Verkehrsrecht

Nutzungsausfallschaden und Mietwagennutzung

Aktenzeichen  334 C 14519/19

Datum:
31.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 3939
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249, § 251 Abs. 1, § 254
ZPO § 287
StVG § 7, § 18
VVG § 115

 

Leitsatz

1. Mangels Nutzungswillens kann der durch einen Verkehrsunfall Geschädigte für die Zeit der Anmietung eines Mietwagens keine Nutzungsausfallentschädigung während der unfallbedingten Reparatur seines Fahrzeugs verlangen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Anwendung eines Marktpreisspiegels für Mietwagen kann demjenigen von Fraunhofer gegenüber demjenigen von Schwacke der Vorzug gegeben werden (Anschluss an OLG München BeckRS 2008, 16843). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird als Unfallersatzfahrzeug kein Selbstfahrermietfahrzeug, sondern ein Fahrzeug von einem privaten Halter angemietet, kann vom Normaltarif des angewandten Marktpreisspiegels für Mietwagen ein Abschlag von 20% vorgenommen werden. (Rn. 31 – 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 662,13 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.06.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 57 % und die Beklagte 43 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf EUR 1.525,16 festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Die Klägerseite hat gegen die Beklagte einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von EUR 662,13 aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PflVG.
Die Haftung dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. Streit besteht nach einer teilweisen Zahlung der Beklagten auf die geltend gemachten Schadensersatzforderungen nur noch über restliche Reparaturkosten, die Wertminderung und Mietwagenkosten bzw. Nutzungsausfallentschädigung.
Reparaturkosten
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der mit der Reparaturrechnung geltend gemachten Kosten in Höhe von EUR 2.788,55.
Die Beklagte hat keine substantiellen Einwendungen gegen die Reparaturrechnung des Klägers vorgebracht und nicht dargelegt, warum die Summe von EUR 1,00 dem Kläger nicht zustehen sollte. Daher kann der Kläger die vollen Reparaturkosten geltend machen. Im Übrigen hat der Kläger sein Fahrzeug auch tatsächlich reparieren lassen. Dem Kläger kommt daher auch das sog. Werkstattrisiko zugute.
Nutzungsausfallschaden
Der Kläger hat gegen die Beklagte dagegen keinen Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfallschadens in Höhe von EUR 1.225,00.
Der Geschädigte hat zwar grundsätzlich für die Dauer, in welcher er sein Fahrzeug unfallbedingt nicht nutzen kann, einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung aus § 251 Abs. 1 BGB. Der unfallbedingte Ausfall eines Kraftfahrzeuges stellt nach ständiger Rechtsprechung einen wirtschaftlichen Schaden dar, weil die ständige Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeuges als geldwerter Vorteil anzusehen ist.
Ein Anspruch auf Nutzungsausfall setzt voraus, dass das Fahrzeug tatsächlich ausgefallen ist, für den Geschädigten nicht nutzbar war und der Geschädigte eine spürbare Beeinträchtigung erlitten hat, mithin Nutzungswillen hatte.
Das Klägerfahrzeug befand sich ausweislich der vorgelegten Reparaturrechnung für 7 Tage in der Reparatur. In dieser Zeit konnte der Kläger das Fahrzeug nicht nutzen.
Allerdings hat der Kläger seinen Nutzungswillen nicht ausreichend nachgewiesen. Denn der Kläger hat unstreitig während der Dauer der Reparatur einen Mietwagen angemietet. Insofern verfügte der Kläger in dem betreffenden Zeitraum über ein Ersatzfahrzeug. Daher kann der Kläger in der konkreten Situation keinen Nutzungsausfallschaden geltend machen.