Verwaltungsrecht

Ablehnung eines Antrags auf Zulassung der Berufung mangels Erfüllung der Darlegungsanforderungen

Aktenzeichen  23 ZB 21.30355

Datum:
1.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7393
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 77 Abs. 2, § 78 Abs. 3, Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Ob äthiopischen Kindern bei einer Rückkehr in das Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Körperstrafen drohen, da diese Strafen vom Staat zugelassen werden bzw. nicht wirksam unter Strafe gestellt werden, zielt auf die nicht verallgemeinerungsfähige Frage ab, ob zu Gunsten des Klägers ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot festzustellen ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 7 K 20.30614 2021-02-02 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Klägerbevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) sowie eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) liegen nicht vor bzw. sind nicht in einer Weise dargelegt worden, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
1. Der Zulassungsantrag legt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete und gleichzeitig verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, zweitens ausführt, aus welchen Gründen diese klärungsfähig ist, also für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war, und drittens erläutert, aus welchen Gründen sie klärungsbedürftig ist, mithin aus welchen Gründen die ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 17.30487 – juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 36. EL, Februar 2019, § 124a Rn. 102 ff.). Die Grundsatzfrage muss zudem anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig, dass der Rechtsmittelführer die Materie durchdringt und sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2020 – 23 ZB 20.32360 – Rn. 3 m.w.N.).
1.1. Soweit die Klägerseite zunächst grundsätzlich geklärt wissen möchte,
„ob äthiopischen Kindern bei einer Rückkehr in das Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Körperstrafen drohen, da diese Strafen vom Staat zugelassen werden bzw. nicht wirksam unter Strafe gestellt werden, so dass die Abschiebung zumindest nach § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig wäre“,
genügt das klägerische Vorbringen den vorgenannten Anforderungen nicht.
a) Die Klägerseite hat insoweit schon keine verallgemeinerungsfähige Frage formuliert, die Grundlage einer Grundsatzrüge sein könnte. Die formulierte Frage zielt darauf ab, zu Gunsten des Klägers ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot festzustellen. Die Frage, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot besteht oder nicht, kann nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden, in denen sich die Person nach Rückkehr befinden wird (vgl. zu § 60 Abs. 5 AufenthG: BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11 a.E.; vgl. zu § 60 Abs. 7 AufenthG: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38). Dazu gehören etwa das Alter, das Geschlecht, der Gesundheitszustand, die Ausbildung, die finanziellen Verhältnisse sowie die familiäre Situation und sonstige Netzwerke (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2020 – 21 ZB 119.32508 – juris Rn. 4; B.v. 9.1.2020 – 20 ZB 18.32705 – juris Rn. 5 ff.; OVG Saarl, B.v. 9.3.2020 – 2 A 158/19 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 9.1.2020 – 20 ZB 18.32705 – juris Rn. 5 ff.).
b) Abgesehen davon fehlt es auch an der für eine Grundsatzrüge erforderlichen Aufarbeitung. Die Klägerseite hat im Wesentlichen vorgetragen, dass im vorliegenden Fall der Gesichtspunkt des Kindeswohls besonders zu berücksichtigen sei, da der Kläger dem Schutzbereich der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) unterfalle. Bei einer Rückkehr des Klägers nach Äthiopien wäre das Kindeswohl gefährdet, da körperliche Bestrafung in Äthiopien sowohl im familiären Umfeld als auch in der Schule bzw. Ausbildung üblich sei (unter Verweis auf „Global Initiative to End All Corporal Punishment of Children in Ethiopia“, Dezember 2019). Eine solche Erziehung verstoße jedoch gegen die KRK und die Empfehlungen des UNO-Kinderrechtsausschusses. Kinder, die Körperstrafen erleiden, fühlten sich oft wertlos, abgelehnt und schuldig. Auf der neurologischen Ebene habe schon nachgewiesen werden können, dass Körperstrafen durch den Stress, den sie verursachten, die Entwicklung und die Funktion des Gehirns negativ beeinflussten. Körperliche Züchtigungen an Kindern seien eine besondere Art der Demütigung und stellten daher eine erniedrigende Behandlung dar. Körperstrafen erhöhten das Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen bei betroffenen Kindern. Kinder, die geschlagen würden, hätten ausweislich einer US-Studie aus dem Jahr 2009 einen geringeren IQ, so dass die körperliche Bestrafung verhängnisvolle Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung habe (unter Verweis auf: Artikel aus der Welt “Das sind die Folgen eines gewalttätigen Erziehungsstils“ vom 9.2.2017; Artikel aus der Welt “Prügelstrafe schlägt bei Kindern auf die Intelligenz“ vom 28.9.2009; Auskunft von humanrights.ch aus dem Jahr 2018, „Körperstrafen – Die Schweiz sträubt sich gegen ein Verbot“). Körperstrafen von Kindern, die vom Staat zugelassen bzw. nicht wirksam unter Strafe gestellt und bekämpft würden, erfüllten sowohl den Tatbestand des § 4 AsylG als auch des § 60 Abs. 5 AufenthG, da sie eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellten.
Mit diesem Vortrag wiederholt die Klagepartei allerdings lediglich ihr erstinstanzliches Vorbringen. Insoweit fehlt es an jeder Auseinandersetzung mit den entscheidungserheblichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht hat unter Auseinandersetzung mit den genannten, von der Klagepartei bereits erstinstanzlich angeführten Erkenntnisquellen eine Schutzgewährung wegen einer dem Kläger drohenden körperlichen Bestrafung abgelehnt, da dies die gegenwärtige Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung des Klägers in Gestalt eines beachtlichen, ernsthaften Risikos voraussetze und die bloße Möglichkeit des Gefahreneintritts hierfür nicht ausreichend sei. Dass dem Kläger im Elternhaus bzw. vom Elternhaus ausgehend eine körperliche Bestrafung drohe, sei schon im Ansatz nicht nachvollziehbar dargelegt, zumal die Eltern des Klägers in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt hätten, dass sie ihren Sohn nicht schlagen würden. Es bestehe zudem keine beachtliche gegenwärtige Gefahr, dass der Kläger im Kindergarten oder in der Schule körperlich bestraft werde. Hinsichtlich der Gewalt im Kindergarten sei es bei einer bloßen, abstrakten Behauptung geblieben, die in keiner Weise substantiiert worden sei. Hinsichtlich der Gewalt in der Schule stehe zum einen für den Kläger ein Schulbesuch aufgrund seines Alters von zwei Jahren ohnehin gegenwärtig noch nicht an. Zum anderen habe nicht überzeugend dargelegt werden können, dass gerade dem Kläger in der Schule in mehreren Jahren eine körperliche Bestrafung mit der notwendigen Intensität drohe. Im Übrigen erscheine schon fraglich, ob jedwede körperliche Bestrafung im Elternhaus bzw. in der Schule bereits eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG darstelle. In diesem Zusammenhang müsse nämlich auch berücksichtigt werden, dass nach dem äthiopischen Strafgesetzbuch eine körperliche Bestrafung in Form einer Disziplinarmaßnahme durch Eltern oder andere Personen mit ähnlichen Verantwortlichkeiten zum Zwecke der ordnungsgemäßen Erziehung nicht verboten sei und in anderen Ländern – beispielsweise in der Schweiz – körperliche Züchtigungen im Rahmen der Familie nicht als physische Gewalt betrachtet werde, wenn sie ein gewisses, von der Gesellschaft akzeptiertes Maß nicht überschreite und die Bestrafung nicht allzu häufig wiederholt werde (vgl. hierzu auch „Körperstrafen – Die Schweiz sträubt sich gegen ein Verbot“, Abrufbar unter humanrights.ch). Auch nach Auffassung des Gerichts könne nicht jedwede körperliche Bestrafung (kleinere Ohrfeige, Klaps auf den Hintern, etc.) für ein Fehlverhalten des Kindes als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG behandelt werden. Weiterhin sei nicht einmal ansatzweise dargelegt worden, warum es dem Kläger mit seinen Eltern – falls es tatsächlich zu einer körperlichen Bestrafung mit Überschreiten der Gefahrenschwelle kommen sollte – nicht möglich sein sollte, eine innerstaatliche Fluchtalternative nach § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e AsylG zu ergreifen (UA S. 6-8). Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 werde auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen (UA S. 12).
Diesen entscheidungstragenden verwaltungsgerichtlichen Erwägungen wird mit dem oben referierten klägerischen Vortrag im Zulassungsantrag sowie den angeführten Erkenntnisquellen nicht substantiiert entgegengetreten, zumal sich die Klägerseite weder mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts im Urteil noch mit den tatbestandlichen Voraussetzungen der genannten gesetzlichen Vorschriften auseinandersetzt. Ebenso wenig legen die von Klägerseite vorgelegten Erkenntnisquellen in dem o.g. Sinne dar, dass die Feststellungen und Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts bezüglich der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sein könnten. Schließlich legt die Klagepartei auch nicht dar, dass und inwiefern im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG ein anderer Maßstab anzulegen sein könnte als im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.
