Verwaltungsrecht

Abgelehnter Asylantrag eines nigerianischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  W 8 S 20.30180

Datum:
10.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2032
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 36 Abs. 1 S. 4, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
EU-GRCharta Art. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten wird für das vorliegende Verfahren und für das Klageverfahren W 8 K 20.30179 abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist nigerianische Staatsangehörige christlichen Glaubens. Sie reiste am 27. Januar 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 29. Januar 2019 einen Asylantrag.
Die Antragstellerin stellte bereits am 30. Juni 2016 einen Asylantrag in Italien und erhielt nach Auskunft der italienischen Behörden mit Schreiben vom 5. Juli 2019 am 27. Mai 2019 einen Schutzstatus („Refugee Status“) und eine Aufenthaltserlaubnis („residency permit“).
Bei ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 4. Februar 2019 gab die Antragstellerin im Wesentlichen an, sie habe in Italien einen Asylantrag gestellt, aber darüber keine Entscheidung erhalten. Sie habe in einem Flüchtlingscamp in Turin gelebt. Dort habe der Leiter des Camps sie mehrmals sexuell missbraucht. Bei einem Vorfall am 2. Januar 2019 habe sie sich gewehrt und den Leiter verletzt. Sie sei dann aus der Unterkunft geflohen und über Mailand mit dem Zug nach Deutschland gekommen. Bereits vor ihrer Ankunft in Italien sei sie in Libyen von einer Frau namens „Cindy“ wegen der Begleichung ihrer Reisekosten zur Prostitution gezwungen worden.
Am 11. Februar 2019 nahm ein Sonderbeauftragter für Opfer von Menschenhandel des Bundesamtes Stellung zu der Situation der Antragstellerin und wurde zur Entscheidung zugezogen. Er gab an, der Antragstellerin drohe nach seiner Einschätzung in Italien nicht die Gefahr, Opfer von Menschenhandel zu werden. Zu der Madame in Libyen bestehe seit über zweieinhalb Jahren kein Kontakt mehr und die Antragstellerin sei in Italien nicht der Prostitution nachgegangen. Der geschilderte angebliche sexuelle Missbrauch durch den Camp-Leiter in Italien habe – bei Wahrunterstellung – abgesehen von erlittenem kriminellem Unrecht, keinen Bezug zum Menschenhandel. Überdies sei die Antragstellerin darauf zu verweisen, dass sie sich an die Polizei hätte wenden können. Beachtliche Anhaltspunkte für eine Reviktimisierung oder Bedrohung bei einer Rückkehr ins Heimatland seien nicht ausreichend substantiiert bzw. glaubhaft gemacht.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragstellerin erstmals als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien im Rahmen des Dublin-Verfahrens an. Der hiergegen gerichtete Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung wurde abgelehnt (vgl. VG Würzburg, B.v. 14.3.2019 – W 10 S 19.50149). Aufgrund der Schutzgewährung in Italien wurde das zugehörige Klageverfahren nach Aufhebung des Dublin-Bescheides und übereinstimmenden Erledigungserklärungen mit Beschluss vom 9. September 2019 (W 10 K 19.50148) eingestellt.
Mit Bescheid vom 20. Januar 2020 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheides) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Antragstellerin wurde aufgefordert die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen und für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Italien oder einen anderen Staat, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist (außer: Nigeria) angedroht (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2020 erhob die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin im Verfahren W 8 K 20.30179 Klage und beantragte – neben Prozesskostenhilfe – im hiesigen Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, die Abschiebungsandrohung der Antragsgegnerin sei rechtswidrig, weshalb das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides, das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege. Die Antragstellerin sei hinsichtlich ihrer körperlichen Unversehrtheit und auch eines menschenwürdigen Daseins schutzbedürftig und schutzwürdig. Sie habe einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, da es sich bei ihr um eine vulnerable Person im Sinne des Art. 21 EU-Aufnahmerichtlinie handle. Die Antragstellerin sei in Italien Opfer eines sexuellen Übergriffes geworden, aufgrund dessen es zu einer bisher nichtbehandlungsbedürftigen Hepatits-B Infektion gekommen sei. Ferner sei sie im Rahmen des Menschenhandels von Nigeria nach Europa gebracht worden und habe auch in Italien mehrere Monate im Haus der „Madame“ gelebt, die für ihre Verschleppung nach Italien verantwortlich gewesen sei. Dort sei sie geschlagen und eingesperrt worden. Aufgrund des in Italien erlebten, sei es der Antragstellerin nicht zuzumuten an den Ort zurückzukehren, an dem sie so viel Leid und doch keinen Schutz erfahren habe. Ferner leide die Antragstellerin ausweislich der vorgelegten Atteste an verschiedenen Wucherungen im Uterusbereich. Aufgrund der Erkrankungen könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin in Zukunft ohne ärztliche Betreuung auskommen werde. Auf Grund der schlechten humanitären Verhältnisse wie sie derzeit im italienischen Asylverfahren für Anerkannte und Schutzsuchende herrschten, sei nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin Obdach und die nötige medizinische Unterstützung erhalten werde, die für sie so dringlich sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte W 8 K 20.30179) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens der Antragstellerin (§ 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO) ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Italien in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids begehrt.
