Verwaltungsrecht

Abschiebung, Herkunftsland, Ausreise, Einreise, Erkrankung, Asylverfahren, Freiheitsstrafe, Aserbaidschan, Bescheid, Abschiebungsverbot, Versorgung, Gesundheitszustand, Bundesamt, Heimatland, Furcht vor Verfolgung, Kosten des Verfahrens, Bundesrepublik Deutschland

Aktenzeichen  RN 15 K 19.30481

Datum:
2.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45994
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.  

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die zulässige, insbesondere fristgemäß nach § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG erhobene Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 21. Februar 2019 (Gesch.-Z.: 7687535-425) ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Kläger erfüllen im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Grundgesetz (GG), eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 AsylG, die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1, 2 oder 3 AsylG, oder die Feststellung nationaler Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Nicht zu beanstanden sind schließlich Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung des inmitten stehenden Verwaltungsakts und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend und zusammenfassend wird folgendes ausgeführt:
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nur dann zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet (Nr. 2), dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b)). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Einzelne in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt ist. Erforderlich ist insoweit, dass der Ausländer gezielte Rechtsverletzungen zu befürchten hat, die ihn wegen ihrer Intensität dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, B.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A, juris Rn. 21).
Eine Verfolgung kann nach § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat bzw. Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. § 3d AsylG), und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10, juris Rn. 22). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Furcht vor Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) drohen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab bedingt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – RL 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.) neben sämtlichen mit dem Herkunftsland verbundenen relevanten Tatsachen unter anderem das maßgebliche Vorbringen des Antragstellers und dessen individuelle Lage zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17, juris Rn. 14 m.w.N.).
Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt dabei durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QualRL. Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden, sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 – 14 A 2316/16.A, juris Rn. 24). Die den früheren Handlungen oder Bedrohungen zukommende Beweiskraft ist unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 QualRL ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht. Fehlt es an einer entsprechenden Verknüpfung, so greift die Beweiserleichterung nicht ein. Die widerlegliche Vermutung entlastet den Vorverfolgten von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Sie ist widerlegt, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatrichters (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17, juris Rn. 15 m.w.N.).
Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf, kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84, juris Rn. 16 und U.v. 11.11.1986 – 9 C 316.85, juris Rn. 11). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84, juris Rn. 16, U.v. 1.10.1985 – 9 C 19.85, juris Rn. 16 und B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89, juris Rn. 3).
Gemessen an diesen Maßstäben, haben die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Das Gericht ist davon überzeugt, dass den Klägern in Aserbaidschan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aus einem in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Grund eine Verfolgung gemäß § 3a AsylG durch einen der in § 3c AsylG genannten Akteure droht.
1.1 Das Gericht ist der Auffassung, dass die Kläger eine Verfolgung ihrer Person nicht glaubhaft machen konnten.
So steht die Parteimitgliedschaft des Klägers zu 1) in der klassischen Volksfront Partei nach wie vor nicht fest. An der inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten und übersetzten Bescheinigung vom 30. Oktober 2018 (Bl. 106 d.A.) bestehen berechtigte Zweifel. So sei bestätigt worden, dass der Kläger zu 1) seit 29. August 2009 Mitglied der Partei sei. Im Erstverfahren legte der Kläger zu 1) noch einen Mitgliedsausweis vor, welcher vom 11. November 2009 bis 31. Dezember 2017 gültig gewesen sei. Zugleich wurde im Erstverfahren noch eine weitere Bescheinigung mit Mitgliedsbeginn am 26. August 2009 vorgelegt (Bl. 179 d.A. mit Az.: 7058644-425). Damit stehen drei Daten in Raum, seit wann der Kläger zu 1) nun Mitglied in der besagten Partei sein soll.
Des Weiteren konnte der Kläger zu 1) eine Verfolgung seiner Person nicht durch die Vorlage des Beschlusses des Gerichts des Bezirks Y* … vom 23. November 2018 glaubhaft machen. An dessen Echtheit sowie inhaltlicher Richtigkeit bestehen nach Ansicht des Gerichts aufgrund der Erkenntnislage berechtigte Zweifel.
