Verwaltungsrecht

Ablehnung des Antrags auf Berufungszulassung einer Familie aus der Ukraine

Aktenzeichen  11 ZB 17.30327

Datum:
5.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 107804
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 154 Abs. 2
EMRK Art. 3
AsylG § 77 Abs. 2, § 78 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Geltendmachung der Kläger, sie seien staatenlos und es sei daher fraglich, ob das ukrainische Gesetz zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge vom 19. November 2014 (IDP-Gesetz) für sie gelte und ob sie in den Genuss von Sozialleistungen kommen könnten, da sie nicht registriert gewesen seien, begründet nicht den Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, da es um die persönliche Situation der Kläger geht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die tatsächliche (und rechtliche) Situation von Familien, die aus dem Osten der Ukraine kommen, kann nicht “grundsätzlich“ geklärt werden, sondern es kommt auf den konkreten Einzelfall an.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 7 K 16.30541 2016-12-12 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die am … … … geborene Klägerin zu 1 und ihre vier Kinder (geboren in den Jahren 2000, 2006 und 2013) begehren die Anerkennung als Asylberechtigte, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung von subsidiärem Schutz oder die Feststellung von Abschiebungshindernissen.
Nach eigenen Angaben ist die Klägerin zu 1 armenische Volkszugehörige und lebte seit dem Jahr 1984 in der Ukraine, ohne einen ukrainischen Pass zu besitzen. Seit dem Jahr 1996 habe sie mit dem Kläger im Parallel-Verfahren 11 ZB 17.30326 zusammen gewohnt. Die Kläger zu 2 bis 5 sind die gemeinsamen Kinder der Klägerin zu 1 und dem Kläger im Verfahren 11 ZB 17.30326. Am 16. Juli 2015 reiste die gesamte Familie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 18. November 2015 Asylanträge. Die Klägerin zu 1 gab bei ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) an, sie habe von 2011 bis 2014 mit ihrer Familie in der Stadt Avdeevka in der Nähe von Donezk gelebt. Danach habe sie bis zu ihrer Ausreise bei Bekannten in Orlovka gewohnt. Sie habe Torten gebacken und diese auf dem Markt verkauft. Der Grund für die Ausreise sei gewesen, dass sie keine Papiere gehabt und als Ausländer Schwierigkeiten bekommen hätten. Ihr Lebensgefährte sei öfters verhaftet worden, weil er keine Papiere hatte. Er sei von der Polizei geschlagen worden und habe Straftaten anderer auf sich nehmen müssen. Die Kinder seien auf der Straße beschimpft worden. Im Oktober 2014 seien Personen in militärischer Kleidung bei ihnen eingebrochen und ihr Lebensgefährte sei geschlagen worden. Danach seien sie nach Orlovka umgezogen. Dort sei ihnen nichts zugestoßen, es sei nur ständig geschossen worden.
Mit Bescheid vom 22. April 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Asylanerkennung ab, erkannte subsidiären Schutz nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nicht vorliegen. Die Kläger wurden unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Eine an ein asylrelevantes Merkmal geknüpfte Verfolgungshandlung hätten sie nicht vorgetragen. In der Ostukraine herrsche zwar ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Es könne aber kein Gefährdungsgrad für Zivilpersonen angenommen werden, der eine erhebliche individuelle Gefahr darstelle. Das Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, liege weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt. Darüber hinaus stehe ihnen eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Sie könnten sich in den übrigen, von der ukrainischen Regierung kontrollierten Landesteilen niederlassen. Sie hätten vor ihrer Ausreise auch schon eine Zeit in einem anderen Ort gelebt. Abschiebungsverbote seien ebenfalls nicht ersichtlich. Schlechte humanitäre Verhältnisse könnten nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzusehen sein. Nach den Feststellungen des Auswärtigen Amts im Lagebericht sei die Grundversorgung für Rückkehrer knapp ausreichend. Binnenvertriebene aus den von Separatisten kontrollierten Gebieten könnten auch Leistungen in den anderen Landesteilen erhalten. Zudem gebe es Hilfsorganisationen, die humanitäre Hilfe leisteten.
Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 12. Dezember 2016 abgewiesen. Die Kläger hätten keine Verfolgungsgründe glaubhaft gemacht. Sie seien entweder ukrainische Staatsangehörige oder hätten als Staatenlose ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine gehabt. Es sei ihnen zuzumuten, sich in einem anderen Teil der Ukraine niederzulassen. Mit dem ukrainischen Gesetz zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge vom 19. November 2014 (IDP-Gesetz) stehe eine Rechtsgrundlage zur Verfügung, die die Registrierung, Versorgung und Unterbringung gewährleiste. Ukrainische Staatsbürger, Ausländer, Staatenlose und Flüchtlinge, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz in der Ukraine haben, hätten auch Anspruch auf soziale Unterstützung seitens des Staates. Darüber hinaus wurde nach § 77 Abs. 2 AsylG auf den Bescheid verwiesen.
