Verwaltungsrecht

Abgewiesene Klage im Streit um begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten

Aktenzeichen  RN 3 K 18.31751

Datum:
19.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9608
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AuslG § 51 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Die humanitäre Lage in der Kurdenregion, gerade auch in Städten wie Dohuk, Sulaymaniyah und Erbil, ist nicht derart außergewöhnlich prekär bzw. das Gefährdungsniveau ist nicht derart hoch, dass Art. 3 EMRK beeinträchtigt ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Kläger könnte sich einer etwaigen Blutrache auch dadurch entziehen, dass er sich nicht dauerhaft in der Kurdenregion im Irak niederlässt, sondern beispielsweise in einer arabischen Stadt wie Bagdad. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist in Ziffer II vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Es konnte in Abwesenheit des Klägers und in Anwesenheit seines Prozessbevollmächtigten verhandelt und entschieden werden, zumal in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch bei Ausbleiben eines Beteiligten ohne diesen verhandelt und entschieden werden kann.
Der Kläger war im Termin der mündlichen Verhandlung durch seinen Prozessbevollmächtigten hinreichend vertreten. Dem Vertagungsantrag des Klägervertreters wegen Abwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung war nicht stattzugeben (vgl. Protokoll vom 19.2.2020).
Es ist grundsätzlich Aufgabe der Klägerseite, dafür selbst zu sorgen, wenn der Kläger an der mündlichen Verhandlung teilnehmen will. Die Einzelrichterin ging zum einen davon aus, dass durch den Prozessbevollmächtigten zum Kläger hinreichend Kontakt besteht, nachdem mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 5. Februar 2020 mitgeteilt wurde, dass der Kläger einen Dolmetscher für die Sprache kurdisch-sorani brauche. Der Kläger ist seit 1997 im Bundesgebiet, so dass fraglich war, ob überhaupt noch ein Dolmetscher benötigt wird. Zum anderen durfte die Einzelrichterin davon ausgehen, dass, nachdem das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet war – was dem Klägervertreter auch ersichtlich war -, der Prozessbevollmächtigte dafür Sorge trägt, dass sein Mandant aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) S… zum Termin der mündlichen Verhandlung vorgeführt wird, wenn er eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung wünscht. Die Einzelrichterin durfte erwarten, dass der Prozessbevollmächtigte das Gericht bittet, tätig zu werden, falls die JVA zur Vorführung des Klägers nicht bereit gewesen wäre. Eine solche Bitte erfolgte nicht. Hätte das Gericht eine Vorführung des Klägers veranlasst, wäre ein entsprechender Schriftverkehr dem Klägervertreter zur Kenntnisnahme übersandt worden. Da dies nicht erfolgt ist, konnte der Prozessbevollmächtigte auch nicht davon ausgehen, dass das Gericht die Vorführung des Klägers aus der JVA ohne konkreten Anlass und Aufforderung der Klägerseite von sich aus veranlasst. Eine Erwartungshaltung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, das Gericht werde selbständig für die Vorführung des Klägers aus der JVA S… sorgen, ist weder schlüssig noch wurde sie durch das Gericht begründet oder gefördert. Der Klägervertreter hat sich auch nicht beim Gericht rückversichert, ob das Gericht für die Teilnahme des Klägers an der mündlichen Verhandlung sorgen wird. Der Inhalt des Ladungsschreibens war dem Klägervertreter ebenfalls bekannt. Daher war allein aufgrund der Abwesenheit des Klägers an der mündlichen Verhandlung eine Vertagung nicht geboten. Das rechtliche Gehör der Klägerseite war über den Klägervertreter ausreichend gewährleistet. Zudem hat sich der Kläger persönlich auch schriftlich im Laufe des Klageverfahrens selbst geäußert.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 14. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ergeben würden, sind in Bezug auf die Kläger nicht feststellbar. Dem Kläger droht im Fall der Abschiebung in den Irak keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK. Insbesondere ist die humanitäre Lage in der Kurdenregion, gerade auch in Städten wie Dohuk, Sulaymaniyah und Erbil nach Auffassung der Einzelrichterin nicht derart außergewöhnlich prekär bzw. ist das Gefährdungsniveau nicht derart hoch, dass Art. 3 EMRK beeinträchtigt ist (vgl. BayVGH, B. v. 30.9.2015 – 13 a ZB 15.30063 – juris; VG München, U. v. 13.5.2016 – M 4 K 16.30558 – juris).
Dafür, dass die schlechte humanitäre Lage zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung für den gesamten Irak führen könnte, bestehen keine Erkenntnisquellen. Es kommt ohnehin auf die Herkunftsregion und individuelle Situation des Betroffenen an. Unter Bezugnahme auf ein Urteil des EGMR vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi hat der Bayer. Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 8. Januar 2018 – 20 ZB 17.30839 – u. a. dargelegt, in ganz außergewöhnlichen Fällen könnten auch schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ seien (vgl. auch BayVGH, B. v. 18.1.2019 – 4 ZB 19.30367). Hierbei sind indes auch die individuellen Umstände miteinzubeziehen. Der Kläger ist ein gesunder arbeitsfähiger Mann. Dass er nicht in der Lage sein soll, im Irak seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, erschließt sich nicht. Der Kläger gehört nicht zum besonders vulnerablen Personenkreis. Dass dies generell nicht möglich sei, ergibt sich auch aus dem Positionspapier des UNHCR vom 14. November 2016 nicht.
Substantiierte individuelle Gründe für das Vorliegen einer Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden soll, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Im Übrigen wäre die Sperrwirkung von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei verfassungskonformer Auslegung ausnahmsweise nur dann nicht beachtlich, wenn dem Ausländer auf Grund allgemeiner Verhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit extreme Gefahren drohten. Diese Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung mit der Formulierung umschrieben, eine Abschiebung müsse ungeachtet der Erlasslage ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, B. v. 14.11.2007 – 10 B 47/07 – juris).
Es ergibt sich nicht, dass dem Kläger mangels ersichtlicher Lebensgrundlage in der Heimat landesweit der alsbaldige sichere Hungertod drohen würde.
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts keine Indizwirkung für eine dort herrschende extreme Gefahrenlage i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, bei der in verfassungskonformer Auslegung der Regelungen eine Abschiebungsverbot nach nationalem Recht anzunehmen ist, zukomme. Die für die Reisewarnung maßgeblichen rechtlichen Maßstäbe zur Bewertung der Verfolgungs- und Sicherheitslage sind nicht mit jenen identisch, anhand derer das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu beurteilen ist (BVerwG, B. v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris). Gleiches gilt hinsichtlich der Frage, weshalb eine europäische Auslandsvertretung (Botschaft) geschlossen ist.
Der Kläger hat sich in seiner Klagebegründung zum einen darauf berufen, dass ihm seitens der Verwandtschaft seiner Ex-Frau, die er getötet hat, Blutrache drohe. Zum anderen hat er sich darauf berufen, dass er wegen dieser Tat im Irak, insbesondere wegen des Einflusses der Familie der Ex-Frau erneut verurteilt und mit dem Tode bestraft werde.
Dass im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 2 eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen für den Kläger vorliege bei Abschiebung in den Irak, nämlich dahingehend, dass bei ihm eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung vorliege, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, ist sonach weder vorgetragen noch ersichtlich.
Der Vortrag des Klägers ist nach Einschätzung der Einzelrichterin nicht hinreichend glaubhaft.
Für den Erfolg des Antrags muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Angesichts des typischen Beweisnotstands, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Anspruch auf der Grundlage des § 3 Abs. 4, 1 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei ist es seine Sache, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U. v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – Buchholz § 108 VwGO Nr. 147). An der Glaubhaftmachung fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnisse entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B. v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 – InfAuslR1991, 94, 95; BVerwG, U. v. 30.10.1990 – 9 C 72.89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135).
