Verwaltungsrecht

Ablehnung einer Beschäftigungserlaubnis wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten

Aktenzeichen  Au 6 K 17.346

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 15 Abs. 2 Nr. 6, § 61 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Die Ablehnung einer Beschäftigungserlaubnis nach § 61 Abs. 2 AsylG ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Asylbewerber sein Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung eines Identitätspapiers (hier: Tazkira) verletzt. (Rn. 24 – 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Neuverbescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Erlaubnis für die Ausübung einer Beschäftigung nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG, da die Ermessensentscheidung des Beklagten nicht rechtswidrig ist und ihn nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis für die Ausübung einer Beschäftigung ist § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG, da der Kläger Asylbewerber im laufenden, noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen Asylverfahren ist.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuverbescheidung, da die Ermessensentscheidung des Beklagten zu § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht zu beanstanden ist.
Nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG kann einem Asylbewerber, der sich seit drei Monaten gestattet im Bundesgebiet aufhält, die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist.
Der Kläger hält sich seit April 2014 als Asylbewerber im laufenden Asylverfahren nach § 55 i.V.m. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG gestattet im Bundesgebiet auf, also mehr als drei Monate. Er stammt auch nicht aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne von § 29a Abs. 2 AsylG und ist nicht schon deshalb nach § 61 Abs. 2 Satz 4 AsylG von einer Beschäftigungserlaubnis ausgeschlossen. Die Entscheidung steht somit im Ermessen des Beklagten.
a) Der Beklagte hat zunächst zutreffend im Ermessens Weg berücksichtigt, dass die Identität des Klägers nach wie vor ungeklärt ist.
Alle Daten zu seiner Person beruhen auf seinen Angaben; objektive Beweise hierfür liegen nicht vor. Er ist nicht nur ohne Pass und damit unter Verstoß gegen die nach § 3 AufenthG grundsätzlich für alle Ausländer im Bundesgebiet geltende Passpflicht eingereist, sondern er hat auch bis heute keinen Pass oder sonst ein gültiges Identitätsdokument vorgelegt. Zwar hat er zwischenzeitlich eine Tazkira beigebracht, deren physikalisch-technische Urkundenuntersuchung jedoch ergeben hat, dass es sich hierbei um eine nichtamtliche Ausstellung handelt. Auf die vom Kläger in der Vergangenheit gemachten, möglicherweise widersprüchlichen oder zumindest missverständlichen Angaben zum Dokumentenbesitz kommt es hingegen nicht mehr an, da der Beklagten insbesondere auch auf Grund der Vorlage der möglicherweise verfälschten Tazkira an seiner Ermessensentscheidung festhält.
b) Der Beklagte hat auch zutreffend im Ermessens Weg berücksichtigt, dass der Kläger bisher bei der Klärung seiner Identität nicht hinreichend mitgewirkt hat. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG ist der Kläger im Fall des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers – wie hier der vom Beklagten geforderten Tazkira – mitzuwirken.
aa) Dies gilt bereits im laufenden Asylverfahren, anderenfalls liefe die Regelung des § 15 AsylG leer.
Die Regelung des § 15 AsylG ist auch nicht wegen Verstoßes gegen Unionsrecht unwirksam oder einschränkend auszulegen. Dem Kläger ist nicht unzumutbar, sich mit Behörden seines Herkunftsstaates in Verbindung zu setzen. Die Unzumutbarkeit ergibt sich im Fall des Klägers nicht aus der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABI EU Nr. L 180 S. 60). Art. 30 dieser Richtlinie sieht vor, dass keine Informationen über einen Antragsteller an Stellen weitergeben werden, die den Antragsteller seinen Angaben zufolge verfolgt oder ihm einen ernsthaften Schaden zugefügt haben bzw. dass gegenüber solchen Stellen keine Informationen in der Weise eingeholt werden, die diesen Stellen unmittelbar zur Kenntnis bringen würde, dass der betreffende Antragsteller einen Antrag gestellt hat, und die die körperliche Unversehrtheit des Antragstellers oder der von ihm abhängigen Personen oder die Freiheit und Sicherheit seiner noch im Herkunftsstaat lebenden Familienangehörigen in Gefahr bringen würde.
Diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht erfüllt. Mit der Aufforderung zur Beschaffung einer Tazkira wird ihm nichts aufgegeben, das seinen Verfolgern über seinen Verbleib Auskunft geben könnte. Erstens hat der Beklagte weder selbst Informationen an solche Stellen weitergegeben, noch dem Kläger eine solche Informationsweitergabe abverlangt. Ausweislich der Belehrung vom 10. Oktober 2016 hat er den Kläger lediglich aufgefordert, sich – wie der Kläger kurz danach einräumte, angeblich bei seinen Eltern verbliebene – Originalpapiere über seine Eltern, sonstige Verwandte, Bekannte, öffentliche Stellen wie Schulen und Ämter oder einen Vertrauensanwalt zu besorgen. Diese Personen haben den Kläger seinem Vorbringen zu Folge nicht verfolgt oder gefährdet. Zweitens ist dem Kläger die Kontaktaufnahme mit dem afghanischen Generalkonsulat oder anderen staatlichen Stellen nicht unzumutbar, denn aus dem eigenen Vorbringen des Klägers insbesondere im Verfahren vor dem Bundesamt ergeben sich keine Verfolgung oder Zufügung eines ernsthaften Schadens durch staatliche Stellen in Afghanistan; Grund für seine Ausreise sei eine private Fehde seines Vaters mit seinem Onkel gewesen (Behördenakte Blatt 121 f.).
bb) Als zumutbare Mitwirkung an der Beschaffung eines Identitätspapiers gilt weiter, in der den Bestimmungen des deutschen Passrechts, insbesondere den § 6 und § 15 PassG, entsprechenden Weise an der Ausstellung mitzuwirken und die Behandlung eines Antrags durch die Behörden des Herkunftsstaats nach dessen Recht zu dulden, sofern dies nicht zu einer unzumutbaren Härte führt. Dies gilt erst recht entsprechend, wenn – wie hier – nicht die Beschaffung eines Passes verlangt wird, sondern nur einer Tazkira. Zumutbar ist es danach insbesondere, in einem Antrag alle Tatsachen anzugeben, die zur Feststellung der Identität der Person und seiner Eigenschaft als Staatsangehöriger seines Herkunftsstaats notwendig sind und die entsprechenden Nachweise zu erbringen (vgl. zur Passbeschaffung BayVGH, B.v. 14.4.2014 – 10 C 12.498 – juris Rn. 8 m.w.N.). Die Zumutbarkeit beurteilt sich darüber hinaus nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 9), wobei der Ausländer an allen Handlungen mitwirken muss, die die Behörden zulässigerweise von ihm verlangen. Die behördlichen Hinweise müssen so gehalten sein, dass für den Ausländer hinreichend erkennbar ist, welche Schritte er zu unternehmen hat; ein bloßer allgemeiner Verweis auf bestehende Mitwirkungspflichten oder die Wiedergabe des Gesetzestextes wird diesen Anforderungen nicht gerecht. In aller Regel ist die Behörde angesichts ihrer organisatorischen Überlegenheit und sachlichen Nähe, ihrer Kontakte und Kenntnisse besser in der Lage, die bestehenden Möglichkeiten zu erkennen und die entsprechenden Schritte in die Wege zu leiten. Daher hat in erster Linie die Ausländerbehörde nach Möglichkeiten für die Beseitigung von Hindernissen zu suchen. Der Ausländer ist aber auch gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen. Eine Grenze bildet dabei die Frage, welche Möglichkeiten ihm bei objektiver Betrachtungsweise bekannt sein können. Der Ausländer und die Behörde müssen sich gemeinsam um die Beseitigung von Hindernissen kümmern; ihre Pflichten stehen in einem Verhältnis der Wechselseitigkeit. Keine Seite kann von der anderen verlangen, dass diese allein sich um die Beseitigung bestehender Hindernisse bemüht (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2011 – 19 C 11.1664 – juris Rn. 6).
cc) Ausgangspunkt für die Ermessenserwägungen des Beklagten sind die bisher nicht geklärte Identität des Klägers und dessen fehlende (bzw. später nicht zielführende) Mitwirkung hierzu. Auch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG) konnte der Kläger keine hinreichenden Mitwirkungshandlungen, zur Identitätsklärung glaubhaft machen. Die bisherigen Bemühungen waren nicht zielführend. Die Beschaffung einer gefälschten Tazkira trägt nicht zur Identitätsklärung bei und ist als Mitwirkungshandlung nicht hinreichend.
Der Beklagte hat den Kläger über die Verpflichtung zur Beschaffung eines Identitätspapiers belehrt. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2016 hat er den Kläger informiert, dass er versuchen müsse, sich Originaldokumente über seine Eltern, sonstige Verwandte, Bekannte, öffentliche Stellen wie Schulen und Ämter oder einen Vertrauensanwalt zu besorgen. Diesen Weg hat der Kläger nicht beschritten. Weder hat er sein in Afghanistan zurückgelassenes Originaldokument holen und sich schicken lassen – was möglicherweise am fehlenden Kontakt zu seinen Eltern scheiterte –, noch hat er beim Generalkonsulat ein Originaldokument beantragt.
