Verwaltungsrecht

Ablehnung der Gestattung des Auszuges aus der Gemeinschaftsunterkunft

Aktenzeichen  W 1 K 18.31806

Datum:
8.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28886
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 53 Abs. 1 S. 1
BayAufnG Art. 4 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5

 

Leitsatz

1 § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BayAufnG erfasst als zum Auszug berechtigte Personen nur minderjährige Kinder, nicht aber auch die volljährigen Geschwister. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein begründeter Ausnahmefall nach § 4 Abs. 5 BayAufnG ist neben den gesetzlich explizit formulierten Ausnahmefällen auch dann anzunehmen, wenn die persönlichen Interessen des Ausländers das öffentliche Interesse an der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft deutlich überwiegen, wobei es sich um Sachverhalte handeln muss, die ein ähnliches Gewicht wie die vom Gesetzgeber selbst geregelten Ausnahmefälle aufweisen müssen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO). Der Klageantrag ist nach § 88 VwGO dergestalt auszulegen, dass der Kläger über die Aufhebung des ablehnenden Bescheides hinaus die Verpflichtung des Beklagten zur Gestattung des Auszuges aus der Gemeinschaftsunterkunft begehrt. Das so ausgelegte Klagebegehren ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Gestattung zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft und einer privaten Wohnsitzname nach § 53 Abs. 2 AsylG bzw. Art. 4 Abs. 3, Abs. 5 AufnG. Vielmehr erweist sich der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 21. August 2018 als rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 AsylG soll ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat und nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Diese Voraussetzungen sind beim Kläger erfüllt, da über seinen Asylantrag vom 11. April 2016 noch nicht rechtskräftig entschieden ist und eine Verpflichtung zur Wohnsitznahme in einer Aufnahmeeinrichtung nicht mehr gegeben ist. Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 AufnG sollen Personen im Sinne des Art. 1 AufnG, d.h. Personen die nach § 1 AsylblG leistungsberechtigt sind, in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Der Kläger ist nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt, da er aufgrund des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens im Besitz einer Aufenthaltsgestattung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylblG, § 55 Abs. 1 AsylG ist. Aufgrund dessen trifft den Kläger im seinem aktuellen Verfahrensstadium die Verpflichtung, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen.
2. Diese Verpflichtung hat im Falle des Klägers ersichtlich nicht nach § 53 Abs. 2 AsylG geendet, da dem Kläger kein in dieser Norm genannter Schutzstatus zuerkannt wurde, sondern seine Asylklage vielmehr (erstinstanzlich) abgewiesen wurde.
3. Der Kläger ist darüber hinaus nicht zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufnG berechtigt. Danach ergibt sich eine regelhafte Auszugsberechtigung für Familien mit mindestens einem minderjährigen Kind oder Alleinerziehende mit mindestens einem minderjährigen Kind nach Abschluss des behördlichen Erstverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wenn die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und wenn durch den Ausländer eine anderweitige Unterkunft nachgewiesen wird, deren Aufwendungen den angemessenen Umfang nicht übersteigen und der Auszug mindestens zwei Monate vorher der zuständigen Behörde angezeigt wird.
Die Auslegung des Gesetzes ergibt insoweit, dass von dieser zum Auszug berechtigenden Ausnahmevorschrift neben minderjährigen Kindern (wie vorliegend der Schwester des Klägers) nicht auch die volljährigen Kinder umfasst sind. Dies ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts bereits mit Blick auf Art. 4 Abs. 3 Satz 3 AufnG, wonach Familie im Sinne des Satzes 1 Nr. 1 die Lebensgemeinschaft von zwei Personen ist, die die Personensorge ausüben. Durch das alleinige Abstellen auf den Begriff der Ausübung der Personensorge, die bei volljährigen Kindern nicht mehr zum Tragen kommt, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nur minderjährige Kinder in den Anwendungsbereich dieser Norm einbeziehen wollte. Dies erscheint auch vor dem Hintergrund sachgerecht, dass allein der Kreis der minderjährigen Kinder in besonderer Weise schutzbedürftig und auf den gemeinsamen Auszug mit den Personensorgeberechtigten angewiesen ist (vgl. in diese Richtung auch BayVGH, B.v. 24.7.2012 – 21 CE 12.30234 – juris). Überdies liegt das dargelegte Verständnis der Norm auch systematisch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 