Verwaltungsrecht

5 C 7/19

Aktenzeichen  5 C 7/19

Datum:
26.2.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:260221U5C7.19.0
Spruchkörper:
5. Senat

Leitsatz

1. Die materiell-rechtliche Berechtigung einer ärztlichen Gebührenforderung ist in vollem Umfang vom Verwaltungsgericht zu prüfen, wenn sie weder im Einzelfall im Verhältnis von Beihilfeberechtigtem und behandelndem Arzt zivilgerichtlich festgestellt worden noch die Auslegung der ihr zugrundeliegenden Gebührenregelung allgemein höchstrichterlich geklärt ist und der Dienstherr zudem rechtzeitig für Klarheit über die von ihm favorisierte Auslegung der objektiv zweifelhaften Gebührenvorschrift gesorgt hat.
2. Für die Eingliederung eines festsitzenden Lingualretainers können neben den Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ nicht zusätzlich auch die Nummern 6100 und 6140 Anlage 1 GOZ in entsprechender Anwendung nach § 6 Abs. 1 GOZ abgerechnet werden.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 23. November 2018, Az: 1 A 2252/16, Urteilvorgehend VG Arnsberg, 19. September 2016, Az: 13 K 3816/15, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. November 2018 geändert. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 19. September 2016 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über den Umfang von Beihilfeleistungen für die Eingliederung eines festsitzenden Lingualretainers (Kleberetainers), der nach Abschluss der aktiven Phase einer kieferorthopädischen Behandlung verhindern soll, dass sich die Zähne in ihre ursprüngliche Stellung zurückbewegen.
2
Der Kläger ist Beamter des Landes Nordrhein-Westfalen und für seine Tochter mit einem Bemessungssatz von 80 v. H. beihilfeberechtigt. Diese befand sich seit dem Jahr 2012 in kieferorthopädischer Behandlung. Bei der Abrechnung von im Jahr 2015 erbrachten Behandlungsleistungen setzte der Kieferorthopäde u.a. für die Eingliederung eines Lingualretainers die Nummer 6100 (Eingliederung eines Klebebrackets) des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) und die dortige Nummer 6140 (Eingliederung eines Teilbogens) zusätzlich zur Nummer 6050 (Maßnahmen zur Umformung eines Kiefers einschließlich Retention, hoher Umfang) an.
3
Die hierfür beantragte Beihilfe lehnte die Beihilfestelle teilweise ab, da die Gebührenordnung eine Gebühr für die Eingliederung bzw. Entfernung von Retainern nicht vorsehe. Der dagegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb mit der Begründung erfolglos, dass der Beklagte schon durch den Runderlass des Finanzministeriums für das Land Nordrhein-Westfalen zum zahnärztlichen Gebührenrecht vom 16. November 2012 seine Rechtsauffassung zu der hier umstrittenen Gebührenfrage mitgeteilt habe.
4
Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen, da der Beklagte seine Rechtsauffassung, dass Maßnahmen zur Retention bereits in den kieferorthopädischen Kernziffern (Nummern 6030 bis 6080 des Gebührenverzeichnisses) berücksichtigt seien, rechtzeitig klargestellt habe. Dies sei eine vertretbare Auslegung, die auch von einigen Zivilgerichten geteilt werde. Eine eigenständige Bewertung der zivilrechtlichen Lage durch das Verwaltungsgericht habe in einem solchen Falle nicht zu erfolgen. Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Beihilfebescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides verpflichtet, dem Kläger zu den Aufwendungen aus der Rechnung des Kieferorthopäden eine weitere Beihilfe in Höhe von 145,89 Euro für die Eingliederung eines festsitzenden Lingualretainers zu gewähren. Eine Auslegungsfrage des zahnärztlichen Gebührenrechts sei in einer beihilferechtlichen Streitigkeit von den Verwaltungsgerichten im Rahmen der Angemessenheit selbstständig und voll zu prüfen, wenn es – wie hier – an einer höchstrichterlichen oder einheitlichen Rechtsprechung der Zivilgerichte fehle und der Dienstherr – im Einzelfall oder in allgemeiner Form – rechtzeitig für Klarheit über die von ihm für richtig befundene Auslegung der streitigen Gebührennummer gesorgt habe. Nach dieser Prüfung seien für die Eingliederung eines Lingualretainers neben den Nummern 6030 bis 6080 des Gebührenverzeichnisses Gebühren entsprechend den Nummern 6100 und 6140 des Gebührenverzeichnisses anzusetzen, ohne dass es sich dabei um ausgeschlossene Doppelleistungen nach § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ handele. Die Gebührentatbestände der Nummern 6030 bis 6080 des Gebührenverzeichnisses regelten keine Gebühr für eine Komplex- oder Zielleistung, sondern eine pauschale Grundgebühr, welche die (auch intellektuelle) Gesamtleistung des Kieferorthopäden als solche honoriere, aber nicht die kieferorthopädischen Einzelleistungen umfasse. Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Analogbewertung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 GOZ seien erfüllt.
5
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Er rügt eine Verletzung von Bundesrecht, weil die analoge Anwendung der Nummern 6100 und 6140 des Gebührenverzeichnisses auf die Eingliederung eines Kleberetainers unzulässig sei.
6
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts.


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