Verwaltungsrecht

Abschiebungsandrohung gegen international Schutzberechtigten nach Griechenland

Aktenzeichen  AN 17 S 18.50654

Datum:
10.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16682
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 34, § 35
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Es verstößt grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn international  Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Projekte von Nichtregierungsorganisationen können in ihrer Gesamtheit das Fehlen eines staatlichen Integrationsplans kompensieren und sicherstellen, dass zumindest die elementaren Bedürfnisse von anerkannten Schutzberechtigten für die erste Zeit befriedigt werden können. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen eine Abschiebungsandrohung (Ziffer 3. des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – im Folgenden: Bundesamt – vom 21. August 2018) nach Gr., wo ihm internationaler Schutz zuerkannt worden ist.
Der im Januar 2000 in … / Sy. geborene Antragsteller ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsbürger kurdischer Volks- und islamisch-sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er hatte nach seiner Einreise in die Bundesrepublik D. am 13. Juni 2018 auf dem Luftweg aus Gr. kommend am 9. Juli 2018 einen Asylantrag gestellt. Die Ermittlungen des Bundesamtes ergaben zwei Treffer aus Gr. in der EURODAC-Datenbank, darunter eine Markierung der Gewährung internationalen Schutzes mit Datum vom 22. November 2017. Der Antragsteller wurde durch das Bundesamt am 19. Juli 2018 persönlich mittels Dolmetscher zur Zulässigkeit des von ihm gestellten Asylantrages befragt. Hierbei gab er an, dass es richtig sei, dass er am 10. Oktober 2017 illegal nach Gr. eingereist sei. Er sei da noch minderjährig gewesen und habe den griechischen Behörden mitgeteilt, dass er nach D. weiterreisen wolle. Er habe wegen seiner Minderjährigkeit einen Beistand bestellt bekommen, der jedoch nichts habe für ihn ausrichten können. Er sei in einem Camp in Ch. untergebracht gewesen. Mit Eintritt der Volljährigkeit habe er monatlich 90 Euro Bargeld erhalten. Er habe aber nicht nach Athen zum Arbeiten gehen dürfen. Auch in die Schule habe er nicht gehen dürfen. Er habe im Januar 2018 irgendetwas erhalten, wobei er nicht wisse, ob es sich dabei um einen Anerkennungsbescheid handelte. Er habe ein griechisches Reisedokument besessen, mit dessen Hilfe er den Flug nach D. angetreten habe. Dieses Dokument habe er nach seiner Landung in D. vernichtet. Sonstige Dokumente habe er dem Bundesamt vorgelegt bzw. darüber hinaus nicht besessen. Er sei in Gr. acht Mal wegen psychischer Probleme beim Arzt gewesen. Er leide an einem Hautausschlag im Genitalbereich, der zuletzt mit verschiedenen Salben behandelt worden sei. Er könne über seine Arztbesuche keine Atteste beibringen. In D. würden zwei Cousins leben.
Mit Bescheid vom 21. August 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2.), drohte dem Antragsteller die Abschiebung – in erster Linie – nach Gr. an und stellte fest, dass der Antragsteller nicht nach Sy. abgeschoben werden dürfe (beides Ziffer 3.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). In den Gründen des Bescheids ist aufgeführt, dass sich die Unzulässigkeit des Asylantrages aus § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ergebe, da dem Antragsteller bereits in einem anderen Mitgliedsland internationaler Schutz gewährt worden sei. Dies ergebe sich aus der EURODAC-Treffermeldung. Im Übrigen ergäben sich aus dem Vortrag des Antragstellers und den Erkenntnismitteln des Bundesamtes zur Lage anerkannt Schutzberechtigter in Gr. keine Anhaltspunkte, die den Ausspruch eines nationalen Abschiebungsverbotes rechtfertigten. Schutzwürdige Nähebeziehungen in D. hätte der Antragsteller ebenfalls nicht dargelegt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die den Bescheid tragenden Feststellungen und Gründe verwiesen.