Erster Hinweis hierfür ist das in den Gründen angegeben wird, dass vom zentralen Polizeiamt der Stadt Baku Ermittlungen unter der Nummer …18 behandelt wurden. Ermittlungen im Strafverfahren werden aber nach Art. 223 und 315 des aserbaidschanischen Strafgesetzbuches von der Staatsanwaltschaft, nicht jedoch von der Polizei durchgeführt. Die Fallnummer im Strafverfahren umfasst genau 9 Ziffern und enthält keine Sonderzeichen (Auskunft Auswärtiges Amt vom 7.5.2018). Nach dem vorgelegten Beschluss wurden die Ermittlungen unter einem siebenziffrigen Aktenzeichen von der Polizei durchgeführt. Zudem sollte nach den Gründen des Beschlusses dieser an die Meldeadresse des Klägers zu 1) geschickt werden (Bl. 108 d.A.). Den Angaben des Klägers zu 1) zufolge, wurde dieser aber seinem Bevollmächtigten in Aserbaidschan zugestellt.
Die in dem bedingt gestellten Beweisantrag in Bezug auf den Gerichtsbeschluss enthaltene Beweistatsache ist auch nicht entscheidungserheblich. Aufgrund der Auskunftslage sind dem Gericht bestimmte Echtheitsmerkmale aserbaidschanischer Gerichtsentscheidungen bekannt und eine Auskunft des Auswärtigen Amtes zur Echtheit der vorgelegten Entscheidung ist nicht notwendig. Das Gericht kann seiner Entscheidung die oben bezeichnete Auskunft des Auswärtigen Amtes zu Grunde legen. Unsubstantiiert wird von die Gültigkeit der Verordnung sowie der sich daraus ergebenden Systematik bestritten. Es sind keinerlei tragfähige Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich, dass der Verweis auf die Auskunft vom 7. Mai 2018 im vorliegenden Fall ungenügend oder ungeeignet ist. Die Klägerseite trägt schon nicht hinreichend deutliche hervor, gegen welche Auskünfte genau sie sich stellt. Die Klägerseite versucht hier mit eigenen Behauptungen eine amtliche Auskunft, welche ein selbstständiges und zulässiges Beweismittel (§§ 99 Abs. 1 Satz 1 und 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO, § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) darstellt, zu entkräften. Um diese Beweiskraft zu erschüttern bedarf es aber mehr als einem reinen Bestreiten und der Schlussfolgerung aus einem unsubstantiiert vorgetragenen Sachverhalt zum Verfolgungsschicksal. Hinzu kommt auch, dass sich der Kläger in erster Linie gegen die Verzeichnisverordnung des aserbaischanischen Staates stellt. Vorliegend stützt das Gericht seine Auffassung aber nicht auf diese Verordnung.
Die in den bedingt gestellten Beweisanträgen in Bezug auf die im Erstverfahren zu Grunde gelegte Auskunft vom 5. Oktober 2018 enthaltene Beweistatsache ist auch nicht entscheidungserheblich. Zunächst wurden Einwände hiergegen bereits im Urteil vom 16. November 2018 ausreichend und erschöpfend behandelt. Die Frage zur Parteimitgliedschaft des Klägers ist mit Abschluss des Erstverfahrens abschließend geklärt worden. Eine Überprüfung der bezeichneten Auskunft würde die Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG in unzulässiger Weise umgehen.
Sofern der Klägerbevollmächtigte die Einsicht bestimmter Erkenntnismittel beantragt hatte, wird er darauf hingewiesen, dass diese ihm in der mündlichen Verhandlung zur Verfügung gestellt worden wären (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2.8.2021). Hinzu kommt, dass das Gericht vorliegend bezüglich des Gerichtsbeschlusses nur die Auskunft vom 7. Mai 2018 herangezogen hat.
Unsubstantiiert wird zudem behauptet, dass Familienangehörige der Kläger polizeilichem Druck ausgesetzt sind. In diesem Zusammenhang vorgelegte Artikel vermögen an der Auffassung des Gerichts nichts zu ändern. Hierin berichten nicht neutrale dritte Stellen nicht von tatsächlichen Sachverhalten, sondern es werden die Aussagen der Kläger als solche wiedergegeben, ohne dass eine journalistische Auseinandersetzung bzw. Überprüfung des vorgetragenen Sachverhalts mit bzw. des Vorbringens stattfand.
Auch auf den Nachfluchtgrund der exilpolitischen Betätigung können sich die Kläger nicht mit Erfolg berufen. Zwar ermöglicht § 28 Abs. 1a AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignisse beruht, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat. Nach Überzeugung des Gerichts ist es aber auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger zu 1) bei seiner Rückkehr nach Aserbaidschan eine Verfolgung wegen seiner exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland drohen würde In der aserbaidschanischen exilpolitischen Szene gibt es einige Gruppierungen. Den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen ist zweifelsohne zu entnehmen, dass die aserbaidschanische Regierung die Aktivitäten der aserbaidschanischen Exilorganisationen genau beobachtet bzw. durch die Auslandsvertretungen beobachten lässt. Aufgrund der Auskunftslage geht das Gericht jedoch weiterhin nicht davon aus, dass jede, wie auch immer geartete Form der Betätigung für eine der exilpolitischen Gruppen in der aserbaidschanischen exilpolitischen Szene im Ausland bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan zu einer beachtlichen Verfolgungsgefahr führt. Vielmehr wird offensichtlich zwischen Führungspersönlichkeiten, Aktivisten und bloßen Unterstützern unterschieden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. November 2020, S. 12 f.). Dem Auswärtigen Amt liegen auch nach dem eben genannten Lagebericht keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Partei im Ausland bei Rückkehr nach Aserbaidschan zu staatlichen Repressionen führt. Maßgeblich ist danach vielmehr der konkrete Einzelfall.
Bei einer Gesamtwürdigung der vorliegenden Auskunftslage nimmt das Gericht daher nicht an, dass aserbaidschanische Asylbewerber, sofern sie sich zu einer Exilorganisation bekennen und sie für diese Exilorganisation nur ein Mindestmaß an Aktivität vorweisen, für den Fall der Rückkehr nach Aserbaidschan bereits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG erwartet. Vielmehr müssen nach Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan nur solche Personen mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die aserbaidschanischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen. Erforderlich für einen beachtlichen Nachfluchtgrund aufgrund exilpolitischer Betätigung ist nämlich eine „beachtliche Wahrscheinlichkeit“ der Verfolgung im Falle einer Rückkehr. Nicht ausreichend ist hingegen, dass eine solche möglich ist oder nicht ausgeschlossen werden kann. Dies gilt im Übrigen auch dann, wenn der betreffenden Person eine auf den ersten Blick exponiert erscheinende Position übertragen worden ist, ohne dass diese dann auch aktiv ausgefüllt wird. Vielmehr ist ausschlaggebend, ob der jeweilige Funktionsträger nicht nur durch das Innehaben eines Amtes, sondern durch sein davon unabhängiges politisches Engagement im Heimatland und im Bundesgebiet sich als eine von der Masse der aserbaidschanischen Asylbewerber abhebende und nach außen erkennbar politisch interessierte und aktive Person darstellt.
Bezugnehmend auf die exilpolitische Betätigung des Klägers zu 1) ist festzustellen, dass er zur Überzeugung des Gerichts nicht derart durch ein kontinuierliches und führendes Engagement in einer entsprechenden Exilorganisation exponiert ist, dass im Falle der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einem gesteigerten Interesse der Behörden zu rechnen sein wird. So war der Kläger zu 1) eigenen Angaben zu Folge, zunächst nur Teilnehmer. Dann sei er auf die Organisationsseite gewechselt und organisiere in einem Team aus drei Personen per WhatsApp die Teilnehmer. Die letzte Demonstration sei einen Monat vor der Anhörung vor dem Bundesamt am 9. Januar 2019 gewesen. Seitdem wurde keine exilpolitische Betätigung mehr vorgetragen. Aus dem Vortrag lässt sich unstreitig keine besondere exponierte Stellung bzw. Aufgabe des Klägers zu 1) erkennen, welche das besondere Augenmerk der aserbaidschanischen Behörden auf sich ziehen würde. Dies könne auch nicht aus der unsubstantiierten Behauptung, er sei überall im Internet zu sehen, gefolgert werden.
2. Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Art. 16a Abs. 1 GG und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG unterscheiden sich lediglich dadurch, dass der Schutzbereich des § 3 AsylG weiter gefasst ist. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter liegen somit nach Ablehnung des Flüchtlingsschutzes ebenfalls nicht vor.
3. Den Klägern steht auch nicht die begehrte Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung), oder § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15 Buchst. c QualRL in Bezug auf Aserbaidschan, wohin ihm die Abschiebung angedroht wurde, zu.
Insoweit bedarf vorliegend lediglich die Schutzregelung nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 2 AsylG der Erörterung.
Dass ihm in Aserbaidschan ein ernsthafter Schaden in Form von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung droht, hat der Kläger nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich individuelle Gefahren ergeben, in schlüssiger Form und von sich aus bei seinen Anhörungen vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung darzulegen. Das Gericht muss dabei von der Wahrheit – nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Schutzsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals die volle Überzeugung gewinnen (vgl. BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84, juris Rn. 16; BVerwG, B.v. 23.5.1996 – 9 B 273/96, juris Rn. 2). Von dem Schutzsuchenden muss jedenfalls gefordert werden, dass er eine zusammenhängende, in sich stimmige Schilderung seines persönlichen Verfolgungsschicksals abgibt, die nicht in wesentlicher Hinsicht in unauflösbarer Weise widersprüchlich ist. Auch ein im Laufe des Verfahrens gesteigertes Vorbringen kann zur fehlenden Glaubwürdigkeit führen (vgl. BVerwG, U.v. 23.2.1988 – 9 C 273/86, juris Rn. 11; BVerwG, B.v. 23.5.1996 – 9 B 273/96, juris Rn. 2).
Über das geschilderte angebliche Verfolgungsschicksal hinausgehende Gründe für die Gewährung subsidiären Schutzes wurden von den Klägern nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Unsubstantiiert wird lediglich die Bedrohung der Familienangehörigen behauptet (s.o.).
4. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG
a) Ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 2 AufenthG ist für die Kläger nicht feststellbar.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bis 4 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solche ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st. Rspr. zu § 53 Absatz 6 Satz 1 AuslG; vgl. BVerwG‚ U.v. 29.10.2002 – 1 C 1.02, juris Rn. 9; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96, juris Rn. 9). Eine „erhebliche konkrete Gefahr“ im Falle einer zielstaatsbezogenen Verschlimmerung einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung ist daher gegeben, wenn sich der Gesundheitszustand alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat wegen der dortigen Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11, juris Rn. 34; B.v. 17.8.2011 – 10 B 13.11 – juris; BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 16.30007, juris Rn. 15). Gründe hierfür können nicht nur fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sein, sondern etwa auch die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05, juris Rn. 20).
Um ein entsprechendes Abschiebungsverbot feststellen zu können, ist eine hinreichend konkrete Darlegung der gesundheitlichen Situation erforderlich, die in der Regel durch ein ärztliches Attest zu untermauern ist. Zwar ist der Verwaltungsprozess grundsätzlich durch den in § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO statuierten Amtsermittlungsgrundsatz geprägt. Aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO und § 74 Abs. 2 AsylG ergibt sich jedoch die Pflicht der Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken, was in besonderem Maße für Umstände gilt, die – wie eine Erkrankung – in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen. Der sich auf eine seiner Abschiebung entgegenstehende Erkrankung berufende Ausländer muss diese daher durch eine qualifizierte, gewissen Mindestanforderungen genügende ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (BayVGH, B.v. 27.11.2017 – 9 ZB 17.31302, juris Rn. 4). Es entspricht inzwischen gefestigter Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468, juris Rn. 4; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735, juris Rn. 8; OVG NRW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17A, juris Rn. 19 ff.; OVG LSA, B.v. 28.9.2017 – 2 L 85/17, juris Rn. 2 ff.), dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest, wie sie mittlerweile gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG gesetzlich konkretisiert wurden (eingefügt durch Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016, BGBl Jahr 2016 I S. 390), auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105, juris Rn. 7). Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen der Krankheit auf traumatisierende Erlebnisse gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07, juris).
