Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot, Ausreise, Berufung, Zulassungsantrag, Zulassungsgrund, Zulassung, Somalia, Bewilligung, Berufungsverfahren, Ausland, Prozesskostenhilfe, Bedeutung, Tatsachenfrage, Fluchtalternative, Zulassung der Berufung, Antrag auf Prozesskostenhilfe, Bedeutung der Rechtssache

Aktenzeichen  23 ZB 21.30369

Datum:
27.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30944
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 9 K 20.30736 2021-01-29 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt bzw. liegt nicht vor.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 13a ZB 19.30070 – juris Rn. 5; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 4; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Die Klägerin hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
„ob von nach Ausreise und Verbleib im westlichen Ausland zurückkehrenden bzw. nach Somalia rückgeführten Asylantragstellern, die einem Minderheitenclan angehören und für die kein Rückgriff auf ein familiäres Netzwerk möglich ist, nach § 3e Abs. 1 AsylG derzeit vernünftiger Weise erwartet werden kann, dass diese sich in einem anderen Landesteil niederlassen, in den sie sicher und legal einreisen können“.
a) An einer grundsätzlichen Bedeutung fehlt es schon deshalb, weil die aufgeworfene Frage für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich war. Das Verwaltungsgericht hat die Klägerin – bei Wahrunterstellung des von ihr vorgetragenen Verfolgungsschicksals – auf die Möglichkeit eines internen Schutzes gemäß § 3e Abs. 1 AsylG in Mogadischu verwiesen und ist dabei davon ausgegangen, dass sie bei einer Rückkehr nach Somalia – entgegen ihrer diesbezüglichen Angaben – nicht auf sich allein gestellt wäre und sehr wohl auf soziale Kontakte zurückgreifen könnte (UA S. 12).
Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen begründet, warum es die Angaben der Klägerin, wonach sie seit September 2020 keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter und ihrem Sohn habe und wonach der von ihrem Vater für sie ausgewählte Ehemann getötet worden sei, nicht für glaubhaft gehalten hat.
Soweit die Zulassungsschrift hiergegen einwendet, es sei nicht haltbar, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag der Klägerin hinsichtlich ihrer sozialen Kontakte in Somalia als emotionslos und in der Folge als unglaubhaft bewertet habe, denn es sei nicht nachvollziehbar, wie das Gericht im Hinblick auf den während der gesamten mündlichen Verhandlung pandemiebedingt getragenen Mund-Nase-Schutz in der Lage gewesen sein sollte, Mimik und Gestik sowie Schwingungen in der Tonlage der Klägerin wahrzunehmen und zu deuten, verfängt dieser Einwand nicht.
Zum einen hat das Gericht seinen Eindruck, dass es der Klägerin aus verfahrenstaktischen Gründen nur um die Schilderung einer möglichst schwierigen, tatsächlich aber nicht zutreffenden Rückkehrsituation gegangen sei, nicht allein auf die von ihm als emotionslos wahrgenommene Schilderung der Klägerin gestützt, sondern darüber hinaus auch darauf abgestellt, dass sie – im Sinne einer erheblichen Steigerung im Sachvortrag – erstmalig in der mündlichen Verhandlung erklärt habe, dass der vom Vater ausgewählte Ehemann in Kismaayo durch Al-Shabaab getötet worden sei.
Zum anderen hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass der in Saudi-Arabien lebende Onkel der Klägerin, der sie nach ihren Angaben bereits bei ihrer Ausreise mit rund 8.000 US-Dollar unterstützt habe, ihr auch bei einer Rückkehr nach Somalia finanziell zur Seite stehen und zur Sicherung ihres Existenzminimums beitragen könnte. Hinsichtlich dieses Umstandes verhält sich die Zulassungsschrift nicht.
b) Unbehelflich ist auch der Einwand, es sei irrelevant, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag der Klägerin insoweit als unglaubhaft eingestuft habe, weil es sich um ein Sachvorbringen handle, das als Einzelfall Auslöserfunktion für die Prüfung und Klärung einer generellen Frage, nämlich der Hinnehmbarkeit der desolaten Lage Somalias für zurückkehrende Mitglieder von Minderheitenclans, habe und es unter dem Gesichtspunkt der Entscheidungserheblichkeit dieser Frage für die allgemeine Rechtsfortbildung nicht entscheidend auf die Art und Weise des Sachvortrags ankomme; ließe man hier die unterstellte Unglaubwürdigkeit der Klägerin weg, würde das Gericht doch gerade zu dem Schluss kommen müssen, dass es von diesen Personen gerade nicht verlangt werden könne, sich in einem anderen Landesteil niederzulassen bzw. dass für sie zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz i. V. m. Art. 3 EMRK festzustellen wäre.
Im Asylprozess lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Frage nicht unter Annahme eines Sachverhalts begründen, der von dem durch das Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt abweicht, solange diese Feststellungen nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 VwGO) erschüttert worden sind. Ohne eine solche Verfahrensrüge, die sodann bereits für sich genommen den Zugang zum Berufungsverfahren eröffnen würde, bleibt es bei dem Grundsatz, dass für den Zulassungsantrag von den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts auszugehen ist. Ansonsten würde im Rahmen der Grundsatzrüge bezogen auf die Tatsachenfeststellungen eine Möglichkeit eröffnet, die inhaltliche Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in Frage zu stellen. Im Asylverfahrensrecht ist aber der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht gegeben (s. § 78 Abs. 3 AsylG), sodass Angriffe gegen die Sachverhaltsfeststellungen nur über die – begrenzt eröffnete – Verfahrensrüge möglich sind (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2020 – 15 ZB 20.32403 – juris Rn. 10; B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33299 – juris Rn. 17; B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33307 – juris Rn. 14; B.v. 11.1.2019 – 14 ZB 18.31863 – juris Rn. 6; VGH BW, B.v. 29.8.2018 – A 11 S 1911/18 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Abgesehen davon ist die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich dem Bereich des materiellen Rechts zuzuordnen. Aus diesem Grund führt selbst eine fehlerhafte Beweiswürdigung in asylrechtlichen Streitigkeiten nicht zur Zulassung der Berufung, weil § 78 Abs. 3 AsylG mangels einer dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entsprechenden Vorschrift den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils gerade nicht vorsieht (vgl. etwa OVG NW, B.v. vom 21.7.2021 – 1 A 1555/20.A – juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Ob ausnahmsweise etwas Anderes zu gelten hat, wenn die die angegriffene Entscheidung tragenden Ausführungen des Gerichts handgreiflich von objektiver Willkür geprägt sind, kann vorliegend offenbleiben.
Eine willkürliche Sachverhalts- oder Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht ist hier weder entsprechend den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG aufgezeigt noch ersichtlich. Auch sonst sind Berufungszulassungsgründe i. S. d. § 78 Abs. 3 AsylG nicht dargelegt, so dass der vom Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt, wonach die Klägerin bei einer Rückkehr nach Somalia Rückgriff auf ein familiäres Netzwerk nehmen kann, zugrunde zu legen ist. Entgegen der Auffassung der Klagepartei kann daher die Glaubhaftigkeit des klägerischen Sachvorbringens, welches sich (zumindest auch) als „Auslöser“ für die aufgeworfene Frage darstellt, insoweit nicht unterstellt werden.
c) Ungeachtet dessen kann der aufgeworfenen Frage schließlich auch schon deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zukommen, weil die Frage des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. Ihre Beantwortung hängt – auch im Falle Angehöriger eines Minderheitenclans – wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Klägers ab, vgl. § 3e Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 4 RL 2011/95/EU (vgl. BVerwG, B.v. 21.9.2016 – 6 B 14.16 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 1.9.2021 – 23 ZB 21. 31245 – [n.v.] UA Rn. 14; B.v. 5.7.2018 – 15 ZB 18.31513 – juris Rn. 8; B.v. 3.11.2017 – 13a ZB 17.31228 – juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 29.9.2018 – 13 A 3333/18.A – juris Rn. 8-13; B.v. 20.6.2017 – 13 A 903/17.A – juris Rn. 16-19).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
3. Aus den genannten Gründen ist mangels hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Klägerbevollmächtigten gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 114 ff. ZPO abzulehnen.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts gemäß § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG rechtskräftig.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben