Verkehrsrecht

Haftungsverteilung bei nicht weiter aufzuklärender Kollision von Kraftfahrzeug und Fußgänger

Aktenzeichen  20 O 5346/15

Datum:
5.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 127058
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 7, § 18
BGB § 249, § 253, § 823
VVG § 115

 

Leitsatz

Kommt es an einer Fußgängerampel zu einer Kollision zwischen einem die Fahrbahn überquerenden Fußgänger und einem Kraftfahrzeug und kann nicht geklärt werden, ob der Fußgänger oder der Kraftfahrer das Rotlicht nicht beachtet und die Kollision deshalb verschuldet hat, so haften der Halter des Kraftfahrzeugs und dessen Haftpflichtversicherer dem Fußgänger gegenüber zu 100%, der Fußgänger mangels nachgewiesenem Verschulden dem Eigentümer des beschädigten Kraftfahrzeugs gegenüber nicht. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Widerbeklagten und Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Widerkläger 7.408,82 britische Pfund nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.03.2015 sowie weitere 3.597,86 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.03.2015 zu zahlen.
3. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Widerklägers und Beklagten trägt die Klägerin und Widerbeklagte in Höhe von 9 % alleine, 91 % tragen Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 14.077,53 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Widerklage und Drittwiderklage ist begründet.
Klage:
In der Beweisaufnahme vom 16.02.2016 hat jede der Parteien ihre Unfallversion aufrecht erhalten, d.h. der Drittwiderbeklagte, … gab an, bei grün losgefahren zu sein, während der Beklagte sich sicher war, bei grün die Fußgängerfurt betreten zu haben.
Glaubhaft hat auch …, die Beifahrerin von … geschildert, dass sie dies ebenso in Erinnerung hat wie der Fahrer, … nämlich dass sie erst bei grün für die Autos losgefahren sind.
Auch der Zeuge … hat glaubhaft geschildert, dass er den Unfall so in Erinnerung hatte, dass der am Unfall beteiligte PKW erst losfuhr, als es grün für die Autos zeigte.
Allerdings hatte er den Standort des Fahrzeugs vor dem Unfall jetzt anders in Erinnerung als er von den anderen Unfallbeteiligten geschildert wird.
Die Freunde des Beklagten, die mit diesem das Oktoberfest besucht hatten, bevor es zum Unfall kam, haben hingegen ebenfalls glaubhaft die Unfallversion des Beklagten bestätigt, nämlich dass dieser noch bei grün die Fußgängerfurt betreten hat. Jedenfalls der Zeuge … und der Zeuge ….
Alle Zeugen waren glaubwürdig. Welche der beiden Seiten die tatsächlichen Ereignisse an diesem Abend geschildert hat, ist nicht mehr feststellbar, so dass von einem ungeklärten Unfallhergang auszugehen ist.
Auch die Aussage des sogenannten neutralen Zeugen, …, der meint, dass das klägerische Fahrzeug bei grün losgefahren sei, ist nicht geeignet, den Unfallhergang letztendlich aufzuklären, denn es ist durchaus möglich, dass der Beklagte die vierspurige Straße nicht ganz so zügig überquert hat, wie es die Ampelschaltung dort erfordert. Hinzu kommen die Erinnerungslücken bezüglich des Standorts des Unfallfahrzeugs, die dazu führen, dass eine Überzeugung davon, dass … wirklich bei grün für die Fahrzeuge losfuhr, nicht gewonnen werden konnte.
Hinzu kommt, dass … eingeräumt hat, vor dem Losfahren nicht nach rechts geschaut zu haben, sondern sich vielmehr auf die links von ihm befindliche Fußgängergruppe konzentriert zu haben.
Die Klage war daher abzuweisen, weil ein Verschulden des Beklagten nicht nachgewiesen ist.
Die Alkoholisierung des Beklagten führt nicht zur Annahme eines Verschuldens, denn es ist nicht verboten, angetrunken zu Fuß zu gehen.
Widerklage:
Die Widerklage war hingegen zuzusprechen, weil die Widerbeklagten gemäß den §§ 7, 17, 18 StVG, 115 VVG, 249, 253 BGB dem Beklagten und Widerkläger auf Schadensersatz und Schmerzensgeld haften.
Zwar ist ein Verschulden des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs nicht nachgewiesen, denn auch für diesen gilt, dass es ungeklärt bleibt, wer zu welchem Zeitpunkt grün hatte.
Der Fahrer und die Versicherung haften jedoch aus der Betriebsgefahr des Fahrzeugs, denn der Unfall wurde beim Betrieb des Fahrzeugs verursacht.
Ein Fußgänger hat keine Betriebsgefahr.
Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs beträgt 100 %.
Schadenshöhe:
Durch die vorgelegten Unterlagen steht fest, dass die geltend gemachten Kosten für die Zahnbehandlung entstanden sind.
Der Beklagte hat dies auch in der Sitzung überzeugend angegeben, zumal er immer noch weiter in Behandlung ist und an den Folgen des Unfalls leidet.
Die Transportkosten sind durch eine Rechnung nachgewiesen. Die Kosten für ein blutiges Hotelkissen sind mit € 40,– nicht zu hoch bemessen. Dass der Beklagte nach dem Unfall blutete, ist nachgewiesen durch die Fotos und auch die Angaben des Zeugen … und des Beklagten und seiner Freunde.
Auch das Schmerzensgeld in Höhe von € 3.500,– war keinesfalls zu gering bemessen angesichts der Tatsache, dass der Kläger drei Zähne verloren hat und eine Oberkieferfraktur und nach wie vor nur mit einem Provisorium versorgt ist, so dass er immer noch unter den Unfallfolgen leidet.
Zinsen: §§ 288, 291 BGB.
Kosten: § 100 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.
Der Streitwert wurde zum aktuellen Tageskurs des Britischen Pfundes festgesetzt wie folgt:
7.408,82 GBP sind heute € 9.246,58,
hinzu kommen € 3.597,86
bezifferter Schadensersatz und Schmerzensgeld und € 1.233,09 Klageforderung.


Ähnliche Artikel


Nach oben