Verkehrsrecht

Mietwagenkosten, Reparaturkosten, Unfall, Berufung, Beschwerde, Normaltarif, Ermessen, Schadensbehebung, Frist, Fahrzeug, Abrechnung, Verfahren, Zustellung, Schadensposition, billigem Ermessen, Art und Weise, anwaltliche Mitwirkung

Aktenzeichen  101 C 560/20

Datum:
29.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 55821
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Aichach
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 207,05 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.07.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 207,05 € festgesetzt.

Gründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Die Klägerin hat den streitgegenständlichen Schadensersatzanspruch schlüssig begründet. Die grundsätzliche Haftung der Beklagten als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrzeugs ist unstreitig.
Die Beklagte ist der Schadensposition Reparaturkosten entgegengetreten, nämlich der Abrechnung der Maßnahmen zur Vermeidung von Ansteckungen, sowie der Höhe der Mietwagenkosten.
Reparaturkosten
Hinsichtlich der Maßnahmen zur Ansteckungsvermeidung erscheint dem Gericht nachvollziehbar, dass in der derzeitigen Pandemiesituation zusätzlicher Aufwand getrieben werden muss. Ein Sachaufwand von 15 Euro netto und ein zusätzlicher Arbeitsaufwand von 43,50 Euro netto für Desinfektionsmaßnahmen, Abdeckungen und längere Betriebsabläufe wegen Abstandsvorschriften sind ohne weiteres nachvollziehbar. Es ist nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte auf die ins Blaue aufgestellte Vermutung kommt, der Reparaturbetrieb habe diese abgerechneten Vorgänge gar nicht erbracht. Es handelt sich zweifelsohne um Maßnahmen, die in der derzeitigen Lage erwartet werden dürfen und damit auch konkludent vertraglich vereinbart sind. Es besteht auch ein zurechenbarer Kausalzusammenhang zu dem Unfallereignis. Das Gericht schätzt den Aufwand demgemäß auf die abgerechneten Werte (§ 287 ZPO).
Die Beklagte hat dem Kläger also insoweit noch einen Betrag von 67,86 Euro zu bezahlen.
Mietwagenkosten
In Streit stehen weiterhin die Mietwagenkosten, welche dem Kläger für die Zeit von 29.06.2020 bis 04.07.2020 für 6 Tage entstanden sind und hinsichtlich derer er von der Beklagten Erstattung verlangt.
Der Höhe nach belaufen sich die in diesem Zusammenhang gem. § 249 BGB zu erstattende Mietwagenkosten auf 418,22 €, so dass noch die Differenz zwischen diesem Betrag und dem bereits erstatteten Betrag von 277,44 € zu erstatten ist.
Die durch die Anmietung des Ersatzfahrzeugs anfallenden Kosten stellen grundsätzlich eine ersatzfähige Schadensposition dar, soweit die Anmietung erforderlich im Sinne des § 249 BGB war und sich die Kosten im Rahmen des sog. „Normaltarifs“ bewegen bzw. diesen nicht ohne rechtfertigenden Grund übersteigen.
Der Geschädigte hat gem. § 249 BGB grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Mietwagenkosten, wobei als Maßstab ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten dient und zu fragen ist, ob dieser Aufwendungen insoweit für zweckmäßig und notwendig halten darf. Im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots hat der Geschädigte stets den ihm zumutbaren wirtschaftlicheren Weg zur Schadensbehebung zu wählen. Bei Mietwagenkosten bedeutet dies, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt verfügbaren Angeboten für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs grundsätzlich das günstigste zu wählen hat und nur diesen Mietpreis verlangen kann. Darüber hinausgehende Mietwagenkosten kann der Geschädigte nur unter dem Blickwinkel der subjektsbezogenen Schadensbetrachtung verlangen, wenn er darlegt und ggfs. unter Beweis stellt, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war. Allein der Umstand, dass der Geschädigte unverschuldet in einen Unfall verwickelt war, macht entsprechende Preisrecherchen nicht entbehrlich.
Angesichts des erbittert geführten Streits, ob der ortsübliche Normaltarif anhand dem Schwacke-Mietpreisspiegel oder anhand dem Fraunhofer-Mietpreisspiegel zu ermitteln ist, orientiert sich das Gericht an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, um den für die Anmietung erforderlichen und erstattungsfähigen Geldbetrag zu ermitteln. Danach wird für zulässig erachtet, im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO den erstattungsfähigen Normaltarif auf der Grundlage des Schwacke-Mietpreisspiegels oder auf der Grundlage des Fraunhofer-Mietpreisspiegels zu ermitteln.