In Bezug auf den Kläger zu 1) liegt kein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen vor. Der nicht mehr aktuelle Arztbrief der chirurgischen Praxis-Klinik in L* … vom 24. Juli 2018 diagnostizierte einen Hodenbruch, welcher operativ behandelt wurde. Die aus dem Jahr 2019 vorgelegten medizinischen Unterlagen sind ebenso nicht mehr aktuell und enthalten darüber hinaus keine schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Erkrankungen des Klägers zu 1). Die vorgelegte Arzt- und Befundberichte erfüllen nicht die Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG, insbesondere werden keine schwerwiegenden Folgen eines Behandlungsabbruchs geltend gemacht. Eine vorgenannte Erkrankung ist auch nicht in der beim Kläger zu 1) diagnostizierten Thalassämia minor/heterozygote ß-Thalassämie (vgl. Hämoglobinopathie-Diagnostik vom 9.5.2019) zu sehen. Zum einen wurde gegenüber dem Gericht diesbezüglich kein Behandlungsbedarf o.ä. vorgetragen. Zum anderen ist aufgrund allgemein zugänglicher Quellen bekannt, dass es sich bei der Thalassämia major um die schwere, behandlugnsbedürftige Variante dieser Erkrankung hat, welche gerade beim Kläger zu 1) nicht vorliegt (vgl. Bericht der genetischen Beratung vom 29.5.2019)
Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenso wenig für den Kläger zu 4) festzustellen. Der vorgelegte Arztbrief vom 28. September 2018 (bl. 103 d.A.) ist schon nicht aktuell.
Zuletzt ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass mit Ausnahme des Klägers zu 1) bezüglich der restlichen Kläger nach wie vor nur der Verdacht und keine Diagnose auf eine Thalassämie (vgl. Bericht der genetischen Beratung vom 29.5.2019) im Raum steht.
Die in den bedingt gestellten Beweisanträgen in Bezug auf den Kläger zu 1) enthaltene Beweistatsache ist auch nicht entscheidungserheblich. Es handelt sich insoweit um eine unzulässige Beweisausforschung, da nicht einmal gesichert feststeht, ob und welche Behandlung der Kläger zu 1) bei einer Rückkehr benötigt. Die Frage nach den Behandlungskosten stellt sich daher nicht ebenso wenig wie die Frage nach verfügbaren Medikamenten oder Behandlungen.
b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285, juris Rn. 15 ff.), wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verweist, ist eine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung des Art. 3 EMRK allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen möglich (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C.15.12, juris; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12, juris; EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 – Husseini/Schweden, Nr. 10611/09, NJOZ 2012, 952). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681, Rn. 278, 282 f.) verletzen humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK zum einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Rückführung in den Herkunftsstaat „zwingend“ seien. Solche humanitären Gründe können auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein (so auch BayVGH, U.v. 19.7.2018 – 20 B 18.3080, juris Rn. 54). Da eine Verletzung des Art. 3 EMRK nur in außergewöhnlichen Fällen angenommen werden kann, ist ein sehr hoher Gefährdungsgrad zu fordern (BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285, juris Rn. 19), allerdings keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632, juris Rn. 27; BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18, juris Rn. 13). Auch im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; erforderlich aber auch ausreichend ist daher die tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung (BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632, juris Rn. 28).