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite ergibt sich auch aus dem Urteil des BGH vom 05.02.2013 (BGH, Urt. v. 5.2.2013 – VI ZR 290/11) nicht gegenteiliges. In der Entscheidung geht es lediglich darum, ob der Geschädigte, der eine schadensrechtlich als unwirtschaftlich einzustufende Maßnahme (hier: Anmietung eines Mietwagens) ergreift, statt der dafür aufgewendeten, aber nicht ersatzfähigen Kosten zumindest die (meistens) geringere Nutzungsausfallentschädigung verlangen kann. Im vorliegenden Fall sind die Mietwagenkosten aber nicht als unwirtschaftlich einzuschätzen. Denn im Gegensatz zu der aufgeführten BGH-Entscheidung sind die Mietwagenkosten im vorliegenden Fall nicht deswegen als unwirtschaftliche Maßnahme einzuschätzen und deswegen möglicherweise nicht zu ersetzen, weil der Kläger den Mietwagen nur sehr wenig genutzt hat. Darüber hinaus liegen die Mietwagenkosten im vorliegenden Fall (und anders als in der Entscheidung des BGH) deutlich unter dem geltend gemachten Nutzungsausfallschaden. Auch das von Klägerseite zitierte Urteil des Amtsgerichts München vom 28.05.2019, Az. 322 C 22766/18 betraf eine andere Konstellation. Auch hier bestanden Bedenken gegen die Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten, da der Mietwagen nur wenige Kilometer am Tag genutzt wurde. Daher wurde von vornherein nur ein Nutzungsausfallschaden geltend gemacht. Die Situation ist damit nicht vergleichbar. Im Übrigen ist zu beachten, dass der geltend gemachte Nutzungsausfallschaden die ursprünglich geltend gemachten Mietwagenkosten weit übersteigt. Eine Erstattungsfähigkeit des Nutzungsausfallschadens in einer solchen Konstellation wäre auch vor dem Hintergrund der Schadensminderungspflicht bedenklich.
Mietwagenkosten
Der Kläger hat gegen die Beklagtenseite jedoch einen weiteren Anspruch auf Ersatz der hilfsweise weiterhin geltend gemachten Mietwagenkosten in Höhe von EUR 461,13 aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PflVG.
Grundsätzlich kann der Geschädigte bei einem Verkehrsunfall unter bestimmten Voraussetzungen auch die Kosten für einen Mietwagen ersetzt verlangen. Die Mietwagenkosten gehören zu dem Herstellungsaufwand, den der Schädiger nach § 249 BGB zu ersetzen hat, wenn der Geschädigte diesen Weg der Schadensbeseitigung wählt. Allerdings ist ein Ersatz nur insoweit zu leisten, als der Betrag zur Herstellung objektiv erforderlich ist oder war. Als erforderlich sind diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde. Dabei ist auch der Rechtsgedanke des § 254 BGB anzuwenden. Die Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden möglichst gering zu halten, bildet eine immanente Schranke für die Höhe der zur Schadensbeseitigung erforderlichen Kosten.
Der Kläger hat vorliegend noch nicht einmal behauptet, dass er sich tatsächlich nach günstigeren Mietwagenangeboten erkundigt hätte und hierbei keine preiswerteren Angebote finden konnte oder aus welchen besonderen Umständen er hierzu nicht in der Lage gewesen wäre.
Insoweit handelt es sich um einen Sachvortrag zur Schadenshöhe, für welchen der Kläger darlegungs- und beweispflichtig ist (BGH NZV 2008, 339, LG München I, Urteil vom 08.02.2013, 17 S 9069/10).
Da die Erforderlichkeit der geltend gemachten Mietwagenkosten von dem Kläger nicht dargelegt und bewiesen wurden, waren die erforderlichen Kosten durch das Gericht nach § 287 ZPO zu schätzen.
Das Gericht legt seiner Entscheidung den Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2018 des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation zugrunde (vgl. dazu z.B. auch OLG München; Schlussurteil vom 25.07.2008, 10 U 2539/08 das Gericht hält auch die Fortführung des Marktpreisspiegels 2010 für eine angemessene Schätzgrundlage). Soweit das Gericht in seinem Vergleichsvorschlag vom 07.01.2020 noch den Fraunhofer Marktpreisspiegel 2017 zugrunde gelegt hat, ist nunmehr auf die Fraunhofer Liste 2018 abzustellen. Denn der Unfall ereignete sich im Jahr 2019. Insofern gibt die Fraunhofer – Liste 2018 die Anmietsituation im konkreten Fall deutlicher wieder. Dieser Mietpreisspiegel wurde an Hand einer der realen Anmietsituation nahekommenden Befragung aufgestellt, weil die befragten Firmen anders als etwa bei der Erstellung der Schwacke-Liste nicht wussten, dass ihre Antworten zur Grundlage einer Marktuntersuchung über die Höhe der Mietwagentarife gemacht wurden. Zwar sind die Durchschnittspreise dieser Studie niedriger als nach der Schwacke-Liste inklusive Vollkaskowerten. Da die Preise der Schwacke-Liste aufgrund einer Selbstauskunft der Mietwagenvermieter in Kenntnis, dass die Angaben zur Grundlage einer Marktuntersuchung gemacht werden, erfolgten, während das Ergebnis des Preisspiegels des Fraunhofer-Instituts auf einer anonymen Befragung im Rahmen eines typischen Anmietszenarios beruht, legt das Gericht die Preise zugrunde, wie sie sich nach der Studie des Fraunhofer-Instituts ergeben (vgl. auch OLG München a.a.O.; ebenso z.B. OLG Hamburg, Az.: 14 U 175/08 ebenso z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2015, Az I-1 U 42/14) die Anwendung der Fraunhofer-Liste als geeignete Schätzgrundlage wurde z.B. auch bestätigt durch das LG München I, Urteil vom 30.09.2011, 17 S 31120/10.