Die angebliche Blutrache, die ihm bei Rückkehr in den Irak droht, ist vom Kläger lediglich behauptet worden. Sie ist indes nicht schlüssig. Bei der Blutrache geht es um die Rache am „Blut“. Es wäre daher nachvollziehbar und schlüssig, wenn bei Abwesenheit des Klägers die Familie der Ex-Frau männliche Mitglieder der Familie des Klägers anstelle des Klägers dazu heranziehen würden, die Blutrache zu befriedigen, diese verletzt oder tötet. Dass dies auch nur ansatzweise versucht wurde oder gar erfolgt ist, hat der Kläger nicht vorgetragen. Da der Kläger zumindest mit seinem in Österreich befindlichen Bruder nach Aktenlage in Verbindung steht, hätte er von derartigen Ereignissen jedoch ohne weiteres erfahren können. Hierbei erscheint auch nicht nachvollziehbar, dass sich die Familie des Klägers einfach vom Kläger distanzieren habe können. Denn es geht, wie ausgeführt, um die Rache des „Blutes“. Dass diese Linie, die durch das verwandtschaftliche „Blut“ gesichert ist, ohne weiteres, insbesondere bereits durch verbale Äußerungen gekappt werden kann, ist nicht schlüssig. Soweit der Kläger wiederholt ein Schriftstück vorgelegt hat, das im Namen des Gemeinderates und Ältesten eines Stadtteiles der Stadt Qaladze unterzeichnet sein soll und vom 20. November 2018 datiert, hat der Kläger zum einen kein Original vorgelegt. Insofern kann die Echtheit dieses Schriftstücks nicht überprüft werden. Zudem ist es nach der Auskunftslage ohne weiteres im Irak möglich, sich derartige Schriftstücke, ob echt oder gefälscht, gegen Entgelt zu besorgen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak v. 12.1.2019). Dasselbe gilt für das in Kopie mit Schreiben vom 17. Dezember 2019 vorgelegte Schriftstück. Insbesondere liegt auch hiervon nur eine Kopie vor und derartige Schriftstücke können im Irak ohne weiteres besorgt werden. Da der Kläger sich seit Jahren in der JVA Straubing befindet, hat er das Schriftstück vom 20. November 2018 auch nicht aufgrund direkten Kontakts mit dem Ältesten aus der Heimatstadt des Klägers erhalten. Die Einzelrichterin geht vielmehr davon aus, dass er sich dieses über familiäre Verbindungen hat zuschicken lassen. Nach der Kopie des Postumschlages (Anlage zum Schreiben des Klägers vom 3.1.2019 an das Gericht) handelt es sich um eine Person im englisch sprachigen Raum. Der Kläger hat jedoch einmal vorgetragen, er habe lediglich zu seinem Bruder in Österreich Kontakt. Insofern darf auch dieser Vortrag bezweifelt werden. Denn ein Teil seiner Geschwister lebt in Großbritannien (vgl. Urteil des Landgerichts München I v. 11.10.2007, Bundesamtsakte Bl. 5).
Dass tatsächlich ein Ehrenmord am Kläger begangen werden würde, ist für die Einzelrichterin mithin eher abwegig. So ist es, wie ausgeführt, gegenüber der Familie des Klägers bislang nicht zu ernsten Körperverletzungen oder Gefährdungen gekommen. Ehrenmorde innerhalb traditioneller Familien im Irak sind zwar nicht ausgeschlossen, eine allgemein bestehende beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht jedoch nicht, vor allem nicht nachdem der Kläger in der Bundesrepublik seine Strafe verbüßt hat und die Familie des Klägers seit Jahren unbehelligt blieb. Ehrenmorde stellen auch im Irak erkennbar keinen Regelfall dar. Auch ist kein Vergleichsfall belegt.
