Haftrichters, der die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum hätte anordnen müssen. Der Vorsitzende Richter habe es absichtlich unterlassen, eine Entscheidung darüber zu treffen, es sei weder eine Genehmigung verkündet worden, eine Beurkundung im Protokoll erfolgt und die erforderliche Entscheidung gem. § 119 Abs. 6 S. 2 StPO nicht beurkundet worden.
Im Übrigen wird ergänzend auf die eingereichten Schreiben des Antragstellers verwiesen.
Der Antragsteller beantragt daher, die Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung in einer gesicherten Haftzelle während seiner Untersuchungshaft und die daraus erfolgte Vorführung zur Hauptverhandlung im Zeitraum vom 29.01.2015 – 05.03.2015 festzustellen.
II.
Es handelt sich um einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung über eine Maßnahme der Vollzugsbehörde gem. § 119a Abs. 1 StPO während des Vollzugs der Untersuchungshaft.
Dafür ist das Landgericht Traunstein als Haftgericht gem. § 126 StPO zuständig.
Der Antragsteller hat sich in der von ihm beanstandeten Zeit vom 21.01.2015 – 04.03.2015 in einem besonders gesicherten Haftraum befunden und ist dann entlassen worden. Die Maßnahme ist somit erledigt.
Trotz der Erledigung besteht durch die zusätzlichen Beschränkungen während der Unterbringung in einer gesicherten Haftzelle jedoch ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse daran, die Rechtmäßigkeit des nicht mehr fortwirkenden Eingriffs gerichtlich überprüfen zu lassen.
III.
Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme war zurückzuweisen, da die Anordnung der Unterbringung in einem gesicherten Haftraum vom 29.01.2015 – 05.03.2015 rechtmäßig war.
Rechtsgrundlage für die Unterbringung in einem gesicherten Haftraum ist Art. 27 BayUVollzG i.V.m. §§ 96 Abs. 2 Nr. 5, 99 BayStVollzG (in der damals ab 01.01.2008 gültigen Fassung).
Eine Unterbringung ist bei Selbstmordgefahr oder Selbstverletzungsgefahr möglich und aus Gründen der Fürsorgepflicht und zur Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung erforderlich (vgl. BeckOK Strafvollzug Bayern, BayStVollzG Art. 96 Rd.Nr. 2, 2a). Der Haftraum ist so auszustatten, dass eine Selbstverletzung und insbesondere ein Suizid zuverlässig verhindert werden. Zuständig dafür ist der Anstaltsleiter (§ 99 Abs. 1 BayStVollzG a.F.), der die Anordnungsbefugnis gemäß Art. 177 Abs. 3 BayStVollzG auf andere Bedienstete übertragen kann.
Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum lagen vor. Der Antragsteller, der sich bereits zuvor wegen Suizidgefahr bzw. eines angedrohten Suizids in der Zeit vom 04.12.2014 bis 15.12.2014 in einem gesicherten Haftraum befunden hatte, hat am 22.01.2015 einen Suizidversuch unternommen. Der Antragsteller wurde daraufhin in einen Haftraum ohne gefährdende Gegenstände in der JVA Straubing untergebracht, damit derartige Verhaltensweisen verhindert werden. Zuständig für diese Entscheidung ist die Justizvollzugsanstalt nach Art. 27 BayUVollzG i.V.m. §§ 96 Abs. 2 Nr. 5, 99 BayStVollzG. Die Anstalt hat dafür Sorge zu tragen, dass ein Suizid zuverlässig verhindert wird.
Für die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum besteht keine unmittelbare Zuständigkeit des Haftgerichts, weder nach § 119 Abs. 1 StPO, noch nach § 119 Abs. 6 S. 2 StPO. Beschwerende Anordnungen nach § 119 StPO betreffen insbesondere die dort aufgelisteten Beschränkungen, die im Zusammenhang mit dem Haftgrund stehen und die nicht, wie hier, den Vollzug der Untersuchungshaft betreffen.
§ 119 Abs. 6 S. 2 StPO ist entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht maßgeblich, da es um andere freiheitsentziehende Maßnahmen i.S.d. § 116b im Verhältnis zur Untersuchungshaft geht, die nicht die Untersuchungshaft bzw. ihren Vollzug selbst betreffen.
Auch die Dauer des Vollzugs der Maßnahme ist nicht zu beanstanden.