1.2. Soweit die Klägerseite für grundsätzlich klärungsbedürftig hält,
„ob eine äthiopische Familie mit zwei minderjährigen Kindern aufgrund der schlechten Lebensbedingungen im Heimatland, insbesondere infolge der „Corona-Pandemie“ und der Heuschreckenplage bei einer Rückkehr in das Heimatland einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG führt.“,
ist auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen (vgl. 1.1.a), da die aufgeworfene Frage, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot besteht oder nicht, nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden kann, in denen sich die Person nach Rückkehr befinden wird (vgl. zu § 60 Abs. 5 AufenthG: BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11 a.E.; vgl. zu § 60 Abs. 7 AufenthG: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38), und sich daher einer grundsätzlichen Klärung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG entzieht.
Unabhängig hiervon fehlt es auch diesbezüglich an einer rechtlichen Aufarbeitung der von der Klägerseite geltend gemachten Grundsatzfrage nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils. Die Klägerseite hat hierzu im Wesentlichen vorgetragen, der Kläger wäre entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bei einer Rückkehr nach Äthiopien einer Extremgefahr ausgesetzt, die die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG durchbreche. Denn Experten befürchteten durch das Corona-Virus für den gesamten afrikanischen Kontinent eine Katastrophe. Sie nähmen eine extrem hohe Dunkelziffer an Infizierungen an und warnten insbesondere davor, dass sich überfüllte afrikanische Großstädte zu einem gefährlichen Herd für das Corona-Virus entwickeln könnten. Aufgrund der oftmals schlecht ausgestatteten Gesundheitssysteme – so solle es in Äthiopien für 105 Mio. Menschen 435 Beatmungsgeräte geben (Berliner Zeitung.de, Politik-Gesellschaft vom 9.4.2020) -werde in Afrika durch die Pandemie eine ausmaßlose Katastrophe für möglich gehalten. Nach einem Bericht der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi vom 14. April 2020 habe Äthiopien für vorerst fünf Monate den Ausnahmezustand angeordnet. Damit seien alle Schulen, Universitäten und Kirchen geschlossen, Beamte sollten von zu Hause aus arbeiten. Die äthiopische Fluglinie Äthiopien Airlines stelle die Flüge zu 82 Zielen ein. In der Region Tigray sei der Ausnahmezustand ausgerufen und alle Bewegungen von den ländlichen Gebieten in die Städte untersagt worden. Diese Angaben würden so auch in den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes, Stand 14. Mai 2020, wiedergegeben. Diese bisher landesweit geltenden Restriktionen umfassten das Verbot größerer Veranstaltungen, die Schließung aller Schulen, Restaurants und Clubs. Öffentliche Ämter seien seit 24. März 2020 bis auf einen Notbetrieb geschlossen. In allen Bundesstaaten sei der öffentliche Personenverkehr verboten; Reisen aus Addis Abeba über Land seien mit öffentlichen Verkehrsmitteln derzeit nicht möglich. In vielen Städten herrschten weitreichende Ausgangssperren. In Gondar z. B. sei sowohl öffentlicher als auch privater Personennahverkehr verboten. Alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte seien geschlossen. Die für den 29. August 2020 geplanten Parlamentswahlen seien auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Neben der Corona-Pandemie und dem damit für die Bevölkerung Äthiopiens einhergehenden Bedrohungen auch in wirtschaftlicher Hinsicht drohe den Staaten des östlichen Afrika eine Hungersnot, seit im Dezember 2019 gewaltige Heuschreckenschwärme eingefallen seien und die Ernte zerstört hätten. Der Kampf gegen Corona verschlimmere die Lage noch. Infolge der bereits dargestellten Reisebeschränkungen sei es den Trupps, die versuchten, die Kurzfühlerschrecken mit Pestiziden zu bekämpfen, nahezu unmöglich, an ihre Einsatzorte zu kommen. Es handele sich aktuell um die schlimmste Plage seit 25 Jahren. Weil viele Länder ihre Grenzen geschlossen hätten, gingen in Ostafrika die für die Bekämpfung der Heuschreckenplage erforderlichen Pestizide aus. Das ermögliche den Insekten, sich ungehemmt zu vermehren. Die nun bevorstehende zweite Heuschreckengeneration könnte 500 mal so gewaltig wie die erste sein, wenn sie nicht bekämpft werde (vgl. Thilo Thielke, Frankfurter Allgemeine Zeitung „Nur die Heuschrecken sind noch mobil“ v. 7.4.2020). Eine Rückkehr des Klägers würde wegen der jetzigen aufgrund der Corona-Pandemie und der Heuschreckenplage bestehenden Lebenssituation, auch in Ansehung der unabhängig von der Pandemie und Heuschreckenplage für Rückkehrer bestehenden Situation in Äthiopien, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellen. Insbesondere infolge der durch die bestehende Pandemie