Das Klägerfahrzeug fällt in die Fahrzeugklasse 10. Nach der „Fraunhofer-Liste“ (Schwacke-Klassifikation, Internetbefragung im zweistelligen Postleitzahlbereich) ergibt sich für eine Anmietdauer von 7 Tagen der Fahrzeugklasse 10 im Postleitzahlenbereich 86 ein Mittelwert von EUR 802,81.
Diese Kosten enthalten auch bereits die Kosten einer typischen Haftungsreduzierung- und Beschränkung (vgl. Seite 20 der o.g. „Fraunhofer-Erhebung“).
Allerdings wurde das Ersatzfahrzeug nicht als Selbstfahrervermietfahrzeug zugelassen. Diese Behauptung der Beklagtenseite wurde von Klägerseite nicht bestritten. Insofern kommt grundsätzlich eine Herabsetzung der Mietwagenkosten in Betracht.
Dem liegt folgender Gedanke zugrunde: Bei einem privaten Vermieter, der grundsätzlich bereit ist, sein Fahrzeug zu vermieten, ist der finanzielle Anreiz bei Mietkosten in Höhe der Hälfte eines gewerblichen Mietwagenunternehmers regelmäßig ausreichend groß, um auf ein entsprechendes Angebot einzugehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei ihm zahlreiche Aufwendungen, die beim gewerblichen Vermieter den Gewinn schmälern, wie Unterhaltung des Geschäftsbetriebes mit Anschaffung und Instandhaltung des Wagenparks, Unkosten für Personal und Miete oder Pacht und Werbungskosten nicht anfallen beziehungsweise von der Unterhaltung des vermieteten Fahrzeuges unabhängig sind. Die gezahlte Miete kommt ihm damit weitgehend als echter Gewinn zugute und das getätigte Geschäft erweist sich als ausgesprochen günstig. Gleiches gilt, wenn der Vermieter das Fahrzeug nicht als sog. Selbstfahrervermietfahrzeug zugelassen hat. In diesem Fall entfallen etwa die Kosten für die jährliche Hauptuntersuchung, welche bei Selbstfahrervermietfahrzeuge vorgeschrieben ist. Auch versicherungsrechtlich ist die Zulassung von Relevanz. Bei einem Selbstfahrervermietfahrzeug ist mit höheren Versicherungsprämien zu rechnen, da dieses Fahrzeug von einer Vielzahl von Personen gefahren wird.
Allerdings erachtet das Gericht dabei die von der Beklagtenseite vorgenommenen Kürzungen als zu umfangreich. Im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens nach § 287 ZPO erachtet das Gericht eine Herabsetzung der Mietwagenkosten gemäß Fraunhofer-Liste in Höhe von 20 % für angemessen und erforderlich.
Zu berücksichtigen ist auch, dass bei der Anmietung eines Mietwagens, der anstelle eines eigenen beschädigten Fahrzeugs tritt, ein angemessener Abzug wegen ersparter eigener Aufwendungen für das beschädigte Fahrzeug vorzunehmen ist. Das Gericht hält einen Abzug in Höhe von 10 % des Mietpreises für angemessen.
Ein Aufschlag für die zeitnahe Anmietung eines Mietwagens nach einem Unfall wegen der Besonderheiten der Unfallsituation ist hingegen nicht vorzunehmen, weil der Kläger das Ersatzfahrzeug nicht unmittelbar nach dem Unfall angemietet hat.
Insgesamt hat der Kläger damit Anspruch auf Ersatz von Mietwagenkosten in Höhe von EUR 561,97.
Auf die Mietwagenkosten hat die Beklagtenseite bereits einen Betrag in Höhe von EUR 100,84 geleistet.
Der Kläger kann damit von der Beklagten einen weiteren Betrag in Höhe von EUR 461,13 auf die Mietwagenkosten ersetzt verlangen.
Wertminderung
Der Kläger kann von der Beklagten zudem die Wertminderung in Höhe von EUR 200,00 ersetzt verlangen. Die Parteien haben die Wertminderung in Höhe von EUR 200,00 unstreitig gestellt.
Insgesamt
Damit kann der Kläger insgesamt noch weitere EUR 662,13 ersetzt verlangen.
Zinsen
Verzug bestand, von Beklagtenseite nur unsubstantiiert bestritten seit dem 01.06.2019, § 286 BGB. Die Höhe des Zinsanspruchs ergibt sich aus § 288 BGB.
Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708, 711 ZPO.
Streitwert
Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung.


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