Verwaltungsrecht

Ablehnung eines Verfolgungsgrundes für Angehörigen einer von Zwangsheirat betroffenen Frau

Aktenzeichen  W 1 K 18.30120

Datum:
7.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6611
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 88, § 102 Abs. 2, § 114 S. 1, § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2
ZPO § 222 Abs. 2
AsylG § 3a Abs. 1, Abs. 3, § 3b Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 3c Nr. 3, § 3e, § 34 Abs. 1, § 77 Abs. 2
RL 2011/95/EU Art. 6, Art. 10
EMRK Art. 3
AufenthG § 59, § 60a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Bedrohung durch bewaffnete Männer in Afghanistan wegen des sich Erwehrens gegen eine zwangsweise Verheiratung der Schwester stellt weder eine geschlechtsspezifische Verfolgung nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar, noch ist eine entgegenstehende politische Überzeugung, deren Unterstellung nach § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG bei einer privaten Familienfehde anzunehmen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ungeachtet der unbestritten bestehenden gesellschaftlichen Diskriminierung und Benachteiligung besteht derzeit keine Gruppenverfolgung von Schiiten in Afghanistan, da diese Benachteiligungen und vereinzelten gewaltsamen Übergriffe nicht die dafür erforderliche Verfolgungsintensität und Verfolgungsdichte iSd § 3a Abs. 1 AsylG aufweisen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Trotz anhaltender schwieriger Bedingungen in Afghanistan ist von einem alleinstehenden, leistungsfähigen, jungen Mann vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in Kabul als Ort internen Schutzes niederlässt.  (Rn. 27 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Rückkehr nach Afghanistan scheitert grundsätzlich nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern, vielmehr ist maßgeblich, ob der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Die Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Schiiten steht der Annahme, dass der Rückkehrer in Afghanistan keiner unzumutbaren Gefahrensituation ausgesetzt wird, nicht entgegen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
5. Weder für die Herkunftsregion Kandahar, noch für die Stadt Kabul liegen die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG vor.  (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
6. Eine Abschiebung alleinstehender, männlicher, arbeitsfähiger, afghanischer Staatsangehöriger nach Afghanistan stellt nicht ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar mit der Folge, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, jedoch unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 18. Mai 2017 ist – soweit er noch Gegenstand dieser Klage ist – einschließlich der darin enthaltenen Abschiebungsandrohung sowie des festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Klage ist zulässig, da die zweiwöchige Klagefrist des § 74 Abs. 1 1. Hs. AsylG eingehalten wurde. Die Ersatzzustellung erfolgte am 20. Mai 2017, § 181 Abs. 1 ZPO. Da der Fristablauf auf Samstag, den 3. Juni 2017, fiel, trat gemäß § 222 Abs. 2 ZPO an die Stelle dieses Tages der nächste Werktag. Da es sich bei dem darauffolgenden Montag, 5. Juni 2017, um den bundesweiten Feiertag Pfingstmontag handelte, lief die Klagefrist erst mit Ablauf des 6. Juni 2017 ab, so dass die an diesem Tag erhobene Klage noch fristgerecht erfolgt ist.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Das Gericht folgt der Begründung des Bundesamts in dem angegriffenen Bescheid vom 18. Mai 2017, § 77 Abs. 2 AsylG. Darüber hinaus ist Folgendes auszuführen:
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2780 ff.) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
1. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheitert bereits am Vorliegen eines Verfolgungsgrundes nach § 3b AsylG. Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er von bewaffneten Männern bedroht worden sei, da er sich gegen eine zwangsweise Verheiratung seiner Schwester gewehrt habe, so beruht diese Verfolgung nicht kausal auf einem der in § 3b AsylG abschließend aufgezählten Gründe, § 3a Abs. 3 AsylG. Insbesondere liegt bei dem hiesigen Kläger keine geschlechtsspezifische Verfolgung nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG vor, da eine solche allein die Schwester des Klägers betroffen hätte und ein Verfolgungsgrund stets in eigener Person vorliegen muss. Eine entgegenstehende politische Überzeugung bzw. deren Unterstellung nach § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG ist bei einer privaten Familienfehde, wie sie vorliegend geltend gemacht wird, ebenfalls nicht anzunehmen. Die Angehörigen einer von Zwangsheirat betroffenen Frau stellen in Afghanistan auch keine bestimmte soziale Gruppe nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar, da es dieser an einer deutlich abgegrenzte Identität fehlt und diese von der sie umgebenden Gesellschaft auch nicht als andersartig betrachtet wird.
2. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Afghanistan eine Gruppenverfolgung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als Schiit droht.
Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 – juris; U.v. 21.4.2009 – 10 C 11/08 – juris) voraus, dass eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, wenn also auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar ist.