Dagegen wenden die Kläger sich mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung. Sie machen geltend, die Berufung sei zuzulassen, da ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestünden. Es sei fraglich, ob das ukrainische Gesetz zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge vom 19. November 2014 auf sie anwendbar sei, da sie staatenlos seien. Sie hätten sich nicht rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten und sich behördlich dort nie gemeldet. Sie hätten auch vor ihrer Flucht keinen rechtmäßigen Wohnsitz in der Ukraine gehabt. Deshalb könnten sie auch nicht in andere Landesteile ausweichen. Dort könne wegen der fehlenden Papiere auch nicht von der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausgegangen werden. Ernstliche Zweifel ergäben sich auch daraus, dass das Urteil sich pauschal den Ausführungen des Bundesamts anschließe und sich mit den Gegenargumenten nicht näher beschäftigte.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils in § 78 Abs. 3 AsylG nicht vorgesehen und dessen Geltendmachung daher nicht beachtlich ist.
Mit der Begründung des Zulassungsantrags ist auch keiner der in § 78 Abs. 3 AsylG genannten Berufungszulassungsgründe hinreichend dargelegt.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass eine im Zulassungsantrag darzulegende konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Eine solche Frage lässt sich dem Zulassungsantrag nicht entnehmen.
Soweit die Kläger geltend machen, sie seien staatenlos und es sei daher fraglich, ob das ukrainische Gesetz zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge vom 19. November 2014 (IDP-Gesetz) für sie gelte und ob sie in den Genuss von Sozialleistungen kommen könnten, da sie nicht registriert gewesen seien, kann diesem Vortrag keine grundsätzliche Fragestellung entnommen werden, sondern es geht um die persönliche Situation der Kläger. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt, dass die Kläger staatenlos sind, sondern hat diese Frage offen gelassen, da es nach Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht auf die Staatsangehörigkeit, sondern auf den gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine ankam. Auch der Vortrag der Kläger, sie seien in der Ukraine nicht registriert gewesen, erscheint widersprüchlich. Gemäß dem von ihnen selbst in das Verfahren eingeführten „Länderinformationsblatt Ukraine“ des Bundesamts und der Internationalen Organisation für Migration vom August 2013 ist in der Ukraine sowohl für die Aufnahme einer Arbeit als auch für die medizinische Behandlung eine Registrierung erforderlich. Die Kläger zu 2 bis 5 sind in der Ukraine geboren, in die Schule gegangen und dort teilweise auch ärztlich behandelt worden. Wie dies entgegen den Auskünften im Länderinformationsblatt ohne Registrierung möglich gewesen soll, haben sie nicht näher dargelegt. Darüber hinaus ist die Klägerin zu 1 arbeitsfähig, hat bisher durch den Verkauf von Torten zum Lebensunterhalt der Familie beigetragen und ihr Lebensgefährte konnte sogar noch Ersparnisse zum geplanten Kauf eines Grundstücks bilden. Es erscheint daher möglich, dass die Klägerin zu 1 bei einer Rückkehr in die Ukraine gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie wieder selbst erwirtschaften kann.
Unabhängig davon kann die tatsächliche (und rechtliche) Situation von Familien, die aus dem Osten der Ukraine kommen, nicht „grundsätzlich“ geklärt werden, sondern es kommt auf den konkreten Einzelfall an. Es lässt sich zum einen nicht allgemein die Aussage treffen, dass alle Binnenflüchtlinge oder bestimmte Gruppen davon in der Ukraine von „Separatisten“ oder Nationalisten politisch verfolgt werden, ohne dass ihnen eine inländische Fluchtalternative zu Verfügung stehen würde. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass die allgemeine Situation der Binnenflüchtlinge in der Ukraine oder bestimmter Gruppen von Binnenflüchtlingen ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen könnte, weil ihnen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Nach dem „Länderinformationsblatt Ukraine“ stehen in der Ukraine neben dem IDP-Gesetz auch noch andere Sozialleistungen (Soziale Unterstützung, Kindergeld, Unterstützung für Senioren und alleinstehende Frauen, Alters-, Behinderten- und Hinterbliebenenrenten, Arbeitslosenunterstützung sowie Obdachlosenunterstützung) zur Verfügung. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. Februar 2017 (Lagebericht) ist die Grundversorgung für Rückkehrerinnen und Rückkehrer knapp ausreichend, die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist gesichert (Lagebericht, S. 15). Zusätzlich werden Binnenflüchtlinge nach der Erkenntnislage auch von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen sowie dem UNHCR und deren Unterorganisation OCHA unterstützt (Auskunft der Auswärtigen Amts vom 21.1.2015 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Die Kläger haben auch keine Erkenntnismittel genannt, aus denen sich ergibt, dass Rückkehrern aus der Ostukraine in die von der Regierung kontrollierten Gebiete eine unmenschliche Behandlung drohe. Die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 16. März 2016 beschreibt nur die Aufstockung der humanitären Hilfe für bedürftige Menschen in der Ukraine, enthält aber keine Aussage dazu, ob dort trotz der humanitären Hilfe unmenschliche Bedingungen herrschen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben