Verwaltungsrecht

Abgelehnter Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  10 ZB 19.50023

Datum:
29.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 17628
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
VwGO § 60 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 11 K 19.50499 2019-07-08 VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht hinreichend dargelegt ist (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) und auch nicht vorliegt.
Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) verlangt, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht.
Der Kläger formuliert als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, „ob es hinsichtlich eines analphabetischen, der deutschen Sprache nicht mächtigen und während des gesamten Verlaufs der Klagefrist in Auslieferungshaft befindlichen Asylbewerbers für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung „ohne Verschulden“ des § 60 Abs. 1 VwGO ausreichend ist, dass dieser sich unverzüglich nach Entlassung aus der Haft mit allem ihm zumutbaren Nachdruck um eine rasche Aufklärung eines ihm nicht verständlichen Bescheids bemüht“ und „ob es einem analphabetischen, der deutschen Sprache nicht mächtigen und während des gesamten Verlaufs der Klagefrist in Auslieferungshaft befindlichen Asylbewerbers möglich ist, gegen einen ihn belastenden Verwaltungsakt fristgemäß Klage zu erheben“.
Damit wirft der Kläger jedoch keine entscheidungserheblichen Grundsatzfragen auf. Denn in der obergerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass für das Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO darauf abzustellen ist, ob die Betroffenen diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen haben, die für gewissenhafte, ihre Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmende Prozessführende geboten und nach den Gesamtumständen des Falles zuzumuten ist (vgl. BVerwG, B.v. 5.2.1990 – 9 B 506.89 – juris Rn. 3; B.v. 2.7.1982 – 1 CB 14.82 – juris Rn. 3). Unzureichende Sprachkenntnisse entheben einen Ausländer nicht der Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte (vgl. BVerwG, B.v. 19.4.1982 – 1 B 33.82 – BeckRS 1982, 31246197). Wird einem Ausländer ein ihm unverständlicher Bescheid zugestellt, kann er aber seine Bedeutung so weit erfassen, dass es sich um ein amtliches Schriftstück handeln könnte, so können von ihm im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht zumutbare Anstrengungen verlangt werden, sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über den genauen Inhalt des Schriftstücks zu verschaffen. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Frist kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an (vgl. Czybulka/Kluckert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 57). Die vom Kläger als klärungsbedürftig erachtete Rechtsfrage kann daher nicht grundsätzlich, sondern nur einzelfallbezogen beantwortet werden und somit nicht Gegenstand einer Grundsatzrüge sein. Bei einem Asylbewerber kommt hinzu, dass sein gesamter Aufenthalt auf den Asylbescheid hin orientiert ist. Deshalb ist es ihm zumutbar, dass er sich bei Eingang eines erkennbar amtlichen Schreibens umgehend und intensiv darum bemüht, dessen Inhalt zu erkunden, dass er sich insbesondere mit allem ihm zumutbaren Nachdruck um eine rasche Aufklärung des Inhalts dieses Schreibens bemüht (vgl. BVerfG, B.v. 2.6.1992 – 2 BvR 1401/91 – BVerfGE 86, 280; B.v. 19.4.1995 – 2 BvR 2295/94 – NVwZ-RR 1996, 120).
Im Übrigen geht aus den ergänzenden Ausführungen des Klägers in der Zulassungsbegründung hervor, dass er sich der Sache nach gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wendet. So macht er geltend, dass die Ansicht des Verwaltungsgerichts, wonach der Kläger nicht die ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen habe, „verfehlt“ sei und eine Ausnahmesituation anzunehmen gewesen wäre, weil der Kläger Analphabet und der deutschen Sprache nicht mächtig sei. Auch könne der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Inhaftierung als solche den Betroffenen nicht an der Klageerhebung gehindert habe, aufgrund seiner besonderen Umstände „nicht gefolgt werden“. Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung führen aber nicht zur Zulassung der Berufung (vgl. § 78 Abs. 3 AsylG)
Entsprechendes gilt hinsichtlich der weiter aufgeworfenen Frage, ob eine Inhaftierung ein fehlendes Verschulden hinsichtlich der Wahrung der Klagefrist begründen kann. Zudem ist auch insofern obergerichtlich geklärt, dass die Inhaftierung als solche den Betroffenen nicht daran hindert, gerichtliche Anträge zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 27.1.2014 – 12 CS 13.2685 – juris Rn. 3; B.v. 18.8.2017 – 10 ZB 17.1323 – juris Rn. 10 f.). Ob die vom Kläger darüber hinaus geltend gemachten besonderen Umstände (fehlenden Sprachkenntnisse, Analphabetismus und Mittellosigkeit) zu einem unverschuldeten Fristversäumnis und damit zu einem Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führen, ist demnach eine Frage des jeweiligen Einzelfalls und daher keiner grundsätzlichen Klärung zugänglich (BayVGH, B.v. 18.8.2017 – 10 ZB 17.1323 – juris Rn. 13).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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