Stattdessen hat der Kläger seinen Angaben zu Folge einen dritten, ihm vom Beklagten aber nicht aufgezeigten Weg gewählt. Er hat einen Freund in Afghanistan um die Beschaffung einer Tazkira gebeten, der sich an eine örtliche Stelle dort gewandt hat. Es lag demnach in der Risikosphäre des Klägers, dass die „vereinfachte“ Dokumentenbeschaffung nicht erfolgsversprechend i.S. einer ordnungsgemäßen Mitwirkung zur Identitätsklärung sein könnte.
Nach Überzeugung des Gerichts bestehen nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch Zweifel hinsichtlich der Aussage des Klägers, er habe die fehlende Echtheit der vorgelegten Tazkira nicht erkannt. Der Kläger ist wohl selbst davon ausgegangen, dass es sich um eine neue Ausfertigung handelte. Nachdem er zu Beginn der mündlichen Verhandlung noch angegeben hatte, nicht gewusst zu haben, ob es sich bei der Tazkira um eine bereits vorhandene oder um eine neu ausgestellte handelte (Protokoll über die mündliche Verhandlung S. 2 und 4), gab er im weiteren Verlauf auf Nachfrage des Bevollmächtigen über den Ort der Beantragung an, sein Freund habe sich deswegen an den Bezirksvorstand gewendet und er habe dem Freund kein Foto für die Tazkira geschickt, dieser hätte Bilder aus der Schulzeit gehabt (Protokoll über die mündliche Verhandlung S. 5). Auch lassen die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung den Schluss zu, dass er durchaus gewisse Kenntnisse über die Anforderungen an eine Tazkira hatte. So könne nach seinen Angaben beim Fehlen einer Dokumentennummer eine Zweitschrift einer Tazkira vorliegen.
Nachdem der Kläger die Registernummer des Familienbuchs auf dem Dokument mit der (sich seit mehreren Jahren lediglich im Kopf) gemerkten Nummer verglichen haben will, ist es wenig plausibel, dass ihm dabei das mit einer neuen Ausfertigung nicht in Einklang zu bringende abgedruckte Ausfertigungsdatum 2012 (welches sich eine Zeile darunter befand) oder die fehlende Dokumentennummer nicht aufgefallen wären und sich ihm hierdurch keine Zweifel bzgl. der Ordnungsmäßigkeit der Ausstellung ergeben hätten. Der Kläger hat sich mit dem Inhalt der Tazkira auseinandergesetzt. Dabei hat er erkannt, oder hätte von seinem Kenntnishorizont aus jedenfalls erkennen können und müssen, dass es sich nicht um eine amtliche Ausfertigung handeln konnte, die zur Klärung seiner Identität benötigt wird. Die ordnungsgemäße Beantragung einer Tazkira beim Afghanischen Generalkonsulat wäre geboten gewesen. Die bisherigen Bemühungen des Klägers waren folglich nicht hinreichend, um den Vorwurf der unzureichenden Mitwirkung zu entkräften.
dd) Eine hinreichende Mitwirkung läge voraussichtlich in der Beauftragung einer Tazkira beim afghanischen Generalkonsulat im dort vorgesehenen Verfahren mit anschließender Vorlage an den Beklagten.
Zum hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt ist dies dem Kläger auch bekannt, der in der mündlichen Verhandlung angab, auf Rat seines Bevollmächtigten nun kurzfristig oben genannten Weg zu beschreiten. Die Beantragung einer Tazkira erfordert in diesem Zusammenhang nicht zwingend die persönliche Anwesenheit des Klägers in Kabul. In einem Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg (U.v. 12.7.2017 – Au 6 K 17.535 – juris Rn. 42) wurde hierzu festgestellt: Das Generalkonsulat in München leitet den Antrag an das Innenministerium in Kabul weiter, das den Antrag prüfe und die Tazkira ausstelle. Die Tazkira müsse dann vom Bevollmächtigen abgeholt und dem Außenministerium in Kabul (oder dessen Außenstellen in Herat, Mazar e-Sharif, Kundus, Nangahar/Jalalabad und Kandahar) zur Beglaubigung vorgelegt werden. Mit dieser dem Antragsteller nach Deutschland übersandten Tazkira könne im Original dann auch ein Reisepass in Deutschland beantragt werden.
c) Die Ermessensentscheidung ist auch nicht zu beanstanden, soweit sie dem öffentlichen Interesse an der Identitätsklärung den Vorrang einräumt gegenüber seinen bisherigen Erwerbsbemühungen sowie der vom Kläger angeführten Anerkennungsquote afghanischer Schutzsuchender. Der Beklagte hat hierbei auf den, konkret den Kläger betreffenden, ablehnenden Bundesamtsbescheids abgestellt. Und selbst außerhalb des Asylverfahrens bliebe er nach § 48 Abs. 3 AufenthG zur Mitwirkung an der Beschaffung eines Identitätspapiers verpflichtet.
Daher war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b i.V.m. § 61 AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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