Strafrecht

Zurückstellung der Strafvollstreckung – Therapiebereitschaft

Aktenzeichen  204 VAs 131/21

Datum:
27.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37163
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BtMG § 35 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Der Vollstreckungsbehörde steht hinsichtlich der Feststellung der Therapiebereitschaft bzw. des Therapiewillens ein Beurteilungsspielraum zu. (Rn. 16)
2. Die Ablehnung einer Zurückstellung nach § 35 Abs. 1 BtMG wegen fehlender Therapiewilligkeit hat jedoch Ausnahmecharakter, denn eine Motivation des Verurteilten zur Therapie ist nicht Voraussetzung, sondern erst Ziel weiterer Therapiebemühungen. (Rn. 20)
3. Die von der Vollstreckungsbehörde zu prüfende Therapiebereitschaft muss sich wegen des Ausnahmecharakters darauf beschränken, ob eine Bereitschaft zum Antritt und Durchstehen der Therapie besteht. Ein Versagungsgrund kann deshalb nur dann gegeben sein, wenn konkrete Zweifel an einem ernsthaften Therapiewillen bestehen. (Rn. 21)
4. Ernsthafte Zweifel an der Therapiezusage des Betroffenen können sich insbesondere daraus ergeben, dass dieser in besonders verantwortungsloser und leichtfertiger Weise Therapiechancen vergeben hat, ohne dass nunmehr ein grundlegender Einstellungswandel erkennbar geworden ist; die wesentlichen Faktoren und typischen Erscheinungsformen der Betäubungsmittelabhängigkeit, insbesondere die charakterliche Labilität, die Drogenkarriere, Häufigkeit der Vorstrafen und zunehmende Rückfallgeschwindigkeit genügen dagegen nicht. (Rn. 21 – 22)
Anhaltspunkte oder Beweismittel für das Fehlen eines ernsthaften Therapiewillens bei Vorliegen einer Therapiezusage liegen nur in Ausnahmefällen vor, etwa wenn der Verurteilte die Therapiebereitschaft lediglich vortäuscht, um die Fahrt zur Drogentherapieeinrichtung zur Flucht zu nutzen oder er jegliche Unterordnung oder Mitarbeit im Hinblick auf die Therapievorbereitungen ablehnt oder wenn er sich an keinerlei Regeln hält, also in seinem Gesamtverhalten dokumentiert, dass er nicht den ernsthaften Willen besitzt, im Rahmen einer Therapie seine Sucht zu heilen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag des Verurteilten M… C… auf gerichtliche Entscheidung vom 15. März 2021 gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 2. November 2020 in der Gestalt des Bescheids des Generalstaatsanwalts in Nürnberg vom 15. Februar 2021 wird auf Kosten des Antragstellers als unbegründet verworfen.
2. Der Geschäftswert wird auf 5.000 € festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat auf die Berufung des Antragstellers unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts – Schöffengericht – Nürnberg vom 18.6.2018 diesen am 13.12.2018 (Az. 8 Ns 204 Js 19249/17) – rechtskräftig seit 13.12.2018 – wegen Diebstahls in 15 Fällen, räuberischen Diebstahls mit vorsätzlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Das Landgericht Ansbach – Strafvollstreckungskammer – hat mit Beschluss vom 1.3.2019 (StVK 53/19) die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt erklärt und die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt.
Der Antragsteller verbüßt die Gesamtfreiheitsstrafe derzeit in der Justizvollzugsanstalt B… Der Zweidrittelzeitpunkt war am 6.10.2020 erreicht; das Strafende ist für den 6.12.2021 vorgemerkt.
Mit Schreiben 27.10.2020 beantragte der Verurteilte, die Vollstreckung dieser Reststrafe gemäß § 35 BtMG zurückzustellen. Er legte eine Kostenzusage der Deutschen Rentenversicherung vom 20.10.2020 für eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der Klinik B… W…, eine Bestätigung dieser Klinik vom 20.10.2020, diesen zum 27.1.2021 aufzunehmen, sowie ein Schreiben der D… S… D.… Oberbayern vom 23.10.2020, in dem die Aufarbeitung seiner Suchterkrankung in einem geschützten therapeutischen Rahmen befürwortet wurde, vor.