Dies zugrunde gelegt bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Afghanistan eine Gruppenverfolgung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als Schiit durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG droht. Ungeachtet der unbestritten bestehenden gesellschaftlichen Diskriminierung und Benachteiligung besteht derzeit keine Gruppenverfolgung von Schiiten in Afghanistan, weil die genannten Benachteiligungen und vereinzelten gewaltsamen Übergriffe nicht die dafür erforderliche Verfolgungsintensität und Verfolgungsdichte im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG aufweisen, zumal 19% der afghanischen Bevölkerung schiitische Religionszugehörige sind (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016, S. 9; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 14.9.2017, S. 25 f.; UNAMA, Annual Report Afghanistan, Februar 2018, S. 41 f.; ebenso st.Rspr., z.B. BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 27; U.v. 21.6.2013 – 13a B 12.30170 – juris Rn. 24; B.v. 1.12.2015 – 13a ZB 15.30224 – juris; B.v. 19.12.2016 – 13a ZB 16.30581 – juris; B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris; B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris).
Auch durch die jüngsten Lageberichte des Auswärtigen Amtes und sonstige einschlägige Erkenntnismittel wird diese Einschätzung nicht erschüttert. Zwar wird darin berichtet, dass die Hazara in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert seien. Auch gesellschaftliche Spannungen bestünden fort und lebten in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf. Zudem sei es im Jahre 2015 zu Entführungen von Hazara mit Todesfällen gekommen. Insgesamt habe sich jedoch die Lage der insbesondere unter der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara grundsätzlich verbessert. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten seien in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsbelehrten (Ulema) als auch im hohen Friedensrat seien auch Schiiten vertreten; beide Gremien betonten, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe. Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den IS angegriffen. Dabei seien 85 Menschen ums Leben gekommen und rund 240 verletzt worden. Dieser Schlag habe sich fast ausschließlich gegen Schiiten gerichtet (vgl. zum Ganzen: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016, S. 9 ff., Lagebeurteilung für Afghanistan des Auswärtigen Amtes vom 28.7.2017, S. 10). Auch unter Berücksichtigung dessen sowie der weiteren Anschläge im Zusammenhang mit dem Aschura-Fest in 2016 sowie gegen eine Moschee im Laufe des November 2016, die sich gegen Schiiten richteten und zu denen sich der islamische Staat bekannt hat, verfügen die Verfolgungshandlungen, denen die Hazara und die Schiiten in Afghanistan ausgesetzt sind, nach Auffassung des Gerichts nicht über die dargestellte für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Entwicklung im Laufe des Jahres 2017. UNAMA berichtet insoweit über acht religiös motivierte Angriffe gegen schiitische Moscheen und Gläubige mit insgesamt 418 zivilen Opfern (161 Tote und 257 Verletzte), hiervon sechs Angriffe durch den IS, zwei durch die Taliban. Der IS übernahm darüber hinaus die Verantwortung für zwei weitere Anschläge gegen schiitische Moslems abseits von religiösen Einrichtungen mit insgesamt 133 zivilen Opfern (46 Tote und 87 Verletzte) (vgl. UNAMA, Annual Report Afghanistan, Februar 2018, S. 41 f.). Dies erreicht angesichts der Anzahl der schiitischen Bevölkerung in Afghanistan (ca. 19% von mindestens 27 Millionen Einwohnern) nicht die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Größenordnung und Intensität. Die Entwicklung zu Beginn des Jahres 2018 führt schließlich ebenfalls zu keiner anderen Einschätzung.
Der Kläger war überdies auch keinen persönlichen Angriffen aufgrund seiner Religionszugehörigkeit in Afghanistan ausgesetzt. Er hat insoweit lediglich allgemein und pauschal auf die Gefahren für seine Religionsgruppe in Afghanistan verwiesen.
3. Der Kläger hat zwar ausführlich und detailliert geschildert, dass seine jüngere Schwester Opfer einer Zwangsverheiratung hätte werden sollen und er sich gegenüber den Brautwerbungsversuchen deutlich ablehnend positioniert habe, woraufhin ihm von den bewaffneten Leuten gedroht worden sei. Ebenso erscheint es in Übereinstimmung mit der Erkenntnismittellage zu Afghanistan grundsätzlich möglich, dass auch sehr junge Mädchen wie die Schwester des Klägers zwangsweise verheiratet werden sollen. Jedoch hat der Kläger sich vorliegend hinsichtlich seiner angeblichen eigenen Verfolgung im Zusammenhang mit den Vorgängen um die Zwangsverheiratung in Widersprüche verstrickt, sodass sein Verfolgungsvortrag nicht glaubhaft erscheint.