Der Bescheid wurde mit Postzustellungsurkunde in den Räumen der Gemeinschaftsunterkunft … am 24. August 2018 einem dortigen Mitarbeiter übergeben.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 27. August 2018, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach am 29. August 2018 per Telefax eingegangen, erhob der Antragsteller gegen den Bescheid des Bundesamtes Klage (Verfahren AN 17 K 18.50655), über die noch nicht entschieden wurde, und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Zugleich beantragte der Antragsteller, ihm unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Zur Begründung trägt der Bevollmächtigte vor, der angefochtene Bescheid sei formell und materiell rechtswidrig. Der Antragsteller habe den Bescheid unvollständig erhalten; ein vollständiges Exemplar werde nunmehr mit der Klage- und Antragsschrift eingereicht. Der Bevollmächtigte kündigte eine weitere Klagebegründung an, die er nach Akteneinsicht vortragen wolle. Im Übrigen kündigte der Bevollmächtigte die gesonderte Vorlage der für die Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch notwendigen Unterlagen an.
Der Antragsteller lässt beantragen (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO):
Die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3. des beklagten Bescheids wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 7. September 2018 beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
Zum Prozesskostenhilfeantrag hat sich die Antragsgegnerin nicht geäußert. Die Antragsgegnerin verteidigt ihren Bescheid unter Bezugnahme auf dessen Gründe.
Dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers wurde Einsicht in die elektronische Akte des Bundesamtes über das besondere elektronische Anwaltspostfach am 7. September 2018 gewährt. Eine Sachstandsanfrage des Bevollmächtigten vom 8. März 2019 bei Gericht wurde mit Hinweis auf die angekündigte Klagebegründung beantwortet. Eine ergänzende Klage- und Antragsbegründung ist bis dato nicht erfolgt. Bislang liegen dem Gericht auch keine Unterlagen zum Prozesskostenhilfeantrag vor, die formgerecht Auskunft über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers geben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte zum Az. … Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 21. August 2018 ist zulässig aber unbegründet. Der Antrag war daher abzulehnen. Die Entscheidung ergeht durch den Berichterstatter als Einzelrichter gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere fristgerecht binnen einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheids erhoben worden. Der Klage gegen eine Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG mit korrekter Fristsetzung nach § 36 Abs. 1 AsylG kommt nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 75 Abs. 1, 38 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu, so dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der grundsätzlich statthafte und zur Verhinderung der Abschiebung notwendige Rechtsbehelf ist.
An der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen indes keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Die Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG erging bei summarischer Prüfung rechtmäßig. Der Asylantrag des Antragstellers wurde überwiegend wahrscheinlich zu Recht als unzulässig gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt, da ihm in Gr. bereits internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuerkannt worden ist und keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Gr. vorliegen bzw. sich der Unzulässigkeitsausspruch in Ziffer 1. des beklagten Bescheids ebenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 4 EUGr.-Charta als rechtswidrig erweist (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 – verbundene Rechtssachen C-540/17 und C-541/17 – BeckRS 2019, 28304).
Dabei legt der Einzelrichter folgenden Maßstab seiner Bewertung zugrunde, den das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 16. August 2018 in der Rechtssache 1 B 26.18 (= BeckRS 2018, 21093) wie folgt wiedergegeben hat:
„Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen. Dieser fordert in ständiger Rechtsprechung nur für die Tatbestandsalternativen der „Folter“ und der „unmenschlichen Behandlung“ ein vorsätzliches Handeln, nicht hingegen für die Tatbestandsalternative der „erniedrigenden Behandlung“. Hierzu führt er in seinem Urteil vom 21. Januar 2011 (GK) – Nr. 30696/09 – M.S.S./Belgien und Gr. – (Rn. 220) aus: Es sei zwar zu berücksichtigen, ob es der Zweck der Behandlung gewesen sei, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließe dies die Feststellung einer Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zwingend aus („the absence of any such purpose cannot conclusively rule out a finding of a violation of Article 3“). Der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht sind dieser Rechtsprechung gefolgt. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 [ECLI:ECLI:EU:C: 2011:865], N.S. u.a. – (Rn. 86 bis 94 und 106) entschieden, dass die Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems unter bestimmten Umständen gegen das Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC/Art. 3 EMRK verstoßen kann, wenn sie an einen Mitgliedstaat überstellt werden, bei dem ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller systemische Mängel aufweisen. Diese Rechtsprechung führt der EuGH in Folgeentscheidungen fort und legt die Merkmale der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Übereinstimmung mit dem EGMR aus (vgl. etwa EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU [ECLI:ECLI:EU:C:2017:127], C.K. u.a. – Rn. 67). Entsprechendes gilt für die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 22 ff.).
In der Rechtsprechung des EGMR ist weiter geklärt, dass die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) erreichen müssen, um ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK/Art. 4 GRC zu begründen (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien – Rn. 174; EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU, C.K. u.a. – Rn. 68). Die Bestimmung dieses Mindestmaßes an Schwere ist relativ und hängt von allen Umständen des Falls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenen körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen (EGMR, U.v. 21.1.2011 – Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Gr. – Rn. 219 und vom 13.12.2016 – Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien – Rn. 174). Nach den Schlussanträgen des Generalanwalts beim EuGH Wathelet vom 25.7.2018 (C-163/17 – Rn. 143) muss sich der Betroffene in „einer besonders gravierenden Lage“ befinden. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 23 und 25).
Allerdings enthält Art. 3 EMRK weder eine Verpflichtung der Vertragsstaaten, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen noch begründet Art. 3 EMRK eine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR, U.v. 21.1.2011 – Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Gr. – Rn. 249). Der EGMR hat aber für die als besonders verletzlich gewertete Gruppe der Asylsuchenden eine gesteigerte Verantwortlichkeit der EU-Mitgliedstaaten gesehen, weil sich diese durch die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31 S. 18) (heute: Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen) zur Gewährleistung bestimmter Minimalstandards bei der Aufnahme von Asylsuchenden verpflichtet haben. Bei diesem besonders schutzbedürftigen Personenkreis können schlechte Lebensbedingungen im Zielstaat der Abschiebung das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere erfüllen, wenn die Betroffenen – in einem ihnen vollständig fremden Umfeld – vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und staatlicher Untätigkeit und Indifferenz gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (EGMR, U.v. 21.1.2011 – Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Gr. – Rn. 250 ff.; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 24).
Die vorstehend wiedergegebene Rechtsprechung von EGMR, EuGH und Bundesverwaltungsgericht ist auf anerkannte Flüchtlinge zu übertragen, die sich darauf berufen, dass die Lebensbedingungen, denen sie im Staat ihrer Flüchtlingsanerkennung ausgesetzt sind, Art. 3 EMRK widersprechen (so schon BVerwG, B.v. 2.8.2017 – 1 C 37.16 – juris Rn. 20). Auch für diesen Personenkreis ergibt sich eine gesteigerte Schutzpflicht der EU-Mitgliedstaaten, der sie sich in Gestalt der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) unterworfen haben. Auch bei ihnen kann das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere im Zielstaat der Abschiebung erreicht sein, wenn sie ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten. Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls.“
Dass bei Anlegung dieses Maßstabes im Falle des Antragstellers anzunehmen ist, er werde nach einer Rücküberstellung nach Gr. staatlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen und eine Mindestsicherung seiner Grundbedürfnisse auch bei jeglicher eigener Anstrengung nicht werde meistern können, ist – unter weiterer Beachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in seiner Rechtssache C-163/17 (Fall „Jawo“ – U.v. 19.3.2019 – NVwZ 2019, 712) und der dem Gericht vorliegenden aktuellen Erkenntnismittel zur Situation anerkannt Schutzberechtigter in Gr. (u.a. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. Januar 2020 an das Verwaltungsgericht Leipzig zum dort. Az. 6 K 1445/18.A; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. August 2019 an das Verwaltungsgericht Potsdam zum dort. Az. VG 11 K 3355/17.A; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 1. Februar 2019 an das Verwaltungsgericht Chemnitz zum dort. Az. 6 K 1147/18.A; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6. Dezember 2018 an das Verwaltungsgericht Stade zum dort. Az. 10 A 1632/18; Raphaelswerk e.V., Informationen für Geflüchtete, die nach Gr. rücküberstellt werden, Stand: Dezember 2019) – nicht überwiegend wahrscheinlich und darüber hinaus vom Antragsteller bislang auch nicht substantiiert vorgetragen worden, obgleich er bereits einige Zeit in Gr. als Asylsuchender und hernach anerkannt Schutzberechtigter zugebracht hat.
Da der Antragsteller bislang im Gerichtsverfahren keine die Klage näher begründenden Umstände vorgetragen hat, macht das Gericht zunächst von der ihm gesetzlich eingeräumten Befugnis nach § 77 Abs. 2 AsylG Gebrauch, nimmt vollumfänglich auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug und macht sich diese für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu eigen.
Ergänzend stellt das Gericht fest, dass der Antragsteller im Hinblick auf seinen Sachvortrag vor dem Bundesamt auch nicht zu einer besonders schützenswerten Personengruppe gehört, die allein schon aufgrund ihrer Hilfsbedürftigkeit und ohne weitere Zusicherungen der Behörden des sicheren Herkunftsstaates die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK oder Art. 4 der EU-Charta der Menschenrechte droht. Das erkennende Gericht hat bereits entschieden, dass allein aus dem jungen Alter eines Antragstellers, der im Übrigen volljährig ist, ohne das Hinzutreten besonderer Umstände kein Schluss auf die Zugehörigkeit zu einer besonders schützenswerten Personengruppe gezogen werden kann (VG Ansbach, B.v. 15.11.2019 – AN 17 S 19.50987, AN 17 S 19.50989, AN 17 S 19.50991, AN 17 S 19.51029 – BeckRS 2019, 29544; B.v. 13.08.2019 – AN 17 S 19.50767 – BeckRS 2019, 19437, beck-online). Besondere Umstände in diesem Sinne hat der Antragsteller aber weder behauptet noch sind sie für das Gericht erkennbar gegeben. Insoweit bedurfte es für den Antragsteller keiner vertieften Erörterung der Lebenssituation für anerkannt Schutzberechtigte in Gr. für eine solche vulnerable Personengruppe.
Die Lebensverhältnisse von Schutzberechtigten in Gr. (vgl. dazu allgemein auch die Feststellungen der Kammer unter Bezugnahme auf aktuelle Erkenntnismittel: VG Ansbach, U.v. 17.3.2020 – AN 17 K 18.50394 – BeckRS 2020, 10433 dort Rn. 41 ff.) stellen sich Auffassung des Einzelrichters überdies nicht schon allgemein für jedweden Personenkreis von Schutzberechtigten als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 EUGR-Charta dar. Zwar haben international oder subsidiär Schutzberechtigte nach der Ankunft in Gr. möglicherweise über einen längeren Zeitraum keinen effektiv gesicherten Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen. Zudem ist es für sie teilweise praktisch unmöglich, die Voraussetzungen für den Erhalt des sozialen Solidaritätseinkommens zu erfüllen. Bei dieser Sachlage ist der Zugang zu Sozialleistungen, zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt allerdings durch das eigenverantwortliche Handeln des Einzelnen geprägt und muss somit auch angemessen Berücksichtigung finden, ob ein anerkannt Schutzberechtigter, dem nur die Sorge für seine Person obliegt, sich selbst dieser staatlich bereitgestellten Versorgungs- und Unterbringungsmöglichkeiten aufgrund seines Weiterzugs oder sonstigen Handelns „freiwillig“ begeben hat (offengelassen durch die Kammer in ihrem Urteil vom 17.3.2020 bezüglich erwachsener, zur Selbstverantwortung fähiger Personen – BeckRS 2020, 10433 dort Rn. 60 und auch durch den BayVGH, B.v. 27.9.2019 – 13a AS 19.32891, BeckRS 2019, 27542 dort Rn. 34). Entscheidend sind letztlich alle Umstände des Einzelfalles und demnach auch die persönlichen Umstände des Antragstellers (BayVGH, B.v. 9.1.2020 – 20 ZB 18.32705, BeckRS 2020, 254).
Vor diesem Hintergrund muss der jeweilige Schutzberechtigte nach Überzeugung des Gerichts grundsätzlich befähigt sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ist davon auszugehen, dass er diese Schwierigkeiten bewältigen kann, fehlt es an der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Gr. (VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 – 5 L 581/18.A -, juris Rn. 40; VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 – 12 L 1326/19.A -, juris Rn. 43; VG Leipzig B.v. 17.2.2020 – 6 L 50/19, BeckRS 2020, 2228 Rn. 15). Es verstößt demnach grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen (VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 – 12 L 1326/19.A -, juris Rn. 37). Art. 3 EMRK gewährt grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Sofern keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse nach einer Überstellung erheblich verschlechtern würden, nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 – 12 L 1326/19.A -, juris Rn. 39).
Im Einzelnen können anerkannte Flüchtlinge in Gr. derzeit eine finanzielle staatliche Grundsicherung erhalten (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28.1.2020 – Gz.: 508-516.80/ 53584 -). Aber selbst wenn man dies für Rückkehrer in Frage stellen würde (VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 – 5 L 581/18.A -, juris Rn. 20), so können anerkannte Flüchtlinge in jedem Fall Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs von Nichtregierungsorganisationen erhalten (VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 – 5 L 581/18.A -, juris Rn. 19). Darüber hinaus können anerkannte Flüchtlinge in kommunalen Obdachlosenunterkünften eine Unterbringung finden (Auswärtiges Amt vom 28.1.2020 – Gz.: 508-516.80/53584 -). Auch wenn man diese in Zweifel ziehen würde (VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 – 5 L 581/18.A -, juris Rn. 27 f.), so gibt es jedenfalls informelle Möglichkeiten der Unterkunftsfindung durch eigene Strukturen und der Inanspruchnahme landsmännischer Vernetzung. Anhaltspunkte für eine massenhaft oder vermehrt auftretende Obdachlosigkeit bei anerkannt Schutzberechtigten gibt es jedenfalls nicht (VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 – 5 L 581/18.A -, juris Rn. 33 – 35).
