Verwaltungsrecht

Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet

Aktenzeichen  B 9 K 17.30330

Datum:
17.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 51618
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 17. Dezember 2018 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der angefochtene Bescheid vom 26. Januar 2017*ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter noch auf Zuerkennung internationalen Schutzes. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die Anträge auf Asylanerkennung und internationalen Schutz ferner zu Recht als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt.
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (§ 3c Abs. 1 Nr. 2 AsylG) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Abs. 1 Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt Folgendes:
Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft muss sich das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (EU-Qualifikations-RL) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird.
Es obliegt dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Das Gericht schließt sich diesbezüglich zunächst den zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid an (§ 77 Abs. 2 AsylG). Auch in der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, lediglich aufgrund der besseren medizinischen Versorgung seiner Parkinsonerkrankung nach Deutschland gekommen zu sein. Hier gebe es die beste Medizin und die besten Ärzte (vgl. S. 2 der Niederschrift). Eine Verfolgung des Klägers aus einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe ist daher nicht ansatzweise ersichtlich.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Es fehlt schon offensichtlich an den inhaltlichen Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG. Auf die vorstehenden Ausführungen zum Flüchtlingsschutz wird verwiesen.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die Gefahr eines ernsthaften Schadens kann nicht nur vom Staat drohen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keiner Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist, weil er dort Zugang zu Schutz vor einem solchen ernsthaften Schaden i.S.d. § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG).
Hinsichtlich des Klägers scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes offensichtlich schon deshalb aus, da er, wie oben bereits ausgeführt, bei seiner Anhörung und auch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich angegeben hat, allein aus medizinischen Gründen nach Deutschland gekommen zu sein. Auch insoweit ist also nicht im Ansatz erkennbar, weshalb ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG drohen sollte.
4. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen des Gerichts ist es dementsprechend auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den Asylantrag sowie die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat. Nach § 30 Abs. 1 AsylG ist ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Aufgrund der einschneidenden Rechtsfolgen kann eine solche Evidenzentscheidung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann getroffen werden, wenn die Aussichtslosigkeit des Asylbegehrens auf der Hand liegt (vgl. BverfG B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris; Heusch in BeckOK Ausländerrecht, 20. Edition, Stand 20.11.2018, § 30 AsylG Rn.14 m.w.N.). Der vom Kläger bei seiner Anhörung und in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Grund, warum er nach Deutschland gekommen sei – nämlich die besseren medizinischen Behandlungsmöglichkeiten – ist, wie oben dargestellt, mangels eines Ansatzpunktes für die Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal offensichtlich nicht geeignet, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr zu begründen.
5. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird ebenfalls zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
a) Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Russischen Föderation führen nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Der Kläger ist zwar an Parkinson erkrankt, gestaltet sein Leben jedoch noch weitgehend selbstständig (vgl. S. 2 der Niederschrift). Er verfügt zudem über familiäre Bindungen in der Russischen Föderation. Seine Eltern, sein Bruder und seine Schwester leben in St. Petersburg, sodass bei einer Rückkehr in Notsituationen von einer Unterstützung im Rahmen des Familienverbundes auszugehen ist. Insbesondere hat der Kläger auch vor seiner Ausreise bereits drei Jahre bei seinem Bruder gelebt (vgl. S. 2 der Anhörungsniederschrift). Überdies hat die Russische Föderation ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation – Stand 7.5.2018; S. 101 ff.). Auch hier kann der Kläger ggf. auf Unterstützungsleistungen zurückgreifen. Die hohen Voraussetzungen für die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind daher schon im Ansatz nicht erfüllt.
b) Dem Kläger droht auch wegen seines Gesundheitszustandes keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach der Rechtsprechung ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris). Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat wesentlich verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Darüber hinaus kann sich – trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung – das Abschiebungsverbot aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung mit einzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer wesentlichen Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ genügt jedoch nicht die bloße theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr entspricht der Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dem asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr für „diesen Ausländer“ das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten oder erheblichen Gefährdungssituation statuiert (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris; VG Bayreuth, U.v. 8.8.2018 – B 7 K 17.33133 – juris).
Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene schwerwiegende Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Von einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes gesprochen werden, sondern nur bei außergewöhnlichen schweren physischen oder psychischen Schäden oder Zuständen. Dies stellt auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG klar, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt. Insbesondere ist es gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation mit der der Versorgung in Deutschland vergleichbar ist (vgl. zum Ganzen auch VG Bayreuth, U.v. 25.01.2018 – B 7 K 17.31917 – juris und VG Bayreuth, U.v. 8.8.2018 – B 7 K 17.33133 – juris).
