Strafrecht

Zur Offenkundigkeit des Anspruchs eines Dritten auf Herausgabe eines beschlagnahmten PkW gegenüber dem letzten Gewahrsamsinhaber

Aktenzeichen  2 Qs 75/19

Datum:
14.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32972
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 111n Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4

 

Leitsatz

Die Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber ist der Regelfall der Beendigung einer Sicherstellung oder Beschlagnahme von Gegenständen. Für den Ausnahmefall der Herausgabe an einen Dritten ist die erforderliche Offenkundigkeit seiner Ansprüche nur dann gegeben, wenn die Ansprüche ohne weiteres aufgrund der Aktenlage oder eines vom Dritten erbrachten Nachweises – wie einem zivilrechtlichen Titel – unzweifelhaft vorliegen. (Rn. 11 – 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

58 Gs 1313/19 2019-10-18 Bes AGNUERNBERG AG Nürnberg

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers … gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 18.10.2019 wird dieser aufgehoben.
2. Die Staatsanwaltschaft N.-F. hat den sichergestellten Personenkraftwagen, Hersteller: Toyota, Typ: C-HR, Farbe: silbergrau-metallic, FIN: … an den Beschwerdeführer … herauszugeben.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
Am 23.08.2018 wurde ein Pkw, Marke Toyota C-HR silber, angebrachtes Kennzeichen …, in N. gemäß §§ 94, 98 StPO sichergestellt. Der letzte Gewahrsamsinhaber war hierbei der Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer wurde bei dem Versuch, das Fahrzeug über ein Internetinserat zu verkaufen, von den Ermittlungsbeamten festgestellt. Bei der anschließenden Überprüfung konnte die Original-FIN … ermittelt werden. Zu dieser bestand eine Schengen Fahndung aus Spanien. Der Pkw wurde am 03.09.2018 gemäß §§ 66, 67 IRG sichergestellt. Ausweislich des Fahrzeugberichts 8772JZP (Bl. 10-11 d.A.) war ursprünglich eine Frau … Eigentümerin des Fahrzeugs, die dieses am 31.05.2018 aufgrund von „Entwendung“ aus ihrer Garage in Murcia, Spanien abmeldete (Bl. 12 d.A.).
Ausweislich der Angaben des Beschwerdeführers und des vorgelegten Kaufvertrages, kaufte und übernahm dieser das Fahrzeug im August 2018 von Herrn ….
Ein Rechtshilfeersuchen der spanischen Justizbehörde auf Herausgabe des Pkw ging nicht ein.
Mit Verfügung vom 15.01.2019 traf die Staatsanwaltschaft N.-F. die Entscheidung, den Pkw an den letzten Gewahrsamsinhaber herauszugeben, informierte hierüber die Dekra Services S.A., Barcelona und teilte zugleich mit, dass hiergegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 162 Abs. 2 StPO statthaft sei. Mit Schreiben vom 25.01.2019 beantragte die Versicherungsgesellschaft AXA Seguros gerichtliche Entscheidung gemäß § 162 Abs. 2 StPO über die Herausgabe des Pkw. Sie führte aus, dass sie die Versicherungsgesellschaft des ursprünglichen Fahrzeuginhabers sei und diesen für den Fahrzeugdiebstahl entschädigt habe. Daher sei sie Eigentümerin des Pkw und dieser an sie herauszugeben.
Mit Verfügung vom 30.01.2019 legte die Staatsanwaltschaft dem Amtsgericht Nürnberg – Ermittlungsrichter die Akten zur Entscheidung gemäß § 111 k S. 3 StPO vor. Nachdem von dem Ermittlungsrichter weitere Unterlagen nachgefordert wurden, diese in die deutsche Sprache übersetzt wurden und der Beschwerdeführer zu der beabsichtigten Herausgabe des Pkws an die AXA Seguros gehört wurde, erging am 18.10.2019 Beschluss, wonach die Staatsanwaltschaft N.-F. den sichergestellten Pkw, Hersteller: Toyota, Typ: C-HR, Farbe: silbergrau-metallic, … an die AXA Global Seguros y Reaseguros S.A.U. herauszugeben habe. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
Hiergegen legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 24.10.2019, eingegangen beim Amtsgericht Nürnberg am selben Tage, Beschwerde ein. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Mit Verfügung vom 25.10.2019 half der Ermittlungsrichter der Beschwerde nicht ab und wies darauf hin, dass es sich bei der Formulierung „dürfte“ um ein Versehen handeln würde und die spanische Rechtslage angewandt worden sei. Mit Verfügung vom 29.10.2019 legte die Staatsanwaltschaft der Kammer die Beschwerde mit dem Antrag vor, über die Beschwerde zu entscheiden.
