Umweltrecht

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Aktenzeichen  RN 4 S 20.3218

Datum:
4.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12532
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits sind tierschutzrechtliche Anordnungen.
Die Antragstellerin hält auf ihrem privaten Anwesen mehrere Hunde und Katzen.
Am 16.11.2020 wurde aufgrund einer Tierschutzanzeige eine Vorortkontrolle der Tierhaltung durch die amtlichen Tierärztinnen des Landratsamtes Rottal-Inn durchgeführt. Die Tierhaltung der Antragstellerin umfasste zu diesem Zeitpunkt drei Hunde und 14 Katzen. Zur Katzenhaltung hält das Ergebnisprotokoll zur Kontrolle u.a. eine nicht art- und verhaltensgerechte Haltung aufgrund zu weniger, für die Katzen geeigneter Räume fest. Gegenüber der Klägerin wurde mündlich u.a. angeordnet, die Anzahl der Katzen bis 31.1.2021 auf fünf zu reduzieren und die beiden Wohnzimmer so herzurichten, dass eine Katzenhaltung darin möglich sei.
Am 23.11.2020, der Antragstellerin zugestellt am 25.11.2020, erließ das Landratsamt Rottal-Inn gegenüber der Klägerin folgenden Bescheid:
1. Die durch die Amtstierärztin des Landratsamtes Rottal-Inn, Frau Dr. …, am 16.11.2020 in …, …, mündlich gegenüber Frau … getroffenen Anordnungen werden wie folgt schriftlich bestätigt:
Frau … wird verpflichtet, in ihrer Katzen- und Hundehaltung auf dem Anwesen in …, …, die unter den Ziffern 1.1 – 1.7 getroffenen Anordnungen zu befolgen, durchzuführen bzw. sicherzustellen:
.1. Pro ohne Freigang gehaltener Katze ist mindestens ein für die Katzen nutzbarer, beheizbarer Wohnraum mit Fenster vorzuhalten. Gegebenenfalls ist die Anzahl der gehaltenen Katzen so zu reduzieren, dass diese der Anzahl der den Katzen zur Verfügung gestellten, für sie nutzbaren Wohnräume entspricht.
1.2. Bei einer Abgabe der ggf. gemäß Ziffer 1.1 dieses Bescheides überzähligen Katzen an Personen zur weiteren Haltung und/oder Betreuung ist spätestens drei Tage vor Abgabe der Tiere die Adresse des neuen Aufenthaltsortes der Tiere dem Landratsamt Rottal-Inn schriftlich bekannt zu geben.

3. Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 dieses Bescheides wird angeordnet.

Zur Begründung führt der Bescheid aus, dass den von der Antragstellerin gehaltenen 14 Katzen als Aufenthaltsräume insgesamt ein Raum im Erdgeschoss (Vorratsraum), die Küche, das Esszimmer und gegebenenfalls das Schlafzimmer im ersten Stock zur Verfügung gestanden hätten. Die Haltung entspreche damit nicht den Vorgaben des § 2 Tierschutzgesetz (TierSchG). § 2 TierSchG werde durch das Merkblatt Nr. 139 „Empfehlungen zur Katzenhaltung in privaten Haushalten“ des Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT-Merkblatt Nr. 139) näher konkretisiert. Gemäß Nr. 5.1 TVT-Merkblatt Nr. 139 sei bei der privaten Haltung von Katzen ohne Freigang pro Tier mindestens ein für diese Tierart nutzbarer Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Unter „Wohnraum“ seien vom Menschen genutzte, beheizbare Räume mit Fenster und einer Fensterfläche von mindestens 1/8 der Grundfläche zu verstehen. Die getroffenen Anordnungen seien auf Grundlage des § 16a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 TierSchG nach pflichtgemäßem Ermessen ergangen. Sie seien nach der fachlichen Einschätzung der Amtstierärztin erforderlich. Ferner seien sie verhältnismäßig. Die Antragstellerin werde nur zu Maßnahmen verpflichtet, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Katzen- und Hundehaltung ohnehin rechtlich verpflichtend seien. Die Verhältnismäßigkeit sei insbesondere auch angesichts des Schutzgutes Tierschutz und im Hinblick auf die Schwere der Missstände nicht unverhältnismäßig. Mildere, gleich geeignete Mittel seien nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Anordnung der sofortigen Vollziehung führt der Bescheid aus, dass ein dringendes öffentliches Interesse daran bestehe, die tierschutzrechtlichen Verstöße umgehend und dauerhaft abzustellen und zu unterbinden. Die weitere Haltung und Betreuung ohne entsprechende Versorgung, Pflege und Unterkunft, die den Tieren erhebliche Schmerzen, Schäden und/oder Leiden zufüge, könne nicht bis zum Abschluss eines möglicherweise länger dauernden Verwaltungsprozesses hingenommen werden. Dies würde den Zielen des TierSchG zuwiderlaufen. Die rein privaten und wirtschaftlichen Individualinteressen der Antragstellerin hätten demgegenüber zurückzustehen. Auch unter Berücksichtigung der Grundrechte der Betroffenen sei die Anordnung unaufschiebbar.
Die Antragstellerin ließ am 7.12.2020 Klage gegen den Bescheid erheben (Az.: RN 4 K 20.3022). Unter dem 23.12.2020 (Eingang bei Gericht 29.12.2020) ließ sie Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen Nr. 1.1, 1.2 i.V.m. Nr. 3 des Bescheids stellen. Zur Begründung lässt sie vortragen, das private Interesse an einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Anordnungen überwiege, da ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestünden. Insoweit werde auf die Klagebegründung verwiesen. Darin heißt es: Durch die angegriffenen Anordnungen müsse die Antragstellerin den Katzenbestand – da in dem Haus lediglich fünf Räume zur Verfügung stünden, in denen Katzen gehalten werden könnten – auf fünf Katzen reduzieren, was unverhältnismäßig, da weder erforderlich noch angemessen, sei. Das von der Behörde herangezogene Merkblatt sei eine bloße Empfehlung, entscheidend sei der jeweilige Einzelfall. Den Katzen stehe im Haus der Antragstellerin überdurchschnittlich viel Platz zur Verfügung. Ziehe man Nr. III Abs. 1 des Merkblatts Nr. 43 „Mindestanforderungen an Katzenhaltungen“ des Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT-Merkblatt Nr. 43) heran, wonach für ein bis zwei Katzen mindestens 15 m² Platz erforderlich sei, müssten im Falle der Antragstellerin noch weitaus mehr Katzen zulässig sein als die aktuell gehaltenen 13. In der Rechtsprechung werde im Hinblick auf die Anzahl zulässiger Tiere regelmäßig auf das TVT-Merkblatt Nr. 43 Bezug genommen. Zum Zeitpunkt der amtlichen Kontrolle hätten Renovierungsarbeiten stattgefunden, diese seien mittlerweile abgeschlossen. Der Zustand des Hauses stelle sich nunmehr gänzlich anders dar. Die Antragstellerin sei bereit, ihren Katzenbestand geringfügig zu reduzieren. Die angeordnete Reduzierung sei aber deutlich zu weitgehend. Bei dem aktuellen Tierbestand handele es sich um eine homogene Gruppe, die Tiere lebten glücklich und zufrieden miteinander. Die Antragstellerin legt eine Bestätigung einer Kleintierpraxis vor, wonach die Tiere in regelmäßiger Behandlung seien und der Antragstellerin das Wohlbefinden ihrer Tiere sehr am Herzen liege. Weiter trägt sie vor, dass es sich bei einem Großteil der Katzen um verhältnismäßig alte Tiere handele, so dass sich der Bestand in absehbarer Zeit ohnehin reduzieren werde. Es sei unverhältnismäßig und entspreche nicht dem Wohl der Tiere, eine große Anzahl der Katzen aus der Gruppe herauszureißen und – mangels Alternative – in ein Tierheim zu geben. Gerade bei den älteren Tieren sei dies mit einer erheblichen Stresssituation verbunden, die tunlichst zu vermeiden sei. Aufgrund der aktuellen Corona-Situation sei es der Antragstellerin nicht möglich, die Tiere an private Interessenten zu vermitteln. Die Antragstellerin zähle zur Risikogruppe und sei daher sehr darauf bedacht, Kontakte zu vermeiden. Die gesetzte Frist zur Abgabe einzelner Tiere sei aus diesem Grund auch schlichtweg nicht realisierbar. Im Übrigen habe die Behörde das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechenden Weise dargelegt. Es sei lediglich allgemein ausgeführt und auf erhebliche Schmerzen, Schäden und/oder Leiden abgestellt worden. Tatsächlich seien aber keine Verstöße festgestellt worden, die in besonderer Weise geeignet seien, bei den Tieren Schmerzen oder vermeidbare Leiden zu verursachen. Vielmehr seien sämtliche Tiere in einem guten Zustand und würden bestens versorgt.
Die Antragstellerin beantragt wörtlich:
Im Hinblick auf die Anordnungen in Ziffer 1.1, 1.2 i.V.m. 3. des Bescheids vom 23.11.2020 wird beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die angegriffenen Anordnungen seien recht- und verhältnismäßig auf Grundlage des § 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG ergangen. Die Antragstellerin habe § 2 TierSchG zuwidergehandelt, indem sie gegen Nr. 5.1 TVT-Merkblatt Nr. 139, das das TVT-Merkblatt Nr. 43 ergänze, verstoßen habe. Bei den Merkblättern handele es sich um antizipierte Sachverständigengutachten. Die angeordneten Maßnahmen seien nach der fachlichen Einschätzung der amtlichen Tierärztin erforderlich. Dieser komme gemäß § 15 Abs. 2 TierSchG eine vorrangige Beurteilungskompetenz zu. Die Anordnungen seien verhältnismäßig. Die Antragstellerin werde nur zu solchen Maßnahmen verpflichtet, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Katzen- und Hundehaltung ohnehin rechtlich verpflichtend seien. Mildere, gleich effektive Mittel seien nicht ersichtlich. Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung sei für den Einzelfall schriftlich begründet worden. Ein weiteres Zuwarten wäre nach der fachlichen Beurteilung durch die zuständige Amtstierärztin weiterhin mit erheblichen Leiden verbunden. Leiden im Sinne des Tierschutzrechts setze nicht voraus, dass Tiere krank oder verletzt seien. Ein typischer Einzelfall von Leidenszufügung sei die Einschränkung der artgemäßen Bewegungsmöglichkeit.
Mit Schriftsatz vom 28.1.2021 lässt die Antragstellerin vortragen, dass sie bereit sei, vier Katzen an Dritte weiterzugeben. Für diese habe sie schon ein Zuhause gefunden. Dadurch reduziere sich die Anzahl der von der Antragstellerin gehaltenen Katzen auf neun. Ergänzend trägt sie vor, dass nach ihrem Eindruck die bei der Kontrolle ebenfalls anwesende amtliche Tierärztin Frau Dr. … die Tierhalterkompetenz der Antragstellerin nicht in Zweifel gezogen und den Zustand der Katzen gelobt habe. Nach dem Eindruck der Antragstellerin habe Frau Dr. … die Ansicht von Frau Dr. …, dass lediglich fünf Katzen im Haushalt leben dürften, nicht geteilt. Bei dem zum Zeitpunkt der Kontrolle im Käfig eingesperrten Tier handele es sich um einen 17-jährigen Kater, der nur zum Füttern eingesperrt werde. Die Antragstellerin legt eine eidesstattliche Versicherung des Herrn … vom 28.1.2021 vor, wonach die Tiere ein normales, ruhiges Verhalten gezeigt hätten und eine homogene Gruppe darstellten. Bei Herrn … handele es sich um einen Bekannten der Antragstellerin, der ihr bei den Renovierungsarbeiten geholfen und dabei einen Einblick in das Zusammenleben erhalten habe.
Mit Schriftsatz vom 1.2.2021 erwidert der Beklagte, dass die Renovierung nach der amtstierärztlichen Stellungnahme Voraussetzung für das Halten von fünf Tieren gewesen sei. Einer Erhöhung der maximal zulässigen Tieranzahl könne aus fachlicher Sicht nicht zugestimmt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellte Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt allerdings nach § 80 Abs. 2 VwGO dann, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist oder die Behörde die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders anordnet. In diesen Fällen kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Klage und Widerspruch anordnen (wenn diese aufgrund Gesetzes ausgeschlossen ist) oder wiederherstellen (wenn eine Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO vorliegt). Das Gericht trifft insoweit eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat dabei zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind vorrangig die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass Rechtsbehelfe gegen den angefochtenen Bescheid keinen Erfolg versprechen, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung regelmäßig hinter das Vollziehungsinteresse zurück und der Antrag ist unbegründet. Erweist sich die erhobene Klage hingegen bei summarischer Prüfung als zulässig und begründet, dann besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist stattzugeben. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht ausreichend absehbar, muss das Gericht die widerstreitenden Interessen im Einzelnen abwägen. Die Begründetheit eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann sich daneben auch daraus ergeben, dass die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig ist, weil sie den formellen Anforderungen nicht genügt.
Vor diesem Hintergrund hat der Antrag keinen Erfolg. Der angeordnete Sofortvollzug ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden (dazu 1.). Eine summarische Prüfung ergibt, dass die erhobene Klage voraussichtlich nicht erfolgreich sein wird (dazu 2.).
1. Die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit genügt den formellen Anforderungen. Insbesondere ist, anders als die Antragstellerin meint, dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genüge getan. Diese Begründungspflicht verlangt von der zuständigen Behörde, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit eines Bescheids unter Bezugnahme auf die Umstände des konkreten Einzelfalls darzustellen (BayVGH, B.v. 14.2.2002 – 19 ZS 01.2356 – NVwZ-RR 2002, 646). § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat unter anderem eine Warnfunktion für die handelnde Behörde. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die Behörde des Ausnahmecharakters ihrer Anordnung bewusst wird und die konkret betroffenen Interessen sorgsam prüft und abwägt (BayVGH, B.v. 3.5.2018 – 20 CS 17.1797 – juris Rn. 2). Nichtssagende, formelhafte Wendungen reichen deshalb nicht aus. Allerdings genügt dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, dass die Behörde diese Interessenlage aufzeigt und deutlich macht, dass sie auch im vorliegenden Fall gegeben ist. Dies kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem im weiteren Sinn auch der streitgegenständliche Bescheid gehört, in Betracht (BayVGH, B.v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16). Im Tierschutzrecht begründet in der Regel die Gefahr, dass ohne ein sofortiges Handeln anhaltende Schmerzen, Leiden oder Schäden fortdauern oder dass ein bereits eingetretener Missstand, z.B. ein Verstoß gegen § 2 TierSchG, sonst bis zum Eintritt der Bestandskraft weiter fortdauert, das notwendige besondere öffentliche Vollzugsinteresse (Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 16a Rn. 9).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die vorliegend zu prüfende Begründung des Sofortvollzugs ausreichend. Die Behörde hat sich in genügender Weise auf die hier widerstreitenden Interessen der betroffenen Antragstellerin und das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit bezogen. Sie hat zum Ausdruck gebracht, dass nur durch den Sofortvollzug der Maßnahmen eine tierschutzwidrige, mit Leiden, Schmerzen und/oder Schäden für die Tiere verbundene Haltung verhindert werde. Dabei hat sie auch die Individualinteressen der Antragstellerin mit in die Betrachtung eingestellt.
Die weitere Frage, ob die von der Behörde angeführte Begründung die Anordnung des Sofortvollzugs in der Sache trägt, ist eine Frage der inhaltlichen Richtigkeit und damit des materiellen Rechts (vgl. VG Würzburg, B.v. 6.2.2020 – W 8 S 19.1689 – juris Rn. 22). Angemerkt sei, dass Leiden im tierschutzrechtlichen Sinn nicht voraussetzt, dass das Tier krank oder verletzt ist (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 1 Rn. 23).
2. Die gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die erhobene Klage voraussichtlich nicht erfolgreich sein wird. Die mit Nr. 1.1 und 1.2 des Bescheids vom 23.11.2020 getroffenen Anordnungen sind voraussichtlich rechtmäßig und verletzen die Antragstellerin voraussichtlich nicht in ihren Rechten.
2.1 Die angegriffenen Anordnungen erweisen sich bei summarischer Prüfung als formell rechtmäßig.
Die Antragstellerin war vor Erlass des angegriffenen Bescheids anzuhören, Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Gründe, die ein Absehen von der Anhörung, Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG, oder ein Unterbleiben der Anhörung, Art. 28 Abs. 3 BayVwVfG, rechtfertigen würden, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Nach dem antragstellerseits unwidersprochenen Vortrag der Antragsgegnerin wurde der Antragstellerin im Rahmen der am 16.11.2020 mündlich ergangenen Anordnungen jeweils Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Damit ist Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG genügt.
2.2 Die angegriffenen Anordnungen stützen sich in rechtmäßiger Weise auf § 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG. Gemäß § 16 a Abs. 1 Satz 1 TierSchG trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Sie kann nach Satz 2 Nr. 1 insbesondere im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen. Nach § 2 Nr. 1 TierSchG muss derjenige, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen.
Auf der Grundlage dieser Vorschriften stellen sich die getroffenen Anordnungen bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig dar.
Nach den Feststellungen der amtlichen Tierärztin des Landratsamtes Rottal-Inn bei der Vorortkontrolle standen den (damals) 14 Katzen zu wenige, für sie geeignete Räume zur Verfügung und war eine art- und verhaltensgerechte Katzenhaltung damit nicht gewährleistet. Die Situation vor Ort wurde schriftlich und mittels Lichtbildern dokumentiert.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die fachliche Einschätzung der amtlichen Tierärztin. Die tatsächlichen Feststellungen zu Anzahl der vorhandenen Räume und Anzahl der Katzen stellt sie nicht in Abrede. Sie teilt lediglich mit, dass sich der Katzenbestand seit der Kontrolle zwischenzeitlich auf 13 Katzen reduziert habe.
Das Gericht sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit der fachlichen Feststellungen der amtlichen Tierärztin zu zweifeln. Das Tierschutzgesetz erachtet in § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 die Einschätzung des beamteten Tierarztes im Regelfall als maßgeblich; auch sind beamtete Tierärzte als gesetzlich vorgesehene Sachverständige im Bereich des Tierschutzes eigens bestellt (vgl. § 15 Abs. 2 TierSchG). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof räumt beamteten Tierärzten deshalb im Hinblick auf die Anforderungen des § 2 TierSchG und ihre Erfüllung eine vorrangige Beurteilungskompetenz ein (U.v. 30.1.2018 – 9 B 05.3146 – juris Rn. 29). Die fachliche Einschätzung der amtlichen Tierärztin wird vorliegend gestützt durch Nr. 5.1 TVT-Merkblatt Nr. 139. Danach ist bei der privaten Haltung von Katzen ohne Freigang pro Tier mindestens ein für diese Tierart nutzbarer Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Unter „Wohnraum“ sind danach vom Menschen genutzte, beheizbare Räume mit Fenster und einer Fensterfläche von mindestens 1/8 der Grundfläche zu verstehen. Als „Formel“ nennt das Merkblatt: „Anzahl der gehaltenen Katzen = Mindestanzahl der zur Verfügung gestellten, nutzbaren Wohnräume“. Zwar besitzen TVT-Merkblätter keine Gesetzesqualität, dennoch können die darin enthaltenen tierärztlichen und damit sachverständigen Aussagen als fachliche Zusammenfassung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes über die arztspezifischen Bedürfnisse von Tieren bei der Beurteilung, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG erfüllt werden, mit herangezogen werden (vgl. BayVGH, B.v. 1.9.2011 – 9 CS 10.2897 – juris Rn. 7; OVG Lüneburg, B.v. 3.8.2009 – 11 ME 187/09 – juris Rn. 15; VG Ansbach, B.v. 23.12.2011 – AN 10 S 11.02173 – juris Rn. 30; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 16a Rn. 33). Der Umstand, dass sich das TVT-Merkblatt derzeit in Überarbeitung befinden soll, ändert daran nichts. Anhaltspunkte dafür, dass die hier herangezogene Nr. 5.1 mit Stand 2017 nicht mehr den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen würde, bestehen nicht. Die amtliche Tierärztin erachtet die Einhaltung dieser Vorgaben vielmehr nach wie vor als zur tiergerechten Haltung erforderlich. Auch ist das TVT-Merkblatt Nr. 139 auf der Internetseite des TVT uneingeschränkt abrufbar, ein Überarbeitungsvermerk ist dort – anders als beim TVT-Merkblatt Nr. 42 – nicht enthalten. Den Einwänden der Antragstellerin gegen die fachlichen Feststellungen ist die amtliche Tierärztin Frau Dr. … durch ihre schriftliche Stellungnahme vom 14.1.2021 für das Gericht nachvollziehbar entgegengetreten. Die