So hat der Kläger vor dem Bundesamt insgesamt drei Vorfälle geschildert, bei denen die Brautwerber zu ihnen gekommen seien und versucht hätten, die Zustimmung zur Heirat zu erwirken. Der Kläger hat insoweit nach der Bundesamtsanhörung unterschriftlich bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe, ihm das Protokoll rückübersetzt worden sei und seine Angaben vollständig und wahrheitsgemäß gewesen seien. In der mündlichen Verhandlung dagegen hat der Kläger nunmehr jedoch von insgesamt fünf Besuchen der Brautwerber gesprochen, der letzte hiervon in der Werkstatt des Vaters. Dies stellt eine erhebliche Abweichung dar, die den Vortrag des Klägers insgesamt unglaubhaft erscheinen lässt. Darüber hinaus hat der Kläger beim Bundesamt erklärt, dass diese Leute gesagt hätten, sie seien von der Regionalpolizei, bzw. sein Vater ihm gesagt habe, dass sie Kontakte zur Ortspolizei hätten. Im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger indes ausgeführt, dass sein Vater gesagt habe, dass diese Leute von der Polizei und auch von den Taliban seien, was ebenfalls nicht miteinander in Einklang zu bringen ist. Überdies hat der Kläger vor dem Bundesamt angegeben, dass die Brautwerber (im Rahmen ihres zweiten Besuchs) bei seinem Vater erreicht hätten, dass dieser der Heirat zugestimmt habe, während er bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung hiervon nichts berichtet hat. Im Gegensatz dazu hat er im Zusammenhang mit dem fünften und letzten Besuch erklärt, dass der Vater den Leuten gesagt habe, dass er noch etwas Zeit zur Entscheidung benötige. Darüber hinaus sind Widersprüche bei der Schilderung des chronologischen Ablaufs aufgetreten. Beim Bundesamt lag zwischen dem ersten und dem zweiten Besuch der Brautwerber eine Woche, während in der mündlichen Verhandlung von 2– 3 Tagen die Rede war. Zwischen dem zweiten und dritten Besuch hätten nach klägerischen Angaben vor dem Bundesamt 7 –8 Tage gelegen (am Tag nach dem zweiten Besuch habe der Vater mit dem Kläger überlegt, was zu tun sei, weitere 6– 7 Tage später habe dann der dritte Kontakt stattgefunden). In der mündlichen Verhandlung dagegen hat der Kläger für die Zeit zwischen dem zweiten und dritten Besuch eine Spanne von drei Tagen angegeben. Zudem ist die zeitliche Einordnung der Vorfälle um die Zwangsverheiratung nicht mit dem vorgetragenen Ausreisezeitpunkt in Einklang zu bringen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, dass er am 10.10.1392 nach afghanischen Kalender (entspricht 31.12.2013) vom Iran aus nach Afghanistan zurückgekehrt sei. Ein Jahr und sechs Monate später seien die Leute dann zum ersten Mal gekommen und hätten um die Hand der Schwester angehalten. Es habe dann ca. drei Wochen vom ersten Besuch der Leute bis zum Verlassen des Elternhauses gedauert. Im Anschluss habe er sich mit seiner Schwester noch zweieinhalb Monate in der Provinz Helmand aufgehalten, so dass der Kläger in der 1. Oktoberhälfte des Jahres 2015 hätte ausreisen müssen, während er erklärt hat, dass er sein Heimatland am 20. Oktober 1394 nach afghanischen Kalender (entspricht 10. Januar 2016) verlassen hat. Widersprüchlich erscheinen darüber hinaus die Angaben zur Finanzierung der Fluchtkosten. Vor dem Bundesamt hat der Kläger insoweit zunächst angegeben, dass diese aus seinen Ersparnissen finanziert worden seien; das Geld habe er im Iran als Fliesenleger verdient. Hierzu in Widerspruch hat der Kläger im weiteren Verlauf der Anhörung berichtet, dass er das Land von Helmand aus zunächst nicht habe verlassen können, da er auf das Geld seines Vaters aus dem Verkauf ihres Hauses gewartet habe. In der mündlichen Verhandlung wiederum hat der Kläger sodann auf Befragen angegeben, dass die Fluchtkosten sowohl aus eigenen Mitteln als auch aus Geldern aus dem Hausverkauf finanziert worden seien. Dies erscheint dem Gericht angesichts der widersprüchlichen Angaben vor dem Bundesamt als ein angepasstes Antwortverhalten, welches dem Kläger nicht abgenommen werden kann. Der Kläger erscheint daher auch persönlich nicht glaubwürdig, was dadurch verstärkt wird, dass dieser gegenüber der Regierung von Oberbayern am 15. März 2016 eine Reihe von Angaben gemacht hat, die mit seinem anderweitigen Vortrag nicht in Einklang zu bringen sind. So hat der Kläger dort auf Befragen u.a. erklärt, in der Stadt Kandahar geboren zu sein, nur Farsi zu sprechen, sich 2 –3 Jahre illegal im Iran gelebt zu haben, um dort zu arbeiten, und sich bis zu seiner Ausreise in der Stadt Kandahar aufgehalten zu haben. Demgegenüber hat der Kläger im weiteren Verfahren erklärt, im Iran geboren zu sein. Er spricht – wie die mündliche Verhandlung ergeben hat – auch Dari und hat abgesehen von einem kurzen Aufenthalt in Afghanistan während seiner Kindheit bis zum 31. Dezember 2013 stets im Iran gelebt. Überdies hat er, wie bereits ausgeführt, erklärt, vor der Ausreise nicht in Kandahar, sondern zweieinhalb Monate in der Provinz Helmand gelebt zu haben. Auch wenn der Kläger auf einen diesbezüglichen Vorhalt des erkennenden Einzelrichters hin angegeben hat, es seien bei der Regierung von Oberbayern nur kurze Fragen gestellt worden; es sei nur um seinen Flucht Weg gegangen und er habe angegeben, aus Kandahar zu stammen, so vermag dies nach Überzeugung des Gerichts die widersprüchlichen Angaben nicht zu erklären; sie belegen vielmehr die mangelnde persönliche Glaubwürdigkeit des Klägers.