Die angeblich dem Kläger im Irak drohende Blutrache ist auch deshalb nicht glaubhaft, weil nach der Wertevorstellung, die die Blutrache vorsieht, eher davon auszugehen ist, dass die Ex-Frau des Klägers, die gegen Zahlung von Geld den Kläger nach dem Willen ihrer Familie heiraten musste und den Kläger nicht aus Liebe geheiratet hat (vgl. Urteil des Landgerichts München I v. 11.10.2007, Bundesamtsakte Bl. 6 und 8), durch die Trennung und Scheidung Schande über die Familie gebracht und sich dem Willen des Vaters und der Familie widersetzt hat, den Grund für einen Ehrenmord an ihr gesetzt hat. Schon dass eine Frau sich weigert, einen von der Familie gewählten Mann zu heiraten, stelle nach der Auskunftslage eine unverzeihliche Ehrverletzung dar, die nur durch Tötung der Frau getilgt werden könne; dazu passt auch das Töten durch Verbrennen (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation vom 30.8.2017, S. 114). Der Kläger selbst hat vor Gericht angegeben, dass es sich um eine Frage der Ehre gehandelt und sein Schwiegervater ihn dazu sogar aufgefordert habe (vgl. Urteil des Landgerichts München I v. 11.10.2007, Bundesamtsakte Bl. 16). Entsprechende Äußerungen waren auch Gegenstand der damaligen Presseberichterstattung betreffend den Prozess wegen der Ermordung der Ex-Frau durch den Kläger (s. Anlagen zum Schreiben des Gerichts an die Klägerseite vom 13.2.2020; Welt v. 4.10.2007: „Ehrenmord an Ex-Frau stolz gestanden“ und Stern v. 16.9.2007: „Ehrenmord, jetzt ist sie fällig“). Damit wäre aber die Ehre wiederhergestellt und kein Grund ersichtlich, dass der Kläger nun seinerseits Opfer eines Ehrenmordes würde. Dem steht nicht entgegen, wenn es in anderen Fällen infolge der Tötung einer Frau, die sich vom Ehemann abgewandt hat, zu Blutrache im konkreten Einzelfall gekommen sein mag. Denn dies ist das Ergebnis konkreter Umstände im Einzelfall.
Auch dass seitens der staatlichen Sicherheitsbehörden keinerlei Schutz bei derartigen Familienfehden zu erhalten ist, ergibt sich in dieser Allgemeinheit nicht aus den Erkenntnisquellen, insbesondere dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12 Januar 2019. Jedenfalls außerhalb der Heimatregion der Kläger und damit außerhalb gegebenenfalls bestehender familiärer und gesellschaftlicher Loyalitäten ist davon auszugehen, dass dem Kläger entsprechender Schutz zuteil würde. Eine grundsätzliche Verweigerung polizeilichen und staatlichen Schutzes in Familienangelegenheiten kann danach nicht festgestellt werden (vgl. auch VG Ansbach, U.v. 27.4. 2017 – AN 2 K 16.31358 -, Rn. 18 – 20, juris).
Soweit der Kläger sich darauf beruft, dass er ggf. im Irak erneut wegen der Ermordung seiner Frau verurteilt würde, steht dem wie die Klägerseite selbst ausführt § 14 des irakischen Strafgesetzbuchs bereits entgegen. Dass der irakische Staat an sich Interesse daran haben könnte, den Kläger ein zweites Mal wegen der Ermordung seiner Ex-Frau zu verurteilen, erschließt sich somit nicht. Dass er seitens der Familie der Ex-Frau für deren Tötung nochmals verurteilt würde, weil die Familie ein korruptes irakisches Justizsystem nutzen könnte, ist gemessen an obigen Ausführungen abwegig. Zudem ist der angebliche Einfluss der Familie der Ex-Frau lediglich behauptet aber weder nachvollziehbar noch belegt (vgl. auch VG München, U.v. 19.1.2009 – M 3 K 06.51258, S. 12).
Selbst eine befürchtete Blutrache bzw. der angebliche Einfluss auf die irakische Justiz durch die Familie der Ex-Frau des Klägers stehen einer Rückkehr jedenfalls in einen anderen Teil der Region Kurdistan-Irak nicht entgegen. Es ist nicht erkennbar, warum sich der erwachsene arbeitsfähige Kläger, der nicht auf die Unterstützung der Familie angewiesen sind, nicht in einen anderen Ort der Region Kurdistan-Irak, in der mehrere Millionen Menschen einschließlich vieler Binnenvertriebenen leben, niederlassen könnte, warum er nicht insbesondere in der Anonymität einer der dortigen Großstädte vor Übergriffen der Familie geschützt sein sollen. Dass die Familie der Ex-Frau den Kläger mithilfe von Unterstützern überall aufspüren würde, ist angesichts der Größe und Geographie der Region Kurdistan-Irak nicht zu erwarten, sondern lediglich eine pauschale Behauptung bzw. eine unangemessene und unbegründete Furcht des Klägers, der zu Vernetzung und politischem Einfluss der Familie der Ex-Frau nur pauschale Angaben macht, die keine schlüssigen Behauptungen darstellen. Dass die Familie wie in der Anlage zum Schreiben der Klägerseite vom 17. Dezember 2019 behauptet, mächtig sei, viele hohe Posten in der irakischen bzw. kurdischen Regierung bekleide, großen politischen Einfluss habe, diese alles sind unsubstantiierte Behauptungen, ohne jeglichen Ansatzpunkt der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit. Insbesondere fehlen Angaben dazu, welches Familienmitglied welchen konkreten Posten innehabe, weshalb sie mächtig und politisch einflussreich sein sollten. Im Übrigen wirken die Angaben in der Anlage zum Schreiben der Klägerseite vom 17. Dezember 2019 übersteigert und überzogen.
Davon abgesehen könnte sich der Kläger einer etwaigen Blutrache wie auch Einflüssen der Familie seiner Ex-Frau auf die irakische Justiz auch dadurch entziehen, dass er sich nicht dauerhaft in der Kurdenregion im Irak niederlässt, sondern beispielsweise in einer arabischen Stadt wie Bagdad. Es ergibt sich nicht, dass der Kläger darauf angewiesen ist, in der Region Kurdistan-Irak zu leben. Der Kläger ist ein arbeitsfähiger Mann. Es ist ihm zuzumuten, für sich alleine im Irak ggf. in Bagdad oder im Zentralirak seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Der Einzelrichterin ist aus anderen Verfahren bekannt, dass Kurden einerseits ihre Familien im Irak in der Region Kurdistan belassen haben und andererseits in der Metropole Bagdad ihren Lebensunterhalt verdienen. Auf diese Weise könnte der Kläger vor etwaigen Nachstellungen einer nach (Blut-)rache sinnenden Familie entgehen. Denn es ist nicht schlüssig, dass deren Arm, selbst wenn sie in der Region Kurdistan-Irak Einfluss haben sollten, in die arabischen Gebiete des Iraks reicht, die nicht der kurdischen Zentralregierung unterstellt sind. Daher scheint zudem ausgeschlossen, dass der Kläger in den Bereichen außerhalb Kurdistan-Iraks von der Familie der Ex-Frau aufgespürt werden könnte und dort der Blutrache anheimfallen würde bzw. dass eine Familie, selbst mit gewissen Einfluss in Kurdistan-Irak, die Justiz außerhalb der Region Kurdistan-Irak in irgendeiner Weise beeinflussen könnte.
Sollte es sich um eine sonstige angebliche Rachehandlung der Familie der Ex-Frau handeln, gelten vorstehende Ausführungen, insbesondere zur innerstaatlichen Wohnsitznahme bzw. Ausweichmöglichkeiten im Irak und zum Schutz durch staatliche Sicherheitsbehörden und Polizei in gleicher Weise.
Eine Beweiserhebung war nicht veranlasst. Hinsichtlich der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge wird auf das Protokoll vom 19. Februar 2020 Bezug genommen.
Nach alldem ist der Kläger zum einen nicht hinreichend glaubhaft, zum anderen würde er bei Rückkehr in den Irak nicht „gleichsam sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert. Zudem wird durch die Überstellung in den Irak auch Art. 3 EMRK nicht verletzt.
Im Übrigen wird auf den Bescheid des Bundesamts Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Klage war nach alldem abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.


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