Das Gericht bestimmt daher den maßgeblichen Normaltarif auf Grundlage eines Mittelwerts dieser beiden Erhebungen. Das ist in Anbetracht der für und gegen die jeweiligen Erhebungen vorgebrachten Argumente die naheliegendste und nach der Erfahrung des Gerichts auch die sachdienlichste Methode. Dabei sind für das Gericht die folgenden Erwägungen maßgebend: Die Art und Weise der Schätzung wird von § 287 ZPO nicht vorgegeben. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden und wesentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen dürfen nicht außer Acht bleiben. Insoweit können Listen und Tabellenwerke eine taugliche Schätzgrundlage darstellen, wenn sie den genannten Anforderungen genügen. Allein der Umstand, dass die Anwendung der Schwacke- und der Fraunhofer-Liste zu deutlich voneinander abweichenden Ergebnissen führen können, genügt nicht, um grundsätzliche Zweifel an der Eignung der einen oder anderen Erhebung als Schätzgrundlage begründen zu können (vgl. BGH, NJW 2011, 1947). In Rechtsprechung und Literatur sind eine Vielzahl von Einwendungen gegen die beiden Listen vorgebracht worden, die weitgehend von den Parteien im vorliegenden Rechtsstreit wiederholt wurden. In der Gesamtschau muss man dabei davon ausgehen, dass beide Listen ihre spezifischen Vor- und Nachteile aufweisen, abstrakt aber nicht als untaugliche Schätzgrundlage abgelehnt werden können (so auch: BGH, a.a.O.). In dieser Situation erscheint es dem Gericht vorzugswürdig nicht lediglich auf eine der beiden Listen isoliert abzustellen, sondern durch eine Kombination die spezifischen Schwachstellen der einzelnen Tabellenwerke zu kompensieren.
Bei der Schwacke-Liste stellt das Gericht auf das arithmetische Mittel, nicht hingegen auf den sog. Modus ab. Da die Fraunhofer-Liste keinen Modus-Wert ausweist, würde eine Mittelwertbildung mit den Modus-Werten der Schwacke-Liste zu vermeidbaren Verzerrungen der Berechnung führen. Darüber hinaus unterliegt der Modus-Wert ohnehin einer höheren Fehlerneigung (vgl. OLG Frankfurt, Schaden-Praxis 2010, 401), so dass auch aus diesem Grund der Mittelwert vorzugswürdig ist.
Der Unfall ereignete sich im Juni 2020, so dass die beiden entsprechenden Mietpreisspiegel aus dem Jahr 2019 heranzuziehen sind.
Das Fahrzeug des ist nach der Überzeugung des Gerichts heranzuziehenden Schwackespezifikation, auf die auch der Fraunhofer-Mietpreisspiegel Bezug nimmt in die Klasse 3 einzuordnen.
Eine Herabstufung des Fahrzeugs in eine niedrigere Klasse ist nach Aktenlage nicht veranlasst. Die erforderliche und damit erstattungsfähige Anmietdauer betrug wie dargelegt 6 Tage.
Nach dem Schwacke-Mietpreisspiegel 2019 betragen die Mietwagenkosten im Postleitzahlengebiet 864xx ohne Nebenkosten insgesamt 544,80 €, was sich aus dem zweifachen der 3-Tage-Pauschale Klasse 3 zu 272,40 € ergibt (jeweils arithmetisches Mittel).
Nach dem Fraunhofer-Mietpreisspiegel 2019 betragen die Mietwagenkosten im Postleitzahlengebiet 86xxx insgesamt 208,40 €, was sich aus dem zweifachen der 3-Tage-Pauschale Klasse 3 zu 104,20 € ergibt.
Der sich aus diesen beiden Beträgen ergebende Mittelwert beläuft sich demnach auf 376,60 €.
Hierbei handelt es sich um den ermittelten ortsüblichen Normaltarif, so dass es keine Verpflichtung des Klägers gab, unter diesen anzumieten.
Da der Kläger kein klassenniedrigeres Fahrzeug angemietet hat, sind auf den ermittelten Betrag auch unter Berücksichtigung der zurückgelegten Fahrtstrecke im Wege der Vorteilsausgleichung ersparte Eigenaufwendungen in Höhe von 3 % anzurechnen (Palandt BGB-Kommentar, § 249 Rn. 36). Es erachtet das Gericht in Ausübung seines Ermessens gem. § 287 ZPO einen Abzug in Höhe von 3 % als angemessen und auch ausreichend. Von dem ermittelten Mietpreis ist somit ein Betrag in Höhe von 11,30 € abzuziehen.
Da der Kläger ein klassenniedrigeres Fahrzeug angemietet hat, ist Eigenerspamis nicht zu berücksichtigen.
Außerdem fallen noch Nebenkosten an, weil entsprechend dem verunfallten Fahrzeug ein Fahrzeug mit Navigationssystem angemietet wurde. Die insoweit angesetzten Nebenkosten von 8,82 € je Tag sind im Hinblick auf die Nebenkostentabelle von Schwacke mit gesamt 18,38 € je Tag angemessen. Das Gericht schätzt den Tagesbetrag nach § 287 ZPO auf 8,82 €. Es ergibt sich ein Aufschlag von insgesamt 52,92 €.
Es ergibt sich eine Gesamtsumme von 376,60 € abzgl. 11,30 € zzgl. 52,92 €, mithin 418,22 €. Ausgehend von geleisteten 277,44 € verbleibt ein Rest von 140,78 €. Das liegt sogar über dem geltend gemachten Betrag von 139,19 €.
Die Beklagte hat daher dem Kläger den hier geltend gemachten Restbetrag in Höhe von 139,19 € zu erstatten.
Es ergibt sich ein Gesamtanspruch von 67,86 € + 139,19 €, also 207,05 €. Die Klage ist in vollem Umfang begründet.
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB. Die von der Klagepartei geltend gemachten vorgerichtlichen Kosten sind schlüssig dargetan. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.


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