Selbst wenn man aber den Vortrag des Klägers entgegen obiger Ausführungen als wahr unterstellen würde, so ergibt sich hieraus keine Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG, da aus den Schilderungen des Klägers keine Handlung ersichtlich wird, die nach Art oder Wiederholung so gravierend wäre, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen würde. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die Leute ihm bei zwei Besuchen ihre Pistolen gezeigt hätten und ihm damit gedroht hätten, einmal im Zusammenhang damit, dass er diesen gesagt habe, dass er sie bei der Polizei anzeigen werde. Ein weiteres Mal hätten sie ihm gesagt, dass er jung sei und doch wohl hier in Afghanistan leben wolle. Dies sei als Drohung zu verstehen gewesen mit dem Hinweis, dass der künftige Bräutigam H* … viel Macht besitze. Entsprechend dem Vortrag vor dem Bundesamt soll einer der Männer den Kläger beim letzten Besuch am Kinn gefasst und gesagt haben, dass sie ein paar Tage später mit dem Imam wiederkommen würden, und er geantwortet habe, dass sie ihn hierzu umbringen müssten. In alldem ist nach Überzeugung des Gerichts eine konkrete Bedrohung des Klägers mit dem Tod oder anderweitigen schweren Verfolgungsmaßnahmen nicht zu erblicken. Vielmehr sollte dem Kläger offensichtlich hierdurch Angst gemacht werden, damit dieser seinen Widerstand gegen die beabsichtigte Heirat der Schwester aufgibt. Die erforderliche Intensität einer Verfolgungshandlung wird damit noch nicht erreicht. Überdies hat es der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan selbst in der Hand, ob er die gegenüber den anderen Leuten angedrohte polizeiliche Anzeige abgibt oder dies unterlässt bzw. sich weiterhin gegen die Heiratspläne der anderen Familie stellt.
Nach alldem ist der Kläger nicht vorverfolgt aus Afghanistan ausgereist und es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass ihm bei einer Rückkehr dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung drohen würde.
4. Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen bestünde jedoch für den Kläger in Afghanistan die Möglichkeit eines internen Schutzes nach § 3e AsylG in Kabul, wenn man – entgegen obiger Ausführungen – davon ausginge, dass der Kläger vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist wäre, indem dieser infolge seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Heirat seiner Schwester von den Brautwerber bedroht worden wäre.
Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3e AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Hierbei sind die allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsland und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen.
Das Gericht geht – auch unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie – davon aus, dass der Kläger in Kabul internen Schutz erlangen kann und dort keine Verfolgungsgefahr zu befürchten hat. Es sprechen nämlich stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger dort erneut von einer Verfolgung bedroht würde, wie er sie in seinem Asylverfahren vorgetragen hat. Dies ergibt sich insbesondere bereits daraus, dass sich der Kläger mit seiner Schwester nach der vorgetragenen Bedrohung noch für zweieinhalb Monate unbehelligt in der Nachbarprovinz Helmand aufhalten konnte; seine Eltern haben darüber hinaus noch rund vier Monate ebenfalls unbehelligt sogar nur 5 km entfernt in einem anderen Stadtteil Kandahars gelebt und sein Vater sei überdies einige Male – wenn auch nachts – zum Wohnhaus zurückgekehrt. Auch wenn der Kläger erklärt hat, dass die angeblichen Verfolger noch zwei- bis dreimal in ihrer Abwesenheit bei ihrem Wohnhaus gewesen seien, so haben diese doch offensichtlich keine weitergehenden Maßnahmen unternommen, um der Familie und insbesondere des Klägers habhaft zu werden. Es ist auch in keiner Weise ersichtlich, dass es den angeblichen Verfolgern möglich wäre, den Kläger in Kabul überhaupt ausfindig zu machen. Es handelt sich bei dem vorgetragenen Verfolgungsgeschehen um eine rein private Fehde zweier Familien. Wie bereits oben ausgeführt kann es dem Kläger nicht abgenommen werden, dass die Verfolger Angehörige der Regionalpolizei gewesen sind, da der Kläger in diesem Falle sicherlich nicht in Erwägung gezogen hätte, die Männer dort anzuzeigen und um Hilfe nachzusuchen. Überdies würde es sich auch nur um regionale Polizeikräfte in Kandahar handeln. Die in der mündlichen Verhandlung erwähnte Verbindung zu den Taliban ist in jeder Hinsicht völlig unsubstantiiert geblieben und ist zudem – da nunmehr erstmals erwähnt – als nicht nachvollziehbare Steigerung im Sachvortrag und damit als nicht glaubhaft einzustufen. Darüber hinaus würde der Kläger für die Taliban auch in keiner Weise ein hochrangiges Angriffsziel darstellen, dem sie auch in Kabul nachstellen würden. Abgesehen von diesen Ausführungen hätte es der Kläger – wie bereits ausgeführt – bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch selbst in der Hand, ob es zu weiteren Verfolgungshandlungen kommt, da es den Brautwerbern allein darum ging, dass der Kläger diese nicht bei der Polizei anzeigt und sich ihren Zielen nicht weiter in den Weg stellt. Dem Kläger ist es zuzumuten, sich bei einer Rückkehr entsprechend zu verhalten. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass der von Zwangsheirat bedrohten Schwester mittlerweile ein Abschiebungsverbot in der Bundesrepublik Deutschland erteilt wurde, sodass nicht davon auszugehen ist, dass diese mit dem Kläger nach Afghanistan reisen wird. Schließlich hat der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt im Hinblick auf die Frage nach einer internen Schutzmöglichkeit in Kabul selbst nur auf die dortige allgemein schlechte Sicherheitslage Bezug genommen und nicht auf die Gefahr, von den Verfolgern dort aufgefunden zu werden.