Das Landesamt für Finanzen hat im Schriftsatz vom 30.07.2018 im Prozesskostenhilfeverfahren 23 O1378/18 beim Landgericht Regensburg auf der Grundlage der Stellungnahme der JVA Straubing folgendes ausgeführt:
Am 22.01.2015 musste er jedoch bereits wieder in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände untergebracht werden, nachdem er an diesem Tag einen ernstzunehmenden Strangulationsversuch anlässlich einer Arbeitstherapie unternommen hatte. Er wurde zum damaligen Zeitpunkt dort zu therapeutischen Zwecken beschäftigt. Laut eigner Angaben hatte er diesen Suizidversuch bereits länger geplant. Im Rahmen der ärztlichen Visite am 23.01.2015 bedauerte er es ausdrücklich, dass dieser Suizidversuch misslungen sei. Er wollte weiter Sterben und äußerte das Fortbestehen der Suizidabsichten. Zugleich begann er erneut einen Hungerstreik, den er aber bereits am 24.01.2015 wieder beendete. Ebenso distanzierte er sich am 24.01.2015 von seinen Suizidabsichten. Er erhielt daher Kleidung ausgehändigt, blieb aber zur Beobachtung zunächst weiterhin im besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände untergebracht. Aufgrund der Ambivalenz des Verhaltens konnte das Vorliegen einer konkreten Gefährdungslage noch nicht mit der nötigen Sicherheit ausgeschlossen werden. Nachdem am 29.01.2015 die Hauptverhandlung gegen den Antragsteller bezüglich der haftgegenständlichen Tat begonnen hatte, betonte er im Rahmen der Visite vom 30.01.2015, dass er es noch immer bedauere, dass sein Suizidversuch vom 22.01.2015 misslungen sei. Er zog sich laut Angaben der behandelnden Anstaltspsychiater in sich zurück und es konnte eine dysphorisch gereizte Stimmung festgestellt werden. Während der Antragsteller am 13.02.2015 weiterhin darüber klagte, dass der Suizidversuch nicht geklappt habe, äußerte er am 16.02.2015 zunächst, dass er momentan keine Suizidgedanken mehr hege – wirkte dabei aber weiterhin sehr undurchsichtig – um lediglich kurz darauf wieder zu erklären, dass Suizid für ihn weiterhin ein Thema sei, ihm derzeit lediglich die Möglichkeit hierzu fehle. Es lag also ein erkennbar ambivalentes Verhalten des Antragstellers hinsichtlich möglicher suizidaler Handlungen vor, so dass weiterhin zwingend von einer konkret gesteigerten Gefährdungslage für Leib und Leben des Antragstellers auszugehen war. Dies bestätigte sich am 20.02.2015 durch seine Äußerungen, dass er sich die Todesstrafe wünsche, da die Verwehrung des Suizids für ihn Folter sei. Zwar distanzierte er sich in der Folgezeit zumindest in Worten von möglichen Suizidgedanken, sein Verhalten war nach Auskunft der behandelnden Psychiater aber weiterhin schwer einschätzbar, insbesondere habe er ambivalent und ohne Perspektiven für die Zukunft gewirkt. Stückweise kam es schließlich zu einer Stabilisierung des Antragstellers und dieser begann langsam Ziele für die Zukunft zu entwickeln, so dass er schließlich am 09.03.2015 aus dem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände herausverlegt werden konnte.
Am 24.04.2015 versuchte sich der Antragsteller jedoch erneut zu suizidieren. Er wurde an diesem Tag in einem somnolenten Zustand in seinem Haftraum aufgefunden in Folge einer Intoxikation und musste daher umgehend zur Behandlung ins Klinikum St. Elisabeth in Straubing verbracht werden “
Aufgrund des Verhaltens und der ständigen Äußerungen des Antragstellers kam daher eine frühere Aufhebung der Maßnahme gerade auch während der Dauer der laufenden Hauptverhandlung mit dem Ergebnis eines lebenslänglichen Urteils nicht in Betracht. Vor allem der erneute Suizidversuch bereits am 24.04.2015 zeigt – bei nachträglicher Betrachtung – die Notwendigkeit und Richtigkeit der Prognose und der angeordneten Maßnahme.
Der Angeschuldigte ist auch während der Dauer seiner Unterbringung vom 22.01.2015 bis zum 09.03.2015 mit Ausnahme weniger Tage vom ärztlichen Dienst der Justizvollzugsanstalt Straubing in besonders gesicherten Haftraum aufgesucht und damit kontrolliert worden.
Die Dauer der Maßnahme ist auch nicht zeitlich auf 3 Tage beschränkt. Das Gesetz sieht keine zeitliche Beschränkung vor (BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 13. Ed. 1.5.2020, BayStVollzG Art. 96 Rn. 8). Eine Pflicht zur Entlassung nach 3 Tagen wäre auch mit der Fürsorgepflicht für eine immer noch suizidgefährdete Person nicht zu vereinbaren.
Die JVA Straubing ist auch ihrer Informationspflicht gem.§ 7 Abs. 2 BayUVollzG, § 114e StPO nachgekommen und hat das Gericht informiert. Weitere Pflichten, insbesondere wegen einer Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit, bestehen in diesem Zusammenhang für die JVA nicht.
Der Antrag des Antragstellers, die Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum und der Vorführung zur Hauptverhandlung daraus festzustellen, war daher zurückzuweisen.
Ein Verbot, jemanden aus einem besonders gesicherten Haftraum zur Hauptverhandlung vorzuführen, besteht nicht.
Gegenstand eines gerichtlichen Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Vollzugshandlung kann auch nicht die Frage sein, ob der Antragsteller verhandlungsunfähig gewesen sei. Diese Frage obliegt der Beurteilung im Hauptverfahren, das durch die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshof rechtskräftig abgeschlossen ist.


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