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth lehnte mit Verfügung vom 2.11.2020 den Antrag wegen Fehlens einer Therapiemotivation ab. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Zurückstellung der Strafvollstreckung dem Antragsteller als Fluchtmöglichkeit dienen solle.
Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 21.1.2021 unter Vorlage eines Schreibens der D… S… D… Oberbayern vom 11.1.2021 Beschwerde ein, der die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 28.1.2021 nicht abhalf.
Mit Bescheid vom 15.2.2021 (Az. 6 Zs 96/21), dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 17.2.2021, wies der Generalstaatsanwalt in Nürnberg die Beschwerde des Antragstellers vom 21.1.2021 gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 2.11.2020 zurück, da angesichts der Vorgeschichte (zahlreiche Therapiechancen seien leichtfertig vergeben worden; der Antragsteller habe jeweils kurz nach Beendigung der Therapien oder aber Entlassung aus der Strafhaft erneut Straftaten begangen, insbesondere um seine Drogensucht zu finanzieren; er sei aus der 2011 angeordneten Unterbringung entflohen; im Jahr 2013 sei die Vollstreckung einer Restfreiheitsstrafe zweimal zurückgestellt und jeweils widerrufen worden, beim zweiten Mal wegen eines Therapieabbruchs bereits nach 30 min.; zuletzt sei die Erledigung der Unterbringung gemäß § 64 StGB nach gerade einmal fünf Wochen vom Bezirkskrankenhaus A… beantragt worden, da der Antragsteller die empfohlene Medikation gegen Suchtdruck vehement abgelehnt und auf eine Substitution fixiert gewesen sei und Rückfälle mit Fentanyl mehrfach geleugnet habe) eine ausreichende Therapiemotivation nicht vorliege. Ein Entweichen sei auch angesichts früherer Flucht aus der Unterbringung sowie während einer Zurückstellung nach § 35 BtMG und der Abschiebungsandrohung durch die Ausländerbehörde nicht auszuschließen.
Außerdem erlaube es das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit nicht, das Risiko eines erneuten Therapiescheiterns einzugehen, da bei den vom Verurteilten begangenen Diebstählen zahlreiche unbeteiligte Personen geschädigt worden seien.
Zudem sei der Aufnahmetermin in die Therapieeinrichtung zwischenzeitlich verstrichen.
Mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 15.3.2021, eingegangen am selben Tag, stellte der Verurteilte Antrag auf gerichtliche Entscheidung, in dem er beantragt, die Verfügung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 2.11.2020 und den Bescheid des Generalstaatsanwalts vom 15.2.2021 aufzuheben.
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Schreiben vom 9.4.2021 – unter anderem unter Bezugnahme auf den Vorlagebericht des Leitenden Oberstaatsanwalts in Nürnberg vom 31.3.2021 – den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung vom 15.3.2021 kostenfällig als unbegründet zu verwerfen.
Hierauf entgegnete der Antragsteller mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 29.4.2021.
Der Senat nimmt im Übrigen auf die genannten Entscheidungen, Verfügungen und Schreiben vollumfänglich Bezug.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Generalstaatsanwalts in Nürnberg vom 15.2.2021 ist nach § 23 EGGVG statthaft, wurde gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG i.V.m. § 43 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht eingelegt und ist auch nach § 24 Abs. 1 und 2 EGGVG zulässig, da jeweils das erforderliche Vorschaltverfahren (§ 21 StVollstrO) durchgeführt worden ist.
In der Sache bleibt der Antrag jedoch ohne Erfolg, da die Vollstreckungsbehörde beurteilungsfehlerfrei das Vorhandensein eines hinreichenden Therapiewillens des Antragstellers verneint hat und dieser deshalb nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG).
1. Der Therapiewille bzw. die Therapiebereitschaft des Antragstellers ist eine der Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG für eine Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Drogentherapie. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff mit der Folge, dass der Vollstreckungsbehörde bei der Feststellung, ob ein Therapiewille vorliegt, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 57, juris Rn. 4; NStZ-RR 2009, 122, juris Rn. 6; OLG Nürnberg, StV 2017, 307, juris Rn. 19; Fabricius in: Körner/ Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 35 Rn. 204; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 35 Rn. 122 und 141; BeckOK-BtMG/Bohnen, 8. Ed. 15.9.2020, § 35 Rn. 310; s.a. OLG Frankfurt, StraFo 2013, 351, juris Rn. 7). Insoweit beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle darauf, ob die Vollstreckungsbehörde bei ihrer Entscheidung über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraumes eingehalten hat (OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 57, juris Rn. 4; NStZ-RR 2009, 122, juris Rn. 6; OLG Koblenz, Beschluss vom 20.7.2017 – 2 VAs 15/17, juris Rn. 8; OLG München, StV 2009, 370, juris Rn. 8; OLG Nürnberg, StV 2017, 307, juris Rn. 20; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8.12.2016 – VAs 29/16, juris Rn. 7; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18.12.2018 – 1 VAs 8/18, juris Rn. 12; BeckOK-BtMG/Bohnen, a.a.O., § 35 Rn. 310; Fabricius in: Körner/Patzak/Volkmer, a.a.O., § 35 Rn. 204). Fehlt es an einer Tatbestandsvoraussetzung, so lehnt die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung ab; ein Ermessen besteht insoweit nicht (Weber, a.a.O., § 35 Rn. 143).
Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist dabei die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in der Gestalt, die sie im Vorschaltverfahren (§ 24 Abs. 2 EGGVG, § 21 StVollStrO) durch den Bescheid des Generalstaatsanwalts erhalten hat (OLG Nürnberg, StV 2017, 307, juris Rn. 21; OLG Zweibrücken, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 24 EGGVG Rn. 7).
2. Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs ist die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde nicht zu beanstanden. Diese hat die Ablehnung der Zurückstellung der Vollstreckung ohne Rechtsfehler (unter anderem) auf das Fehlen einer Therapiebereitschaft des Antragstellers gestützt.
a) Da der Vollstreckungsbehörde bei der Feststellung der Therapiebereitschaft bzw. des Therapiewillens ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist, hat der Senat lediglich zu prüfen, ob diese den relevanten Sachverhalt zutreffend und vollständig festgestellt und gewertet hat, ob sie von zutreffender rechtlicher Deutung der anzuwendenden Normen und Rechtsbegriffe ausgegangen ist und den gezogenen Rahmen des Bewertungsspielraumes nicht überschritten hat.
Die Ablehnung einer Zurückstellung nach § 35 BtMG wegen fehlender Therapiewilligkeit hat – wie der Generalstaatsanwalt im Bescheid von 15.2.2021 ausdrücklich festgestellt hat – Ausnahmecharakter, denn eine Motivation des Verurteilten zur Therapie ist nicht Voraussetzung, sondern erst Ziel weiterer Therapiebemühungen (OLG Koblenz StV 2003, 288, 289; OLG München, StV 2009, 370, juris Rn. 13; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2000,153, juris Rn. 6; Fabricius, in: Patzak/Körner/Volkmer, a.a.O., § 35 Rn. 205). Demgemäß soll § 35 BtMG gerade dann Anwendung finden, wenn z.B. die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht vorliegen. Es soll auch „Risikopatienten“ eine Therapiechance eröffnet werden (OLG Hamburg, StV 1998, 390; OLG Koblenz StV 2006, 588, juris Rn. 21; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2000,153 juris Rn. 6).
Grundsätzlich muss sich somit die von der Vollstreckungsbehörde zu prüfende Therapiebereitschaft darauf beschränken, ob eine Bereitschaft zum Antritt und Durchstehen der Therapie besteht (vgl. OLG Koblenz StV 2006, 588, juris Rn. 24; OLG Zweibrücken, NStZ-RR 2000, 153, juris Rn. 6). Ein Versagungsgrund kann deshalb nur dann gegeben sein, wenn konkrete Zweifel an einem ernsthaften Therapiewillen bestehen. Daher liegen Anhaltspunkte oder Beweismittel für das Fehlen eines ernsthaften Therapiewillens bei Vorliegen einer Therapiezusage nur in Ausnahmefällen vor (OLG Koblenz StV 2006, 588, juris Rn. 23 ff.; OLG München, StV 2009, 370, juris Rn. 12 f.), etwa wenn die Therapiebereitschaft lediglich vorgetäuscht wird, um die Fahrt zur Drogentherapieeinrichtung zur Flucht zu nutzen oder jegliche Unterordnung oder Mitarbeit im Hinblick auf die Therapievorbereitungen abgelehnt wird oder wenn sich der Verurteilte an keinerlei Regeln hält, also in seinem Gesamtverhalten dokumentiert, dass er nicht den ernsthaften Willen besitzt, im Rahmen einer Therapie seine Sucht zu heilen (OLG Koblenz, a.a.O., juris Rn. 26). Ernsthafte Zweifel an der Therapiezusage des Betroffenen können sich insbesondere daraus ergeben, dass dieser in besonders verantwortungsloser und leichtfertiger Weise Therapiechancen vergeben hat, ohne dass nunmehr ein grundlegender Einstellungswandel erkennbar geworden ist (Weber, a.a.O., § 35 Rn. 119 m.w.N.).
Dagegen genügen die wesentlichen Faktoren und typischen Erscheinungsformen der Betäubungsmittelabhängigkeit, insbesondere die charakterliche Labilität, die Drogenkarriere, Häufigkeit der Vorstrafen und zunehmende Rückfallgeschwindigkeit nicht (vgl. OLG Karlsruhe StV 1983, 112; Weber, a.a.O., § 35 Rn. 161). Denn der Weg aus der Drogensucht ist regelmäßig mit mehreren gescheiterten Therapieversuchen und Rückfällen in kriminelle Verhaltensweisen verbunden, weshalb diese den Schluss auf eine mangelnde Therapiefähigkeit allein nicht zulassen und deshalb einer erneuten Zurückstellung als solche nicht entgegenstehen (vgl. OLG Hamburg, StV 1998, 390, 391; OLG Koblenz StV 2006, 588, juris Rn. 22; Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, StV 2003, 289; Weber, a.a.O., § 35 Rn 116).
b) Hieran gemessen ist die ablehnende Entscheidung der Vollstreckungsbehörde nicht zu beanstanden. Der Generalstaatsanwalt geht von einem vollständig ermittelten Sachverhalt aus, hat den richtigen Prüfungsmaßstand zugrunde gelegt und hält sich innerhalb des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums.
aa) Der Weg aus der Drogensucht ist zwar regelmäßig – wie auch im Fall des Antragstellers – mit mehreren gescheiterten Therapieversuchen und Rückfällen in kriminelle Verhaltensweisen verbunden, weshalb diese den Schluss auf eine mangelnde Therapiefähigkeit allein nicht zulassen und deshalb einer erneuten Zurückstellung als solche nicht entgegenstehen. Der Vollstreckungsbehörde ist aber darin zuzustimmen, dass eine mangelnde Therapiemotivation des Antragstellers vor allem darin zum Ausdruck kommt, dass mehrere frühere Therapieversuche innerhalb kürzester Zeit abgebrochen werden mussten (Abbruch von zwei Therapien gemäß § 35 BtMG im Jahr 2013, davon die erste nach einer Woche mit anschließender Flucht nach I… und dortiger Teilnahme an einer Substitutionsbehandlung, und die zweite bereits nach einer halben Stunde; vgl. Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ansbach vom 1.3.2019, Seite 4 oben) und auch die letzte Unterbringung gemäß § 64 StGB aufgrund eines bereits fünf Wochen nach deren Beginn gestellten Antrags durch das Bezirkskrankenhaus A… für erledigt erklärt wurde. Grund für die letzten beiden Therapieabbrüche war der Suchtdruck des Antragstellers, der nicht damit zurechtgekommen war, dass die beiden Therapien – jedenfalls zunächst, also für mehrere Monate bzw. für die ersten drei Monate, ohne Substitution durchgeführt werden sollten. Er hatte deshalb bei der letzten Unterbringung einerseits eine den Suchtdruck dämpfende Medikation abgelehnt und andererseits eingeschmuggeltes Fentanylpflaster angewandt, wobei er diesen Substanzmissbrauch trotz mehrmaligen Vorhalts der Drogenscreenings wiederholt abgestritten hatte. Hierin sieht die Vollstreckungsbehörde zutreffend ein leichtfertiges Verspielen von Therapiechancen, was erhebliche Zweifel an einer – jedenfalls nachhaltigen – Therapiemotivation begründet, zumal es dem Antragsteller – so die Strafvollstreckungskammer im genannten Beschluss – nur um die Substitution gehe, die er nach seinen Regeln, nicht aber nach den Regeln der Klinik durchgeführt haben möchte. Dies zeigt die geringe Absprachefähigkeit des Antragstellers, in der seine mangelnde ernsthafte Therapiemotivation zum Ausdruck kommt (vgl. hierzu BayObLG, Beschluss vom 5.8.2019 – 203 VAs 657/19, unveröffentlicht).
bb) In diesem Zusammenhang ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass der Antragsteller die Zurückstellung zur Flucht nutzen könnte. Er ist bereits im Juli 2011 aus der Unterbringung im Bezirkskrankenhaus A… entwichen und während einer Zurückstellung gemäß § 35 BtMG im Jahr 2013 eine Woche nach dem rückfallbedingten Therapieabbruch nach Italien geflüchtet. Die Vollstreckungsbehörde hat als zusätzlichen Umstand für einen Fluchtanreiz angeführt, die Ausländerbehörde habe dem Antragsteller bereits die Abschiebung angedroht. Dem steht allerdings die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt B… vom 21.1.2020 entgegen, wonach laut Schreiben der Stadt Nürnberg vom 27.8.2019 gegen den Antragsteller derzeit keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geplant seien. Gleichwohl zeigt auch unabhängig vom Bestehen eines solchen zusätzlichen Fluchtanreizes die bereits zweimalige Flucht während einer Therapie und die fehlende Bereitschaft zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Therapeuten, wenn diese sich nicht nach den Wünschen und Vorstellungen des Antragstellers richten, dass es an der entsprechenden nachhaltigen Therapiemotivation fehlt.
cc) Die Vollstreckungsbehörde hat auch die Stellungnahme der Diakonie vom 11.1.2021 berücksichtigt, wonach der Antragsteller glaubhaft vermittle, dass er den ernsthaften Wunsch hege, seine Suchtproblematik zu bearbeiten und Krankheitseinsicht und Veränderungswillen erkennen lasse. Die Diakonie weist darauf hin, dass der Kostenträger anhand des zwingend notwendigen Arztberichtes der Anstaltsärzte und des ebenso zwingend notwendigen Sozialberichtes der Externen Suchtberatung (= Diakonie) die Therapiemotivation der einzelnen Antragsteller sehr gründlich prüfe, worunter auch die Prüfung der Therapiefähigkeit und -willigkeit falle. Wenn also bereits eine Kostenzusage vorhanden sei, könne sicher davon ausgegangen werden, dass mehrere fachliche Instanzen die Therapiemotivation bestätigt haben.
Dass die Vollstreckungsbehörde anhand der oben geschilderten Umstände dieser Einschätzung nicht gefolgt ist, macht ihre Entscheidung nicht rechtsfehlerhaft, sondern liegt im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums.
dd) Der einzige vom Antragsteller als neu bezeichnete Umstand, der eine Änderung seiner Einstellung bewirkt habe, liegt darin, dass die nunmehrige Therapie auf Substitutionsbasis erfolgen würde.
Der Antragsteller schließt hieraus, dass die früheren Abbruchgründe nicht als Argument für eine mangelnde Therapiemotivation herangezogen werden könnten. Demgegenüber weist die Vollstreckungsbehörde zutreffend darauf hin, dass auch frühere Therapien auf Substitutionsbasis abgebrochen wurden. Ergänzend ist auszuführen, dass nach einer dreimonatigen Anfangsphase auch im Bezirkskrankenhaus A… eine Substitution möglich gewesen wäre, wobei der Antragsteller nicht bereit war, diese Zeit mit unterstützender Medikation gegen den Suchtdruck zu überbrücken. Dies lässt – ebenso wie das beharrliche Leugnen des Fentanylkonsums – eine grundlegend ablehnende Einstellung gegenüber den Therapeuten und deren Therapieplan erkennen, ohne dass hierfür nachvollziehbare Gründe vorgelegen hätten, so dass die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gefehlt hat. Gerade bei einer Substitution ist aber – worauf die Vollstreckungsbehörde im Schreiben vom 31.3.2021 zutreffend hinweist – die Absprachefähigkeit und Zuverlässigkeit des Verurteilten entscheidend, an der es ausweislich aller vorangehender Entscheidungen und Stellungnahmen beim Antragsteller gerade mangele. Zutreffend weist die Vollstreckungsbehörde auch darauf hin, dass das Amtsgericht – Schöffengericht – Nürnberg im Urteil vom 18.6.2018 in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Sachverständigen Dr. S… die Erfolgsaussicht für eine Therapie verneint hat, da der Antragsteller als Ziel der Therapie nur die Substitution und nicht die Abstinenz vorgetragen habe und ein Unterbringungsprogramm präferiert habe, das eine durchgängige Substitution ermögliche und dessen Ziel es sei, am Ende nach der Unterbringung weiterhin substituiert zu werden. Eine Therapie ohne Substitution habe er völlig abgelehnt. Der Sachverständige habe daher die Erfolgsaussichten der Therapie auch unter Berücksichtigung des vom Angeklagten präferierten Programms als nicht gegeben gesehen. Das Amtsgericht hat auch gesehen, dass mehrfach (in den Jahren 2001, 2002 und 2015) Substitutionsbehandlungen durchgeführt, aber abgebrochen worden seien. Auch nach Angaben des Sachverständigen seien die Erfolgsaussichten mit einer Substitution nicht höher als bei einer Therapie ohne eine solche. Das Landgericht hat im Berufungsurteil vom 13.12.2018 gleichwohl die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet und die Erfolgsaussicht der Therapie – entgegen der Auffassung des Erstgerichts und des dort vernommenen Sachverständigen – darauf gestützt, dass sich der Angeklagte im Zuge der Berufungshauptverhandlung – überzeugend – behandlungsbedürftig und damit therapiewillig gezeigt habe, wobei er insbesondere auf die von ihm erhoffte Substitution große Hoffnung setze. Dies hat sich, wie der Abbruch der Unterbringung aufgrund des nur rund fünf Wochen nach deren Beginn gestellten Antrags der Maßregelvollzugseinrichtung zeigte, nicht bewahrheitet.
c) Da die Vollstreckungsbehörde bereits die Therapiewilligkeit des Antragstellers beurteilungsfehlerfrei verneint hat, kann es dahinstehen, ob vorliegend auch das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit oder das Verstreichen des Aufnahmetermins einer Zurückstellung entgegensteht.
Nach alledem ist die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, die Zurückstellung der Vollstreckung der Reststrafe nach § 35 BtMG abzulehnen, nicht zu beanstanden
III.
Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1 GNotKG. Es besteht kein Anlass, die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers der Staatskasse aufzuerlegen (§ 30 Satz 1 EGGVG).
Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 19, § 79 Abs. 1 Satz 1, § 36 Abs. 1 und 3 GNotKG.
IV.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen (§ 29 Abs. 2 EGGVG), da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.


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