Verwaltungsrecht

Ablehnung des Erlasses einer eA: Zulässigkeit eines strikten Rauchverbots in Gaststätten gem dem bayerischen “Gesetz zum Schutz der Gesundheit” (Gesundheitsschutzgesetz – juris: GesSchG BY 2010) – hier: Rauchverbot auch für sog Shisha-Bars

Aktenzeichen  1 BvQ 23/10

Datum:
2.8.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Ablehnung einstweilige Anordnung
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2010:qk20100802.1bvq002310
Normen:
Art 12 Abs 1 GG
Art 2 Abs 1 GG
Art 3 Abs 1 GG
§ 32 Abs 1 BVerfGG
§ 90 BVerfGG
Art 2 Nr 8 GesSchG BY 2010
Art 3 Abs 1 S 1 GesSchG BY 2010
Art 6 Abs 1 S 2 GesSchG BY 2010
Spruchkörper:
1. Senat 2. Kammer

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen das Rauchverbot in bayerischen Gaststätten.

2
1. Am 1. August 2010 ist das durch einen Volksentscheid beschlossene neue bayerische Gesetz zum Schutz der Gesundheit (Gesundheitsschutzgesetz
– GSG) vom 23. Juli 2010 (BayGVBl S. 314) in Kraft getreten. Es sieht ein striktes Rauchverbot für alle Gaststätten im Sinne
des Gaststättengesetzes (GastG) vor (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 2 Nr. 8 GSG).

3
Das neue Gesetz entspricht im Wesentlichen der ursprünglichen Fassung des Gesundheitsschutzgesetzes vom 20. Dezember 2007
(BayGVBl S. 919). Die mit Wirkung zum 1. August 2009 in dieses Gesetz aufgenommenen Ausnahmeregelungen für Bier-, Wein- und
Festzelte und für getränkegeprägte kleine Einraumgaststätten sind ebenso entfallen wie die zur gleichen Zeit geschaffene Möglichkeit,
Rauchernebenräume einzurichten. Beibehalten hat der Gesetzgeber aber eine Änderung des Anwendungsbereichs des Gesetzes. Die
ursprüngliche Fassung galt nur für Gaststätten im Sinne des Gaststättengesetzes, “soweit sie öffentlich zugänglich sind”.
Dieser Halbsatz wurde 2009 gestrichen und ist auch nicht in das neue Gesetz aufgenommen worden.

4
2. Der Antragsteller ist Inhaber einer Gaststätte. Diese betreibt er in Form eines Bistros, in dem er vor allem Wasserpfeifen
zum Rauchen anbietet. Nach Angaben des Antragstellers kommen mindestens 95 % seiner Gäste, um Wasserpfeife zu rauchen. Die
Gaststätte besteht aus einem Raum mit einer Größe von 70 m
2 . Ausweislich einer früheren Verfassungsbeschwerde gegen das Gesundheitsschutzgesetz vom 20. Dezember 2007 (1 BvR 1431/08)
ist der Antragsteller türkischer Staatsangehöriger.

5
3. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung macht der Antragsteller eine Verletzung seiner Rechte aus Art.
2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 und Art. 20 Abs. 3 GG geltend. Er trägt vor, dass er seine Gaststätte schließen müsste,
wenn das Rauchverbot in Kraft träte. Die früher zumindest nach der bayerischen Verwaltungspraxis bestehende Möglichkeit, einen
Raucherclub zu betreiben, sei weggefallen. Ihm sei es auch nicht möglich, das Konzept seiner Gaststätte umzustellen; im Übrigen
würde eine Umstellung einige Zeit in Anspruch nehmen. Wegen der offenen Verbindlichkeiten drohe ihm die Insolvenz. Deshalb
stelle sich die Frage, ob von Verfassungs wegen nicht zumindest eine Übergangsregelung oder ein finanzieller Ausgleich für
besonders belastete Gaststätteninhaber geboten wären.

II.
6
Der Antrag hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Gemäß § 32
Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall – auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache
– einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender
Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Eine einstweilige Anordnung darf jedoch
nicht ergehen, wenn sich das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren als unzulässig oder als offensichtlich unbegründet
erweisen würde (vgl. BVerfGE 92, 130 ; 103, 41 ). So liegt es hier. Es kann dahinstehen, ob der Erlass einer einstweiligen
Anordnung schon deshalb ausscheidet, weil das angegriffene Gesetz bei Antragstellung noch nicht im Bayerischen Gesetz- und
Verordnungsblatt verkündet worden war (vgl. BVerfGE 11, 339 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Mai 2010 –
2 BvR 987/10 -, NJW 2010, S. 1586 ; Beschluss des Zweiten Senats vom 9. Juni 2010 – 2 BvR 1099/10 -, WM 2010, S. 1160
). Jedenfalls wäre eine Verfassungsbeschwerde unbegründet.