Soweit es die spezifischen Bedürfnisse Schutzberechtigter verlangen, dass ihnen zumindest in einer ersten Übergangsphase ein Mindestmaß an Fürsorge und Unterstützung bei der Integration zukommt, ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich Nichtregierungsorganisationen bei der Integration anerkannter Schutzberechtigter eine wichtige Rolle spielen und diese als Umsetzungspartner der internationalen, von der Europäischen Union finanzierten und vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen koordinierten Hilfsprojekte fungieren (VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 – 5 L 581/18.A -, juris Rn. 23 – 25, 36; VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 – 12 L 1326/19.A -, juris Rn. 48 – 54). Die Projekte der Nichtregierungsorganisationen können in ihrer Gesamtheit das Fehlen eines staatlichen Integrationsplans kompensieren und sicherstellen, dass zumindest die elementaren Bedürfnisse von anerkannten Schutzberechtigten (Wohnraum, Nahrungsmittel und Zugang zu sanitären Einrichtungen) für die erste Zeit befriedigt werden können.
Ergänzend merkt das Gericht auch an, dass sich eine Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides in formeller Hinsicht, die u.U. bereits für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beachtlich sein könnte, weder aus dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers noch aus der dem Gericht vorliegenden Bundesamtsakte ergeben. Selbst wenn dem Antragsteller durch die Antragsgegnerin nur eine verkürzte Ausfertigung des beklagten Bescheides zugestellt worden sein sollte, ist wohl unstreitig, dass eine mit vollständigen Gründen versehene Bescheidsausfertigung existiert und dem Antragsteller auch spätestens mit der Einsicht in die Akte des Bundesamtes durch seinen Bevollmächtigten bekannt geworden ist. Ohnedies würde durch eine unvollständige Bekanntgabe des Bescheids an den Antragsteller nur seine prozessuale Stellung hinsichtlich der Wahrung der Klage- und Antragsfrist nach §§ 36 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, 74 Abs. 1 AsylG verbessert, da diese naturgemäß erst mit Bekanntgabe des vollständigen Bescheides einschließlich einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung:in Gang gesetzt werden kann. Nachdem die Antrags- und Klagefrist vorliegend indes in jedem Fall gewahrt wurde, kommt es auf einen Bekanntgabefehler rechtlich nicht an. Worin ansonsten der beklagte Bescheid in formeller Hinsicht mangelhaft sein könnte, hat der Bevollmächtigte bisher nicht näher konkretisiert.
Darüber hinaus ergibt sich aus einem möglichen Bekanntgabefehler des beklagten Bescheids auch keine sonstige Verkürzung prozessualer Rechte des Antragstellers, insbesondere der Abgabe einer Klagebegründung im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG. Zwischenzeitlich ist dem Antragsteller über seinen Bevollmächtigten Akteneinsicht in die Behördenakte gewährt worden, ohne, dass das Gericht in Aussicht gestellt hat, dass der Antragsteller in seinem Vorbringen inhaltlicher Art präkludiert sein könnte. Dass der Antragsteller bislang von der Abgabe einer Klagebegründung im Sinne der vorgenannten Vorschrift noch keinen Gebrauch gemacht hat, liegt allein in seiner Interessen- und Verantwortungssphäre.
Nach alledem hat der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 21. August 2018 keinen Erfolg und war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war einerseits mangels hinreichender Erfolgsaussichten als auch vor dem Hintergrund, dass es der anwaltlich vertretene Antragsteller bislang nicht vermocht hat, im gesetzlich geforderten Umfange seinen Prozesskostenhilfeantrag bezüglich seiner persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen zu plausibilisieren, ebenfalls abzulehnen (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 114 Abs. 1, 117 Abs. 2 u. 4 ZPO). Die Voraussetzungen für eine Anwaltsbeiordnung gemäß § 121 Abs. 2 ZPO liegen ebenfalls nicht vor.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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