Der Kläger könnte darüber hinaus sicher und legal nach Kabul reisen. Schließlich kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich dort niederlässt. Erforderlich ist hierfür, dass am Ort des internen Schutzes die entsprechende Person durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor ausgeübt werden können. Nicht zumutbar ist hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Der Zumutbarkeitsmaßstab geht im Rahmen des internen Schutzes über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 6.6.2016 – 13 A 18182/15.A – juris).
Die diesbezügliche aktuelle Lage in Afghanistan und Kabul stellt sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 19. Oktober 2016 (a.a.O. S. 21 ff.) aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt sei und trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der Regierung und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2015 lediglich Rang 171 von 187 im Human Development Index belegt habe. Die afghanische Wirtschaft ringe in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 nicht nur mit der schwierigen Sicherheitslage, sondern auch mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90%. So seien ausländische Investitionen in der ersten Jahreshälfte 2015 bereits um 30% zurückgegangen, zumal sich die Rahmenbedingungen für Investoren in den vergangenen Jahren kaum verbessert hätten. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe durch die schwache Investitionstätigkeit geprägt. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum scheine kurzfristig nicht in Sicht. Rund 36% der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was für Rückkehrer naturgemäß verstärkt gelte. Dabei bestehe ein eklatantes Gefälle zwischen urbanen Zentren wie z.B. Kabul und ländlichen Gebieten Afghanistans. Das rapide Bevölkerungswachstum stelle eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar. Zwischen den Jahren 2012 und 2015 werde das Bevölkerungswachstum auf rund 2,4% pro Jahr geschätzt, was in etwa einer Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb einer Generation gleichkomme. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben des afghanischen Statistikamtes sei die Arbeitslosenquote im Oktober 2015 auf 40% gestiegen. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die afghanische Regierung maßgeblich in ihren Bemühungen, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Aufgrund kultureller Bedingungen seien die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familienbzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch.
Aus der Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes für Afghanistan vom 28. Juli 2017 ergibt sich insoweit nichts grundlegend Abweichendes: In fast allen Regionen werde von der Bevölkerung die Arbeitslosigkeit als das größte Problem genannt. Die Zahl der neu hinzugekommenen Binnenvertriebenen sei im ersten Halbjahr 2017 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 25% gesunken. Die afghanische Regierung habe unter Beteiligung der internationalen Geberschaft sowie internationaler Organisationen mit der Schaffung einer Koordinierungseinheit zur Reintegration der Binnenflüchtlinge und Rückkehrer reagiert. Ein Großteil der internationalen Geberschaft habe zudem beschlossen, die Finanzmittel für humanitäre Hilfe im Rahmen eines Hilfsappells des UN-Koordinierungsbüros für humanitäre Angelegenheit OCHA aufzustocken. Trotz internationaler Hilfe übersteige der derzeitige Versorgungsbedarf allerdings das vorhandene Maß an Unterstützungsmaßnahmen seitens der Regierung.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage vom 14.09.2017, Seite 27 ff.) führt aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt bleibe, wobei der Anteil der notleidenden Bevölkerung im Verlaufe des Jahres 2016 um 13% angestiegen sei; 2017 benötigten 9,3 Millionen Afghanen dringend humanitäre Hilfe. Die Arbeitslosenquote sei seit dem Abzug der internationalen Streitkräfte rasant angestiegen und inzwischen auch in städtischen Gebieten hoch. Gleichzeitig seien die Löhne in Gebieten, welche von Rückkehrströmen betroffen seien, signifikant gesunken. Nach wie vor seien die meisten Menschen in der Land- und Viehwirtschaft oder als Tagelöhner tätig. Die zunehmenden Rückkehrströme hätten zu einem enormen Anstieg an Unterkunftsbedarf geführt, weshalb sich insbesondere in der Hauptstadt Kabul die Wohnraumsituation extrem verschärft habe. Rund 68% der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu adäquaten Sanitätsinstallationen und ca. 45% keinen Zugang zu aufbereitetem Trinkwasser. Rund 40% der Bevölkerung sei von Lebensmittelunsicherheit betroffen. Die Zahl der von ernsthafter Lebensmittelunsicherheit betroffenen Menschen steige an und umfasse inzwischen 1,6 Millionen Personen. In Gebieten, die von hohen Rückkehrströmen betroffen waren, seien die Lebensmittelpreise stark angestiegen. Etwa 9 Millionen Menschen, in besonderem Maße Frauen und Kinder, hätten keinen oder nur beschränkten Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, welchen es auch an angemessener Ausstattung mangele. Im Jahr 2016 sei der Druck zur Rückkehr auf afghanische Flüchtlinge im Iran und in Pakistan dramatisch angestiegen; Kabul sowie die Provinzen im Norden, Nordosten und Osten des Landes seien in besonderem Maße betroffen gewesen. Rückkehrende fänden oft keine adäquate Unterkunft; sie lebten oft in notdürftigen Behausungen mit schlechten Sanitäranlagen. Der eingeschränkte Zugang zu Land, Nahrungsmitteln und Trinkwasser und die begrenzten Möglichkeiten zur Existenzsicherung stellten eine enorme Herausforderung für diesen Personenkreis dar. Aufgrund der äußerst schwierigen Lebensbedingungen würden Rückkehrende oft zu intern Vertriebenen, deren Zahl Ende 2016 auf etwa 1,4 Millionen Menschen geschätzt worden sei und deren Lage sich in den vergangenen Jahren massiv verschlechtert habe. Auch für Flüchtlinge aus Europa gestalte sich eine Rückkehr schwierig. Die Bevölkerung Kabuls solle sich binnen nur sechs Jahren verdreifacht haben. Dort lebten etwa 75% der Bevölkerung in informellen und behelfsmäßigen Behausungen, die oft weder ans Wasserversorgungsnetz noch an die Kanalisation angeschlossen seien. Der Zugang zu Lebensmitteln habe sich rasant verschlechtert, was unter anderem auf die mangelnden Arbeitsmöglichkeiten zurückzuführen sei. Armut sei weit verbreitet. Beinahe die Hälfte der Bevölkerung Kabuls könne sich keine medizinische Behandlung leisten. Die große Zahl der Rückkehrenden und intern Vertriebenen führe zur Überlastung der bereits äußerst stark beanspruchten Infrastruktur zur Erbringung der Grunddienstleistungen in der Hauptstadt Kabul aber auch andernorts, insbesondere in den wichtigsten Provinzstädten und Bezirken.
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist von dem Kläger vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in Kabul niederlässt. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet er sich in einer vergleichsweise guten Position. Mit diesen Erfahrungen und Kenntnissen ist davon auszugehen, dass der Kläger auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines ausreichendes Einkommen zu erzielen. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR – auf den die Schweizerische Flüchtlingshilfe hinsichtlich der Situation der Rückkehrenden Bezug nimmt –, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern – wie dem 22-jährigen Kläger – eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 9). An dieser Einschätzung des Gerichts ändert sich auch durch die Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 nichts. Der UNHCR weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass sich die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert habe, was damit einher gehe, dass sich der Konflikt in Afghanistan im Laufe des Jahres 2016 weiter ausgebreitet habe und die Zahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um weitere 4% gestiegen sei. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan im Jahre 2017 gegenüber dem Vorjahr um 9% gesunken ist (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report 2017, Februar 2018, S. 1). Die Zahl der intern Vertriebenen habe im Jahr 2016 auf Rekordniveau gelegen; zudem sei auch aus den Nachbarländern Pakistan und Iran eine große Zahl von Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten in den wichtigsten Städten der Provinzen und Distrikte in Afghanistan geführt habe. Dies gelte auch für die Stadt Kabul, wo nur begrenzte Möglichkeiten der Existenzsicherung, eine extrem angespannte Wohnraumsituation sowie mangelnder Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen bestehe, sodass die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers geprüft werden müsse. Abgesehen davon, dass der UNHCR für die beschriebene Einschätzung seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser auch gleichzeitig ausdrücklich an seinen Richtlinien von April 2016 fest, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt, wovon das Gericht auch bei dem hiesigen Kläger ausgeht.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht der Schweiz in einer Entscheidung vom 13.10.2017 (Az. D-5800/2016) zu einem anderen Ergebnis kommt und ausführt, ohne besonders begünstigende Faktoren wie das Vorhandensein eines tragfähigen sozialen Netzes in Kabul sei ein Zurückschicken auch bei gesunden jungen Männern unzumutbar, kann sich dem das Gericht auf der Grundlage der oben aufgezeigten Erkenntnislage nicht anschließen. Mit der Rechtsprechung des Bayer. VGH (vgl. zuletzt B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652 – juris), der sich das erkennende Gericht anschließt, sind alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben.
