Versicherungsrecht

Rechtsfolgen nach Widerruf einer vor Ende der Widerrufsfrist begonnenen Lebensversicherung

Aktenzeichen  52 S 167/17

Datum:
28.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 116810
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Kempten
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 8 Abs. 2, § 152 Abs. 2 S. 2
VVG aF § 9 S. 2
FernabsRL Art. 2 Nr. 7

 

Leitsatz

1. Hat der Versicherungsnehmer (konkludent) dem Beginn des Versicherungsschutzes einer Lebensversicherung vor Ablauf der Widerrufsfrist zugestimmt, ist sein Anspruch nach Widerruf bei fehlerhafter Belehrung über das Widerrufsrecht auf die Erstattung der für das erste Versicherungsjahr gezahlten Prämien begrenzt, sofern nicht alternativ der Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile für ihn günstiger ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Sofern Versicherungen nicht als Fernabsatzverträge abgeschlossen werden, kommt eine an der Fernabsatzrichtlinie orientierte richtlinienkonforme Auslegung von § 9 S. 2 VVG aF (§ 9 Abs. 1 S. 2 VVG) nicht in Betracht. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 C 516/16 2017-01-17 Urt AGKAUFBEUREN AG Kaufbeuren

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Kaufbeuren vom 17.01.2017, Az. 2 C 516/16, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Kauf1. beuren ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

II.
Gemäß § 540 II i.V.m. § 313a I 1 ZPO, § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO wird von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers, der zu seinen Gunsten eine Abänderung des angefochtenen, die Klage vollständig abweisenden erstinstanzlichen Endurteils dahingehend anstrebt, dass den „aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ersichtlichen Hauptanträge(n)“ stattgegeben wird, hat in der Sache keinen Erfolg.
Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Kaufbeuren beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen die von der Kammer nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die beiden, im Jahr 2008 abgeschlossenen fondsgebundenen Lebensversicherungsverträge vom Kläger durch die Schreiben vom 18.03.2016 (= Anlage K4) bzw. vom 02.05.2016 (= Anlage K13) noch wirksam widerrufen werden konnten, weil die vor dem Hintergrund des § 8 Abs. 2 WG beanstandeten Widerrufsbelehrungen die Widerrufsfrist nicht in Lauf gesetzt haben, so hat die Klage (und damit auch das Rechtsmittel des Klägers) dennoch in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger lässt nämlich außer Betracht, dass die Rechtsfolgen des Widerrufs für die streitgegenständlichen Versicherungsverträge sich im vorliegenden Einzelfall aus § 9 Satz 2 WG i.V.m. § 152 Abs. 2 WG (in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung) ergeben. Diese Sondervorschriften verdrängen die allgemeinen Vorschriften aus dem BGB (vgl. Prölss/Martin, WG § 9 Rn. 27, § 152, Rn. 12), aufweiche der Kläger seine Klageforderungen unter Bezugnahme auf die zum alten Recht ergangene Rechtsprechung stützen möchte.
1. Der Anwendungsbereich des § 9 WG ist eröffnet, da der Kläger zugestimmt hat, dass der Versicherungsschutz vor dem Ende der 30-tägigen Widerrufsfrist (vgl. § 152 Abs. 1 WG) beginnt.
Der Kläger hat in beiden Fällen in seinen Vertragserklärungen vom 20.01.2008 (= Anlage B1, B2) unter Ziffer 4 beantragt, dass der Beginn der Lebensversicherung jeweils am 01.02.2008 sein soll. Aus diesen Vertragserklärungen ergibt sich die ausdrückliche Zustimmung des Klägers dazu, dass der Versicherungsschutz überhaupt beginnen soll. Eine darüber hinausgehende Willensäußerung ist, soweit es um das „Ob“ des Versicherungsbeginns geht, nicht notwendig (vgl. Prölss/Martin, WG, § 9 Rn. 15). Die Kammer schließt sich dieser Rechtsauffassung an.
Der Kläger hat auch zugestimmt, dass der Versicherungsschutz vor dem Ende der Widerrufsfrist beginnt. Die Kammer teilt die Rechtsauffassung, dass dieser Teil der Zustimmung auch konkludent erklärt werden kann (vgl. Prölss/Martin, WG, § 9 Rn. 16 m.w.N.), wobei die Zustimmung vorliegend bereits in der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers liegt, wenn (wie hier) vertraglich ein Versicherungsbeginn festgelegt wird, der sicher in die Zeit vor Ende der Widerrufsfrist fällt (Prölss/Martin, WG, § 9 Rn. 17). Davon kann insbesondere im vorliegenden Fall ausgegangen werden, da der Kläger (in 2. Instanz unstreitig) in optisch / drucktechnisch hinreichend deutlich gestalteter Weise und insoweit auch zutreffend darauf hingewiesen worden ist, dass für ihn ein 30-tägiges Widerrufsrecht besteht („Ob“ des Widerrufsrechts). Deshalb musste der Kläger (unabhängig von der Frage, wann die Widerrufsfrist tatsächlich zu laufen beginnt und ob die Widerrufsbelehrung insoweit richtig ist) bei Abgabe der Vertragserklärungen am 20.01.2008 in jedem Fall damit rechnen, dass der mit Beginn zum 01.02.2008 beantragte Versicherungsschutz bereits vor Ablauf der eingeräumten Widerrufsfrist beginnt. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass der Kläger als Versicherungsnehmer auch für diesen Fall sein Einverständnis mit der Vertragsdurchführung erklärt (vgl. hierzu Prölss/Martin, WG, § 9 Rn. 17), und zwar beginnend ab 01.02.2008. Eine darüber hinausgehende Zustimmungserklärung ist entgegen der vom Klägervertreter mitgeteilten Rechtsauffassung nicht notwendig.
2. Im Fall einer (unterstellt) nicht ordnungsgemäßen Belehrung über die Ausübung des Widerrufsrechts richten sich die Rechtsfolgen des Widerrufs für die Verträge, die nach Inkrafttreten des neugefassten WG am 01.01.2008 abgeschlossen worden sind, nach § 9 Satz 2 i.V.m. § 152 Abs. 2 WG (jeweils in der damals geltenden Fassung). Danach hat der Versicherer im Fall des § 9 Satz 2 WG den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile oder, wenn dies für den Versicherungsnehmer günstiger ist, die für das erste Jahr gezahlten Prämien zu erstatten.
Soweit der Kläger die für beide Lebensversicherungsverträge gezahlten Beiträge für den gesamten Zeitraum, d.h. vom Versicherungsbeginn bis zur Ausübung des Widerrufs, von der Beklagten zurückfordert, ist das Klagebegehren ohnehin nicht begründet, soweit es die nach dem ersten Jahr nach Versicherungsbeginn gezahlten Beiträge betrifft.
a) Soweit es um die im ersten Jahr gezahlten Beiträge geht, steht dem Kläger kein weitergehender Anspruch zu, da er von der Beklagten bereits Zahlungen betreffend den Rückkaufswert erhalten hat, die weit über den Jahresbetrag der gezahlten Prämien hinausgehen. Dies ergibt sich aus folgender Berechnung:
Für den Versicherungsvertrag Nr. 05-0301565-81 (Bezugberechtigter M. C.) wurde eine monatliche Beitragszahlung von 25,00 € vereinbart (vgl. Anlage K2). Der Jahresbetrag beträgt damit 12 x 25 € = 300,00 €. Nach Aktenlage hat der Kläger von der Beklagten eine Zahlung auf den Rückkaufwert in Höhe von 1.872,10 € erhalten, was zwischen den Parteien unstreitig ist.
Für den Versicherungsvertrag Nr. … (Bezugberechtigter J. C.) wurde eine monatliche Beitragszahlung von 25,00 € vereinbart (vgl. Anlage K11). Der Jahresbetrag beträgt damit 12 x 25 € = 300,00 €. Nach Aktenlage hat der Kläger von der Beklagten eine Zahlung auf den Rückkaufwert in Höhe von 1.851,80 € erhalten, was zwischen den Parteien unstreitig ist.
Da dem Kläger diese Ansprüche aus dem Rechtsfolgenkatalog der §§ 9 Satz 2 WG ausdrücklich nicht kumulativ zustehen (vgl. § 152 Abs. 2 WG), sondern nur alternativ, bestehen im vorliegenden Fall hinsichtlich der Versicherungsprämien keine weitergehenden Ansprüche des Klägers, zumal der Kläger die Beiträge lediglich bis zur Ausübung des Widerrufs geltend macht.
Wie oben ausgeführt werden die allgemeinen Vorschriften aus dem BGB (§§ 355 ff. BGB) durch die Sondervorschriften aus dem WG verdrängt (vgl. Prölss/Martin, WG, § 9 Rn. 27).
Eine abweichende rechtliche Betrachtung ist auch nicht aus europarechtlichen Gründen angezeigt. Die vorliegenden Fälle des Versicherungsabschlusses sind nicht als Fernabsatzverträge i.S.d. der Fernabsatzrichtlinie abgeschlossen worden, vgl. Art. 2 Nr. 7 FernabsRL, sodass eine in der Kommentierung zu § 9 WG diskutierte richtlinienkonforme Auslegung (vgl. hierzu Prölss/Martin, WG, § 9 Rn. 28 f.) für den vorliegenden Einzelfall nicht in Betracht kommt.
b) Soweit der Kläger zudem Ansprüche auf Nutzungsersatz hinsichtlich der gezahlten Beiträge geltend macht, ist die Klage ebenfalls nicht begründet.
Zum einen trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Beklagte tatsächlich entsprechende Nutzungen gezogen hat. Bei fondsgebundenen Lebensversicherungen kommt eine Beweiserleichterung zugunsten des Klägers nicht zur Anwendung (BGH, BeckRS 2015, 19296). Die Behauptung der Beklagten, sie habe keine Nutzungen gezogen, hat der Kläger nicht ausräumen können.
Zum anderen ist die Kammer der Auffassung, dass die Regelungen der §§ 9 Satz 2,152 Abs. 2 WG die Rechtsfolgen des Widerrufs abschließend regeln, sodass ein Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften des BGB nicht in Betracht kommt.
3. Mangels Hauptforderung bestehen auch die geltend gemachten Nebenforderungen (Zinsen / vorgerichtliche Anwaltskosten) nicht.
4. Die in erster Instanz geltend gemachten Hilfsanträge, die das Amtsgericht ebenfalls abgewiesen hatte, wurden in der Berufungsinstanz nicht weiterverfolgt (vgl. Seite 6 der Berufungsbegründung vom 30.01.2017, Bl. 67 d.A.), sodass insoweit keine Entscheidung des Berufungsgerichts veranlasst ist.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
IV.
Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision gem. § 543 II ZPO liegen nicht vor. Das Urteil stellt eine Einzelfallentscheidung dar, die das Berufungsgericht auf der Grundlage vertretener und anerkannter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur getroffen hat. Die Rechtssache besitzt so weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.


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