Mit Verfügung vom 14.11.2019 wies die Kammer die AXA Global Direct Seguros y Reaseguros S.A.U. darauf hin, dass es an der Offenkundigkeit ihres Eigentums gemäß § 111 n Abs. 4 StPO fehlen könne und räumte ihr über den Verletztenbeistand die Möglichkeit zur Stellungnahme – antragsgemäß verlängert bis zum 07.01.2020 – ein. Mit Schriftsatz vom 06.01.2019 führte der Verletztenbeistand aus, dass ein gutgläubiger Eigentumserwerb des Beschwerdeführers nicht erfolgt sei, da dieser das Fahrzeug in Deutschland erworben habe und ein gutgläubiger Erwerb an abhanden gekommenen Sachen nach deutschem Recht nicht möglich sei.
II.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist statthaft und auch sonst zulässig, §§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO. Sie ist überdies auch begründet.
Das Fahrzeug ist an den Beschwerdeführer als letzten Gewahrsamsinhaber herauszugeben, § 111 n Abs. 1 StPO.
Die Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber ist gem. § 111 n Abs. 1 StPO der Regelfall der Beendigung einer Sicherstellung oder Beschlagnahme von Gegenständen.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist zu machen, wenn Ansprüche Dritter offenkundig dagegenstehen (§ 111 n Abs. 3, 4 StPO). Offenkundig i.S.d. § 111 n Abs. 4 StPO sind diese, wenn sie ohne weiteres aufgrund der Aktenlage oder eines vom Anspruchstellers erbrachten Nachweises – beispielsweise eines zivilrechtlichen Titels – unzweifelhaft vorliegen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 111 n/Rn. 17). In den Zweifelsfällen muss der Anspruchsteller sein auf § 111 n StPO gestütztes Herausgabeverlangen durch einen zivilrechtlichen Titel belegen (vgl. BT-Drucksache 18/9525, S. 84).
Vorliegend sind derartige Ansprüche nicht offenkundig i.S.d. § 111 n Abs. 4 StPO. Insbesondere ist nicht offenkundig, dass die AXA Global Direct Seguros y Reaseguros S.A.U. Eigentümerin des Fahrzeugs ist. Zwar hat die ursprüngliche Eigentümerin … – wie vom Amtsgericht zutreffend ausgeführt – den Verzicht sowie die Abtretung ihrer Rechte aus dem Schadensfall an die Versicherung für den Fall der Entschädigungszahlung, die am 08.08.2018 erfolgte, gemäß Abschnitt 3 Artikel 53 des spanischen Versicherungsvertragsgesetzes erklärt. Jedoch ist damit nicht offenkundig, dass die AXA S.A.U. – noch – Eigentümerin ist. Zwar ist ein gutgläubiger Eigentumserwerb von abhanden gekommenen Sachen gemäß § 935 Abs. 1 BGB nach deutschem Recht nicht möglich. Gemäß Art. 43 Abs. 1 EGBGB unterliegen Rechte an einer Sache nach dem allgemeinen Sachstatut dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet.
Jedoch ist vorliegend nicht bekannt, wie das Fahrzeug von Murcia, Spanien nach Deutschland gelangte. Ein gutgläubiger Erwerb ist im spanischen Recht auch an abhanden gekommenen Sachen möglich. Es ist vorliegend nicht offenkundig, dass das Eigentum an dem Fahrzeug nicht gutgläubig in Spanien – oder einem anderen europäischen Staat, in dem der gutgläubige Eigentumserwerb auch an abhanden gekommenen Sachen möglich ist – von einem Unbekannten erworben wurde. Dies erscheint auch nicht völlig fernliegend, da zwischen der gemeldeten Entwendung und der ermittelten Inbesitznahme des Beschwerdeführers mehr als zwei Monate liegen und der Weg des Fahrzeugs nach Deutschland unbekannt ist. Damit ist nicht offenkundig, dass die ursprüngliche Eigentümerin zum Zeitpunkt der Abtretung an die Versicherung noch Eigentümerin war und ihr Eigentum übertragen konnte bzw. die Versicherung das Eigentum nicht doch noch verloren hat.
Daher kommt die Herausgabe an diese gemäß § 111 n Abs. 3 StPO nicht in Betracht.
Da die Sache ausschließlich als nun nicht mehr benötigtes Beweismittel sichergestellt wurde, bleibt es bei der Grundregel des § 111 n Abs. 1 StPO (vgl. BT-Drucksache 18/9525, S. 83, 84). Dadurch wird nur eine vorläufige Besitzstandsregelung getroffen, sodass die AXA S.A.U. das behauptete Eigentum gegen den Beschwerdeführer weiterhin im Zivilrechtsweg geltend machen kann.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 465 StPO analog.


Ähnliche Artikel


Nach oben