Bei dem Kläger ist darüber hinaus individuell zu berücksichtigen, dass er in Afghanistan die Schule bis zur siebten Klasse besucht hat. Der Kläger verfügt damit über einen Bildungsstand, mit dem er gegenüber den vielen Analphabeten in Afghanistan klar im Vorteil ist und auch ein größeres Spektrum an Tätigkeiten ausüben kann, was wiederum seine Chancen auf eine Erwerbstätigkeit spürbar erhöht. Auch aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen und Sprachkenntnisse befindet sich der Kläger in einer vergleichsweise guten Position. Positiv ist überdies zu erwähnen, dass der Kläger bereits über berufliche Erfahrungen verfügt. Er hat angegeben, im Iran den Beruf des Fliesenlegers erlernt zu haben und mittels dieses Berufs auch beträchtliche Ersparnisse zur Finanzierung der Fluchtkosten angespart zu haben. Zudem war er nach Rückkehr nach Afghanistan in der Automechanikerwerkstatt seines Vaters beschäftigt. Diese beruflichen Erfahrungen wird der Kläger sicherlich auch bei einer Rückkehr in sein Heimatland gewinnbringend einsetzen und dadurch seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen können. Überdies hat der Kläger zwar entsprechend seiner diesbezüglich glaubhaften Angaben die meiste Zeit seines Lebens nicht in Afghanistan, sondern im Iran verbracht. Jedoch ist er Ende 2013 in sein Heimatland zurückgekehrt und hat bis zu seiner Ausreise im Januar 2016 dort durchgängig gelebt, sodass er in diesen etwa zwei Jahren die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Afghanistan in ausreichender Weise kennenlernen konnte, um sich auch nach einer Rückkehr dort zurechtzufinden. Es ist hierbei zu bedenken, dass der Kläger bei seiner Rückkehr vom Iran nach Afghanistan bereits knapp 18 Jahre alt war, sodass er die Verhältnisse in seinem Heimatland auch bereits verständig aufnehmen konnte.
Auch nach obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. etwa BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris), der sich das Gericht anschließt, scheitert eine Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet sich der Kläger vielmehr in einer vergleichsweise guten Position. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Dies ist vorliegend der Fall, denn der Kläger hat sich bis zum Alter von knapp 18 Jahren im Iran und danach zwei weitere Jahre in Afghanistan aufgehalten. Der Kläger spricht darüber hinaus auch fließend Dari als eine der beiden Landessprachen Afghanistans, wie sich auch im Rahmen der Anhörung in der mündlichen Verhandlung deutlich gezeigt hat. Überdies steht der Annahme, dass der Kläger in Afghanistan keiner unzumutbaren Gefahrensituation ausgesetzt sein wird, nicht die Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Schiiten entgegen. Denn es ist nicht anzunehmen, dass der Kläger als Angehöriger dieser religiösen Minderheit, die immerhin 19% der afghanischen Bevölkerung umfasst, keine Chance hätte, sich etwa als Tagelöhner zu verdingen. Die vorliegenden Gutachten und Berichte enthalten hierfür keine entsprechenden Hinweise (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30929 – juris).
Darüber hinaus kann der Kläger seine finanzielle Situation zusätzlich auch dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt. So können afghanische ausreisewillige Personen seit dem Jahr 2016 Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200,00 EUR und Starthilfen im Umfang von 500,00 EUR beinhalten. Darüber hinaus besteht seit Juni 2016 das Reintegrationsprogramm ERIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen z.B. Service bei Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitsplatzsuche sowie Unterstützung bei einer Geschäftsgründung. Die Unterstützung wird weitgehend als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei ca. 700,00 EUR (vgl. Auskunft des Bundesamts vom 12.8.2016 an das VG Ansbach; VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – AU 3 K 16.30949 – juris). Der Kläger könnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Afghanistan freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen. Ebenfalls nicht entgegenstehend für die Annahme internen Schutzes ist der Umstand, dass der Kläger längere Zeit in Europa verbracht hat. Vielmehr wirkt sich dies eher begünstigend auf seine Erwerbsperspektive in Afghanistan aus (vgl. auch OVG NRW, B.v. 20.7.2015 – 13 A 1531/15 A – juris).
Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht auch nicht der Einschätzung von Frau Friederike Stahlmann und Amnesty International, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt bzw. überholt sei (vgl. Friederike Stahlmann, Überleben in Afghanistan, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff.; Amnesty International, Auskunft an das VG Leipzig vom 8.1.2018). Denn nach Überzeugung des Gerichts bieten die geschilderten persönlichen Verhältnisse und Ressourcen des Klägers ausreichende und realistische Möglichkeiten dafür, zumindest für den hiesigen Kläger ein Leben in Kabul zumutbar erscheinen zu lassen.
Nach alledem kann der Kläger internen Schutz in Kabul in Anspruch nehmen, so dass auch aus diesem Grunde ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausscheidet.
II.
Der Kläger hat weiterhin keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
1. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihm ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Die Gefahr eines diesbezüglichen ernsthaften Schadens ist bereits nicht glaubhaft gemacht worden, jedenfalls besteht jedoch eine interne Schutzmöglichkeit in Kabul. Diesbezüglich kann vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen werden.
2. Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, der Provinz Kandahar. Dasselbe gilt für die Stadt Kabul als interner Schutzmöglichkeit entsprechend obiger Ausführungen. In der Südregion, zu der die Provinz Kandahar gehört, wurden im Jahre 2017 2.714 Zivilpersonen getötet oder verletzt, in der Zentralregion 2.240 Zivilpersonen (vgl. UNAMA, Annual Report 2017 Afghanistan, Februar 2018, S. 7). Die Anschlagswahrscheinlichkeit lag damit sowohl für die Süd- als auch für die Zentralregion im Jahr 2017 bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Damit ist derzeit noch nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind darüber hinaus nicht erkennbar. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus der Abhandlung von Frau Friederike Stahlmann (Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, in: ZAR 5-6/2017, S. 189 ff.). Soweit diese darauf hinweist, dass in den UNAMA-Berichten eine Untererfassung der zivilen Opfer zu besorgen sei, so ist darauf hinzuweisen, dass anderes geeignetes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung steht und zum anderen auf die von Frau Stahlmann alternativ genannte Zahl der kriegsbedingt Binnenvertriebenen angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nicht abgestellt werden kann. Insoweit weist Frau Stahlmann eingangs ihrer Abhandlung auch selbst darauf hin, dass ihre Diskussion nicht den Anspruch habe, die Kriterien einer juristischen Prüfung zu erfüllen (vgl. Fußnote 1). Aber selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wird die kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht.
III.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Auch in diesem Zusammenhang wird auf die obigen Ausführungen zu den §§ 3, 4 AsylG vollinhaltlich verwiesen. Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt darüber hinaus ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die hier eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Dem Kläger droht auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. A. 2016, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652 – juris; B.v. 21.8.17 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris; BayVGH, B.v. 23.1.2017 pro – 13a ZB 17.30044 – juris; B.v. 27.7.2016 – 13a ZB 16.30051 – juris; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; OVG Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris).
Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Insoweit kann auf die Ausführungen unter I. 4. verwiesen werden. Nachdem das Gericht davon ausgeht, dass für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit in Kabul besteht und deren Voraussetzungen über diejenigen im Rahmen des Vorliegens einer extremen Notlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinausgehen, ist auch ein Anspruch auf ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift abzulehnen.
Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG bestehen ebenfalls keine Bedenken.
Der weitere Hilfsantrag, das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben, ist ebenfalls unbegründet. Die Entscheidung in Ziffer 6 des angegriffenen Bundesamtsbescheides, die Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate festzusetzen, basiert auf § 11 AufenthG. Nach Abs. 3 der genannten Vorschrift wird über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden. Sie darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten. Vorliegend wurde eine Frist von 30 Monaten festgesetzt. Der beantragten Aufhebung dieses Verbotes steht bereits entgegen, dass nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein solches von Amts wegen festzusetzen ist. Sofern man den Antrag nach § 88 VwGO als Antrag auf Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf null Monate auslegen wollte, so ist nichts dafür ersichtlich, dass vorliegend eine Ermessensreduzierung auf null hinsichtlich der Befristungsdauer gegeben ist. Schließlich kommt auch eine Neufestsetzung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nicht in Betracht, da Ermessensfehler nach § 114 Satz 1 VwGO weder vorgetragen wurden noch solche erkennbar sind. Insbesondere liegt kein Ermessensausfall vor. Der Kläger wurde im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt zu schutzwürdigen Belangen hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbotes befragt und hat hierzu erklärt, dass sich außer seinen beiden Geschwistern noch seine Onkel, Tanten und seine Großmutter in Deutschland aufhielten. Insofern erscheint es nicht ermessensfehlerhaft, die Frist auf 30 Monate und damit auf die Hälfte der Maximalfrist nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festzusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 11 ZB 16.30463 – juris). Die Formulierung, „die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist im vorliegenden Fall angemessen“, nach dem Zitat des Gesetzestextes des § 11 Abs. 3 AufenthG, in Verbindung mit dem Hinweis, dass die Geschwister des Klägers sich selbst noch im laufenden Asylverfahren befänden und überdies keine wesentlichen berücksichtigungsfähigen Bindungen im Bundesgebiet bestünden, scheint im vorliegenden Falle ausreichend und sachgerecht, um das Ermessen rechtsfehlerfrei auszuüben; weitere Erwägungen waren nicht anzustellen. Insbesondere sind andere Verwandte außerhalb der Kernfamilie allenfalls dann bei der Bestimmung der Frist mit einzubeziehen, sofern eine enge, über die übliche gefühlsmäßige Bindung hinausgehende Bindung zwischen den Verwandten besteht bzw. eine Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft gegeben ist (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 6 Rn. 10; Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Aufl. 2015, Art. 8 Rn. 50). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Eine andere Einschätzung hinsichtlich der Dauer der Befristung ergibt sich auch nicht dadurch, dass der minderjährigen Schwester des Klägers mittlerweile ein Abschiebungsverbot zuerkannt wurde, da der Kläger für diese nicht personensorgeberechtigt ist und sie im Rahmen der Jugendhilfe versorgt wird.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.


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