7
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem Urteil vom 30. Juli 2008 entschieden, dass der Gesetzgeber von Verfassungs
wegen nicht gehindert ist, dem Gesundheitsschutz gegenüber den damit beeinträchtigten Freiheitsrechten, insbesondere der Berufsfreiheit
der Gastwirte und der Verhaltensfreiheit der Raucher, den Vorrang einzuräumen und ein striktes Rauchverbot in Gaststätten
zu verhängen (vgl. BVerfGE 121, 317 ). Auf dieser Grundlage hat es auch das Gesundheitsschutzgesetz vom 20. Dezember
2007 in seiner ursprünglichen Fassung, der das hier angegriffene Gesetz weitestgehend entspricht, ausdrücklich gebilligt (vgl.
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. August 2008 – 1 BvR 3198/07, 1 BvR 1431/08 -, NJW 2008, S. 2701).

8
Insoweit gilt – was der Antragsteller nicht in Zweifel zieht – für das Rauchen von Wasserpfeifen nichts anderes als für andere
Formen des Tabakrauchens. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, diese Form des Rauchens ebenfalls in das Rauchverbot
einzubeziehen (vgl. dazu LTDrucks 15/8603, S. 10). Angesichts des Einschätzungsspielraums, der dem Gesetzgeber zusteht, wenn
er zur Verhütung von Gefahren für die Allgemeinheit tätig wird (vgl. BVerfGE 121, 317 m.w.N.), ist es verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden, dass der Landesgesetzgeber auch den beim Rauchen von Wasserpfeifen entstehenden Tabakrauch in der Umgebungsluft
als Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung ansieht (vgl. dazu Deutsches Krebsforschungszentrum, Wasserpfeife – die süße
Versuchung ; Bundesinstitut für Risikobewertung, Ausgewählte Fragen und Antworten zu Wasserpfeifen, Aktualisierte
FAQ des BfR vom 1. Mai 2009 ).

9
Entscheidet sich der Gesetzgeber wegen des hohen Rangs der zu schützenden Rechtsgüter für ein striktes Rauchverbot in allen
Gaststätten im Sinne von § 1 GastG, so darf er dieses Konzept konsequent verfolgen und muss sich auch nicht auf Ausnahmeregelungen
für solche Gaststätten einlassen, bei denen – wie bei so genannten Shisha-Bars – das Rauchen Teil des gastronomischen Konzepts
ist. Auch die besondere Belastung des Antragstellers begründet keine verfassungsrechtlichen Zweifel am strikten Rauchverbot.
Zwar kann ein die Berufsfreiheit beschränkendes Gesetz, das als solches dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht,
insoweit gegen Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, als bei der Regelung Ungleichheiten nicht berücksichtigt
wurden, die typischerweise innerhalb der betroffenen Berufsgruppe bestehen. Dies ist anzunehmen, wenn Gruppenangehörige nicht
nur in einzelnen, aus dem Rahmen fallenden Sonderkonstellationen, sondern in bestimmten, wenn auch zahlenmäßig begrenzten
typischen Fällen ohne zureichende sachliche Gründe verhältnismäßig stärker belastet werden als andere (vgl. BVerfGE 77, 84
m.w.N.). Der Gesetzgeber kann dann gehalten sein, den unterschiedlichen Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung durch
Härteregelungen oder weitere Differenzierungen wie Ausnahmetatbestände Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 34, 71 ). Auch
wenn für den Antragsteller, der sich als ausländischer Staatsangehöriger für seine Berufstätigkeit auf die Verhaltensfreiheit
(Art. 2 Abs. 1 GG) berufen kann (vgl. BVerfGE 104, 337 ), das Gleiche gelten mag, bedarf es vorliegend keiner Entscheidung,
ob Gaststätten, die überwiegend auf das Rauchen von Wasserpfeifen ausgerichtet sind, die beschriebenen Voraussetzungen einer
besonderen Betroffenheit erfüllen (vgl. in diesem Zusammenhang VerfGH Saarland, Urteil vom 1. Dezember 2008 – Lv 2/08 u.a.
-, Bl. 20 ff. des Umdrucks; VerfGH Berlin, Beschluss vom 11. Juli 2008 – 93 A/08 -, juris). Denn eine stärkere Belastung von
Inhabern bestimmter Arten von Gaststätten – bis hin zur Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz – ist angesichts der für
alle Gaststätten geltenden Regelung durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt, weshalb weder Ausnahme- noch Härteregelungen
erforderlich sind (vgl. BVerfGE 121, 317 ).

10
An der vom Antragsteller ebenfalls geltend gemachten Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) ist das Rauchverbot nicht zu messen
(vgl. BVerfGE 121, 317 ).


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