AufnG nahe, wonach ein begründeter Ausnahmefall zur Gestattung des Auszugs insbesondere dann vorliegt, wenn Ehepartner oder Eltern und ihre minderjährigen Kinder über unterschiedliche ausländerrechtliche Status verfügen und mindestens eine Person aufgrund ihres Aufenthaltsstatus zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft berechtigt ist. Denn wenn nach dieser Vorschrift allein minderjährige Kinder – als begründeter Ausnahmefall und nach entsprechender Ermessensausübung – aus einer Gemeinschaftsunterkunft ausziehen dürfen, wenn sie selbst oder ihre Eltern hierzu berechtigt sind, so wäre es gesetzessystematisch nicht nachvollziehbar, wenn nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Vorschrift bereits ein regelhafter Auszug auch für volljährige Kinder bereits nach Abschluss des behördlichen Erstverfahrens – und damit in der Regel zeitlich früher und ohne dass wenigstens ein Familienmitglied aufgrund seines zuerkannten Schutzstatus auszugsberechtigt ist – möglich wäre. Für dieses Normverständnis spricht schließlich auch § 53 Abs. 2 Satz 3 AsylG, der für das Ende der Verpflichtung, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, für das Bundesrecht auf § 26 Abs. 2 AsylG verweist, wonach nur minderjährige Kinder neben ihren Eltern zum Auszug berechtigt sind. Dass der bayerische Gesetzgeber vorliegend eine weitergehende Regelung treffen wollte, lässt sich nach Überzeugung des Gerichts weder dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 AufnG noch der einschlägigen Gesetzesbegründung (LT-Drs. 16/10612) entnehmen.
Die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufnG liegen ersichtlich ebenfalls nicht vor, nachdem seit dem Abschluss des behördlichen Erstverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 10. März 2017 noch nicht vier Jahre vergangen sind.
4. Darüber hinaus ergibt sich ein Anspruch auf Gestattung zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft auch nicht aus § 4 Abs. 5 AufnG. Hiernach kann in begründeten Ausnahmefällen die zuständige Behörde den Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft gestatten. Die Frage, ob der Regelfall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG oder ein begründeter Ausnahmefall nach Art. 4 Abs. 5 AufnG vorliegt, ist dabei eine tatbestandliche Rechtsfrage, die der vollen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. Denn bei der Voraussetzung „begründeter Ausnahmefall“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der für die Behörde keinen Beurteilungsspielraum enthält, sondern aufgrund der gegebenen Umstände des Einzelfalls nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist. Im Vordergrund stehen dabei die vom Betroffenen geltend gemachten persönlichen Interessen, die gegen einen Umzug in eine bzw. für einen Auszug aus einer Gemeinschaftsunterkunft sprechen und die das vom Gesetzgeber in Art. 4 Abs. 1 AufnG als Regelfall typisierte öffentliche Interesse an der Unterbringung dieses Personenkreises in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft deutlich überwiegen müssen. Deshalb betont auch die Begründung zu Art. 4 AufnG (vgl. LT-Drs. 14/8632, S. 6), dass die Nichtunterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft, nicht zuletzt aus Kostengründen, die absolute Ausnahme darstellen muss (vgl. BayVGH, U.v. 23.1.2009 – 21 BV 08.30134 – juris).
Zunächst liegt keiner der gesetzlich explizit geregelten begründeten Ausnahmefälle nach § 4 Abs. 5 Satz 2 AufnG vor. Zu den dortigen Nrn. 1 – 3 ist kein entsprechender Klägervortrag erfolgt bzw. anderweitig ersichtlich. Auch Nr. 4 ist vorliegend nicht einschlägig, wonach ein begründeter Ausnahmefall dann vorliegt, wenn Ehepartner oder Eltern und ihre minderjährigen Kinder über unterschiedliche ausländerrechtliche Status verfügen und mindestens eine Person aufgrund ihres Aufenthaltsstaates zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft berechtigt ist. Zwar sind hier die Eltern des Klägers und dessen minderjährige Schwester zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft berechtigt, jedoch beschränkt die gesetzliche Regelung in Ziffer 4. die Berechtigung zum Auszug explizit auf die minderjährigen Kinder (vgl. oben), sodass der volljährige Kläger hiervon nicht profitieren kann.
Bei den in § 4 Abs. 5 Satz 2 AufnG gesetzlich niedergelegten begründeten Ausnahmefällen handelt es sich – wie aus der Verwendung des Begriffs „insbesondere“ ersichtlich wird – um keine abschließende Aufzählung. Ein begründeter Ausnahmefall ist vielmehr auch dann anzunehmen, wenn – wie bereits ausgeführt – die persönlichen Interessen des Klägers das öffentliche Interesse an der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft deutlich überwiegen. Hierbei sind die gesetzlich explizit formulierten Ausnahmefälle in dem Sinne mit zu berücksichtigen, dass es sich um Sachverhalte handeln muss, die ein ähnliches Gewicht wie die vom Gesetzgeber selbst geregelten Ausnahmefälle aufweisen müssen (vgl. auch LT-Drs. 16/10612, S. 8).
Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Soweit der Kläger in seinem Antrag auf Auszug vorgetragen hat, dass er erst 23 Jahre alt sei (richtig wohl 22 Jahre) und noch niemals alleine ohne seine Eltern gelebt habe, weshalb für ihn die Unterstützung durch seine Eltern weiterhin wichtig sei, so stellt dies keinen begründeten Ausnahmefall dar. Vielmehr ist es im Gegenteil die Regel, dass junge Volljährige den elterlichen Haushalt verlassen und eigenständig leben. Dass dies dem Kläger aus individuellen Gründen nicht möglich ist, hat dieser weder vorgetragen noch ist dies ansonsten ersichtlich. Ohne dass es vor diesem Hintergrund von Rechts wegen noch hierauf ankäme, sei überdies erwähnt, dass die Eltern des Klägers nach Mitteilung des Beklagten eine Wohnsitzverpflichtung auf den Landkreis M. erhalten haben, weshalb vor diesem Hintergrund weiterhin familiäre Unterstützungsmöglichkeiten und Besuche in diesem räumlichen Nahbereich realistisch möglich sind. Zudem hat der Kläger mit seinem ebenfalls in der Gemeinschaftsunterkunft wohnhaften Bruder auch einen familiären Anknüpfungspunkt, der gegenseitige Unterstützung zusätzlich ermöglicht. Auch der weitergehende Klagevortrag, wonach der Kläger die Berufsintegrationsklasse der Berufsschule besuche und seinen Schulabschluss machen wolle, stellt in seinem Gewicht keinen begründeten Ausnahmefall dar, da eine Vielzahl von in staatlichen Gemeinschaftsunterkünften wohnhaften Asylbewerbern von dort aus einer schulischen Ausbildung nachgehen. Der Kläger kann seine begonnene Schulausbildung nach Überzeugung des Gerichts trotz der Verpflichtung, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, von dort aus weiter verfolgen. Dies wird auch nicht etwa dadurch konterkariert, dass der Kläger weiter angegeben hat, dass er durch die Lärmbelästigung in der Unterkunft nicht gut schlafen und nicht für seine Schulausbildung lernen könne. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist das Gericht davon überzeugt, dass die Geräuschbelastung im vorliegenden Fall kein solches Ausmaß annimmt, dass die Wohnsitzverpflichtung die schulische Ausbildung des Klägers in unzumutbarer Weise erschweren oder gar unmöglich machen würde. Im hiesigen Zusammenhang ist zunächst zu beachten, dass der Gesetzgeber mit der Verpflichtung zur Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft eine grundsätzlich höhere Geräuschbelastung als bei einem privaten Wohnen, die sich regelmäßig etwa durch das engere Zusammenleben und die häufig große Zahl von untergebrachten Personen ergeben wird, in Kauf genommen hat. Insoweit handelt es sich diesbezüglich um den Regelfall und nicht um einen begründeten Ausnahmefall. Dass vorliegend eine im Einzelfall darüber hinausgehende unzumutbare Lärmbelästigung vorliegen würde, lässt sich demgegenüber nicht feststellen. Vielmehr hat der Beklagte plausibel und glaubhaft dargelegt, dass sich die Geräuschbelastung in der Gemeinschaftsunterkunft in O. bereits dadurch in Grenzen halte, dass die Bewohner in eigenen, abgetrennten Wohnungen für 4-5 Personen untergebracht seien, die zudem gegenüber den Nachbareinheiten über eine Schalldämmung verfügten. Es handelt sich demzufolge um kleine, überschaubare Wohneinheiten, die bereits durch die bauliche Abtrennung vor Geräuschbelastungen durch Bewohner in den anderen Wohneinheiten Schutz bieten. In der Unterkunft lebten darüber hinaus hauptsächlich Familien und aus der angrenzenden Nachbarschaft in dem betreffenden Wohngebiet gebe es kaum Beschwerden über Lärm, was das Gericht in der Gesamtschau in der Überzeugung bestärkt, dass in der Gemeinschaftsunterkunft keine unzumutbar lauten Zustände herrschen. Unabhängig von vorstehenden Ausführungen lässt sich ein begründeter Ausnahmefall überdies vorliegend auch durch dem Kläger mögliche und zumutbare eigene Abhilfemaßnahmen ausschließen, etwa durch die Benutzung von Ohropax o.ä. (welche sich der Kläger auch zumutbar aus seinen AsylblG-Leistungen beschaffen kann) bzw. durch die Ansprache der verursachenden Mitbewohner, erforderlichenfalls auch unter Einschaltung der Hausverwaltung.
Nachdem bereits das Tatbestandsmerkmal eines begründeten Ausnahmefalls hier nicht vorliegt, besteht auch kein Raum für eine Ermessensausübung. Vielmehr war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben, da es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2016 – 21 C 16.30043 – juris).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben