Verwaltungsrecht

Abschiebung, Asylverfahren, Flüchtlingseigenschaft, Furcht vor Verfolgung, Kurde, Türkei, Verfolgung

Aktenzeichen  Au 6 K 18.31704

Datum:
22.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34640
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a, § 3b, § 3c, § 3d, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 22. Oktober 2018 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris) entspricht.
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32).
Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylerstverfahren zu beachten, wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 QRL ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 6.7.2012 – 10 B 18/12 – juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C-175/08 u.a. – juris Rn. 93; BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – juris Rn. 25). Die vorgenannte Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377/382 Rn. 18) droht.
Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen (Nr. 1), vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden (Nr. 2), oder den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (Nr. 3). Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylG).
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
a) Eine Verfolgung allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden hat der Kläger nicht zu befürchten. Er gehört zu einer weit verbreiteten Bevölkerungsgruppe in der T.; Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung ethnischer Kurden liegen nicht vor.
Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt voraus, dass entweder sichere Anhaltspunkte für ein an asylerhebliche Merkmale anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm oder für eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegen, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
Kurdische Volkszugehörige zählen etwa 13 Mio. bis 15 Mio. Menschen auf dem Gebiet der T. und stellen noch vor Kaukasiern und Roma die größte Minderheit in der Bevölkerung der T. (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik T. vom 14.6.2019, S. 12 f. – im Folgenden: Lagebericht); sie unterliegen demnach aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen, zumal aus den Ausweispapieren in der Regel – sofern keine spezifisch kurdischen Vornamen geführt werden – nicht hervorgeht, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3.8.2018, S. 15). Der private Gebrauch der in der T. gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen war bis 2012 nicht erlaubt und wurde seither stufenweise bei entsprechender Nachfrage erlaubt; Dörfer im Südosten können ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik T. vom 14.6.2019, S. 13; BFA, Länderinformationsblatt T. vom 18.10.2018, S. 68). Seit der Verhängung des Notstands aber hat sich die Lage verändert: Zwei Drittel der per Notstandsdekret geschlossenen Medien sind kurdische Zeitungen, Onlineportale, Radio- und Fernsehsender, darunter auch IMC TV und die Tageszeitung „Özgür Gündem“ unter dem Vorwurf, „Sprachrohr der PKK“ zu sein (vgl. Lagebericht vom 3.8.2018, S. 15).
Kurdische Volkszugehörige unterliegen damit in der T. zwar einer gewissen Diskriminierung. Es fehlt aber jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 – BVerfGE 83, 216 m.w.N.; BVerwG, B.v. 24.2.2015 – 1 B 31/14 – juris). Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel davon aus, dass eine Verfolgung kurdischer türkischer Staatsangehöriger jedenfalls nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte aufweist, die zu einer Gruppenverfolgung und damit der Verfolgung eines jeden Mitglieds führt (im Ergebnis wie hier VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554/17.A – juris Rn. 51 m.w.N.). Unabhängig davon steht Kurden in der Westtürkei trotz der auch dort problematischen Sicherheitslage und der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen eine inländische Fluchtalternative offen (vgl. SächsOVG, U.v. 7.4.2016 – 3 A 557/13.A; BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 9 ZB 14.30399, alle juris). Sie können den Wohnort innerhalb des Landes wechseln und so insbesondere in Ballungsräumen in der Westtürkei eine in der Südosttürkei auf Grund der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK etwa höhere Gefährdung verringern. Keine Ausweichmöglichkeiten hingegen bestehen, soweit eine Person Ziel behördlicher oder justizieller Maßnahmen wird, da die türkischen Sicherheitskräfte auf das gesamte Staatsgebiet Zugriff haben (Lagebericht ebenda S. 20).
Dies gilt auch für den nicht ortsgebundenen Kläger, der in die Westtürkei ausweichen könnte. Eine eventuelle staatliche Verfolgung des Klägers wegen seines behaupteten Engagements für die HDP, seiner versuchten Anwerbung als Informant durch die Polizei und wegen der vorgetragenen auferlegten Meldeauflagen samt deren Nichtbefolgung würde hierbei weder an die kurdische Volkszugehörigkeit des Klägers anknüpfen noch würde sie in ihrer Zahl und Dichte gegenüber vergleichbar Betroffenen eine Verfolgungsdichte erkennen lassen, wie sie für eine landesweite Gruppenverfolgung erforderlich wäre.
b) Eine Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zur HDP (siehe aa)) oder Zurechnung zur PKK (siehe bb)) hat der Kläger nicht zu befürchten.
Eine weitere Gruppe, die staatlichen Nachstellungen ausgesetzt ist, sind Personen, denen eine Nähe zur kurdischen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) vorgeworfen wird (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik T. vom 14.6.2019, S. 6, 10 f. – im Folgenden: Lagebericht). Seit Sommer 2015 war die T. Ziel terroristischer Anschläge, welche seitens der türkischen Regierung u.a. der PKK zur Last gelegt wurden und Vorwand boten, den zwischen der Regierung und PKK-Chef Öcalan zur Beendigung des seit den 80er Jahren blutig ausgefochtenen Konflikts um eine kurdische Autonomie (zur Vorgeschichte und Entwicklung der PKK vgl. BFA, Länderinformationsblatt T. vom 18.10.2018, S. 17 m.w.N.) erfolgversprechend eingeleiteten Befriedungsprozess mit der PKK abzubrechen. Flankiert von einem nationalistisch ideologisierten Kurs geht die T. bedingungslos gegen die PKK vor und nutzt den Vorwurf des Terrorismus auch für weitergehende Freiheitsbeschränkungen und Repressalien. Der seit Juli 2015 nach – der PKK zugeschriebenen – Attentaten wieder militärisch ausgefochtene Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK forderte erhebliche Opfer auf beiden Seiten sowie unter Zivilisten (vgl. AI, Amnesty Report T. 2016, S. 1). Schwere Waffen wie Panzer und Artillerie sollen dabei sogar in Wohngebieten eingesetzt worden und nach Informationen der Menschenrechtsstiftung der T. (TIHV) 321 Zivilpersonen getötet worden sein (vgl. AI, Auskunft an das VG Magdeburg vom 1.3.2018, S. 2; dazu auch Kamil Taylan, Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 2 ff.). Neben Angriffen türkischer Sicherheitsorgane auf Stellungen der PKK im Südosten der T. kam es dort auch in Städten zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Armee einerseits und Mitgliedern der PKK-Jugendorganisation andererseits (vgl. AI, Amnesty Report T. 2016, S. 1, 2). Mittlerweile hat die Intensität der Kämpfe auf türkischem Territorium seit Spätsommer 2016 deutlich nachgelassen (BFA, Länderinformationsblatt T. vom 18.10.2018, S. 10 a.E.).
Daher besteht eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung insbesondere bei Personen, die in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten, weil sie dort als tatsächliche oder potentielle Unterstützer etwa der PKK oder anderer als terroristisch eingestufter Organisationen angesehen werden (vgl. VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554/17.A – juris Rn. 51 m.w.N.; auch BFA, Länderinformationsblatt T. vom 18.10.2018, S. 11 a.E.).
Der nun gewaltsam ausgetragene Kurdenkonflikt ließ auch die politische Vertretung der kurdischen Minderheit zum Ziel staatlicher Repressalien werden. Die meisten politisch Oppositionellen können sich nicht mehr frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen. Abgeordnete mehrerer Parteien sind von der Immunitätsaufhebung im Juli 2016 betroffen, besonders auch die linkskurdische Partei „Demokratische Partei der Völker“ (HDP). Für die türkische Regierung war die HDP Verhandlungspartner im Befriedungsprozess; sie zog in der Parlamentswahl am 7. Juni 2015 mit 13,1% der Stimmen erstmals als Partei ins Parlament ein, nachdem sie zuvor durch unabhängige Kandidaten vertreten gewesen war. In der Parlamentswahl am 1. November 2015 gelang ihr mit 10,8% der Stimmen ebenso die Überwindung der Zehnprozenthürde zum Wiedereinzug ins Parlament wie in der Parlamentswahl am 24. Juni 2018 mit 11,7% der Stimmen und dies trotz Einschränkungen ihres Wahlkampfs u.a. durch die Inhaftierung ihres Spitzenkandidaten Demirtas (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik T. vom 14.6.2019, S. 5 f., 10 f.), der wegen Äußerungen anlässlich der Newroz-Feiern 2013 zu einer Haftstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt worden ist (vgl. BFA, Länderinformationsblatt T. vom 18.10.2018, S. 54). Im Zuge von Anklagen wegen angeblicher Verstöße gegen Anti-Terror-Gesetze verloren 57 der damals 59 HDP-Parlamentsabgeordneten zunächst ihre Immunität und nach rechtskräftiger Verurteilung verloren neun Abgeordnete der HDP auch ihr Parlamentsmandat (Lagebericht ebenda S. 5 f., 11). Auch auf lokaler Ebene versucht die Regierung, den Einfluss der HDP und von deren Schwesterpartei DBP zu verringern. Die DBP stellt 97 der Bürgermeister im Südosten der T. und ist dort die vorherrschende politische Kraft. Genauso wie vielen der HDP-Abgeordneten wird vielen DBP-Mitgliedern Unterstützung der PKK vorgeworfen. Im Zuge der Notstandsdekrete wurden 93 gewählte Kommunalverwaltungen überwiegend im kurdisch geprägten Südosten der T. mit der Begründung einer Nähe zu terroristischen Organisationen (PKK, Gülen-Bewegung) abgesetzt und durch sog. staatliche Treuhändler ersetzt (Lagebericht ebenda S. 10). Teilen der Basis der HDP werden Verbindungen zur PKK nachgesagt sowie zu deren politischer Dachorganisation „Union der Gemeinschaften Kurdistans“ (KCK), welcher von türkischen Behörden unterstellt wird, von der PKK dominierte quasistaatliche Parallelstrukturen (z. B. Sicherheit, Wirtschaft) aufzubauen (Lagebericht ebenda S. 11). Strafverfolgung gegen die PKK und die KCK trifft daher teilweise auch Mitglieder der HDP/DBP, darunter auch zahlreiche Bürgermeister und andere Mandatsträger unter dem Vorwurf, Mitglieder der KCK und damit einer terroristischen Vereinigung zu sein (Strafrahmen: 15 Jahre bis lebenslänglich). Bei mehreren Verhaftungswellen im Südosten des Landes sowie in den Ballungszentren Istanbul, Ankara und Izmir wurden seit Mitte 2011 auch Journalisten, Akademiker, Gewerkschafter und Rechtsanwälte inhaftiert sowie 845 Personen wegen kritischer öffentlicher Äußerungen gegen den Militäreinsatz in Afrin (Lagebericht ebenda S. 6, 10). Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 24. Juni 2018 überwand die HDP mit 11,7% der Stimmen erneut die Zehnprozenthürde (vgl. N.N., Präsidialsystem in der T.: Noch mehr Macht für Erdogan, www.spiegel.de, Abruf vom 26.6.2018). Während des Wahlkampfes im Jahr 2018 haben türkische Behörden einige Wahlhelfer der HDP verhaftet oder einer Sicherheitskontrolle unterzogen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt T. vom 18.10.2018, S. 55).
Unscharf und Vorwand für die Bandbreite an Repressalien ist der von türkischen Behörden und Gerichten angewandte Begriff des „Terrorismus“. Zwar gewährleistet die türkische Rechtsordnung die Presse- und Meinungsfreiheit, schränkt sie jedoch durch zahlreiche Bestimmungen der Straf- und Antiterrorgesetze ein mit einer unspezifischen Terrorismusdefinition. Seitens der regierenden AKP wird eine Neudefinition des „Terrorismus“-Begriffs im Antiterrorgesetz vorbereitet, wonach auch Personen, die in Medien und sozialen Netzwerken „Terrorpropaganda betreiben sowie Terrororganisationen logistische Unterstützung leisten“, erfasst werden. Ebenso problematisch ist jedoch die sehr weite Auslegung des „Terrorismus“- Begriffs durch die Gerichte. So kann etwa auch öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei bei entsprechender Auslegung bereits den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen. Die „Beleidigung des Türkentums“ ist gemäß Art. 301 tStGB strafbar und kann von jedem Staatsbürger zur Anzeige gebracht werden, der Meinungs- oder Medienäußerungen für eine Verunglimpfung der nationalen Ehre hält (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik T. vom 14.6.2019, S. 5, 11 f.).
Ziel von Verhaftungen sind auch regierungskritische Journalisten, so sollen seit Beginn der dem Putschversuch folgenden „Säuberungen“ nach Angaben von „Reporter ohne Grenzen“ Journalisten unter dem Vorwurf der Unterstützung der Gülen-Bewegung oder der PKK inhaftiert; rund 3.000 Journalisten durch Schließung ihrer Medien oder Entlassung arbeitslos ohne Chance auf Wiedereinstellung, 90% der Medien stehen unter staatlicher Kontrolle und die restlichen Medien werden durch Werbeentzug finanziell ausgehungert und zur Selbstzensur gezwungen (Lagebericht ebenda S. 5, 11 f.). Der ehemalige Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, sowie der Leiter des Ankaraner Büros der Tageszeitung, Erdem Gül, wurden im Mai 2016 wegen Verrats von Staatsgeheimnissen zu fünf Jahren und zehn Monaten bzw. fünf Jahren Haft verurteilt, das Kassationsgericht hob das Urteil gegen Dündar auf und verwies es zur erneuten Verhandlung zurück. Can Dündar hält sich derzeit in Deutschland auf und kündigte an, er werde nicht in die T. zurückkehren, weil er dem Rechtssystem nicht vertraue. Gül wurde im Berufungsverfahren freigesprochen. Weitere Journalisten wurden zu langen Haftstrafen verurteilt (Lagebericht ebenda S. 11 f.). Die Strafverfahren gegen Regierungskritiker und Journalisten werden als unfair bewertet (so AI, Amnesty Report T. 2016, S. 2). Medien mit Kontakten zur Gülen-Bewegung wurden innerhalb von sechs Wochen per Dekret geschlossen (Lagebericht ebenda S. 12; auch AI, Amnesty Report T. 2016, S. 2); das Privatvermögen bei Gülennahen Medienorganen angestellter Journalisten und Publizisten wurde Ende Dezember 2016 beschlagnahmt. Insgesamt wurden seit Juli 2016 knapp 200 Medienorgane geschlossen, eine Selbstzensur der Presse nimmt zu und auch das Internet in der T. ist nicht vollständig frei (Lagebericht ebenda S. 12). Teils soll schon genügen, in Publikationen die PKK nicht als „Terrororganisation“ im Sinne der amtlichtürkischen Sprachregelung zu bezeichnen, um als Journalist ihrer Unterstützung beschuldigt zu werden (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 7).
Exilpolitische Aktivitäten türkischer Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der T. verbotene Organisation tätig sind, können nach türkischen Gesetzen bestraft werden. Diese Personen können Ziel polizeilicher oder justizieller Maßnahmen werden, wenn sie in die T. einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen, vor allem auch Mitgliedern des sog. „Gülen-Netzwerkes“ (Lagebericht ebenda S. 20). Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der T. oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können (Lagebericht ebenda S. 23; auch BFA, Länderinformationsblatt T. vom 18.10.2018, S. 11 a.E.).
aa) Dem Kläger droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine staatliche Ver- folgung wegen seiner Zugehörigkeit zur HDP.
Der Kläger hat bei seiner Anhörung beim Bundesamt vorgetragen, Sympathisant der HDP gewesen zu sein, im April 2018 der HDP beigetreten zu sein, vor der Wahl am 24. Juni 2018 Wahlwerbung für die HDP gemacht zu haben und Informationen zu den Wahlen an die Leute verteilt zu haben sowie bei der Wahl am 24. Juni 2018 als Wahlhelfer in einem Wahlbüro tätig gewesen zu sein, wobei er dort in eine polizeiliche Auseinandersetzung geraten sei und mit anderen zur Polizeidienststelle mitgenommen und dort verhört worden sei. Es sei dort zudem seitens der Polizei der Versuch unternommen worden, ihn als Informanten hinsichtlich der HDP zu gewinnen, was der Kläger abgelehnt habe, weshalb er verpflichtet worden sei, sich zweimal täglich bei der Polizeidienststelle zu melden. In der mündlichen Verhandlung führte der Kläger weiter aus, dass er auch bei NewrozFesten vor Ort gewesen sei und an Meetings teilgenommen habe (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 2). Er habe seine Aktivität etwa im Alter von 13 bis 14 Jahren begonnen, da habe das Interesse bei ihm angefangen. Er habe auch an legalen Demonstrationen teilgenommen, bei welchen sie belehrt worden seien, dass sie gewisse Parolen nicht rufen dürften. Bei den Meetings bzw. nach den Meetings seien sie öfter mitgenommen und befragt worden. Er sei ein paar Mal mit dem Stock geschlagen worden. Dies sei etwa drei- bis viermal geschehen, etwa als er zwischen 16 und 18 Jahre alt gewesen sei. Dass er erst im April 2018 der HDP beigetreten sei, habe zeitlich keine besondere Bedeutung (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 3). Er sei deswegen beigetreten, damit es offiziell sei. Auch sei es gewesen, weil er ab dem Alter von 18 Jahren die HDP mehr habe unterstützen können. Er hätte als Informant aufgrund seiner HDP-Kenntnisse gewonnen werden sollen (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 2). Sie hätten ihn hinsichtlich der innerparteilichen Zusammenhänge der HDP befragt sowie hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen HDP und PKK, d.h. wie die HDP die PKK unterstütze, und ob die HDP gegen die Regierung aktiv werde. Der Kläger könne lediglich innerparteiliche Kenntnisse wiedergeben, also Themen des Parteiprogramms und wie man die Situation der Kurden verbessern könne. Er wisse keinen speziellen Grund, warum gerade er als Informant gewonnen werden sollte. Er vermute, weil er einmal mit zwei anderen Personen festgenommen worden sei. Vielleicht bestehe auch ein Zusammenhang zum Bekleidungsgeschäft seines Vaters und Onkels, da diese an die HDP öfter Kleidung gespendet hätten.
Bei dem beschriebenen Engagement für die HDP und den vorgetragenen staatli chen Maßnahmen liegt keine staatliche Verfolgung des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vor. Der Kläger hat Probleme mit der Polizei wegen seiner Tätigkeit für die HDP vorgetragen. Er sei für die HDP zunächst als Sympathisant und ab April 2018 als offizielles Mitglied aktiv gewesen und es sei deswegen versucht worden, ihn als Informanten über innerparteiliche Sachverhalte der HDP zu gewinnen. Bei den geschilderten früheren Vorfällen, die im Alter des Klägers zwischen 16 und 18 Jahren stattgefunden haben sollen, liegt schon kein Verfolgungszusammenhang vor, da sich diese einige Jahre vor seiner Ausreise zugetragen haben. Der geschilderte Versuch der Anwerbung des Klägers als Informant habe im Rahmen seiner Festnahme nach der Wahl am 24. Juni 2018 stattgefunden. Da er dies aber abgelehnt habe, seien ihm die Meldeauflagen auferlegt worden, die dazu gedient hätten, dass der Kläger nicht fliehe, und auch als eine Art Bestrafung (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 4). Die Schilderungen des Klägers hinsichtlich der Geschehnisse im Wahllokal am 24. Juni 2018 und seiner danach erfolgten Festnahme samt den Geschehnissen auf der Polizeistation und des gescheiterten Versuchs, ihn als Informanten zu gewinnen, erachtet die Einzelrichterin zwar als glaubhaft. Jedoch folgt aus diesen Schilderungen nicht, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine staatliche Verfolgung droht. Die Schläge, die dem Kläger im Wahllokal selbst zugefügt worden sind, erfolgten im Rahmen einer – vom Kläger selbst als chaotisch beschriebenen – Situation, an welcher eine Vielzahl an Personen beteiligt waren und es ist nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass der Angriff des Polizisten in Zivil sich gegen den Kläger gezielt und individuell gerichtet haben soll. Der Kläger ist nach der Befragung auf der Polizeidienststelle freigelassen worden. Auch seine Weigerung, der Polizei als Informant zu dienen, hat lediglich die Meldeauflage zur Folge gehabt, die als solche nicht die Schwelle dahin übersteigt, dass sie so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt.
Im Übrigen geht das Gericht unter Auswertung der angeführten Erkenntnismittel und der Rechtsprechung (vgl. VG Magdeburg, U.v. 28.9.2018 – 6 A 243/17 – juris Rn. 25) davon aus, dass normale Mitglieder der HDP durch die bloße Mitgliedschaft in der HDP nicht im besonderen Fokus staatlicher Sicherheitsbehörden stehen. Der Kläger ist allein durch sein beschriebenes Engagement für die HDP nicht in den Fokus der Sicherheitsbehörden geraten.
Nach alldem ist die Einzelrichterin unter Auswertung der eingeführten Erkenntnismittel der Überzeugung, dass dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine landesweite Verfolgung durch den türkischen Staat wegen der Mitgliedschaft in der prokurdischen türkischen Partei HDP droht. Der Kläger wurde nicht wegen seiner Mitgliedschaft in der HDP von den türkischen Behörden oder der Polizei verfolgt. Diese wollten ihn lediglich als Informanten zur Informationsgewinnung über die HDP-Tätigkeit gewinnen. Dass gegen ihn ein Haft-, ein Strafbefehl oder ein Urteil vorliege, hat der Kläger nicht aufgezeigt (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 3). Dass er in der T. landesweit vom Staat gesucht würde, kann er auch nicht durch etwaige Nachweise untermauern. Er hätte sich beispielsweise Nachweise über E-Devlet oder UYAP aus der T. beschaffen lassen können. Daher ist nicht von einem landesweiten staatlichen Interesse an seiner Ergreifung oder gar Verfolgung auszugehen.
bb) Dem Kläger droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine staatliche Verfolgung wegen einer befürchteten Zurechnung seiner Person zur PKK.
Der Kläger gab in der mündlichen Verhandlung an, dass sein in Frankfurt lebender Bruder ihm telefonisch berichtet habe, dass die Polizei bei ihm in der T. zu Hause gewesen sei und nach ihm und danach gefragt habe, warum er die Meldeauflagen nicht erfülle. Sie würden vermuten, dass er sich der PKK angeschlossen habe (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 3). Dieser Verdacht ergebe sich daraus, dass er den Meldeauflagen nicht nachgekommen sei und dann heiße es dort, dass man in die Berge gegangen sei, sich also den Terroristen angeschlossen habe (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 4).
Selbst unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, dass Meldeauflagen dem Vorgehen des türkischen Staates gegen die PKK und gegen Terroristen dienten und dessen Vortrag nur an dieser Stelle als wahr unterstellt, dass ehemalige Guerillakämpfer nicht direkt aus den Kampfgebieten in die T., sondern über den Umweg eines Asylverfahrens in Europa in die T. zurückkehren würden (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 5), folgt zur Überzeugung der Einzelrichterin aus der Weigerung des Klägers, als Informant tätig zu werden und seinem Verstoß gegen die Meldeauflagen vorliegend keine staatliche Verfolgung des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen einer Zurechnung zur PKK. Selbst wenn der türkische Staat aufgrund der Nichterfüllung der Meldeauflage durch den Kläger etwa ab dem 29. oder 30. Juni 2018 den Verdacht entwickelt habe, er habe sich der PKK angeschlossen, kann der Kläger diesen Verdacht durch seine zeitnahe Ausreise aus der T. am 21. Juli 2018 und das Betreiben seines Asylverfahrens in Deutschland ab seiner Einreise am 27. Juli 2018 entkräften. Dass der türkische Staat den Verdacht haben soll, dass der Kläger in einem Zeitraum von etwa drei Wochen zwischen seiner Nichterfüllung der Meldeauflage sowie seiner Ausreise aus der T. für die PKK aktiv gewesen sei, ist nicht nachvollziehbar und diesbezüglich hat der Kläger nichts Substantiiertes vorgetragen. Lediglich ein längerer bzw. langer Zeitraum zwischen dem „Untertauchen“ einer Person und dem Betreiben eines Asylverfahrens in Europa, wäre überhaupt geeignet, um möglicherweise den vom Klägerbevollmächtigten angesprochenen Verdacht und einen entsprechenden Aufklärungseifer des türkischen Staates hervorzurufen, dass diese Person sich der PKK angeschlossen habe (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 5).
c) Der Kläger konnte auch mit seinem individuellen Vortrag nicht glaubhaft machen, dass ihm in der T. eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht. Eine Verfolgung
i.S.d. § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 1 bis 6 AsylG droht nicht. Er ist weder staatlich (siehe aa)) noch von Dritten mit staatlicher Billigung verfolgt worden (siehe bb)). aa) Eine staatliche Verfolgung i.S.d. § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 1 bis 6 AsylG droht dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
Das Risiko von Misshandlungen i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 1 ist für der PKK zugerechnete Personen zwar erhöht. Jedoch ist der Kläger wegen des Verdachts einer Zugehörigkeit zur PKK nicht in den Fokus der Sicherheitsbehörden gelangt (siehe oben), weswegen ihm nicht eine Verfolgung in Gestalt der Anwendung physischer oder psychischer sowie sexueller Gewalt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Aus dem gleichen Grund droht dem Kläger auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung in Gestalt einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG und auch keine Verfolgung in Gestalt diskriminierend angewandter administrativer oder justizieller Maßnahmen i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG oder eine Verfolgung in Gestalt einer diskriminierenden Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG. Dass dem Kläger eine Verfolgung i.S.d. § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG in Gestalt einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung droht, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.
bb) Eine Verfolgung des Klägers durch nichtstaatliche Dritte mit staatlicher Billigung liegt nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vor.
Nach § 3c Nr. 3 AsylG kann die Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens ist, i. S.d. § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten.
Der pauschal vorgetragene Verdacht des „Volkes“, d.h. des Umfelds des Klägers, dass er Geheimdienstzugehöriger sei, ist nicht nachvollziehbar und fernliegend, weshalb dieser Vortrag zur Überzeugung der Einzelrichterin unglaubhaft ist.
Der Kläger hat bei seiner Anhörung beim Bundesamt angegeben, dass er vom Volk deswegen verdächtigt worden ist, MIT-Mitglied zu sein, da er zweimal täglich im Rahmen der Erfüllung seiner Meldeauflagen bei der Polizeidienststelle erscheinen habe müssen und er einmal bei einer Hausdurchsuchung bei zwei anderen HDP-Mitgliedern anwesend habe sein müssen. Er sei vom Volk als MIT-Informant angesehen worden, weswegen ihm geraten worden sei, zu fliehen, da ihn das Volk ansonsten töten würde. In der mündlichen Verhandlung hat er auf Frage des Gerichts diesbezüglich angegeben, dass sein Vater ihn auf diesen Verdacht angesprochen habe, dass man über ihn derart rede, der Kläger habe dies aber sofort verneint. Er habe auch nicht mit zu dieser Hausdurchsuchung gewollt, er habe sich aber nicht wehren können (Protokoll vom 22. Oktober 2019, S. 3 f.).
Es ist nicht einleuchtend, warum der Kläger deswegen von anderen Personen verdächtigt worden sein soll, ein MIT-Mitglied oder -Informant zu sein, weil er zweimal täglich bei der Polizeidienststelle erscheinen habe müssen und er einmal bei einer polizeilichen Hausdurchsuchung anwesend habe sein müssen. Der MIT ist der türkische Geheimdienst und es entbehrt jeder Logik, dass der Verdacht der Mitgliedschaft oder Zugehörigkeit zu einem Geheimdienst dadurch ausgelöst sein soll, dass diese Person offiziell und v.a. offensichtlich Kontakt zur Polizei aufnimmt bzw. aufnehmen muss. Denknotwendig erfolgt die Tätigkeit als Informant eines Geheimdienstes in der Regel durch inoffizielle Mitarbeiter, deren Aktivität für den Geheimdienst für Außenstehende gerade unbekannt („geheim“) bleiben soll. Dass es beim Kläger anders sein soll, konnte er auch auf explizite Frage danach in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar schildern.
Doch selbst bei Einstufung dieses Vortrags, insbesondere seiner Befürchtung, er werde vom „Volk“ deswegen getötet, als kriminelles Unrecht geht das Gericht nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel davon aus, dass der türkische Staat grundsätzlich schutzfähig und schutzwillig gegenüber kriminellem Unrecht ist. Der Kläger hat auch nichts Gegenteiliges vorgetragen. Insbesondere hat er nicht vorgetragen, dass er sich an die Polizei gewandt hätte, um umgekehrt eine Strafanzeige zu stellen.
d) Für den Kläger besteht zudem die inländische Fluchtalternative in der Westtürkei vor lokalen oder regionalen Übergriffen. Hierzu wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen und ergänzend ausgeführt:
Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft wegen einer inländischen Fluchtalternative nach § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Der Kläger kann nach Überzeugung des Gerichts in einem Teil seines Herkunftslandes ohne begründete Furcht vor Verfolgung leben. Nach dem oben Ausgeführten ist kein landesweites Verfolgungsinteresse des Staates glaubhaft gemacht. Mithin wäre ihm ein Ausweichen in andere Landesteile möglich und zumutbar. Hinsichtlich der Möglichkeit einer Sicherung des Lebensunterhalts ist auf die Würdigung durch die Beklagte in ihrem Bescheid zu verweisen.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr in die T. ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylG droht.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Die Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers durch einen Konventionsstaat kann Art. 3 EMRK verletzen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen und bewiesen sind, dass der Ausländer im Zielstaat einer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. Dann ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung für den Konventionsstaat, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 173 m.w.N.).
Die Todesstrafe ist in der T. abgeschafft (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 14.6.2019, S. 21,23). In der Person des Klägers liegt kein ein Risiko von Folter zum Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhender Umstand vor, weil er von türkischer Seite nicht der PKK zugerechnet wird (siehe oben). Es besteht auch keine beachtliche Gefahr einer Inhaftierung in der T. zu unmenschlichen Bedingungen. Im Übrigen steht die o.g. inländische Fluchtalternative in die Westtürkei nach § 3e i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG entgegen.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen eben falls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist.
Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen nicht vor:
aa) Der erwachsene, gesunde und erwerbsfähige Kläger würde im Fall seiner Ab schiebung in die T. keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass seine elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären. 
Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in der T. jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert (in std. Rspr. VG Augsburg, U.v. 9.10.2018 – Au 6 K 17.33922 – juris Rn. 89 ff.). Der Kläger war vor seiner Ausreise in der Lage, den Lebensunterhalt zu sichern. Es ist nicht erkennbar, dass dies nach einer Rückkehr nicht wieder der Fall sein sollte. Auch konnte er vor seiner Ausreise auf den Familienverband in … zurückgreifen. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum dies nach einer Rückkehr in die T. nicht wieder der Fall sein sollte.
bb) Der Kläger würde im Fall seiner Abschiebung in die T. auch nicht wegen sei ner Asylantragstellung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden nach vorliegenden Erkenntnissen keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen. Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die T. zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (vgl. Lagebericht ebenda S. 28; a.A. allerdings unter Verweis auf Quellen lediglich zum Risiko von Festnahmen und nicht von Folter VG Freiburg, U.v. 13.6.2018 – A 6 K 4635/17 – juris Rn. 28 ff.).
b) Ein Abschiebungsverbot i.S.d. des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall des Klägers nicht vor.
4. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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