veranlassten Beschränkungen werde die Wohnungs- und Arbeitssuche für Rückkehrer in einem Maße erschwert, wenn nicht zeitweise weitgehend unmöglich gemacht, dass unter Zugrundelegung der rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht mehr von der Sicherung des Existenzminimums ausgegangen werden könne. Zu beachten sei dabei auch, dass unter Berücksichtigung der Mobilitätsbeschränkungen, verbunden mit vorhandenen oder neu hinzu kommenden strengen Ausgangsbeschränkungen, für Rückkehrer häufig keine ernsthaft realisierbare Möglichkeit bestehe, sich zeitnah in den Heimatort zur dort evtl. vorhandenen Familie zu begeben, so dass sie vielmehr für einen unbestimmten Zeitraum darauf angewiesen seien, unter erschwerten Bedingungen in Addis Abeba zu verweilen. Die formulierten Fragen seien klärungsbedürftig, da bezüglich der oben gestellten Fragen noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen sei, die den Klärungsbedarf dieser Fragen ausräumen würde. Eine Entscheidung unter Berücksichtigung der aktuellen Ereignisse in Äthiopien wäre jedoch erforderlich, um Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu schaffen und eine einheitliche, an den Grundsätzen des Art. 3 GG angelehnte Entscheidungspraxis, durchzusetzen.
Damit setzt die Klagepartei sich nicht mit den Feststellungen, Erwägungen und Erkenntnismitteln des Verwaltungsgerichts sowie in dem nach § 77 Abs. 2 AsylG in Bezug genommenen Bescheid der Beklagten (vgl. UA S. 6) zu der Situation in Äthiopien im Allgemeinen (vgl. UA S. 10) sowie der Situation des Klägers und seiner Familie im Besonderen, namentlich den vorgenannten Faktoren (vgl. UA S. 12 sowie die in Bezug genommenen Urteile B 7 K 17.31824 und B 7 K 17.32611 betreffend die Familienangehörigen des Klägers) auseinander, sondern stellt – unter Anführung im Zeitpunkt des Zulassungsantrags bereits veralteter Erkenntnisquellen – lediglich davon losgelöste Behauptungen in den Raum. So hat das Verwaltungsgericht – unter anderem – darauf abgestellt, dass der Vater des Klägers voll erwerbsfähig sei und ohne Weiteres in seinen früheren Beruf als Kraftfahrer zurückkehren könne, dass die Mutter auch vor dem Hintergrund der – nicht nachgewiesenen – gesundheitlichen Einschränkungen die Kinderbetreuung übernehmen könne und dass ggf. auf die Hilfe der Familie oder auch auf in Äthiopien verfügbare Fremdbetreuung zurückgegriffen werden könne. Unter Bezugnahme auf allgemein verfügbare Erkenntnisquellen hat es weiter darauf abgestellt, dass der äthiopische Staat weder hinsichtlich der Heuschrecken noch der COVID-19-Pandemie untätig sei, dass bereits über 117 Mio. Dollar an Hilfsgeldern allein von deutscher Seite geleistet worden seien, die äthiopische Wirtschaft anscheinend nach wie vor widerstandsfähig und intakt sei und sich aus aktuellen Quellen nicht ergebe, dass sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die wirtschaftliche Lage tatsächlich gravierend verschlechtert hätte.
Darüber hinaus fehlt es auch an einer ausreichenden Darlegung entsprechend den Anforderungen gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Abgesehen davon, dass es sich insoweit um eine allgemeine Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG handeln dürfte und sich das Zulassungsvorbringen nicht mit den Voraussetzungen auseinandersetzt, unter denen eine Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris), weist die Fragestellung samt ihrer Begründung nicht über bloße Spekulationen hinaus. Das gilt sowohl hinsichtlich der Geltendmachung der Folgen des Sars-CoV-2 Virus bzw. der COVID-19 Erkrankung als auch hinsichtlich der zusätzlich geltend gemachten Heuschreckenplage und deren Wechselwirkungen mit COVID-19. Das klägerische Vorbringen hierzu ist vage, pauschal und unsubstantiiert. Der Zulassungsantrag entbehrt konkreter Ausführungen zu der Situation in Äthiopien und beschränkt sich auf allgemein gehaltene hypothetische Behauptungen. Auch die o.g. Artikel und Berichte, auf die sich die Klägerseite beruft, beschränken sich auf bloße Mutmaßungen und Spekulationen, enthalten jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass sich die Gesundheits- und Ernährungslage in Äthiopien auch unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie und der Heuschreckenplage mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bereits derart verschlechtert hätte bzw. in absehbarer Zeit verschlechtern könnte, wie vom Kläger befürchtet. Die behauptete negative wirtschaftliche Entwicklung lässt sich den Zeitungsberichten ebenfalls nicht entnehmen. Zudem ist auch nicht vorgetragen, dass und inwieweit sich im vorliegenden Fall eine Gefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach der Abschiebung realisieren könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15).
Im Übrigen wendet sich die Klägerseite erkennbar gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Dies vermag indes eine Grundsatzrüge nicht zu begründen.
2. Das Urteil beruht auch nicht auf einem Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 VwGO).
Die Klägerseite macht diesbezüglich geltend, dass im vorliegenden Fall wegen Entzugs des gesetzlichen Richters ein Verfahrensmangel der Versagung des rechtlichen Gehörs nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorliege, da das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Asylklage nicht fristgerecht erhoben worden sei. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei der streitgegenständliche Bescheid unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen und gelte daher gemäß § 8 VwZG als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem der Empfangsberechtigte ihn nachweislich erhalten habe. Nach Übersendung der Asylakte an den Klägerbevollmächtigten habe dieser den Zustellungsmangel gerügt; somit habe er alle zumutbaren prozessualen Möglichkeiten im Verfahren ausgeschöpft. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass die Klage verfristet sei, beruhe auf der fehlerhaften Anwendung der Zustellungsvorschriften.
Damit werden der Sache nach allerdings weder eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts i.S.d. § 78 Abs. 3 AsylG, § 138 Nr. 1 VwGO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht. Dass die erkennende Einzelrichterin, die das Urteil erlassen hat, etwa aufgrund einer unrichtigen Anwendung des Geschäftsverteilungsplans, einer nicht wirksamen oder sonst fehlerhaften Übertragung auf den Einzelrichter oder wegen eines Ausschließungs- oder Ablehnungsgrundes nach § 54 VwGO tatsächlich nicht zur Entscheidung über die Streitsache berufen war, so dass dem Kläger der gesetzliche Richter entzogen worden sein könnte, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung, wie sie von der Klägerseite vorliegend allein geltend gemacht wird, vermag eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer willkürlich unterlassenen Vorlage an den Europäischen Gerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht zu begründen; eine solche Vorlagepflicht bestand vorliegend jedoch nicht.
Ebenso wenig stellt die von der Klagepartei gerügte fehlerhafte Rechtsanwendung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.
Das prozessuale Grundrecht auf rechtliches Gehör, das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 91 Abs. 1 BV sowie einfachgesetzlich in § 108 Abs. 2 VwGO garantiert ist, sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung, so dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Es soll insbesondere gewährleisten, dass die Beteiligten mit ihren Ausführungen und Anträgen vor Gericht gehört werden. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs hat eine zweifache Ausprägung: Zum einen gibt es den Beteiligten Anspruch darauf, dass rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wird, soweit es aus verfahrens- oder materiellrechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann. Zum anderen untersagt es dem Gericht, der Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2018 – 8 ZB 18.31801 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Das rechtliche Gehör ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist, weil es Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder es bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Grundsätzlich ist deshalb davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Das Gericht muss die Parteien auch nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung ihres Vortrags hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nur dann vor, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage der Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte. Aus dem Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG folgt dagegen keine allgemeine Frage-, Hinweis und Aufklärungspflicht des Gerichts.
Hieran gemessen wird mit der von der Klagepartei vorgetragenen fehlerhaften Anwendung der Vorschriften über die Zustellung von Asylbescheiden kein Gehörsverstoß dargelegt. Die Klägerseite räumt selbst ein, dass die Frage der ordnungsgemäßen Zustellung und mithin der Zulässigkeit der Klage im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht erörtert wurde; dies ergibt sich auch aus den Gerichtsakten. Die Klagepartei hatte damit Gelegenheit, ihre diesbezügliche Rechtsauffassung darzulegen. Das Verwaltungsgericht war nicht verpflichtet, die Klagepartei vorab auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen, zumal die Bildung einer abschließenden Rechtsauffassung zu einer entscheidungserheblichen Rechts- und Tatsachenfrage der Schlussberatung des Gerichts vorbehalten bleibt. Die Klagepartei macht damit allenfalls Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidung geltend, die im asylrechtlichen Verfahren aber nicht zur Zulassung der Berufung führen.
3. Aus den genannten Gründen ist mangels hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Klägerbevollmächtigten gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 114 ff. ZPO abzulehnen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts gemäß § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG rechtskräftig.


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