Verwaltungsrecht

Ablehnung einer Gruppenverfolgung in Bezug auf sunnitische Bevölkerungsgruppe im Irak

Aktenzeichen  20 ZB 17.30988

Datum:
29.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3082
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1. Abs. 4

 

Leitsatz

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH weisen die Verfolgungshandlungen, denen die sunnitische Bevölkerungsgruppe im Irak ausgesetzt ist, die für die Annahme einer asylrechtsrelevanten Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte nicht auf. Auch unter Würigung des Einsatzes der schiitisch dominierten Volksmobilisierungseinheiten (PMU) bei der Rückeroberung der mehrheitlich sunnitisch bevölkerten Gebiete unter Kontrolle des IS in jüngerer Zeit lässt sich die notwendige Verfolgungsdichte nicht erkennen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Mossul liegt infolge der Beendigung der Kämpfe um die Stadt kein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt mehr vor. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 3 K 16.33500 2017-05-16 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 16. Mai 2017 (Az. RO 3 K 16.33500) ist unzulässig, jedenfalls aber unbegründet, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt wurde bzw. nicht vorliegt.
1. Der Kläger macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG geltend. Dieser Zulassungsgrund liegt jedoch nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war sowie ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist – Klärungsfähigkeit – und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist – Klärungsbedürftigkeit (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Klärungsbedürftig sind nur Fragen, die nicht ohne weiteres aus dem Gesetz zu lösen sind oder durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts oder des Berufungsgerichts geklärt sind (Happ, a.a.O., Rn. 38).
Als grundsätzlich bedeutsam wirft der Kläger die Frage auf,
„ob einem irakischen Staatsangehörigen mit kurdischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit, eine allein an seinem Glauben anknüpfende Verfolgung in der Gestalt von Gefahren für Leib oder Leben sowie in der Gestalt von Vertreibung im gesamten Irak droht.“
Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil sie bereits durch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geklärt ist. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppen-angehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, U.v. 31.4.2009 – 10 C 11.08 – AuAS 2009, 173; U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – NVwZ 2007, 590; U.v. 18.7.2006 – 1 C 15.05 – BVerwGE 126, 243). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen geklärt, dass die Verfolgungshandlungen, denen die sunnitische Bevölkerungsgruppe im Irak ausgesetzt ist, die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte nicht aufweist (U.v. 14.12.2010 – 13a B 10.30084 – juris; B.v. 15.8.2011 – 20 B 11.30217– juris). Der Umfang der Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter, die an die sunnitische Religionszugehörigkeit anknüpfen, rechtfertigt in der Relation zu der Größe dieser Gruppe nicht die Annahme einer alle Mitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung. Die irakische Bevölkerung setzt sich zu 60 bis 65 Prozent aus arabischen Schiiten, zu 17 bis 22 Prozent aus arabischen Sunniten und zu 15 bis 20 Prozent aus (überwiegend sunnitischen) Kurden zusammen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017, S. 7). Bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 36 Mio. Einwohnern (vgl. www.auswaertiges-amt.de – Länderinfos Stand März 2017) würde das bedeuten, dass 5,4 bis 7,2 Mio. sunnitische Kurden im Irak im oben geschilderten Sinn als Gruppe verfolgt würden. Für eine solche Annahme gibt es nicht annähernd ausreichende Hinweise. Der Senat verkennt bei dieser Einschätzung nicht, dass im Irak teilweise erhebliche Spannungen entlang der Konfessionslinien innerhalb der irakischen Bevölkerung bestehen, die in Einzelfällen auch zu Bedrohungen, Verletzungen und Todesfällen aufgrund der konfessionellen Zugehörigkeit, insbesondere der zum sunnitischen Islam, geführt haben. Hintergrund dieser Vorfälle ist vor allem in jüngerer Zeit auch der Einsatz der schiitisch dominierten Volksmobilisierungseinheiten (PMU) bei der Rückeroberung der – mehrheitlich sunnitisch bevölkerten – Gebiete unter Kontrolle des IS (vgl. Wille, EASO, Practical Cooperation Meeting on Iraq, held on 25. bis 26. April 2017 in Brussels, S. 13/14). Diese gehen verbreitet willkürlich gegen die vorgefundene oder in die rückeroberten Gebiete zurückkehrende sunnitische Bevölkerung vor, allerdings ist auch deren Vorgehen kein flächendeckendes Vorgehen gegen Sunniten zu entnehmen, vielmehr handelt es sich immer noch, betrachtet man die Gruppe der Sunniten im Irak, um Einzelfälle. Dementsprechend lässt sich auch unter Würdigung dieser neueren Entwicklung die für eine Gruppenverfolgung der kurdisch-sunnitischen Bevölkerung im Irak notwendige Verfolgungsdichte nicht erkennen.
2. Soweit der Kläger im Übrigen geltend macht, ihm drohe ein ernsthafter Schaden aufgrund eines bewaffneten Konfliktes, bezieht sich dieses Vorbringen nicht auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG, sondern auf das mit seiner Klage hilfsweise geltend gemachte subsidiäre Schutzbegehren gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Insoweit hat der Kläger jedoch schon keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, weshalb es an den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG fehlt. Im Übrigen liegt im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 698) in der maßgeblichen Herkunftsregion des Klägers, Mossul, infolge der Beendigung der Kämpfe um Mossul kein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt mehr vor (vgl. dazu ausführlich BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 20 ZB 17.30667 – juris Rn. 7 ff.), sodass die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Frage der Gefahrendichte nicht mehr klärungsbedürftig ist. Unerheblich ist insoweit, dass das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Gefahrenprognose auf die Provinz Dohuk abgestellt hat, obwohl sich der Kläger dort nach eigenen Angaben lediglich zwischen Juli 2015 und seiner Ausreise aus dem Irak im September 2015 (Bl. 39/40 der BA-Akte), also nur etwa 3 Monate lang aufgehalten hat (vgl. dazu BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – juris Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 [Elgafaji]; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris). Denn der Kläger greift auch die Feststellung des Verwaltungsgerichts (UA S. 5), dass dort derzeit die für eine individuelle Gefahr im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG erforderliche Gefahrendichte nicht vorliege, nicht substantiiert an.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.
Mit dieser Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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