Die geltend gemachte Parkinsonerkrankung des Klägers erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass eine wesentliche Verschlechterung einer schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung alsbald nach der Rückkehr in die Russische Föderation droht.
Die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation wird zwar nicht dem Standard in Deutschland entsprechen, dennoch besteht auch für das Gericht kein ernstlicher Zweifel daran, dass hieraus für den Kläger eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben entsteht.
Nach dem im Verfahren vorgelegten Attest von Dr. med. … vom 10. Oktober 2018 wurde als Diagnose festgestellt: Primäres Parkinson-Syndrom mit schwerster Beeinträchtigung und Angabe von Wirkungsfluktuation (G20.21), neurogene Darmstörung (K59.2G) und organische Halluzinose (F06.0). Da es sich bei der Parkinsonerkrankung um eine chronische Systemerkrankung des zentralen Nervensystems handele, werde mit einer Zunahme der Symptomatik und einer sich daraus resultierenden Notwendigkeit einer Anpassung der medikamentösen Therapie/ Verordnung Krankengymnastik (kurzfristig) ergeben. Im zeitlichen Verlauf könnten weitere Therapieoptionen notwendig werden, wie zum Beispiel die Tiefenhirnstimulation oder Versorgung mit L-Dopa oder Morphinpumpe. Mit solchen Änderungen sei nicht kurz-, jedoch möglicherweise mittel-, sicher jedoch langfristig zu rechnen. Pflegebedürftigkeit liege zum aktuellen Zeitpunkt nicht vor. Bei Fortschreiten der Erkrankung sei möglicherweise damit zu rechnen. Dem Patienten könnten für eine Überbrückungszeit (z.B. bis zu drei Monate) Medikamente verschrieben werden, diese könnten mitgegeben werden.
Durch die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen wird nicht dargetan, dass sich die beim Kläger vorliegende Parkinsonerkrankung im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen Gefahr für Leib oder Leben führen würde. Der Kläger ist vielmehr auf eine Behandlung in der Russischen Föderation zu verweisen.
Die medizinische Versorgung in Russland ist auf einfachem Niveau und nicht überall ausreichend. Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten wie Moskau und St. Petersburg vorhanden (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 21.5.2018 – 508-516.80/3 RUS – S. 21).
Seit dem 01.01.2011 gibt es in der Russischen Föderation ein Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Im Rahmen dieser Versicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird. Davon umfasst sind Notfallhilfe und ambulante sowie stationäre Behandlung (vgl. International Organization for Migration – Länderinformationsblatt Russische Föderation – Juni 2014 – S. 8.). Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und dazu die folgenden Dokumente vorlegen: Identifikationsdokument (bei Erwachsenen Reisepass oder vorläufiger Ausweis) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung ist kostenfrei (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation – Stand 7.5.2018; S. 106), für die Beiträge kommt bei der nichtarbeitenden Bevölkerung der Staat auf (vgl. Handelsblatt: Gesundheitssysteme weltweit – Russland – http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/gesundheitssysteme-weltweit-russlandueberbleibsel-aus-sowjetzeiten/19579606-6.html). Wenn eine Behandlung in einer Region nicht möglich ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, in welcher die Behandlung vorgenommen werden kann, überwiesen wird (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation – Stand 7.5.2018; S. 111 m.w.N.).
Dem Kläger können im Falle einer Abschiebung die jeweils aktuell erforderlichen Medikamente für einen Übergangszeitraum von drei Monaten zur Verfügung gestellt werden (vgl. Attest von Dr. … vom 10.10.2018, Schreiben der ZAB Oberfranken vom 5.12.2018). Die in der mündlichen Verhandlung angesprochene erforderliche regelmäßige Anpassung der Medikamente steht dem nicht entgegen, da selbst der behandelnde Arzt davon ausgeht, dass eine Mitgabe der Medikamente für einen Zeitraum von drei Monaten möglich ist (vgl. Attest von Dr. … vom 10.10.2018) und auch der Kläger in der mündlichen Verhandlung angab, maximal alle zwei bis drei Monate seinen Arzt aufzusuchen und in diesem Zuge neue Medikamente verschrieben zu bekommen. Die Einnahme der Medikamente muss ferner nicht ärztlich überwacht werden, vielmehr nimmt der Kläger seine Medikamente auch momentan eigenständig ein (vgl. S. 2 der Niederschrift, Attest von Dr. … vom 10.10.2018).
Der Kläger ist – nach eigenen Angaben und den Angaben des behandelnden Arztes – auch nicht pflegebedürftig. Er tätigt beispielsweise seine Erledigungen, zieht sich selbstständig an und bereitet sich einfache Mahlzeiten selbst zu (vgl. S. 2 f. der Niederschrift). Aus dem vorgelegten Gutachten vom 10. Januar 2018 ergibt sich nichts anderes, dort wird als Prognose vielmehr festgehalten, dass gerade kein Pflegegrad vorliege und mittelfristig auch nicht mit einer pflegegradrelevanten Änderung zu rechnen sei.
Der Kläger kann sich folglich – nötigenfalls mit Unterstützung seiner Angehörigen – bei einer Rückkehr nach Russland wieder um Aufnahme in die obligatorische Krankenversicherung bemühen, um Zugang zur Behandlung seiner Erkrankung zu erhalten. Der medikamentöse Übergangszeitraum wurde mit drei Monaten auch ausreichend lange bemessen, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, seinen russischen Inlandspass bei der Mutter abzuholen bzw. einen vorläufigen Ausweis zu beantragen und anschließend den Antrag auf Aufnahme in die Krankenversicherung zu stellen.
Für etwaige Medikamentenkosten müssen alle russischen Staatsbürger generell selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist. Eine der Erkrankungen, die Patienten berechtigt, Medikamente kostenlos zu erhalten, ist Parkinson (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation – Stand 7.5.2018; S. 117). Der Einwand, dass dem Kläger die finanziellen Mittel fehlten, greift daher nicht.
Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind auch keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt.
6. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatbestimmung (Äthiopien) im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn er ist, wie oben ausgeführt, weder als Flüchtling bzw. Asylberechtigter anzuerkennen, noch steht ihm ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu. Er besitzt auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
Hinsichtlich der Ausreisefrist wird auf § 37 Abs. 2 AsylG verwiesen.
7. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, liegen nicht vor.
8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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