amtliche Tierärztin bestätigt ein friedliches Zusammenleben der Katzen darin gerade nicht und beurteilt den Wechsel der Katzen in eine andere Haltung als weniger belastend als den Verbleib bei der Antragstellerin. Der subjektive Eindruck der Antragstellerin, dass die amtliche Tierärztin Frau Dr. … den Sachverhalt anders bewerte, findet weder in der vorgelegten Behördenakte noch in den schriftsätzlichen Ausführungen des Antragsgegners eine Stütze. Auch sonst ist vorliegend nichts dafür ersichtlich, dass die Einschätzung der amtlichen Tierärztin die Grenzen der fachlichen Vertretbarkeit überschreiten würde. Eine solche Überschreitung ergibt sich (unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit und Aktualität des Merkblatts) insbesondere nicht aus Nr. III Abs. 1 des TVT-Merkblatts Nr. 43. Das Merkblatt äußert sich darin nur zur erforderlichen Raumgröße, nicht zur erforderlichen Anzahl der Räume. Vorgaben zur Anzahl der Räume macht hingegen Nr. 5.1 des TVT-Merkblattes Nr. 139. Die Vorgaben der herangezogenen TVT-Merkblätter sind auch in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Insbesondere heißt es im Vorwort zum TVT-Merkblatt Nr. 43, dass dieses durch das TVT-Merkblatt Nr. 139 ergänzt werde. Das TVT-Merkblatt Nr. 43 äußert sich mithin nicht abschließend zu den räumlichen Anforderungen einer Katzenhaltung in dem Sinn, dass bei Einhaltung (nur) der sich daraus ergebenden Anforderungen eine artgerechte Haltung sichergestellt wäre. Es ist vielmehr im Kontext des TVT-Merkblatts Nr. 139 zu verstehen. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der antragstellerseits zitierten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21.7.2016 (W 5 K 14.1123). Dies gilt unabhängig davon, dass das TVT-Merkblatt Nr. 139 in seiner aktuellen Form erst seit Juli 2017 besteht. Die amtstierärztlichen Feststellungen werden auch nicht durch die antragstellerseits vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Herrn … vom 28.1.2021 ausgeräumt. Seitens der Antragstellerin ist schon nicht vorgetragen, dass dieser die nötige Fachkunde hätte, um die tierschutzfachliche Situation zu bewerten. Die fachlichen Feststellungen der amtlichen Tierärztinnen können dadurch nicht ausgeräumt werden. Auch die von der Antragstellerin vorgetragenen Renovierungsarbeiten ändern nichts daran, dass die Anzahl der Räume nicht für 14 bzw. nach entsprechender Reduzierung durch die Antragstellerin neun Katzen ausreicht.
Die angegriffenen Anordnungen stellen sich bei summarischer Prüfung auch als ermessensgerecht dar. Gemäß § 114 VwGO der gerichtlichen Prüfung unterliegende Ermessensfehler sind nicht erkennbar. Namentlich hat die Behörde zutreffend erkannt, dass ihr vorliegend ein Ermessen zukam. Dass sie einzelne Punkte zu Unrecht in ihre Erwägungen eingestellt oder hieraus ausgeschieden oder aber einzelne Belange fehlgewichtet hätte, ist nicht erkennbar. Nachdem entsprechend der fachlichen Einschätzung zur artgerechten Haltung von Katzen jeder Katze ein geeigneter Raum zur Verfügung stehen muss, stellt es insbesondere kein milderes, gleich geeignetes Mittel dar, den Katzenbestand – wie von der Antragstellerin vorgeschlagen – nur geringfügig bzw. auf neun Katzen zu reduzieren. Die angegriffenen Anordnungen stellen sich daher bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig dar.
Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids hat die Antragstellerin nicht angegriffen, ihr Antrag beschränkte sich ausdrücklich auf Nr. 1.1 und 1.2 (i.V.m. Nr. 3) des Bescheids. Über die Zwangsgeldandrohung (nebst Fristsetzung) hatte das Gericht daher im Rahmen des streitgegenständlichen Verfahrens nicht zu entscheiden.
3. Rechtsgrundlage der gerichtlichen Kostenentscheidung ist § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer hat Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit bei ihrer Entscheidung berücksichtigt.


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