Allgemein sprechen derzeit keine zwingenden humanitären Gründe gegen eine Rückführung nach Aserbaidschan. Die Armut ist in den letzten Jahren durch stark ansteigende Einkommen der Bevölkerung in Aserbaidschan erheblich zurückgegangen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Einkommensschwache Familien erhalten Sozialleistungen. Nach Angaben der Weltbank lebten 2016 ca. 5,6% der Bevölkerung unter dem Existenzminimum während es 2003 noch 44,7% gewesen seien. Das offizielle Existenzminimum liegt nach offiziellen Berechnungen (Stand Februar 2019) bei ca. 90 EUR pro Kopf und Monat. Das Durchschnittseinkommen für Angestellte betrug 2018 ca. 280 EUR. In den letzten Jahren wurde von der Regierung erheblich in das Gesundheitswesen investiert. Auch wenn sich die größten staatlichen Krankenhäuser, Spezialkliniken derzeit noch in Baku befinden, wurden in den letzten Jahren auch zentrale Krankenhäuser in den Regionen gebaut. Ein flächendeckendes staatliches Krankenversicherungssystem besteht derzeit nicht; zumindest theoretisch gibt es jedoch für alle notwendigen Behandlungen umfassende kostenlose medizinische Versorgung. Dringende medizinische Hilfe wird in Notfällen gewährt, auch wenn mittellose Patienten nur minimal versorgt würden. Neben der staatlichen Gesundheitsversorgung hat sich in den vergangenen Jahren ein florierender privater medizinischer Sektor herausgebildet, der gegen Barzahlung medizinische Leistungen auf annähernd europäischem Standard bietet.
Rückgeführte oder freiwillig zurückkehrende aserbaidschanisch Staatsangehörige müssen bei einer Rückkehr nicht mit staatlichen Zwangsmaßnahmen rechnen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. November 2020, S. 22; Länderinformationsblatt Aserbaidschan vom Bundesamt für Fremdwesen und Asyl, Österreich, Gesamtaktualisierung vom 25. Juli 2019, zuletzt geändert am 16. April 2020, S. 47).
Diese Anforderungen zugrunde gelegt ist davon auszugehen, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan ausreichende Möglichkeiten haben, ihre Existenzminimum zumindest so weit zu sich sichern, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht zu erwarten ist. In Bezug auf den Kläger sind die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigende gesundheitliche Einschränkungen nicht geltend bzw. glaubhaft gemacht worden (vgl. oben), sodass davon auszugehen ist, dass er arbeits- und leistungsfähig ist. Besondere, individuell erschwerende Umstände, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere der Kläger zu 1) verfügt über eine Schuldbildung und Berufserfahrung. Vor der Ausreise hat er gut verdient. Zudem können die Kläger auf einen familiären Verbund im Heimatland zurückgreifen. Unsubstantiiert wird diesbezüglich von der Klägerseite behauptet, dass eine familiäre Unterstützung bei einer Rückkehr nicht existiere.
Die in den bedingt gestellten Beweisanträgen in Bezug auf den Kläger zu 1) enthaltene Beweistatsache ist auch nicht entscheidungserheblich. Es handelt sich insoweit um eine reine unzulässige Beweisausforschung, da nicht einmal substantiiert vorgetragen wurde, dass der Kläger zu 1) bei einer Rückkehr als Tagelöhner arbeiten wird.
5. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung beruhen als gesetzliche Folge der Nichtanerkennung als Asylberechtigter, der Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des fehlenden Aufenthaltstitels auf §§ 34 Abs. 1, 38 AsylG.
6. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist gleichfalls rechtmäßig. Die Beklagte musste nach § 11 Abs. 2 Satz 1 und 4, § 75 Nr. 12 AufenthG eine Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG treffen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich. Grundsätzlich darf die Frist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Diese maximale Frist wurde im vorliegenden Fall zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG; deshalb ist auch die Festsetzung eines Streitwerts nicht veranlasst.
Die Entscheidung im Kostenpunkt war gemäß § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.


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