Der so verstandene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid, macht sich diese zu eigen und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen der Antragstellerin führt zu keiner anderen Beurteilung.
Ergänzend ist auszuführen:
1. Der Asylantrag der Antragstellerin ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, da ihr bereits in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union – hier Italien – internationaler Schutz gewährt wurde. Dies ergibt sich aus der entsprechenden Mitteilung der italienischen Behörden vom 5. Juli 2019 („Refugee Status“). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des EuGH vom 13. November 2019 (C-540/17 – juris). Danach ist Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates dahingehend auszulegen, dass er einem Mitgliedsstaat verbietet von der darin eingeräumten Befugnis, den Asylantrag einer Person als unzulässig abzulehnen, die bereits in einem anderen Mitgliedsstaat als schutzberechtigt anerkannt ist, Gebrauch zu machen, wenn sich die generellen Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge dort so darstellen, dass diesen Personen eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne vom Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCharta droht.
Denn hiervon geht das erkennende Gericht in Bezug auf die Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge in Italien nach der derzeitigen Erkenntnislage gerade nicht aus.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCharta dann vor, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht wird, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese Schwelle ist aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Personen in einer solch schwerwiegenden Lage befinden, dass diese einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann. Insbesondere muss die Gleichgültigkeit von Behörden eines Mitgliedsstaates zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. zu alldem EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 ff.). Abzustellen ist insofern auf die tatsächlich drohende Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im obigen Sinne (EGMR, U.v. 4.11.2014 – 29217/12 – juris). Im Hinblick auf die Situation rücküberstellter Schutzberechtigter ist ferner zu beachten, dass Art. 3 EMRK die Vertragsstaaten nicht aus sich heraus dazu verpflichtet, jedermann in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen und Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Art. 3 EMRK ist im Kern ein Abwehrrecht gegen unwürdiges Staatsverhalten im Sinne eines strukturellen Versagens bei dem durch den Vertragsstaat zu gewährenden angemessenen materiellen Mindestniveau und weniger ein individuelles Leistungsrecht einzelner Personen auf bestimmte materielle Lebens- und Sozialbedingungen. Anerkannte Schutzberechtigte müssen sich deshalb auf den für alle italienischen Staatsangehörigen vorhandenen Lebensstandard verweisen lassen (vgl. NdsOVG, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 32; OVG LSA, B.v. 31.8.2016 – 3 L 94/16 – juris Rn. 9 und 11 und auch VG Würzburg, U.v. 5.2.2019 – W 4 K 17.32641 – BeckRS 2019, 14414).
Für die hier maßgebliche Fallgruppe anerkannter Flüchtlinge stellen sich die Lebensverhältnisse in Italien nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK dar (vgl. etwa NdsOVG, U.v. 6.4.2018 – 10 LB 109/18 – juris; VG Würzburg, B.v. 19.12.2019 – W 4 S 19.32094 – juris; U.v. 5.2.2019 – W 4 K 17.32641 – BeckRS 2019, 14414; U.v. 4.2.2019 – W 8 K 18.32181 – juris; B.v. 20.1.2020 – W 8 S 20.50028 – juris Rn. 28). Vielmehr ist davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien grundsätzlich italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und erforderlichenfalls staatliche Hilfe in Anspruch nehmen können, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelingt dies nicht sogleich bzw. vollständig, können sie – wie auch Italiener, die arbeitslos sind – die Hilfe caritativer Organisationen erhalten (vgl. dazu ausführlich OVG NRW U.v. 24.8.2016 – 13 A 63/16.A – NVwZ-RR 2017, 115; VG München, U.v. 13.2.2017 – M 21 S 16.33951 – juris). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung zu Asylsuchenden mit offenen Asylverfahren für die vorliegende Fallkonstellation anerkannter Flüchtlinge nicht einschlägig ist.
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ist in seinem Urteil vom 6. April 2018 (10 LB 109/18 – juris) unter ausdrücklicher Würdigung der tatsächlichen Situation zu der Einschätzung gelangt, dass systemische Mängel in Italien unter keinen in Betracht kommenden Aspekt vorliegen, so dass systemische Mängel weder mit Blick auf die Unterkunftssituation noch bezüglich der Gesundheitsversorgung noch hinsichtlich der Versorgung mit den zum übrigen Lebensunterhalt notwendigen Leistungen anzunehmen sind.
Weiter ist kein Verstoß gegen Grund- oder Menschenrechte bzw. die Qualifikationsrichtlinie gegeben. Unabhängig von der sogenannten Inländergleichbehandlung kann eine Verletzung der Rechte aus Art. 4 EU Grundrechte-Charta und Art. 3 EMRK nicht festgestellt werden, weil rücküberstellte anerkannte Schutzberechtigte bei umfassender Auswertung und Bewertung neuester Erkenntnisse neben den Hilfen durch kommunale und caritative Einrichtungen wie NGOs auch im Hinblick auf staatliche Hilfen nicht gänzlich auf sich selbst gestellt sind. Zudem reagiert der italienische Staat auf betreffende Probleme gerade nicht mit Gleichgültigkeit. Dass es im Einzelfall zu Obdachlosigkeit kommen kann, ändert nichts an dieser grundsätzlichen Beurteilung. Denn solche einzelfallbezogenen Erfahrungen allein führen in Anbetracht der sonstigen Erkenntnislage nicht zur Feststellung regelhafter Funktionsstörungen. Weiter ist kein Verstoß gegen die Qualifikationsrichtlinie gegeben, da die in Italien anerkannten Schutzberechtigten unter anderem auch im Hinblick auf die Sozialleistungen wie die eigenen Staatsangehörigen behandelt werden.
An der Einschätzung ändert sich auch nichts durch das Salvini-Dekret, in dem unter anderem bestimmt ist, dass die Aufnahmeeinrichtungen mit Integrationsmaßnahme (SIPROIMI; früher: SPRAR) ausschließlich der Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und Personen mit internationalem Schutztiteln vorbehalten bleiben. Jedenfalls hat diese Dekret für die vorliegende Konstellation einer in Italien als schutzberechtigt Anerkannten keine negativen Auswirkungen (vgl. VG Hannover, B.v. 14.1.2019 – 5 B 5153/18 – juris).
Ergänzend ist anzumerken, dass es auch außerhalb staatlicher Strukturen ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von caritativen Organisationen bzw. Kirchen gibt. Zwar kann es in Italien unter Umständen zu Problemen kommen, wenn keine Meldeadresse existiert. Schutzberechtigte dürfen sich indes frei im Land niederlassen, wenn sie sich selbst erhalten können. Sofern Schutzberechtigte ihr Recht auf einen Platz in einer SIPROIMI-Einrichtung verloren haben, kann es zwar im Einzelfall zu Obdachlosigkeit kommen. Rechtlich haben aber anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte Zugang zu Sozialwohnungen, zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen im selben Ausmaß wie italienische Staatsbürger. Nichts Anderes gilt für den Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Antragstellerin ist im Bedarfsfalle auf das italienische Gesundheitssystem zu verweisen, zu welchem sie als anerkannte Schutzberechtigte nach Registrierung beim Nationalen Gesundheitsdienst auch in gleicher Weise Zugang hat wie italienische Staatsbürger. Probleme können sich hierbei zwar wiederum daraus ergeben, dass für die Registrierung die Meldung eines Wohnsitzes notwendig ist und Schutzberechtigte beim Auszug aus einer staatlichen Unterkunft die dortige Wohnsitzmeldung verlieren. Gleichwohl steht auch ohne Wohnsitzmeldung jedenfalls eine medizinische Notversorgung zur Verfügung. Gegebenenfalls können medizinische Leistungen auch über private humanitäre Organisationen erlangt werden (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Italien vom 26.2.2019, S. 25 f.).
