Aktenzeichen 3 Ws 249/16
GVG GVG § 187
EMRK EMRK Art. 6 Abs. 3
Leitsatz
1 Die Zustellung eines Strafbefehls an den Zustellungsbevollmächtigten ist grundsätzlich wirksam und setzt die Einspruchsfrist in Lauf (Ergänzung zu EuGH BeckRS 2015, 81354). (red. LS Hans-Joachim Lutz)
2 Der Wirksamkeit der Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten steht nicht entgegen, dass an den Zustellungsbevollmächtigten zwar der Strafbefehl, jedoch keine Übersetzung des Strafbefehls in der Heimatsprache des Angeklagten zugestellt wurde. (red. LS Hans-Joachim Lutz)
Tenor
Die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) gegen den Beschluss der Jugendkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 23. Februar 2016 wird als unbegründet verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die hierdurch dem Beschwerdegegner erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
Am 14.10.2015 erließ das Amtsgericht Kaufbeuren gegen den Beschwerdegegner einen Strafbefehl wegen Diebstahls in 2 Fällen und verhängte eine Gesamtgeldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 10,00 €. Dieser Strafbefehl wurde an den vom Beschwerdegegner im Ermittlungsverfahren benannten Zustellungsbevollmächtigten am 15.10.2015 zugestellt. Am 30.10.2015 wurde vom Amtsgericht Kaufbeuren der Eintritt der Rechtskraft am 30.10.2015 bescheinigt. Mit Verfügung vom 17.11.2015 leitete die Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) die Vollstreckung ein.
Am 26.01.2016 beantragte die Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu), das Verfahren nach § 205 StPO vorläufig einzustellen und gegen den Beschwerdegegner einen Haftbefehl zu erlassen. Mit Beschluss vom 03.02.2016 lehnte das Amtsgericht Kaufbeuren diese beiden Anträge ab. Der hiergegen von der Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) mit Verfügung vom 09.02.2016 eingelegten Beschwerde, verbunden mit dem Antrag auf Erlass des Haftbefehls, half das Amtsgericht Kaufbeuren mit Verfügung vom 12.02.2016 nicht ab.
Mit Beschluss vom 23.02.2016 wies das Landgericht Kempten (Allgäu) – Jugendkammer – die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) als unbegründet zurück. Der hiergegen von der Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) mit dem Ziel des Erlasses eines Haftbefehls eingelegten Beschwerde half das Landgericht Kempten (Allgäu) am 03.03.2016 nicht ab.
II.
Die weitere Beschwerde, deren Ziel der Erlass des beantragten Haftbefehls ist, ist gemäß §§ 310 Abs. 1 Nr. 1, 306 Abs. 1 StPO statthaft und zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Zutreffend sind die Vorinstanzen von der Rechtskraft des Strafbefehls des Amtsgerichts Kaufbeuren vom 14.10.2015 ausgegangen.
Ausweislich der am 10.09.2015 vom Beschwerdegegner erteilten Zustellungsvollmacht nahm der Zustellungsbevollmächtigte Herr Sxx, Amtsgericht Kaufbeuren, am 15.10.2015 den Strafbefehl für den Beschwerdegegner entgegen. Die Zustellung des Strafbefehls an den Zustellungsbevollmächtigten war wirksam und setzte die Einspruchsfrist in Lauf. Der Strafbefehl wurde rechtskräftig, da innerhalb der Frist kein Einspruch eingelegt wurde.
Dem Lauf der Einspruchsfrist steht auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C – 216/14 vom 15. Oktober 2015 nicht entgegen. Denn vorliegend hat der Beschwerdegegner die Möglichkeit, tatsächlich über die volle Frist für einen Einspruch gegen den Strafbefehl zu verfügen.
Es ist Sache des Beschwerdegegners, sicherzustellen, dass der von ihm benannte Zustellungsbevollmächtigte ihn vom Eingang amtlicher Schriftstücke unverzüglich informiert. Insoweit kommt es bei einer Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten wie auch bei einer Zustellung mittels Postzustellungsurkunde nicht darauf an, wann der Betroffene vom Inhalt amtlicher Schriftstücke Kenntnis genommen hat, sondern ab wann er hiervon Kenntnis nehmen konnte. Eine solche Handhabung stellt den Beschwerdegegner auch nicht rechtlos, da er anlässlich der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten am 10.09.2015 darauf hingewiesen wurde, dass die gesetzlichen Fristen mit dem Tag der Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten zu laufen beginnen und der Zustellungsbevollmächtigte nicht berechtigt ist, für ihn Rechtsmittel einzulegen.
Dass dem Beschwerdegegner die volle Frist zur Verfügung steht, ist letztlich auch dadurch gewährleistet, dass er nach der tatsächlichen Kenntnisnahme vom Inhalt des Strafbefehls, erforderlichenfalls in Verbindung mit der Aushändigung einer Übersetzung in seine Heimatsprache, mit einer etwaigen Einspruchseinlegung immer noch die Bewilligung von Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Einspruchsfrist beantragen kann bzw. ihm diese von Amts wegen zu gewähren wäre .
Der Wirksamkeit der Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten und damit dem Beginn des Laufs der Einspruchsfrist steht auch nicht entgegen, dass an den Zustellungsbevollmächtigten zwar der Strafbefehl vom 14.10.2015, jedoch keine Übersetzung des Strafbefehls in der Heimatsprache des Beschwerdegegners, zugestellt wurde. Zwar ist gemäß Art. 6 Abs. 3 e MRK, § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG in der Regel ein Strafbefehl mit Übersetzung zuzustellen, zumal der Beschwerdegegner bei Erteilung der Zustellungsvollmacht am 10.09.2015 nicht darauf verzichtet hat, dass einem gerichtlichen Strafbefehl eine Übersetzung in seiner Heimatsprache beigefügt wird. Gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 StPO war aber die Beifügung einer Übersetzung anlässlich der Zustellung des Strafbefehls nicht veranlasst, da diese Vorschrift im Strafbefehlsverfahren nicht entsprechend anwendbar ist und der Beschwerdegegner gegebenenfalls auf die Bewilligung von Wiedereinsetzung auf Antrag bzw. von Amts wegen zu verweisen ist (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 58. Aufl. § 37 Rn. 30).
Da der Strafbefehl vom 14.10.2015 also am 30.10.2015 rechtskräftig geworden ist, ist weder für eine Einstellung nach § 205 StPO noch für den Erlass eines Haftbefehls Raum.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 473 Abs. 1 und 2 StPO.