Das italienische Asylsystem geht für anerkannte internationale Schutzberechtigte davon aus, dass diese ab Gewährung des Schutzstatus arbeiten und für sich selbst sorgen können. Für eine Übergangszeit können Schutzberechtigte aber auf staatliche Leistungen zurückgreifen. Weiter besteht die Möglichkeit von Integrationsprojekten und Sprachkursen. Anerkannte Schutzberechtigte können weiter auf Hilfsorganisationen zurückgreifen und sich im Übrigen in Eigenverantwortung um Wohnung und Arbeit kümmern (vgl. auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, v. 26.2.2019, S. 25 f.). Insbesondere steht so für anerkannte internationale Schutzberechtigte Zugang, nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich, für eine Übergangszeit ein Zugang zu Einrichtungen des SIPROIMI offen, die in dieser Zeit Versorgungs-, Unterstützungs- und Integrationsleistungen gewähren. Auch über die Verfahren des Unterbringungssystems SIPROIMI hinaus reagieren die staatlichen Stellen auf Probleme, um auftretende Obdachlosigkeit anerkannter international Schutzberechtigter zu verhindern. Insgesamt reagiert der italienische Staat darauf, dass anerkannte Schutzberechtigte in dieser Übergangszeit nicht in eine existentielle Notsituation geraten und sorgen so auch dafür, dass sie nach einer Übergangszeit sich selbst aus eigener Kraft eine Existenzgrundlage aufbauen können (VG Magdeburg, B.v. 14.11.2019 – 8 B 398/19 – juris; VG Würzburg, U.v. 4.2.2019 – W 8 K 18.32181 – juris; jeweils m.w.N.).
2. Es bestehen ferner auch unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Antragstellerin keine Abschiebungsverbote hinsichtlich Italiens nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
a.) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist nicht gegeben.
Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl 1952/II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Eine solche Sachlage ergibt sich hier auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerbevollmächtigten nicht. Entsprechend den ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes zu der auf Italien beschränkten Prüfung (§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) droht der Antragstellerin in Italien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK. Die Lebensbedingungen für anerkannt Schutzberechtigte stellen sich nach obigen Ausführungen gerade nicht allgemein als derartig defizitär dar, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCharta im Sinne einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung anzunehmen wäre.
Auch unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Antragstellerin und Art. 20 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (Qualifikationsrichtlinie) kann sie nach alledem kein nationales Abschiebungsverbot für sich in Anspruch nehmen. Ihr droht bei der Rückkehr nach Italien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund der vorgebrachten Geschehnisse. Wenn sie vorträgt, sie sei vom Leiter des Flüchtlingscamps in Turin sexuell missbraucht worden, so handelt es sich hierbei um kriminelles Unrecht und keine dem italienischen Asylsystem innewohnende systemische Schwachstelle. Die Antragstellerin muss zudem bei ihrer Rückkehr nicht in das damalige Camp zurückkehren. Es besteht für die Antragstellerin die Möglichkeit sich an einem beliebigen Ort in der Republik Italien niederzulassen. Ferner steht ihr – wie oben dargelegt – die Möglichkeit des Zugangs zu Einrichtungen des SIPROIMI zur Verfügung und sie hat im Übrigen grundsätzlich die Möglichkeit sich eine eigene (Sozial-)Wohnung zu beschaffen. Einer Wiederholung des konkreten Geschehens kann die Antragstellerin somit entgehen. Zudem kann sie sich wegen vorgebrachten Vorfalls, als auch in etwaigen zukünftigen konkreten Bedrohungssituationen an die italienische Polizei wenden. Es ist nicht ersichtlich, dass sie von dieser den erforderlichen Schutz im Bedarfsfalle nicht erhalten kann (so auch VG Würzburg, U.v. 26.11.2019 – W 10 K 19.50275 – juris Rn. 45 ff. für den Fall einer „Dublin-Rückkehrerin“). Das Gericht verkennt nicht, dass gerade alleinstehende Frauen in Italien bei einem Leben „auf der Straße“ oder in besetzten Häusern bzw. Erstaufnahmecamps dem Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt sind und die Schweizerische Flüchtlingshilfe annimmt, dass in Italien viele Frauen gezwungen seien, ihren Lebensunterhalt mit Prostitution zu verdienen, und Frauenhandel ein gravierendes Problem darstelle (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 38; 88 ff. gleichwohl bezogen auf Frauen innerhalb des laufenden Asylverfahrens). Dies führt aber nicht ohne Weiteres dazu, dass in der Person der Antragstellerin eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung bei der Rückkehr nach Italien droht. Sie kann sich wie dargestellt in einem anderen Teil Italiens niederlassen, muss nicht in eine allgemeine Unterkunft („CAS“ oder „CARA“) zurückkehren und kann polizeilichen Schutz und sonstige behördliche bzw. Hilfe von NGOs in Anspruch nehmen.
Selbiges gilt im Ergebnis für den in dieser Form erstmals in der Antragsbegründung enthaltenen Vortrag, die Antragstellerin habe auch in Italien mehrere Monate im Haus der „Madame“, die sie nach Italien verschleppt habe, gelebt und sei dort geschlagen und eingesperrt worden. Ungeachtet dessen, dass sich dies nicht ohne weiteres mit dem bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Vorgebrachten deckt, ist auch diesbezüglich nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der Antragstellerin bei einer Rückkehr nach Italien zu befürchten. Zum einen ist es schon nicht erkennbar, wie die „Madame“ überhaupt von einer Rückkehr der Antragstellerin erfahren sollte, wenn die Antragstellerin sich an einem beliebigen Ort in Italien niederlassen kann und nicht von sich aus Kontakt mit ihr aufnimmt. Ferner ist sie auch diesbezüglich an die Hilfemöglichkeit durch italienische Behörden zu verweisen. Das Gericht teilt ferner die Auffassung des vom Bundesamt beigezogenen Sonderbeauftragten für Opfer von Menschenhandel vom 11. Februar 2019, wonach der Antragstellerin bei einer Rückkehr nach Italien nicht droht, dass sie Opfer von Menschenhandel wird. Dies gilt auch vor dem Hintergrund des nunmehr neuen Vortrags.
b.) Hinsichtlich der vorgebrachten Erkrankungen (Hepatitis B, Wucherungen im Uterusbereich, Myome, Hypermenorrhoe) liegt zudem kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens vor.
Erkrankungen rechtfertigen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127,33). Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlichen schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Neben diese materiellen Kriterien hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Der Ausländer bzw. die Ausländerin muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.
Eine derartige Gefahrenlage ergibt sich aus den vorgelegten Berichten der Dres. med. K. aus Schweinfurt vom 25. September 2019 und des Dr. B. H. vom 16. September 2019 gleichwohl nicht. Vielmehr ist diesen zu entnehmen, dass die Antragstellerin aufgrund der Myome operiert und bei Wohlbefinden nach Hause entlassen wurde. Anzeichen für Malignität bestanden nach ärztlicher Einschätzung zudem nicht. Weitergehender Behandlungsbedarf, insbesondere derart, dass eine Behandlung nicht in Italien, sondern zwingend nur in der Bundesrepublik erfolgen könnte, ergibt sich aus den Berichten nicht. Hinsichtlich der Hepatitis B Infektion wurden bereits keine ärztlichen Atteste vorgelegt und auch seitens der Antragstellerin vorgetragen, es bedürfe derzeit keiner Behandlung. Eine schwerwiegende oder lebensbedrohliche Erkrankung obiger Art ist danach bereits nicht glaubhaft gemacht.
Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht der Antragstellerin bei einer Rückkehr nach Italien auch nicht wegen des vorgebrachten sexuellen Missbrauchs bzw. der Beziehung zu der „Madame“ in Italien. Diesbezüglich ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen.
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.
3. Da die Rechtsverfolgung der Antragstellerin nach Vorstehendem keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, war der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten gemäß § 114 ZPO i.V.m. § 166 VwGO abzulehnen. Dies gilt auch für das Klageverfahren W 8 K 20.30179.


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